Nur die Ostsee weiß die Antwort: Kripo Anklam ermittelt in Greifswald. Ostsee-Krimi -  Emlin Borkschert

Nur die Ostsee weiß die Antwort: Kripo Anklam ermittelt in Greifswald. Ostsee-Krimi (eBook)

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2019 | 1. Auflage
330 Seiten
Schardt Verlag
978-3-96152-216-3 (ISBN)
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Dunkle Wolken über Greifswald. Im vornehmen Seniorenheim St. Nicolai wird eine Bewohnerin tot aufgefunden. Wenig ungewöhnlich, findet Hauptkommissar Peter Vollmer von der Kripo Anklam, doch der Befehl von oben lautet: ermitteln, mit allen Kräften, aber diskret. Kurzerhand wird Kollegin Grit Loch undercover ins Seniorenheim eingeschleust - nach dem Wiedereinstieg ihr zweiter Fall und die Bewährungsprobe. Schnell wird ihr klar: Der schöne Schein von St. Nikolai trügt. Doch welche Aussagen sind Tatsachen, was ist Einbildung der dementen Herrschaften? Und wer hat letztendlich Interesse daran, dass eine erschreckende Wahrheit nicht ans Licht kommt ...?

2. Kapitel


 

Ed sah dem schlurfenden Soja-Mann hinterher, wartete aber nicht, bis dessen blonder Zopf hinter dem Durchgang zum Treppenhaus verschwunden war. Ein Zuschauer hielt ihn von seinem Vorhaben nicht ab; im Gegenteil, außer im Bad und im Bett durfte man ihm bei allem gerne zusehen. Mit einem Ruck schob er die Zeitschriften auf dem kleinen Tisch zur Seite, stieg auf den Stuhl und von dort weiter auf die Tischplatte.

Sie sahen echt aus. Na bitte! Das Seniorenstift war kameraüberwacht.

Was keinesfalls bedeuten musste, dass die Kameras benutzt wurden, zügelte er seine Erwartungen, aber immerhin bestand die Chance. Und wozu sollten die Bildschirme hinter der Glasscheibe im Erdgeschoss sonst dienen? Die Antwort darauf gäbe es kaum hier oben. Er kletterte auf den Boden zurück und zog sein Hemd glatt, das ihm am Rücken aus der Anzughose gerutscht war, als ein Geräusch an sein Ohr drang, wie ein Flüstern.

Ed schaute um sich, doch bis auf eine alte Frau, die auf einen Rollator gestützt im Flur herumstand wie ein ausrangiertes Möbelstück, war niemand zu sehen. Egal, dachte er und strich sich vorsichtshalber auch über sein Sakko.

„Pssst.“

Ed hob den Kopf und begegnete dem Blick der Frau. „Entschuldigung“, rief er, denn es war gut möglich, dass ihr Gehör nicht mehr funktionierte. „Fehlt Ihnen was?“

„Pssst“, machte sie erneut, doch mit dem Zeigefinger vorm Mund klang es eher wie eine Aufforderung zum Leisesein.

Die Frau war geistig offenbar neben der Spur, vermutete Ed. Ihre Erscheinung verführte zu diesem Urteil; groß gewachsen, musste sie sich krümmen, um die Griffe ihres Fortbewegungsmittels erreichen zu können. Ihre Füße waren riesig und steckten in Schlappen, die wie Skier wirkten. Augenscheinlich hatte sie sich im Dunkeln angezogen, denn eine ihrer Socken war weiß, die andere dunkelblau.

„Soll ich jemanden für Sie rufen?“, fragte er laut.

„Mitkommen“, befahl sie und bewegte sich mit ihrem Rollator erstaunlich flink in die entgegengesetzte Richtung.

Verblüfft konnte Ed nur „Äh“ machen und kam sich dabei vor wie seine neue Kollegin, die vor Kurzem in den Innendienst abgeschoben worden war. Ihr fehlten oft die passenden Worte, die sie für gewöhnlich durch eine Menge Ähs ersetzte. Andererseits konnte sie in gewissen Situationen einfach nicht den Mund halten, worin sie und er sich natürlich fundamental unterschieden.

