Joe Country (eBook)

Ein Fall für Jackson Lamb

(Autor)

eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
480 Seiten
Diogenes (Verlag)
978-3-257-61409-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Joe Country -  Mick Herron
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In Slough House, dem Abstellgleis des MI5, werden Erinnerungen wach - nur leider keine guten. Catherine Standish kauft wieder Alkohol, und Louisa Guy wühlt in den Trümmern einer alten Liebe. Jackson Lamb quittiert das höchstens mit Flatulenz und einem Schluck Whiskey, doch selbst ihn holen die dunklen Schatten seiner Vergangenheit ein. Auf der Suche nach einem altbekannten Verräter schickt er seine Truppe ins Feld - aber nicht alle kehren zurück.

Mick Herron, geboren 1963 in Newcastle-upon-Tyne, studierte Englische Literatur in Oxford, wo er auch lebt. Seine in London spielende ?Slow Horses?-Serie wurde vielfach ausgezeichnet, u.a. mit dem CWA Gold Dagger for Best Crime Novel, dem Steel Dagger for Best Thriller und dem Ellery Queen Readers Award, und mit Starbesetzung von Apple TV+ verfilmt.


Städte schlafen bei Licht, als hätten sie Angst vor der Dunkelheit. Entlang der Straßen und rings um die Kreuzungen bilden die Straßenlaternen Blütenketten durch die Nacht, die die Bürgersteige erleuchten und die Sterne ausblenden. Und wenn diese Ketten von oben betrachtet – etwa aus der Perspektive von Astronauten oder in der Fantasie von Lesenden – Nervenbahnen gleichen, die die Hemisphären einer Stadt miteinander verbinden, ist das ein durchaus zutreffender Vergleich. Denn eine Stadt besteht aus Erinnerungen, in Behältern aus Stein und Metall, Ziegeln und Glas gespeicherten Erinnerungen, und je heller das Licht in den Bahnen pulsiert, desto deutlicher treten diese Erinnerungen hervor. Auf den breiten Prachtboulevards haben bedeutende Ereignisse ihre Spuren hinterlassen – Paraden des Königshauses, Kriegskundgebungen, Siegesfeiern –, während auf den Verkehrsknotenpunkten die Schatten unansehnlicherer Vorkommnisse liegen: Aufstände, Lynchmorde und öffentliche Hinrichtungen. An den Ufern der Flüsse rauscht das Murmeln banaler Momente – Hunderttausender Verlobungen und Ehebrüche –, und im explosiven Schein der Transportterminals flackern eine Milliarde Ankünfte und eine Milliarde Abflüge. Einige haben Narben im Gedächtnis der Stadt hinterlassen, andere nur einen leichten Kratzer, aber alle tragen zum Ganzen bei, denn das ist es, was eine Stadt ausmacht: die allmähliche Anhäufung von Geschichte; einer schier unendlichen Anzahl an Ereignissen in einem Netzwerk von Straßen, die nachts aufleuchten.

Doch während sich die glänzendsten dieser Erinnerungen in Gedenktafeln und Statuen manifestieren, werden die privateren verborgen oder zumindest so unübersehbar ausgestellt, dass sie keinem auffallen.

Zum Beispiel im Londoner Stadtteil Finsbury, wo an der Aldersgate Street das Barbican Centre hockt wie eine Kröte. Trotz dieses Anziehungspunkts lastet auch auf dieser Verkehrsader das dumpfe Gewicht der Mittelmäßigkeit: Von allen Londoner Erinnerungen sagt diese unscheinbare Ansammlung von Geschäften und Büros nur den wenigsten etwas, und die grellen nächtlichen Nervenbahnen leuchten hier am schwächsten. Doch unweit des U-Bahn-Eingangs erhebt sich ein vierstöckiges Gebäude, das allerdings niedriger wirkt. Die ebenerdige, schwarze Eingangstür, eingezwängt zwischen einem Zeitungskiosk und einem chinesischen Restaurant, wurde schon lange nicht mehr gereinigt, die Fassade ist heruntergekommen, die Regenrinnen sind verdreckt und die Tauben zeigen dem Gebäude ihre Verachtung auf die traditionelle Art und Weise. Der einzige Anflug von Seriosität – der in Gold tätowierte Schriftzug W.W. Henderson, Rechtsanwalt und Notar auf einem Fenster im zweiten Stock – ist schon lange abgeblättert, und die unbeschrifteten Fenster darüber und darunter sind schmierig und grau. Das Gebäude gleicht einem faulen Zahn in einem schlechten Gebiss. Hier passiert nichts: Hier gibt es nichts zu sehen, gehen Sie weiter.

