Wachzustand -  Stephan Reschke

Wachzustand (eBook)

Psychothriller
eBook Download: EPUB
2020 | 1. Auflage
392 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7526-7779-9 (ISBN)
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Eine Psychologin wird von einem Unbekannten gebeten, ihm die Wirklichkeit zu beweisen. Der psychotisch anmutende Mann entpuppt sich bald als überraschend glaubwürdig. Was verbirgt sich hinter seiner Geschichte eines neuartigen Hypnoseverfahrens zur Erzeugung heilsamer Erlebnisse, in dem er sich gefangen wähnt? In welchem Zusammenhang steht er mit einer Mordserie an Personal Coaches, die so viele Nachahmer animiert, dass der Verfassungsschutz die Ausbreitung einer neuen Form des Extremismus befürchtet? Und warum ist die einzige Person, die das große Ganze erkennt, eine rumäniendeutsche Kommissarin, in deren Albträumen aus ihrer sozialistischen Jugend auf einmal das Phantombild des Killers auftaucht? Wachzustand ist Psychothriller, Krimi und Gesellschaftsroman: Unterhaltung jenseits gängiger Schubladen - fesselnd, skurril, berührend.

Stephan Reschke geht nach dem Studium der Geologie in Heidelberg und Hamburg zunächst in die Meeres- und Klimaforschung, bevor er in die IT-Wirtschaft wechselt. Der promovierte Naturwissenschaftler kann komplexe Zusammenhänge präzise darstellen, liebt aber zugleich das Doppelbödige eines Franz Kafka oder Phillip K. Dick. Wachzustand ist sein literarisches Debut.

1


»Im Moment kann ich Ihnen wirklich nicht sagen, wie viel Verspätung Ihre Maschine haben wird.« Die Frau hinter dem Abfertigungsschalter blickt von ihrem Bildschirm auf und nickt Richtung Fenster. »Sie sehen ja selbst, was hier los ist.«

Draußen im Schneetreiben beugen sich Gliedmaßen von Enteisungsmaschinen über das am Gate angedockte Flugzeug und hüllen die Tragflächen in einen Sprühnebel aus Chemie. Dahinter schemenhaft Lichter von Räumfahrzeugen, die durch die Dunkelheit kriechen und Wege und Startbahnen freischieben.

Ich lege meine Vielfliegerkarte auf den Tresen. »Können Sie mich nicht irgendwie noch auf diese Maschine buchen?«

»Tut mir leid, es sind zwei Flüge davor komplett ausgefallen. Ich kann Sie gerne auf die Warteliste setzen, allerdings sind noch achtzig Personen vor Ihnen.«

»Ist denn sicher, dass mein Flug heute noch aufgerufen wird?«

»Ich kann Ihnen nichts versprechen«, erwidert die gestresste Frau. »Die Leitstelle ist aber zuversichtlich, das Chaos bald wieder im Griff zu haben.«

Noch bevor ich mich für die Auskunft bedanken kann, schieben sich andere Fluggäste an mir vorbei, zeigen der Frau die gleichen Vielfliegerkarten, stellen die gleichen Fragen und bringen die gleichen Gründe vor, warum sie unbedingt in dieses Flugzeug müssen und anderen vorzuziehen sind. Angeekelt von dem Dunst aus Arroganz, schlechtem Atem und versagenden Deodorants drängle ich mich aus der Menschentraube, atme durch und mache mich auf den Weg zur Business Class Lounge.

Auf dem Laufband lasse ich überfüllte Flugsteige an mir vorbeiziehen, Geschäfte, ungemütliche Bars und Cafés, Urlauber in Casual-Outfits mit riesigen Reisekoffern und Geschäftsleute in Anzügen mit Businesstrolleys, die gerade noch als Handgepäck durchgehen, wie ich selbst einen hinter mir herrolle. Alle wirken genervt und gelangweilt zugleich. Überall nur sinnloses Warten oder Feilschen um Plätze auf überbuchte Maschinen, die bei dem Wetter vielleicht überhaupt nicht fliegen.

