Die Sturmkönigin (eBook)
592 Seiten
Riverfield Verlag
978-3-9523612-8-3 (ISBN)
Thomas Vaucher, 1980 geboren, ist Autor, Musiker, Schauspieler und Lehrer. 'Die Rückkehr der Wirker' ist das Fantasy Debüt des Autors und markiert den Auftakt der epischen Fantasy-Reihe 'Das Lied der Macht'. Bereits im Riverfield Verlag erschienen sind Vauchers drei Thriller der Richard-Winter-Reihe: 'Die Akte Harlekin', 'Blutmond' und 'Der Incubus'. Zudem schreibt er klassisch historische Romane, und auch als Autor von Sachbüchern und Drehbüchern ist er tätig. Er ist zudem Keyboarder der Heavy Metal Band Emerald und lebt mit seiner Familie in der Nähe von Freiburg in der Schweiz.
Prolog
Wetterburg, von den Narsing erobertes Gebiet in der Grafschaft Kronental
Urkhôn Ulvjatar lenkte sein Pferd den steinigen Pfad zur Burg hinauf. Obschon er die Kapuze tief in die Stirn gezogen hatte, tropfte ihm das Regenwasser ins Gesicht und ließ ihn ärgerlich schnauben. Es regnete mittlerweile zwar nicht mehr in Strömen, doch ihm war kalt, er war völlig durchnässt und musste hier, weit im Norden der Insel, auf Geheiß seines Bruders Charkhôn eine Shinaii – eine Wirkerin – aufsuchen, anstatt im Osten beim Großen Maulwurf die verfluchten Ureinwohner zurückzuschlagen.
Er sah sich um. Hinter ihm ritten fünfzig Narsing in einer langgezogenen Kolonne. Sie waren genauso müde und durchnässt wie er.
Urkhôn drehte sich wieder nach vorn und musterte das Gemäuer vor ihm genauer. Die Burg war nur noch einen Steinwurf entfernt. Sie thronte auf der Spitze eines Berggipfels und musste früher einmal eine eindrucksvolle Wehranlage gewesen sein. Doch nun waren ihre Mauern zerfallen und der obere Teil des großen Bergfrieds war weggebrochen, als hätte eine Riesenhand voller Wut darauf eingedroschen.
Wer würde hier wohnen wollen außer einer Shinaii, die mit Grashnak – dem Geschuppten – im Bunde steht?
Urkhôn hob die Finger der rechten Hand vom Sattelknauf und umschloss kurz den hölzernen, stachligen Kreis, den er an einem Lederband um den Hals trug – das Zeichen des Zirkels. Er straffte sich und unterzog die Mauern vor ihm einer eingehenderen Musterung. In den Mauerritzen wuchsen dürre Pflanzen, das Tor hing schief in den Angeln und stand offen. Hinter den Zinnen konnte er keine Menschenseele ausmachen.
Vielleicht hatten sich ihre Späher getäuscht und die Shinaii war gar nicht hier? Wenn er diesen weiten Weg umsonst gemacht hatte, würde er dafür sorgen, dass sie ausgepeitscht wurden, bis ihr Fleisch ihnen in Fetzen vom Körper hing.
Urkhôn ließ sein Pferd anhalten und hob die Hand, worauf seine Gefährten ebenfalls innehielten.
»Name ist Urkhôn Ulvjatar«, rief er in der Sprache der Ureinwohner, »will die Shinaii sprechen – die Wirkerin!«
Er wartete einen Moment auf eine Antwort, doch vor ihm blieb alles ruhig. Also drückte er dem Pferd seine Fersen sachte in die Flanken und trieb es weiter auf das Tor zu. Es war ein großes, starkes Pferd, doch Urkhôn spürte, wie dessen Kräfte unter seinem enormen Gewicht schwanden. Es war gut, dass sie am Ziel waren, so dass sich das Tier erholen konnte.
Sobald er unter dem Torbogen hindurchgeritten war, sah er die ersten Bewohner der alten Feste. Im Hof der Burg waren behelfsmäßige Baracken errichtet worden, vor denen vielleicht sechzig verwahrlost aussehende Menschen kauerten und ihn argwöhnisch beäugten. Als er sich umdrehte und die eingefallenen Wehrmauern betrachtete, sah er, dass sie tatsächlich nicht bemannt waren.
Narren, dachte er, vielleicht sollte ich sie einfach abschlachten und den kümmerlichen Rest dieser Burg niederbrennen.
Er erinnerte sich an das Gespräch mit seinem Bruder Charkhôn, das sie vor vier Tagen geführt hatten, ehe er losgezogen war.
»Ich habe einen Auftrag für dich, kleiner Bruder«, hatte Charkhôn, der Harkhùn – der Kriegsherr – der Narsing ihm gesagt. Er hatte ihn im Schloss der von den Narsing eroberten Stadt Wasserheim empfangen, im Gemach des früheren Herzogs. Seine dunklen Augen hatten ihn fixiert, die verschlungenen Tätowierungen, die sein Gesicht zierten, schienen sich zu bewegen, wann immer seine Gesichtsmuskeln zuckten.
»Was immer du brauchst, Bruder«, hatte Urkhôn geantwortet.
