Die weißen Rehe von Tecknarweihingen (eBook)
192 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7534-8503-4 (ISBN)
Im Alter von 15 Jahren begann die gebürtige Stuttgarterin Sonja Haueisen mit Schreiben, zunächst Gedichte und Kurzgeschichten, bald darauf ihren ersten Fantasy-Roman. Von klein auf ist Malen ihre Leidenschaft, vor allem Tiere. Später entdeckte sie die abstrakte Malerei auch für sich. Natur-Fotografie zählt zu ihren Hobbys. Viele Motive wie Katzen, Wolken etc. malt sie von ihren eigenen Fotos ab. Einige Manuskripte fertigte Sonja Haueisen im Lauf der Jahre, die alle zu ihrer großen Fantasy-Romanreihe gehören, und im hierfür von Sonja Haueisen erfundenen, süddeutschen Bundesland spielen, zu welchem natürlich Tecknarweihingen zählt. Momentan arbeitet sie viel an dieser Reihe, und wird in naher Zukunft den ersten Band veröffentlichen.
Kapitel 2
Weit über zweihundertzwanzig Jahre zuvor kauerte einer der Vorfahren des hellen Bussards auf dem vereisten Ast eines alten Baumes in der Nähe des Tecknarufers.
Die scharfen Augen erblickten nur Eis und harten Schnee, suchten vergeblich nach Mäusen, Ratten.
Der bitterkalte Winter hielt die Tecknaraue fest im Griff.
Und schier endlos über die Grenzen der hiesigen Menschen hinaus befand sich fast der gesamte Kontinent in der ungewöhnlich starken und langen Winterstarre.
Flüsse wie der Tecknar froren fast gänzlich zu, Seen lagen als eisige, für Fischer schier undurchdringliche Panzer da, Bäche wurden unter Eisschichten begraben.
Menschen und Tiere litten an Hunger.
Schon der letzte Winter war furchtbar gewesen, Frühjahr und Sommer viel zu kalt, nass und trüb, ganz selten linste mal die Sonne blass und einzig für kurze Augenblicke durch den hartnäckigen Hochnebel, Obstblüten erfroren, nur ein kleiner Teil der Saat auf den Äckern trug Früchte. Früher Schnee und Frost vertrieben den farblosen Herbst.
Die Missernten der vergangenen zwei Jahre waren kaum noch aufzuholen. Die Kornspeicher blieben leer.
Die Menschen damals wussten wohl nicht, dass diese kleine Eiszeit, die auch den Ärmelkanal zufrieren ließ, einem fernen, aber heftigen Vulkanausbruch zugrunde lag. Die Aschewolken wurden in die Höhe getrieben und von starken Winden über die Welt verteilt, sie verdunkelten den Himmel, ließen kaum noch Sonnenstrahlen zur Erde hinab, und hielten sich hartnäckig über Monate, dann Jahre.
Und der Himmel über Tecknarweihingen war zusätzlich vom Qualm der vielen Kamine dunkel eingetrübt, wie über allen anderen Städten und Dörfern auch. Stehende Luft und Nebel hielten den teils giftigen Rauch verbrennenden Holzes fest, und drückten ihn hinab.
Etwas außerhalb der Ortschaft war das nicht so schlimm.
In der kleinen, zugeschneiten, einzelnen Hütte flehte die Ehefrau ihren Mann an, nicht hinauszugehen.
Tränen liefen ihre Wangen hinab. „Heinrich, bitte, bleib. Es wird bald dunkel.“
„Was sollen wir essen?“, fragte er. „Schau die Kinder an, sie hungern.“
„Wir dürfen hier nicht jagen“, sagte sie. „Du weißt doch, welche Strafen für Wilderei verhängt werden. Und was sollen wir, die zwei Mädchen und ich denn tun, wenn du tot bist? Wie sollen wir leben?“
„Nicht alle Wilderer werden erwischt“, meinte er.