Die riesige Frau hatte bereits den halben Flur durchquert und zielte nun auf die Zimmertür, neben der Pascal Wecker vorhin gesessen und auf das Eintreffen der Polizei gewartet hatte. Folglich war sie eine Nachbarin der verstorbenen Klara Bismarck. Und sie schien ihm etwas anvertrauen zu wollen. Bedeutete das, sie wusste, dass er von der Polizei war? Ed beeilte sich und erreichte das Zimmer kurz hinter ihr.

Die Jalousien waren halb heruntergelassen, was eigentlich wenig Sinn ergab an einem Tag ohne Sonne. Zudem musste dringend gelüftet werden. Über die Ursache des Geruchs wollte Ed lieber nicht zu genau nachdenken. Ansonsten ein ganz normaler Raum, mehr ließ sich auf die Schnelle nicht beurteilen.

„Da!“ Die Frau warf sich auf ihn und legte etwas Langes, Dünnes um seinen Hals wie Spaghetti oder ein Seil.

„Nicht. Was soll das?“ Ein Reflex sorgte dafür, dass Ed abwehrte und mit seinen Händen herumfuchtelte, bis er realisierte, dass es bloß der Kopfhörer eines alten Walkmans war, den die Frau ihm aufgesetzt hatte.

Mit einem kindlichen Lächeln auf den Lippen, als hätte sie von seiner Gegenwehr gar nichts mitbekommen, stellte sie das Gerät an. Sofort ertönte Musik in seinen Ohren. „Mit sechsundsechzig Jahren, da fängt das Leben an. Mit sechsundsechzig Jahren, da hat man Spaß daran.“ Die Frau wippte dazu, obwohl sie selbst nicht einen Ton davon gehört haben dürfte.

Aus Höflichkeit wartete Ed ein paar Takte, bis er den Walkman wieder abstellte. Weder war es sein Geschmack, noch war er zum Musikhören und Kuchen essen mitgekommen.

„Udo“, sagte die Frau verzückt.

„Ja. Udo Jürgens. Ich kenne das Lied.“

„Wirklich?“ Ihr Lächeln wurde breiter. „Meine Tochter hat mir den Walkman geschenkt.“ Die Frau sprach die Silbe Walk wie Kalk aus, ansonsten artikulierte sie sich überraschend klar. Ed hätte vermutet, dass sie maximal stammeln konnte. „Damit ich mich an alles erinnern kann“, fügte sie hinzu.

„Und, können Sie sich an alles erinnern?“

„Mmh.“

Er nahm den Kopfhörer ab und gab ihr das Gerät zurück.

Behutsam legte die Frau ihn auf das Nachttischchen, als handelte es sich dabei um eine Kostbarkeit, und fuhr, wie um das zu unterstreichen, sanft darüber. Unter einem Lämpchen mit Stoffschirm lag ein aufgeschlagenes Fotoalbum, doch es war zu schummrig für Einzelheiten.

„Sind Sie ...“, begann sie und setzte sich auf ihr Bett. „Sie sind doch von der Polizei, gell?“

Aha, dachte Ed, sie wusste es. „Ja, von der Kripo Anklam. Mein Name ist Stenzl, Ed Stenzl.“ Er zögerte, vielleicht wollte sie ihm von sich aus ihren Namen verraten, was aber nicht geschah. „Und Sie sind?“

„Hier geschehen merkwürdige Dinge“, sagte sie geheimnisvoll.

„Wie meinen Sie?“

„Die tote Frau ...“

„Frau Bismarck?“

Die Frau nickte. „Klara, ja.“

„Was ist mit ihr?“

„Sie ... war nicht die Erste.“

„Ach nein?“

„Nein. Hier verschwinden Menschen“, flüsterte sie.

„Wie bitte?“

Die Frau nahm – womöglich brauchte sie mentalen Beistand – einen Stoffbären von ihrem Kopfkissen und legte ihn sich in den Schoß. „Wenn ich es doch sage.“

Ed fragte, ob sie das genauer erklären könnte.