Nach Vorzeigen meiner Vielfliegerkarte betrete ich die Lounge. Schlipsträger und Frauen in Kostümen drängen sich zwischen Tischen voller Zeitungen, halbvollen Bierflaschen und Weingläsern mit Lippenstifträndern. Einige telefonieren wegen des Schneesturms und der Verspätung ihres Flugs. Andere vertreiben sich die Zeit, indem sie mit ihren Smartphones, Tablets oder Notebooks hantieren. Aber die meisten unterhalten sich über ihre Jobs, prahlen mit eigenen Erfolgen oder lästern über Misserfolge anderer, in einer Lautstärke, als wären sie auf einer Party. Und alle kokettieren mit ihrer Wichtigkeit, schütten einen Drink nach dem anderen in sich hinein und entlarven das elitäre Ambiente dieses Erste-Klasse-Warteraums als proletenhafte Farce.

Nachdem ich mir ein Bier und einen Wodka aus der geräuberten Minibar geholt habe, gehe ich in den Raucherbereich und stelle mich zu den anderen, die gezwungen sind, ihre Sucht an diesem Pranger zur Schau zu stellen. Auch hier quälen mich die üblichen Gesprächsfetzen: »Der hat doch keine Ahnung wie man Projekte macht«, »Fünf Prozent Rendite bei minimalem Risiko«, »SUVs sind einfach die besseren Autos.« Ich versuche, wegzuhören, trinke und stecke mir eine Zigarette an. Doch weder Nikotin noch Alkohol vermögen mich zu entspannen.

Dabei schließt man nicht jeden Tag einen Deal über eine halbe Milliarde Euro ab. Monatelange Arbeit ist endlich von Erfolg gekrönt. Ich müsste in Feierlaune sein. In der Vorstandsetage des Kunden gab es nach der Unterschrift Champagner und Austern. Alle waren in gelöster Stimmung. Doch obwohl der Druck von mir abfällt, meine Vorstandskollegen mich nacheinander angerufen und mir gratuliert haben, bis der Akku meines Handys leer war, und ich einen gewaltigen Bonus kassieren werde, will sich keine Freude einstellen. Inzwischen fühlt es sich sogar merkwürdig an, dass ich überhaupt Kraft und Nerven für die Verhandlungen hatte. Wie habe ich es geschafft, mich darauf zu konzentrieren, ohne mich von den Umständen zu Hause ablenken zu lassen? Wieso kommt es mir auf einmal falsch vor, stolz darauf zu sein, dass es mich vor zwei Wochen nicht komplett aus der Bahn geworfen hat? Dass ich mich von Anfang an im Griff hatte und weiter meinen Job machte? Ohne mich wäre der Deal geplatzt. Und zu Hause hätte ich nichts mehr tun können. Es war definitiv die richtige Entscheidung. Aber warum hinterfrage ich sie jetzt?

Hör auf darüber nachzudenken!

Aus den Augenwinkeln sehe ich Kollegen die Lounge betreten. Ich trinke mein Bier aus, schnappe meinen Trolley und verziehe mich in der Hoffnung, nicht mit ihnen reden zu müssen. Nachdem ich mich an ihnen vorbeigeschlichen habe, stehe ich im Strom der Reisenden. Auf einer Anzeigetafel sehe ich, dass mein Flug immer noch nicht aufgerufen ist. Um die Zeit totzuschlagen, gehe ich shoppen. Ich kaufe zwei Krawatten, schnuppere mich durch diverse Herrendüfte, von denen mir keiner zusagt und schlage dann bei einem schwedischen Wodka zu, den ich bisher noch nie für einen Preis unter hundert Euro gesehen habe. Irgendwann langweilt mich auch das Geldausgeben. Unschlüssig stehe ich vor dem Geschäft und schaue mich um. Ich bin noch nie weiter als bis hierhergekommen, wenn ich auf diesem Flughafen warten musste. Anstatt zu meinem Gate zurückzukehren, gehe ich in die entgegengesetzte Richtung und erkunde das Neuland.