„Wir sind rechtschaffene Leute, denk daran!“ Mara versuchte die Strenge in ihrer Stimme zu betonen. Es klappte nicht so wie sie es wollte, und schluckte.
„Rechtschaffen ja, aber was nützt uns das, wenn wir verhungern?“ fragte er.
Sie schüttelte den Kopf. „Und ich habe gehört, dass die Wölfe näher ans Dorf herankommen. Der Hunger vertreibt ihre Scheu. Was, wenn ein Wolfsrudel auf dich zu schleicht?“
Er überlegte. Draußen auf der Lauer vielleicht erfrieren oder gefressen werden, drinnen vielleicht verhungern.
Aber hier war er bei seiner Frau, und den zwei Kindern.
Heinrich blieb.
Seine Frau Mara begann das karge Essen zu kochen.
Immerhin, morgens gab es fast immer ein gekochtes Ei für jeden, denn Hühner besaßen sie noch, doch eine Milchkuh seit dem letzten Winter nicht mehr. Die hatten sie damals schlachten müssen, sonst wären sie verhungert, und die Kuh auch, weil kaum noch Heu im Schober lagerte. Der Sommer war so kalt und nass gewesen, dass das Heu nicht trocknete, sondern verschimmelte und vermoderte.
Und dieses Jahr konnte sich die Familie beim besten Willen keine neue Kuh kaufen, nicht einmal eine Ziege. Sie hatten nichts.
Brennsuppe wurde zu einer geliebten Rarität, denn Fett und Mehl, das man anbriet und dann mit Wasser aufgoss, war kaum noch vorhanden. Auch Brot wurde zur Seltenheit.
Gemeinsam aßen sie wie derzeit so oft heiße Wassersuppe, kaum gesalzen, denn Salz wurde auch knapp, dafür mit getrockneten Kräutern gewürzt. Mal schwamm eine Karotte drinnen, mal eine Kartoffel. Heute gab es eine Pastinake. Sie wurde in vier Stücke zerteilt.
Das heiße Wasser füllte kurzfristig die Mägen. Doch als sie in den Betten lagen, rumorte wieder unerbittlich der Hunger, und hielt bei Heinrich den Schlaf fern.
Am nächsten Tag war es genauso trüb wie die Tage zuvor.
Nur der Nebel hielt sich in der eisigen Luft, klammerte sich flächendeckend als spitzige, gefrorene Nadeln an alles, Bäume, Büsche, Zäune.
Aus der heutigen Sicht sah es traumhaft aus, schließlich hat die breite Bevölkerung eine Wohnung, warmes Essen, Heizung, gute Kleidung. Man kann den Frost genießen.
Der Mann damals aber hatte für die harte Schönheit keine Augen.
Es war Vormittag, als er hinab zum Tecknar ging, hoffend, irgendetwas an Nahrung zu finden.
Ein verendeter Wasservogel lag am Rand der Aue. Dutzende Krähen stritten sich lauthals darum.
Die Gabelweihe, die über ihm kreiste, sah trotz ihrer Größe keine Chance gegen die vielen Gegner und drehte ab.
Als Heinrich bald umkehrte, fielen ihm die Schritte hinauf schwer. Er bemerkte etwas im Augenwinkel, reagierte aber nicht. Beim zweiten Mal hob er den Kopf.
Am Waldrand sah er eine Bewegung. Es wäre kaum auszumachen, doch Gott hatte ihm gute Augen geschenkt.
Ein weißes Reh schritt dort langsam entlang.
Ja, in dem Fall nützte auch die beste Tarnung nichts.
Dieses Tier schien schon alt zu sein. Bestimmt wäre es ein leichtes, es zu töten. Er wunderte sich, dass das Tier noch keine Wölfe anlockte.
Doch trotz nagendem Hunger rührte Heinrich sich nicht.