So soll es auch sein, denn das ist Slough House, und Slough House verdient keine Aufmerksamkeit. Sollte eine Historikerin versuchen, in seine Geheimnisse einzudringen, müsste sie zuerst eine Hintertür überwinden, die bei jedem Wetter klemmt, und dann eine Treppe, deren Knarren auf einen baldigen Einsturz hindeutet, aber danach fände sie wenig, was sie in ihr Notizbuch schreiben könnte: nichts als ein paar Büros, ausgestattet für die 1990-er Jahre, bröckelnder Putz und verrottende Splitter in den Fensterrahmen. Der metallische Geruch eines überstrapazierten Wasserkochers verpestet die Luft, und in den Ecken der abblätternden Decken sammeln sich Schimmelsporen. Sie schleicht von Zimmer zu Zimmer, auf Teppichen, so dünn wie Motel-Bettlaken, legt ihre Hand hoffnungsvoll auf altersschwache, starre Gusseisenheizkörper und findet keine Geschichte mehr außer einem schwachen Abklatsch, jenen Abläufen, die sich gewohnheitsmäßig wiederholen. Also packt sie ihren Stift wieder ein und geht die schäbige Treppe hinunter, durch den muffigen Hof, in dem die Mülltonnen stehen, und hinaus in die Gasse, dann auf die Straße, dann weiter in die Innenstadt. Geschichte findet man überall. Auf der ganzen Welt werden jede Minute neue Erinnerungen geprägt. Es gibt keinen Grund, die Zeit mit dieser Bruchbude zu verschwenden.

Wenn sie weg ist, wird ein Seufzen durch das Gebäude gehen, ein kaum merkliches Ausatmen, das mit Papieren raschelt und an Türen wackelt, und Slough House wird die Gewissheit haben, dass seine Geheimnisse unangetastet bleiben. Denn es birgt durchaus welche: Wie jedes Gebäude in jeder Stadt ist Slough House ein Neuron im städtischen Hippocampus und bewahrt das Echo von allem, was es gesehen und gehört hat. Die Erinnerungen haben die Wände befleckt und sind in das Treppenhaus gesickert; sie stinken nach Versagen und wurden aus den Archiven gelöscht, aber sie existieren weiter und sind nicht für die Augen von Eindringlingen bestimmt. Tief in den Gebeinen des Gebäudes steckt das Wissen, dass einige Räume, die jetzt nur noch eine Person beherbergen, früher Platz für zwei boten; dass einst vertraute Eindrücke – das Gewicht eines Schattens an einer Wand, der Druck eines Fußes auf einer Treppe – der Vergangenheit angehören. Das ist es, was die Erinnerung ausmacht: das ständige Bewusstsein, dass manches verschwunden ist. Und das ist es, was Bewusstsein ausmacht: das Wissen, dass noch mehr verschwinden wird.

Die Zeit vergeht, und die Lichter der Stadt erlöschen, während sie allmählich erwacht. Die Erinnerungen, die der Schlaf aufgewühlt hat, verblassen mit der Morgendämmerung. Der Schnee wird noch vor Ende der Woche kommen, aber heute herrscht nur kalte, graue Normalität. Schon bald werden die Slow Horses antraben und sich ihrer geisttötenden Routine unterwerfen; gedankliche Gewaltmärsche durch eine Landschaft, die sich nicht durch Sehenswürdigkeiten auszeichnet. Bei solchen Aufgaben liegt die Herausforderung darin, sich daran zu erinnern, warum sie überhaupt noch hier aufkreuzen.

Und während sie das tun, widmet sich Slough House seiner alltäglichen lästigen Pflicht des Vergessens.

 

Woran man sich bei Roddy Ho erinnern musste – wie sich Roddy Ho erinnerte –, war, dass Roddy ein Spion war, ein Schnüffler, ein Agent. Roddy war ein Player.

