Das Schwert und die Lämmer (eBook)

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2023 | 1. Auflage
480 Seiten
Aufbau digital (Verlag)
978-3-8412-3019-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Das Schwert und die Lämmer - Claudia Kern
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Das überwältigende Gemälde einer beinahe vergessenen Epoche.

Im Jahre 1212 taucht ein junger Schafhirte vor dem Kölner Dom auf und ruft die Armen und die Kinder zur Befreiung des Heiligen Landes auf. Tausende schließen sich ihm an, darunter auch Madlen, eine in Ungnade gefallene Magd, die ihre beiden Söhne nicht alleine ziehen lassen will. Ständig dem Hungertod nahe führt der Kreuzzug der Kinder quer durch Deutschland. Unzählige Gefahren und Intrigen sind zu überstehen, aber Madlen hält zu ihren Söhnen. Doch in den Alpen wird sie von ihnen getrennt. Wie weit kann Madlen gehen, um ihre Söhne wiederzusehen?



Claudia Kern, geboren in Gummersbach, studierte Anglistik, Philosophie und Vergleichende Religionswissenschaften an der Universität Bonn und arbeitete jahrelang als Kolumnistin und Redakteurin für Fernsehen und Zeitschriften.
Nach Ausflügen ins Fantasy-Genre etablierte sie sich mit dem Roman »Das Schwert und die Lämmer« als Autorin historischer Romane. Sie lebt seit 2008 mit ihrem Lebensgefährten in Berlin.

Kapitel 1


Wir stiegen den Berg empor an diesem Morgen, schweigend und müde, so wie immer. Gertrud ging vor, wir anderen folgten ihr in einer Reihe, denn der Pfad war zu schmal, um nebeneinander herzugehen. Gestrüpp und Bäume rahmten ihn auf beiden Seiten ein, und gelegentlich wand er sich an einem moosbedeckten Felsen vorbei.

»Wann gehst du?«, fragte Gertrud. Sie musste sich nicht umdrehen, ich wusste auch so, dass sie mit mir sprach.

»Morgen.«

»Aha.«

Mehr sagte Gertrud nicht. Die sechs Frauen, die hinter mir den Berg hinaufstiegen, atmeten und schnauften leiser als zuvor. Zweige knackten unter ihren Füßen.

Es war ein kalter, grauer Frühlingsmorgen. Nebel stieg in dünnen Schwaden zwischen den Bäumen empor. Über dem Rhein musste bereits die Sonne aufgehen, doch auf unserer Seite des Bergs war ihre Wärme noch nicht zu spüren.

»Und die Herrin weiß davon?« Gertrud klang verärgert, fast schon verletzt. Sie war die älteste Magd auf der Burg. Ihre Kinder waren erwachsen, und die erste Enkeltochter würde zum Pfingstfest heiraten. Sie hatte sich daran gewöhnt, dass jeder tat, was sie sagte, und unterließ, wovon sie abriet. Hinter ihrem Rücken nannten sie alle Mutter Oberin.

»Sie hat es mir selbst erlaubt«, sagte ich.

»Ich war dabei.« Agnes sprach zu laut, wie so oft, wenn sie aufgeregt war. Als Einzige in unserer Gruppe aus acht Mägden – normalerweise neun, aber Gerhild hatte wenige Tage zuvor einen Sohn geboren und war vom Frondienst befreit  – hing kein Gebende in ihrem Gürtel. Sie war noch unverheiratet und durfte ihr Haar für alle sichtbar offen tragen. Ich beneidete sie um diese Freiheit, doch das hätte ich ihr nie gesagt, so wie sie mir nie gestanden hätte, dass ihr Gertrud Angst einjagte. Man muss nicht alles aussprechen.

Ich hob den Kopf und sah an Gertrud vorbei den Berg hinauf. Die Mauern von Burg Drachenfels schimmerten zwischen den kahlen Bäumen hindurch. Sie waren kaum näher gekommen, obwohl wir bereits die halbe Strecke zurückgelegt hatten. Seit Heinrichs Tod erschien mir der Weg länger als davor.

»Ich weiß wirklich nicht, was du da willst«, sagte Gertrud nach einem Moment. Ihr Atem ging schwer. Ich fragte mich, was ihr mehr zu schaffen machte, der Aufstieg oder ihr Ärger. »Ich habe Winetre mein ganzes Leben lang nicht verlassen«, fuhr sie fort. »Und meine Eltern und Kinder auch nicht. Onkel Humbert, ja, der meinte auch, er wäre zu Besserem berufen.«

Sie blieb abrupt stehen und drehte sich um. Der graue Wollschal, den sie um Kopf und Schultern geschlungen hatte, rahmte ihr Gesicht ein. Ihre Nase stach daraus hervor wie der Schnabel eines Falken.