Denn weiße Rehe galten als heilig. Man durfte sie nicht erlegen, das wusste jedes Kind. Wenn dort ein braunes Reh stünde, dann würde er wahrscheinlich nicht zögern und das große Risiko der Wilderei auf sich nehmen.
Das weiße Reh rannte nicht weg, es sprang nicht. Es beobachtete nur den Mann.
Denn auch das Tier war hungrig, und schwach.
Schon lange hatten die anderen Rehe die Flucht ergriffen, und das weiße konnte nicht folgen.
Der Mann wusste nicht, dass die Ricke bereits unzählige Winter hinter sich, viele kleine braune und auch ein weißes Kitz zur Welt gebracht hatte.
Nur wenige überlebten die ersten Monate, die meisten fielen den Bären, Wölfen und Jägern zum Opfer. Doch das weiße Kitz konnte das Erwachsenenalter erreichen und streifte nun gesund und munter zusammen mit anderen Rehen durch den Nachbarwald auf der Suche nach kargem Winterfutter.
Eine Weile standen sich Heinrich und das alte weiße Reh gegenüber, getrennt von etwa zwanzig Metern gefrorenem Boden, bis die grausame Kälte für ihn zu viel wurde.
Er konnte nach Hause gehen und sich vor den Ofen setzen. Dem weißen Reh war derartiges nicht vergönnt.
Heinrich ließ von dem Tier ab und stapfte betrübt, mit leeren Händen nach Hause zurück.
Unterwegs traf er auf einen der Untergebenen des Jägers und Großgrundbesitzers.
„Gestern haben wir einen Leitwolf erlegt“, erzählte dieser.
„Das Rudel näherte sich dem Haus des Jägers.“
Heinrich blickte sich um. Er selbst konnte mit seinen Händen seiner Familie kaum Schutz vor den gefährlichen Raubtieren bieten. Aber Hütte, angrenzenden Hühnerstall und Heuschober hatte er von Anfang an ziemlich stabil und sicher gebaut.
„Auf der anderen Seite hat ein Wolf Schafe vom Wittuom-Bauern unterhalb der Kirche gerissen“, berichtete der Mann.
„Wie viele?“
„Vier. Und sie haben nur die besten Stücke gefressen.“
So waren Wölfe eben. „Der Bauer sollte seine Schafe in den Stall bringen“, meinte Heinrich.
„Genau das habe ich ihm auch gesagt. Aber er lässt tagsüber immer die Schafe raus.“
„Es ist tagsüber passiert?“
Der Mann nickte. „Diese Bestien kommen uns zu nahe. Deshalb befinden wir uns gerade alle auf der Jagd. Also, sei wachsam, und geh nicht so alleine und schutzlos hinaus.“
Schon wollte er sich abwenden.
„Ach, unsrem Herrn sind heute Nacht Hühner gestohlen worden, und ein Fuchs war es mit Sicherheit nicht. Weißt du was davon?“
Da schüttelte Heinrich den Kopf.
„Halt Augen und Ohren offen, und wenn du jemanden trifffst, der satt aussieht, melde es uns gefälligst“, befahl der Jäger.
Heinrich nickte und machte sich auf den Heimweg. Ständig fragte er sich, ob der Jäger auch das weiße Reh gesehen hatte. Er glaubte es nicht, sonst wäre der nicht so ruhig gewesen.
Überglücklich darüber, dass Heinrich heil zurückkehrte, fiel seine Frau ihm um den Hals.
Die beiden Kinder saßen am Tisch und flickten die leichtere Sommerkleidung. Sorgsam gingen sie mit den Fäden um, nichts durfte verschwendet werden.
Heinrich setzte sich für ein paar Minuten vor den Ofen, streichelte die beiden Katzen, die auch mittlerweile recht dünn...
Erscheint lt. Verlag | 2.2.2021 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Fantasy / Science Fiction ► Fantasy |
ISBN-10 | 3-7534-8503-9 / 3753485039 |
ISBN-13 | 978-3-7534-8503-4 / 9783753485034 |
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