1. Kapitel

Das Mädchen, das absolut keinen Bock auf irgendeinen Kerl hat ...

„Wenn du dir mein Auto leihen willst, musst du Ja sagen.“

An dem köstlichen Weißwein nippend, versuche ich aus Sarahs Gesichtsausdruck schlau zu werden. Sie hat etwas vor, das kann ich ihr an der Nasenspitze ablesen.

Die Frage ist nur, was?

Die Art, wie sie mich angrinst, dieses Funkeln in den Augen ...

Ich kenne sie gut genug, um zu wissen, dass sie mich zu irgendetwas bringen will, zu dem ich ganz sicher Nein sagen würde, und darum kommt sie mir jetzt mit diesem Sag-Mal-Ja-Quatsch.

Das kann nichts Gutes bedeuten.

Mist!

Ich brauche ihr Auto wirklich.

Was soll ich denn jetzt tun?

Zu irgendetwas Ja sagen, wovon ich nicht weiß, was auf mich zukommt, oder besser doch auf das Auto verzichten? Letzteres ist keine Option. Immerhin habe ich Scott versprochen, dass ich diesen Sonntag aus unserer gemeinsamen Wohnung ausziehe.

Was eh schon beschissen genug ist.

Scott und ich waren glücklich. Ehrlich. Es war alles gut. Wir haben unsere gemeinsame Zukunft geplant und sogar übers Heiraten gesprochen.

Ich wäre nie in meinem Leben auf die Idee gekommen, dass unsere Glücksblase so schnell platzen könnte.

Aber dann hat es wie aus dem Nichts geknallt oder besser gesagt, Scott hat mir eine geknallt und all meine Träume sind im Bruchteil einer Sekunde geplatzt.

Ich bin nicht naiv. Ich weiß, dass eine Beziehung aus Höhen und Tiefen besteht und dass man nicht wegen irgendeiner Kleinigkeit aufgeben darf.

Aber eine Ohrfeige ist keine Kleinigkeit.

Scott hat sich natürlich sofort bei mir entschuldigt, er hat hundert Mal beteuert, wie leid es ihm tut und mich angefleht, ihm zu verzeihen.

Scheiße!

Ich bin beinahe weich geworden.

Verurteilt mich bitte nicht. Mir ist mehr als bewusst, dass ein Mann, der einmal eine Frau schlägt, eine Grenze überschritten hat, und dass die Wahrscheinlichkeit, dass er es wieder tun wird, hoch ist. Trotzdem ist es mir nicht leichtgefallen, das gemeinsame Leben, das wir uns im vergangenen Jahr aufgebaut haben, wegen dieser einen Ohrfeige aufzugeben.

Eine Stimme in meinem Kopf hat mich gefragt, ob ich wegen eines Fehlers, der nur eine Sekunde gedauert hat, bereit bin, zwölf Monate Glück in die Tonne zu werfen.

Ich war echt versucht, Scott zu verzeihen.

Nach dem Vorfall waren wir noch eine Woche zusammen. Eine Woche, in der er mich mit roten Rosen und Pralinen überschüttet hat.

Doch das Vertrauen ist wie eine Glasvase, wenn sie zerstört wurde, kann sie repariert und geklebt werden, aber sie wird eben nie mehr ganz, sie wird nie mehr wie vorher sein.

Am siebten Tag, nachdem er mich ins Gesicht geschlagen hatte, haben wir uns erneut wegen irgendeiner Kleinigkeit in die Haare gekriegt, und auch wenn er dieses Mal nicht seine Hand gegen mich erhoben hat, habe ich die ganze Zeit damit gerechnet, dass er es tun wird. Und das war dann auch der ausschlaggebende Grund für mich, warum ich Schluss gemacht habe.

Ein zerstörtes Vertrauen ist schlimm genug. Aber Angst?

Oh nein. Angst hat in einer Beziehung nun wirklich nichts zu suchen.

Ich bin gegangen und Scott ist ausgeflippt.

Scheiße!

Er ist so ausgerastet, dass ich kurz davor war, die Polizei zu rufen.

Das Einzige, was mich davon abgehalten hat, die 911 zu wählen, ist die Tatsache, dass Scott ebenfalls ein Polizist ist und dass seine Kollegen immer auf seiner Seite stehen werden.

Mit Sarahs Hilfe habe ich eine schöne kleine Wohnung im Osten von Seattle gefunden und ich freue mich schon total darauf, dort einzuziehen und einen Neubeginn zu starten.

Ohne meinen Ex und ohne die Angst, dass er erneut die Kontrolle verliert und gewalttätig wird.

Kurz nachdem ich mit Scott zusammengekommen bin, ist mein alter VW Beatle kaputtgegangen. Eine Reparatur wäre einfach zu teuer gewesen. Scott hatte mir damals netterweise angeboten, dass ich sein Auto haben kann.

Ich fand das Angebot super und habe es natürlich angenommen, aber jetzt, wo wir nicht mehr zusammen sind, kann ich schlecht weiter mit seinem Wagen durch die Gegend fahren.

Wie ihr also seht, brauche ich Sarahs riesigen Audi Q7.

Mit diesem Schlachtschiff wären die paar Sachen, die ich mitnehme, sofort aus der alten Wohnung in meine neue gebracht.

Grrrr ...