»Nach Bonn wollte er.« Sie schüttelte den Kopf. »Bonn …«, sagte sie dann leiser. »Er sprach von nichts anderem, als ob er dort das Paradies finden würde.«

Einen Moment lang verlor sich ihr Blick in der Vergangenheit. Sie sprach oft von »Onkel« Humbert, dabei wusste jeder im Dorf, dass er nicht ihr Onkel gewesen war. Nur was er genau für sie gewesen war, wusste niemand.

Mit einem Blinzeln kehrte sie in die Gegenwart zurück. Der Blick ihrer blauen Augen richtete sich auf mich, und sie hob den Zeigefinger. »Nie wieder haben wir von ihm gehört. Bestimmt haben ihm Wegelagerer die Kehle durchgeschnitten und ihn in unheiligem Boden verscharrt.« Sie bekreuzigte sich. »Und du willst sogar nach Köln. Bei allen Heiligen.«

»Es ist doch nur eine Pilgerfahrt, Gertrud«, mischte sich Klara ein. Sie war so alt wie ich, hatte aber schon sechs Kinder geboren. »Mach ihr keine Angst.«

Ich nickte. »Vater Ignatius wird die ganze Zeit über bei uns sein. Wir sind fast ein Dutzend Pilger. Sogar ein Ritter ist dabei.«

Gertrud strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. »Auch eine andere Magd?«, fragte sie.

»Nein.«

»Aha.« Gertrud musterte mich einen Moment lang. Schamesröte stieg mir ins Gesicht. Gertrud bemerkte das anscheinend, denn ihre Mundwinkel zuckten kurz, als wolle sie lächeln, dann drehte sie sich wieder um und stieg den Berg weiter empor.

Ich folgte ihr nur, weil es keinen anderen Weg gab.

Morgennebel umgab die Burg, als wir sie erreichten. Im Schatten einiger Bäume blieb ich stehen und zog das Gebende über. Die Haube war aus einfachem Leinen und kratzte, wenn man unter ihr schwitzte. Ich zog sie so fest unter dem Kinn zusammen, dass ich den Mund kaum noch öffnen konnte. Ich wollte Gertrud nicht noch mehr reizen.

Bis auf Agnes legten auch die anderen Frauen ihr Gebende an. Wir sprachen zwar nie darüber, aber ich war mir sicher, dass wir den alten, steilen Pfad nur benutzten, damit wir es erst in der Burg tragen mussten. Auf dem Hauptweg mit all den Karren und Menschen wäre das nicht gegangen. Nur Gertrud trug ihre Haube bereits, wenn sie morgens den Hof verließ. Sie war eine fromme Frau, wahrscheinlich frommer als alle anderen Mägde. Ich versuchte zu ihr aufzusehen, so wie Vater Ignatius es mir in der Beichte geraten hatte, aber das fiel mir schwer.

»Vielleicht hat er dir deshalb diesen Rat gegeben«, hatte Klara gesagt, als ich ihr davon erzählte. »Wenn es leicht wäre, könnte ja jeder Heide fromm sein.«

Wir gingen durch das breite Eingangstor. Es stand offen, Soldaten waren keine zu sehen. Von den Türmen überblickte man das ganze Land, kein Feind konnte sich der Burg ungesehen nähern. Eine Gruppe Knechte kam uns entgegen. Sie schoben hölzerne Handkarren vor sich her, auf denen Werkzeug und in Tuch eingeschlagenes Brot lagen, das sie in der Küche bekommen hatten. Sie waren auf dem Weg zum Steinbruch unterhalb der Burg. Es waren keine alten Männer unter ihnen. Die Arbeit am Berg war hart und gefährlich.

Einer der Knechte blieb neben uns stehen, während die anderen mit gesenkten Köpfen und müdem Blick weitergingen. Er grinste. Sein Name war Matthias.

»Seid gegrüßt, Weibsvolk«, sagte er. »Was treibt ihr euch zwischen den Bäumen herum? Wissen eure Männer davon?«

Er sprach uns alle an, aber sein Blick war auf Agnes gerichtet. Sie sah zu Boden und errötete.

