Professor Zamorra 1279 (eBook)

Zug des Grauens

(Autor)

eBook Download: EPUB
2023 | 1. Aufl. 2023
64 Seiten
Bastei Lübbe (Verlag)
978-3-7517-5470-5 (ISBN)

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Professor Zamorra 1279 - Stefan Hensch
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Urplötzlich brach eine Dampflok samt angehängter Waggons durch das Portal in die Wirklichkeit herein. Bremsen quietschten, und das geisterhafte Abbild einer Dampflokomotive wurde langsamer, bis es schließlich stehen blieb. Zischend stieß die Lokomotive den Dampf aus. Zamorra konnte nicht anders als den Zug anzustarren.
Geisterzüge waren ein Phänomen, das ihn schon lange reizte. Immer wieder war davon in Geschichten, Legenden und urbanen Mythen die Rede gewesen. Nun stand ein solches Ungetüm direkt vor seiner Nase.


Zug des Grauens

von Stefan Hensch

Über dem Acker erschien eine lila-schwarz leuchtende Ellipse.

»Das muss das Portal sein, das der Geisterzug nutzt«, erklärte Zamorra fasziniert.

Kaum hatte er die Worte ausgesprochen, war das charakteristische Stampfen und Schnaufen eines sich schnell nähernden Zuges zu hören. Urplötzlich brach eine Dampflok samt angehängter Waggons durch das Portal in die Wirklichkeit herein. Bremsen quietschten, und das geisterhafte Abbild einer Dampflokomotive wurde langsamer, bis es schließlich stehen blieb. Zischend stieß die Lokomotive den Dampf aus. Zamorra konnte nicht anders, als den Zug anzustarren ...

   

19. Juni 1815, Waterloo im Königreich der Vereinigten Niederlande

Über der Scheune lag ein beständiger Klangteppich aus Stöhnen, Wehklagen und Schreien. Vor ein paar Stunden hatten sie einem Kameraden das Bein oberhalb des Kniegelenkes amputiert. Der Verletzte lag seitdem auf dem Rücken und starrte zur Decke, wo Staubpartikel im Sonnenlicht tanzten, das durch das beschädigte Dach hereinfiel. Donvel wusste, dass die meisten hier zum Tode verurteilt waren. Medikamente waren ebenso Mangelware wie Feldärzte und Sanitäter.

Er selbst würde auch sterben, dessen war sich Donvel sicher. Ein großer Teil seiner Haut war verbrannt, und das französische Blei hätte längst aus seinem Bauch geholt werden müssen. Er spürte die Schwäche eines heranschleichenden Fiebers. Leider war er zu schwach, um seinen Körper selbst zu heilen. Es war zu spät.

Wie lange er sich in der zum behelfsmäßigen Lazarett umgewandelten Scheune befand, konnte er kaum sagen. Als er zu schwach war, hatte er sich in den Schlaf geflüchtet, nur weg von den gleißenden Schmerzen. Immer wieder war er aufgewacht und hatte bemerkt, dass zahlreiche Verwundete verschwunden und durch neue ersetzt worden waren. Frischfleisch im Schlachthaus des Teufels.
Donvel musste grinsen, der Gedanke war allzu menschlich. Die Realität hingegen war wesentlich komplexer.

Zwei Soldaten brachten einen Offizier auf einer Trage herein, der die Uniform der Kings German Legion trug. Das rechte Bein des Deutschen steckte in einem Verband, der bereits durchgeblutet war. Das hielt den Verwundeten jedoch nicht davon ab, einen kräftigen Schluck aus einer Weinflasche zu trinken und in die Grabesstimmung der Runde zu prosten.

»Das Schwein ist geflohen«, rief er frohen Mutes.

»Wer ist geflohen?«, knurrte ein Gardeinfanterist mit einer Schussverletzung an der Schulter.

Der Hannoveraner lachte schäbig. »Napoleon Bonaparte, natürlich. Blücher wurden Hut und Degen des Kaisers gebracht, er braucht wohl beides nicht mehr.«

»Ist das wirklich wahr?«, mischte sich Donvel ein.