Der Trubel wird weniger. Die Wände sind bald nur noch unterbrochen von Werbeflächen und Türen, die als Notausgänge oder Toiletten gekennzeichnet sind. Es gibt keine Läden mehr, nur hin und wieder kleine Cafés oder Bars. Hier ist es auch leiser. Kaum ist mir das aufgefallen, höre ich etwas, das nicht hierher zu passen scheint. Ich schaue mich um. Etwas abseits steht ein Mann und singt ein Geburtstagslied in sein Smartphone. Er trägt ebenfalls einen Anzug und sieht aus, als habe er ein schlechtes Gewissen. Als ich vorübergehe, versucht er ein Kind mit allerlei Versprechungen darüber hinwegzutrösten, dass er wegen des schlechten Wetters nicht bei ihm sein kann. Und wieder beginne ich, meine Entscheidung zu hinterfragen.

Dann entdecke ich eine Bar, in der es noch freie Plätze gibt. Ohne lange zu überlegen, setze ich mich an den Tresen. Obwohl ich schon angetrunken bin, bestelle ich einen doppelten Wodka und beobachte das Kommen und Gehen. Dem Dresscode nach zu urteilen, sind hier hauptsächlich Geschäftsleute unterwegs. Sie sehen alle gleich aus. Besonders angepasst wirken diejenigen, die versuchen, sich mit kleinen rebellischen Accessoires – Ohrringen, Piercings, neckischen Bärtchen oder unter den Hemdmanschetten erahnbaren Tattoos – von ihresgleichen abzuheben. Denn es ist nicht die Konformität, die sie verbindet, sondern der Versuch, ihr zu trotzen, ohne dabei aus dem Rahmen zu fallen. Authentizität, die heilige Kuh der Menschenfresserbranche: Alle machen mit, aber angepasst sind nur die anderen. Und je besser man das rüberbringt, desto höher ist das Salär.

Erschrocken fällt mir auf, dass ich Menschenfresserbranche gedacht habe. Einer der übelsten Hetzbegriffe gegen das Beratergeschäft, für den ich schon mal einen Deal ausgeschlagen habe, weil der Kunde – zwar betrunken, aber nichtsdestotrotz – ihn ein paarmal zu oft bei einer Abendveranstaltung benutzt hat. Ich schüttele den Kopf über mich selbst und versuche, mich abzulenken, indem ich überlege, wie lange ich gebraucht habe, um von der Lounge bis hierherzukommen. Eine Viertelstunde vielleicht? Und es gehen immer noch Reisende an der Bar vorbei ins Innere des Terminals. Wie weit es wohl bis zu dessen Ende ist? Und wie es dort aussieht? Ob es einfach an einer kahlen Wand endet oder sich zu einer Beobachtungslounge oder Ähnlichem öffnet und damit einen harmonischeren Abschluss findet? Eigentlich egal, aber warum nicht nachsehen? Eine nette Zerstreuung und etwas Bewegung werden mir nach den Drinks guttun. Also mache ich mich auf den Weg.

Die Abstände zwischen den Flugsteigen werden größer. Laufbänder gibt es hier nicht mehr. Auch der Boden scheint anders zu sein. Oder meine Schritte und das Rollen des Trolleys fallen mir wegen der Stille auf. Die wenigen Türen in den Korridoren sind ohne jede Beschilderung. In den Wartebereichen sitzen nur noch vereinzelt Reisende. Weit und breit ist weder Personal zu sehen, noch kündigen Anzeigetafeln an den Abfertigungsschaltern Maschinen an. Über weite Strecken sehe ich nur graue Wände. Es sind kaum noch Menschen unterwegs und ich spüre, wie der Schutz der Masse schwindet. Irgendwann durchquere ich ganz allein Flugsteige, die den Eindruck machen, als wäre hier seit Wochen niemand mehr gewesen. Riesige Flächen mit Reihen leerer Plastikstühle über denen Bildschirme im Standby-Modus blinken. Die Lautsprecher sind ausgeschaltet. Nur der dumpfe Hall der Durchsagen aus anderen Bereichen des Terminals übertönt das Summen der Neonlichter. Nichts regt sich, bis auf den Schneesturm, der hinter den Fenstern tobt wie ein Stummfilm des Winters auf einer Leinwand aus Glas.

Plötzlich höre ich ein metallisches Knacken. Ich...

Erscheint lt. Verlag 21.10.2020
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror
ISBN-10 3-7526-7779-1 / 3752677791
ISBN-13 978-3-7526-7779-9 / 9783752677799
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