»Mein Mann müsste sich nie Sorgen um mich machen«, sagte sie so laut, dass sich die Pferdeknechte neben den Stallungen zu uns umdrehten. »Ich wäre ihm eine gute Frau.«

Matthias zögerte, schien nicht zu wissen, was er darauf entgegnen sollte.

Bevor er eine Entscheidung treffen konnte, mischte sich Gertrud ein. »Unser Herr gibt uns den Lohn nicht fürs Herumstehen. Kommt.«

Agnes wirkte erleichtert, Matthias enttäuscht.

»Ich habe auch noch zu tun«, sagte er. »Wir sehen uns zum Osterfest.«

»Ich werde da sein, aber nicht Madlen.« Agnes sprach etwas leiser als zuvor. »Sie geht auf Pilgerfahrt nach Köln.«

Matthias hatte sich bereits abgewandt, sah aber noch einmal zurück. »Ich weiß. Alle reden davon.«

Am liebsten hätte ich ihn gefragt, was sie redeten, stattdessen nickte ich und lächelte.

Wir gingen an Schweinen vorbei, die im angetauten Lehm nach Würmern suchten, in den kleinen Innenhof. Hühner gackerten zu unseren Füßen. Eine schwarze Katze lief von den Stallungen quer über den Hof zu einem der Vorratskeller. Sie war trächtig. Wir alle bekreuzigten uns, die schwangere Klara gleich mehrfach.

»Geh in die Kapelle und spritz etwas Weihwasser auf deinen Bauch«, sagte ihr Gertrud. »Ich will nicht, dass dir das Gleiche passiert wie Käthe.«

Joanna, eine kleine, rundliche Frau, die für fast alle im Dorf die Kleidung nähte, atmete so laut aus, dass es wie ein Stöhnen klang. Wir hatten die Geschichte von Gertruds Schwester und ihrem seelenlosen Kind schon dutzende Male gehört.

»Sie hätte es besser wissen müssen«, sagte Gertrud erwartungsgemäß. »Eine schwarze Katze gehört nicht ins Haus einer Schwangeren. Angestarrt hat das Biest sie, als das Kind kam. Käthe sagt, sie hätte Satan persönlich …«  – sie bekreuzigte sich hastig, wir folgten ihrem Beispiel  – »… in ihren gelben Augen gesehen. Ganz deutlich. Und dann hat sich die Katze auf die Hinterläufe aufgerichtet, ist zu einem schwarzen Mann geworden und davongelaufen. Sie hat dem kleinen Utz alles gestohlen, was der Schöpfer ihm mit auf den Weg gegeben hat. Seinen Verstand, seine Stimme und das Augenlicht. Ein Jahr hat er gelebt, bevor es Gott gefiel, ihn an seine Seite zu holen.«

Gertrud redete weiter, erzählte von dem schwarzen Mann, der Käthe bis zum Tod in ihren Träumen heimgesucht hatte, aber ich hörte nicht mehr zu. Sogar Klara, für die diese Lektion gedacht war, nickte nur noch abwesend.

Wir gingen durch einen Torbogen, über dem die Zimmer der Hausdiener lagen. Als Kind hatte ich geglaubt, eines Tages einmal dort zu wohnen, hinter dicken Mauern mit Fußböden aus Stein und einem Bett aus Holz. Mein Vater hatte gelacht, als ich ihm davon erzählt hatte, also erwähnte ich es nie wieder. Aber ich dachte immer daran, jeden Morgen, wenn ich in den großen Innenhof vor dem Haupthaus trat. Ich wusste, dass es anmaßend war und falsch, dass ich mir ein anderes Los wünschte als das, was Gott mir in seiner Gnade zugewiesen hatte, aber ich konnte nicht anders. In der Beichte brachte ich das nicht mehr zur Sprache. Hundert Rosenkränze und so viele Ave-Marias, wie es Sterne am Himmel gab, hätten an meinen Gedanken nichts geändert.

Sonnenlicht fiel auf das Banner von Burg Drachenfels. Nach dem nächtlichen Regen hing es schlaff und nass an seiner Stange über dem Haupthaus, inmitten der Zinnen...

Erscheint lt. Verlag 16.5.2023
Reihe/Serie Schicksal in dunklen Zeiten
Schicksal in dunklen Zeiten
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Historische Romane
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte abgewiesene Liebe • Birgit Jasmund • Gabriele Breuer • Gefahr • historisch • Köln • Kölner Dom • Mittelalter • Rebecca Gablé
ISBN-10 3-8412-3019-9 / 3841230199
ISBN-13 978-3-8412-3019-5 / 9783841230195
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