»So wahr ich hier liege, die Schlacht ist vorbei. Wir haben gewonnen!«
Wer dazu noch in der Lage war, jubelte in der Scheune. Donvel wusste, dass die meisten der Verwundeten dennoch nichts mehr davon hatten, sie würden an ihren Verletzungen sterben.

»Guten Morgen, Gentlemen«, riet ein gut gelaunter Feldarzt in Begleitung von zwei Sanitätern. »Dann wollen wir mal zusammenflicken, was noch in der Lage dazu ist.«

Einer der Sanitäter wandte sich in Donvels Richtung. Es war ein junger Bursche, der noch nicht lange in der Armee sein konnte. Donvel lächelte, und das war vielleicht seine Rettung, wenn es auch das Todesurteil für den jungen Sanitäter war. Alles hatte seinen Preis.

Oxford, 1866

Donvel beobachtete, wie der Sarg langsam ins Grab gelassen wurde. Sein Innerstes war erstarrt. Er spürte nichts mehr. Nicht mehr. Die Zeit, in der er seinen Freund Richard in den letzten Wochen seines Siechtums begleitet hatte, machte den Unterschied aus. Der Krebs hatte seinen besten Freund von innen heraus aufgefressen.

Regentropfen senkten sich wie Tau auf den Friedhof und die Trauergäste. Donvel war es egal, hier und jetzt gab es Wichtigeres. Obwohl er wusste, dass es unmöglich war, wollte er sich jeden einzelnen Moment der Beerdigung einprägen. In dreißig Jahren würde er sich wahrscheinlich nicht mehr erinnern können. Vermutlich war Richard Button dann bereits zu einem Phantom geworden, das vom Strudel der Zeit erfasst worden und in der Schwärze der Unendlichkeit verloren war. Er fand das grausam.

Noch schrecklicher kam ihm jedoch die Rolle vor, die das Schicksal ihm selbst zugedacht hatte. Donvel war ein stiller Chronist der Zeit, die unaufhörlich voranschritt. Die Menschen ahnten nicht einmal, was alles durch den Lauf der Zeit verloren ging. Nach der Dauer von nur einer einzigen Generation war so viel Wissen verschwunden, dass damit ganze Bibliotheken hätten gefüllt werden können. Es gab nur niemanden, der diese Informationen jemals festgehalten hätte. Aber vielleicht war das Vergessen nötig, damit die menschliche Zivilisation nicht den Verstand verlor und über sich selbst herfiel.

Während der weiße Sarg im Grab verschwand, musste er an die Schlacht von Waterloo denken. Richard hatte daran ebenso teilgenommen wie er selbst. Bereits heute stritten Historiker, wer die Schlacht eigentlich gewonnen hatte. War es Wellingtons Leistung, das Eingreifen Blüchers oder nur die Witterung? Donvel wusste es besser, denn er hatte es mit eigenen Augen gesehen. Die englischen Truppen wären ohne die Deutschen hoffnungslos aufgerieben worden. Das dieses nicht vor der Ankunft Blüchers passiert war, hatten die Engländer ausschließlich dem Wetter zu verdanken. Das französische Heer war denen der Alliierten zahlenmäßig weit überlegen gewesen.

Donvel spürte, dass jemand neben ihn getreten war. »Mein aufrichtiges Beileid, Doktor Carlyle«, hörte er eine vertraute Stimme. »Werden Sie die Praxis alleine weiterführen?« Sonja Halford stand neben ihm und sah ihn eindringlich an. Die alte Frau war die Eigentümerin des Gebäudes, in dem sich seine Praxis befand. Er war ziemlich sicher, dass sich ihre Sorge lediglich auf zukünftige Mieteinnahmen begrenzte.

»Ich weiß es noch nicht, Mrs Halford«, antwortete er ruhig. »Vielleicht werde ich mir Verstärkung aus London holen.«

Die Vermieterin wirkte sichtlich erleichtert, dass sie sich nicht mit der Suche nach neuen Mietern für ihre Immobilie beschäftigen musste. Nicht im Mindesten ahnte sie, dass sie gerade mit einer Lüge abgespeist worden war. Donvel hatte keinen Sinn für die trivialen Sorgen seiner Vermieterin, zumal sie von keinerlei Geldproblemen geplagt wurde und die Habsucht alleine der Motor ihrer Motivation war.