Es ist zum Verrücktwerden.

„Kannst du mir nicht einfach sagen, was du als Gegenleistung von mir willst, und gut ists? Ich habe echt keinen Nerv für diese Spielchen.“

Sarah lacht und schüttelt den Kopf.

„Nein. Wo bleibt denn dann der Spaß?“

Mein mehr als mürrisches „Welcher Spaß?“ überhörend, schenkt sie sich noch etwas von dem Wein ein und sieht mich über das Glas hinweg an.

„Vertraust du mir?“

Ich nicke.

„Mehr als jedem anderen Menschen.“

Und das ist nicht gelogen. Sarah ist meine älteste und beste Freundin, und auch wenn ich den Wild Bones Motorcycle Club, zu dem sie wegen ihres Bruders, der der Vizepräsident dieser Rocker ist, gehört, nicht so ganz verstehe, weiß ich, dass ich mich zu 100 Prozent auf sie verlassen kann.

Verflucht!

Ich würde ja gerne etwas Schlechtes über diesen MC sagen. Aber wer bin ich, über Männer zu urteilen, die ich nicht kenne?

Davon abgesehen habe ich die Wohnung, für die ich erst vor Kurzem den Mietvertrag unterschrieben habe, nur wegen Sarahs weitreichenden Beziehungen über den Wild Bones Motorcycle Club bekommen.

Auch wenn es die Politiker und die Cops nie zugeben würden, haben hier in Seattle die Wild Bones das Sagen. Diese Biker stehen über dem Gesetz, oder besser gesagt, sie leben nach ihren ganz eigenen Regeln.

Dank den vielen Geschichten, die mir Scott über besagte Rocker erzählt hat, weiß ich, dass dieser Club sein Geld mit illegalem Glücksspiel, Mord, Waffen- und Drogenhandel, Schutzgelderpressung und Prostitution verdient.

Diese Männer sind also keine netten Chorknaben, sondern echte Kriminelle. Scott hat sie gehasst, er hat immer gesagt, dass er, wenn sich ihm jemals die Chance bietet, nicht zögern und möglichst viele von diesen Bikern erschießen würde.

Das ist die eine Seite ...

Aber dann ist da eben noch Sarah, die ganz anders über den Club spricht.

Sie liebt nicht nur Kane, ihren Bruder, sondern auch die ganzen anderen Rocker, und verbringt unglaublich viel Zeit hinter der hohen Mauer, die das Clubhaus von der restlichen Welt abschirmt.

Für eine lange Zeit hat sie unheimlich für Griffin, den Präsidenten der Wild Bones, geschwärmt. Aber daraus ist nie etwas geworden.

So wie ich Scott kenne, hat er bei seinen gruseligen Geschichten über den MC ordentlich übertrieben. Und Sarah wird im Gegensatz zu ihm wohl eher untertrieben haben. Die Wahrheit liegt also irgendwo zwischen dem, was Scott mir gesagt, und dem, was mir meine Freundin erzählt hat.

Die Wild Bones sind ein Teil dieser Stadt und ich habe keine Probleme mit ihnen. Trotzdem habe ich Sarah noch nie in den Club begleitet.

Früher habe ich mich einfach nicht getraut und dann, na ja ... dann war ich mit Scott zusammen und als die Freundin eines Polizisten wäre es wegen Gründen, die auf der Hand liegen, sicherlich keine gute Idee gewesen, einen Motorcycle Club zu besuchen.

Inzwischen bin ich etwas offener geworden. Aber da ich die letzten hundert Mal, als sie mich eingeladen hat, sie zu begleiten, Nein gesagt habe, hat sie irgendwann verständlicherweise damit aufgehört, mich zu fragen, ob ich mit will.

Egal. Zurück zum Thema.

Ich kenne Sarah gut genug, um zu wissen, dass sie nur das Beste für mich will.

Das Problem ist nur, das Sarah eine ganz andere Sicht auf die Welt hat als ich.

„Wenn du mein Auto willst, musst du Ja sagen!“

Sie bleibt hart und ich verstehe einfach nicht, was sie damit bezwecken will.

„Das ist Erpressung, das ist dir schon klar, oder?“

Anstatt ein schlechtes Gewissen vorzutäuschen, zuckt sie einfach nur mit den Schultern.

„Sag Ja und alle deine Probleme lösen sich in Luft auf ...“

All meine Probleme?

Das wäre zu schön, um wahr zu sein.

„Wenn ich also Ja sage, was würde dann passieren?“

Ihre Mundwinkel ziehen sich siegessicher nach oben.

„Dann würdest du meinen Wagen kriegen und auf ein Blind Date gehen.“

Ein was? Oh Gott! Niemals ...

„Bitte sag mir, dass ich mich gerade verhört habe.“

„Hast du nicht. Aber keine Sorge. Der Mann, den ich für dich ausgesucht habe, ist der absolute Oberhammer. Er ist die Crème de la Crème des anderen Geschlechts und er passt absolut perfekt zu dir!“

Jetzt mache ich mir erst recht Sorgen.

„Ich kenne deinen Männergeschmack, Süße, und darum weiß ich auch, dass wir nie das Problem haben werden, dass wir uns gegenseitig die Kerle wegschnappen.“

Sarah steht auf Biker.

Auf große, starke, muskulöse Biker mit...