„Sicher. Ich war ja früher bei der Post, gell?“ Sie straffte sich und saß nun kerzengerade auf der Bettkante. In ihren Augen funkelte es, und für den Bruchteil eines Moments schimmerte in dem Einheitsgesicht, das Eds Empfinden nach fast alle Frauen im fortgeschrittenen Alter hatten, eine jüngere, individuelle Ausgabe hindurch. „Mein Name ist Edith Wießner. Guten Tag, was kann ich für Sie tun?“

Okay, dachte er. Ebenso hätte sie behaupten können, dass der Teddybär mit dem eingestickten Bärbel auf der Mütze demnächst auf eine weiterführende Schule gehen würde. Wie es aussah, kam seine erste Einschätzung bezüglich ihres Geisteszustands der Wahrheit ziemlich nahe – trotz einiger lichter Momente.

„Zehn Pfennig für Postkarten, zwanzig für Briefe“, brabbelte sie munter weiter.

„Frau Wießner, Sie wollten mir etwas mitteilen, oder?“

„Ich hab auch hübsche Sondermarken.“

„Dass hier Menschen verschwinden.“

„Was?“

„Wollen Sie mit mir darüber sprechen? Ich habe nicht ewig Zeit.“

Wie ein beleidigtes Kind drückte die Frau ihr Stofftier fester an sich. Wenn sie nicht so riesig gewesen wäre, hätte sie wahrscheinlich ihre Beine baumeln lassen. „Meine Tochter“, sagte sie trotzig. „Meine Tochter kam mich sonst immer besuchen.“

„Hier in Sankt Nicolai?“

„Und nun ist sie weg.“

„Weg? Was heißt das?“

„Weg! Weg! Weg!“ Die Frau wiederholte dieses kurze Wort und steigerte ihre Stimme binnen kürzester Zeit bis ins Hysterische. „Weg! Weg! Weg!“ Eine enorme Kraft ging dabei von ihr aus. Sogar die Pupillen weiteten sich.

Ed legte ihr eine Hand auf die Schulter, um sie zu beruhigen, doch die Frau zuckte zusammen, als hätte er ihr wehgetan. Gleichzeitig schrie sie ihn an: „Weg! Weg! Weg!“ Ihre Arme umklammerten den Teddy, als wollten sie ihn zerquetschen.

Ob er lieber Hilfe holen sollte? Die Zimmertür stand offen, und es würde bestimmt nicht lange dauern, einen Pfleger aufzutreiben. Ihm gefiel die Vorstellung jedoch nicht, die Frau in dem Zustand allein zu lassen, und sei es nur für einen Augenblick. Diese Unberechenbarkeit erinnerte ihn an seine Mutter in ihrer roten Phase, wenn sie sich zu viele ihrer Lieblingspillen eingeworfen hatte. Vielleicht brauchte sie einfach Ruhe. Oder ihre Medizin?

„Was haben Sie gesagt?“

„Udo-ho“, nuschelte die Frau.

Ja natürlich! Eilig nahm Ed den Walkman vom Nachttisch und stellte ihn an. Sobald das Gerät lief, drückte er ihr den Kopfhörer ans Ohr. Die Medizin zeigte unmittelbar Wirkung. Frau Wießners Zustand besserte sich zusehends, die Atmung wurde ruhiger, der verkrampfte Ausdruck in ihrem Gesicht weicher. Als das Lied vorbei war, schien sie sich so weit gefangen zu haben, dass er es wagen konnte, den Walkman wieder abzustellen. Wenn es bei seiner Mutter nur genauso unkompliziert gewesen wäre.

Ein paar weitere Atemzüge würde er ihr zur Beruhigung gönnen und sie dann bitten, ihm die Geschichte zu Ende zu erzählen. Nicht, dass...

Erscheint lt. Verlag 10.7.2019
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror
ISBN-10 3-96152-216-2 / 3961522162
ISBN-13 978-3-96152-216-3 / 9783961522163
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