Ohne ein weiteres Wort mit Misses Halford zu wechseln, trat er an das Grab seines Freundes und schüttete eine Schaufel Erde auf den Sargdeckel. Er hatte hier nichts mehr verloren, und so verließ er schnellen Schrittes die Trauergemeinde, das Grab und letztlich den Friedhof. Dabei nahm er sehr wohl die empörten Blicke wahr, die sein verfrühter Aufbruch auslöste. Von einem betagten Landarzt erwarteten die Friedhofsbesucher offensichtlich eine größere Zurschaustellung seiner Trauer, wenn dessen Kompagnon verstorben war. Donvel waren die einfältigen Menschen egal, er wollte nur noch fort.

»Darf ich Ihnen mit dem Gepäck helfen, Sir?«, fragte ein junger Mann im Tweed-Anzug und Schiebermütze. Donvel lächelte und nahm das Angebot dankbar an. Er ließ den Jüngeren seinen großen Koffer in den Zug wuchten. Das geschah mit einer so imponierenden Leichtigkeit, dass dem älteren Mann eine Idee kam.

Das Ungetüm aus Stahl setzte sich zuerst in Richtung Süden nach Reading in Bewegung, um dann mit Volldampf auf Paddington Station zuzuhalten. Einige Minuten bevor die Eisenbahn ihren Zielbahnhof erreichte, ging Donvel schnellen Schrittes durch das Abteil und hielt auf den Schaffner zu.

»Sir, dort hinten hatte ein älterer Mann einen Schwächeanfall, er benötigt am nächsten Bahnhof einen Arzt.«

Der Schaffner nickte, bedankte sich knapp und hastete in die ihm ausgewiesene Richtung. Kurz darauf hielt der Zug in Paddington. »Darf ich Ihnen mit dem Koffer helfen?«, fragte er eine alte Frau.

»Lassen Sie nur, er ist so gut wie leer«, erwiderte die alte Dame strahlend. Donvel lächelte zurück und stieg aus dem Zug.

»Was für ein freundlicher junger Mann«, sagte die alte Frau zu ihrer Sitznachbarin.

»Und Geschmack hat er auch, der Tweed-Anzug passt ihm wie angegossen.«

London, einige Monate später

Die Vorstellung im Hagmarket Theatre war bis auf den letzten Platz ausverkauft. Donvel saß in der Menge und verfolgte, wie King Lear den Liebesbeweis von seinen Töchtern forderte. In den letzten Jahrzehnten hatte Donvel das Theaterstück mehrere Male gesehen und wiederholt gelesen. Er liebte das Stück und hielt es für Shakespears bestes Drama. Der erste Akt ging zu Ende, der Vorhang senkte sich, und das Publikum applaudierte. Er stimmte in das Klatschen ein, die Schauspieler hatten sich ihre Anerkennung verdient. Gerade die Cordelia leistete herausragende Arbeit.

Donvel erhob sich, als er die junge Frau im Publikum sah. Sie hatte braunes, lockiges Haar, das ihr offen bis auf die Schultern fiel. Das lange, jadefarbene Kleid mit dem herzförmigen Ausschnitt...

Erscheint lt. Verlag 6.6.2023
Reihe/Serie Professor Zamorra
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Horror
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 2017 • 2018 • Abenteuer • Bastei • Bestseller • Dämon • Dämonenjäger • Deutsch • eBook • eBooks • Extrem • Frauen • Geisterjäger • grusel-geschichten • Grusel-Krimi • Grusel-Roman • Horror • Horror-Roman • Horror-Thriller • john Sinclair • Julia-meyer • Kindle • Krimi • Kurzgeschichten • Lovecraft • Männer • Neuerscheinung • Neuerscheinungen • Paranomal • Professor Zamorra • Psycho • Roman-Heft • Serie • Slasher • spannend • Splatter • Stephen-King • Terror • Thriller • Tony Ballard • Top • Walking Dead
ISBN-10 3-7517-5470-9 / 3751754709
ISBN-13 978-3-7517-5470-5 / 9783751754705
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