Deshalb wühlte er im Papierkorb eines anderen.

Ja, er hatte ein schlechtes Jahr hinter sich. Kim, seine Freundin, war gar nicht seine richtige Freundin gewesen, wie sich herausgestellt hatte, und auch wenn der Groschen lange nicht gefallen war: Den Schmerz, den er bei seinem Aufprall verursacht hatte, würde er nicht so schnell vergessen. Er hatte sich verraten gefühlt. Verletzt. Und nicht zuletzt hatte es ihn gestresst, als man ihm klargemacht hatte, dass er selbst um ein Haar zum Verräter geworden war – gut, dass Lamb seinen treuen Adjutanten nicht kampflos hatte abschieben lassen. Aber jetzt, wo sich die Wogen geglättet hatten, waren zwei Dinge sicher: Kim – seine Freundin – war Geschichte, und er, der Rodster, war immer noch das Gehirn, das Slough House am Laufen hielt.

… bis die Vorwürfe in Bezug auf Ihr Verhalten vollständig untersucht wurden, bleiben Sie vorerst in …

Eine Zeit lang war er am Boden zerstört gewesen. Er hatte seinen Bart vom schicken Accessoire zum Hipster-Gestrüpp verwahrlosen lassen. Er war in TerraWar VII im zweiten Level rausgeflogen und konnte nachvollziehen, wie sich Andy Murray gefühlt hatte, als er den Bus von Wimbledon nach Hause nahm. Und er hatte sich kaum dazu aufraffen können, sich gebührend darüber aufzuregen, dass der neue Doctor im Game eine Frau sein würde: Sollten doch andere für das Gute kämpfen. Der RodMan hatte seinen Umhang an den Nagel gehängt.

… darf keinen Kontakt zu Mitarbeitenden aufnehmen, bis die Ermittlungen zur Zufriedenheit dieser Abteilung abgeschlossen sind …

Und wenn er darauf gewartet hätte, dass ihn jemand – am liebsten Louisa, aber notfalls auch Catherine – beiseitenehmen und trösten würde, wäre er auch enttäuscht worden. Andererseits konnte er es ja verstehen. Wenn man einen verwundeten Löwen in seinem Rudel hat – den König des Rudels, das Alphatier –, machte man kein Aufhebens darum, während er gesundete. Man wartete, bis er wieder stark war, und dann seufzte man erleichtert auf, weil die Ordnung wiederhergestellt war. So war es in letzter Zeit gewesen: Er hatte eine ruhige Phase der Genesung durchgemacht, die alle in seiner Umgebung respektierten.

… Ihr Gehalt und Ihre Sozialleistungen werden auf dem aktuellen Stand eingefroren …

Und die jetzt vorbei war: Er war wieder im Spiel. Frauen konnten einem wehtun, aber sie konnten einen nicht brechen. Bestes Beispiel: Batman. Ein Krieger ging allein durchs Leben. Außerdem konnte im Internet-Zeitalter jeder Sex haben – oder zumindest hatte jeder Zugang zu vielen anschaulichen Bildern, wie Sex aussehen konnte. Es hätte also schlimmer sein können.

Was er jetzt gerade tat, quasi als Beitrag zu seiner Rekonvaleszenz, war eine Maßnahme, um die Kontrolle über seine Umgebung wiederzuerlangen. Denn obwohl ein Krieger allein durchs Leben schritt, hatte Ho einen Stallgefährten zugewiesen bekommen. Alec Wicinski, so hieß der Neue, oder Lech – Lek? – was wie ein Name aus Star Wars klang. Er war erst seit zwei Tagen hier, und...

Erscheint lt. Verlag 23.8.2023
Reihe/Serie Slow Horses
Slow Horses
Übersetzer Stefanie Schäfer
Verlagsort Zürich
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte Agententhriller • Apple TV • Gary Oldman • Geheimdienst • Humor • jackson lamb • John • jonathan pryce • Kirstin Scott Thomas • Krimiserie • le Carré • Le Carré, John • London • MI5 • slough house • Slow Horses • Spionagethriller • Verfilmung • Verfolgungsjagd • Wales
ISBN-10 3-257-61409-8 / 3257614098
ISBN-13 978-3-257-61409-1 / 9783257614091
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