»Pass auf, was du sagst, Urkhôn«, lächelte Charkhôn und wischte das lange Haupthaar, das ihm ins Gesicht fiel, nach hinten, »ich könnte dich eines Tages beim Wort nehmen.« Er bedeutete Urkhôn, sich ihm gegenüber hinzusetzen. Charkhôn trug eine blaue, kurzärmelige Tunika, die an den Rändern mit goldenen Borten versehen war. Kein Schmuck zierte seine Finger, auch nicht seinen Hals. Auf dergleichen hatte er noch nie Wert gelegt. Er saß hinter einem großen Tisch aus Eichenholz. Vor ihm war eine Landkarte ausgebreitet, welche die gesamte Insel zeigte. Er deutete auf einen Bergkamm im Norden der Insel. »Fürs Erste aber will ich, dass du da hin reitest.«
»Wozu? Die Gegend haben wir doch schon eingenommen. Die ganze verfluchte Insel gehört uns.«
Charkhôn nickte und schüttelte dann den Kopf. »Fast. Und ja, wir haben die Gegend bereits eingenommen. Doch mir sind Berichte zugetragen worden, Berichte über eine Shinaii, die sich in einer alten Burg dort in den Bergen verschanzt haben soll.«
»Und ich soll sie umbringen?«
Charkhôn schüttelte tadelnd den Kopf. »Aber nein, wo denkst du hin? Wir töten keine Shinaii – es sei denn, sie gehören zum Feind. Doch diese Shinaii hier«, wieder deutete er auf die Berge im Norden der Insel, »gehört nicht zum Feind. Zumindest noch nicht. Wir wissen nicht, wer sie ist und was sie dort treibt. Als wir diese Gegend eingenommen haben, war sie noch nicht dort. Diese Feste war verlassen. Doch nun … Die Leute sagen, die Shinaii verfüge über große Macht. Über Macht, die mit jedem Tag größer werde.« Er hielt inne, füllte zwei Becher mit rotem Wein und schob einen davon Urkhôn hin. Urkhôn griff danach und leerte den Becher in einem Zug. Wieder schüttelte Charkhôn tadelnd den Kopf.
»Dieser Wein, mein Bruder, ist eine der wenigen wirklich guten Sachen, die dieses Land zu bieten hat. Du solltest ihn genießen und nicht herunterschütten wie Wasser.«
Urkhôn grinste und zuckte mit den Schultern. »Es ist noch genug da. Ich habe mich erst gestern selbst davon überzeugt.«
»Ich will, dass du diese Shinaii aufsuchst und sie überredest, mit uns zusammenzuarbeiten«, wurde Charkhôn übergangslos wieder ernst. »Wir brauchen jemanden mit ihren Kräften. Dieser verfluchte Brückenkopf beim Großen Tunnel will nicht fallen und mit jedem Tag wächst die Zahl seiner Verteidiger.«
»Wie die unserer Kämpfer«, warf Urkhôn schulterzuckend ein.
Charkhôn warf ihm einen ärgerlichen Blick zu. »Überrede sie und bring sie her.«
»Und wenn sie nicht will?«
Charkhôn sah ihn beinahe mitleidig an und zog die Augenbrauen hoch. Dann strich er sich über den Schnauz und durch den Kinnbart. »Muss ich dich wirklich daran erinnern, wie wir mit Feinden umgehen, kleiner Bruder?«
Urkhôn konzentrierte sich wieder auf die Gegenwart. Er könnte die Shinaii und alle Menschen hier einfach umbringen und behaupten, sie hätte sich geweigert mitzukommen. Vielleicht würde ihn das für die letzten drei Tage Regen entschädigen. Drei verfluchte, nasse Tage!
Er wartete, bis alle seine Männer im Hof angekommen waren, ehe er die Kapuze zurückschlug und die Stimme erneut erhob.
»Name ist Urkhôn Ulvjatar, will die Shinaii sprechen – die Wirkerin.«
Die Bewohner starrten ihn an, als ob sie ihn nicht verstehen würden, obschon er in der Sprache des Kaiserreichs gesprochen hatte – zumindest so gut er sie beherrschte.
Urkhôn schüttelte resignierend den Kopf und ließ sein Pferd zum eingestürzten Turm traben. Eine Steintreppe führte zum ersten Geschoss hinauf, wo sich die Eingangstür des Bergfriedes befand. Er wollte gerade vom Pferd steigen, da hörte er die Musik.
Irritiert hielt er inne. Sie schien aus dem Turm vor ihm zu kommen. Sie war von einem Moment auf den anderen ertönt und war ohrenbetäubend, mit einem rasenden Rhythmus und gleichzeitig wild und aggressiv. Verwirrt sah er sich um. Ein alter Mann fiel ihm auf. Er stand etwas abseits von den anderen neben der Treppe, die zu der Eingangstür des Turmes führte, und kicherte. Der Mann musste uralt sein. Er hatte ein paar wenige, schlohweiße Haare auf dem Kopf, eine gebückte Haltung, die wohl von dem Buckel herrührte, der auf seinem Rücken in die Höhe ragte, und seine Hände waren von der Gicht verkrümmt und sahen aus wie Krallen. Irritiert musterte Urkhôn die anderen Einwohner. Diese sahen ihn aufmerksam an. War da ebenfalls ein vorfreudiges Lächeln auf ihren Lippen auszumachen? Einige hielten sich die Ohren zu, doch niemand wandte sich ab, nirgendwo war Furcht zu sehen, während die Musik sich laut aufheulend zu einem ohrenbetäubenden Stakkato steigerte. Gleichzeitig schienen sich die Gewitterwolken über ihm zu verdichten und der Regen fiel nun wieder in Strömen vom Himmel herab. Donner grollte. Die Pferde wurden unruhig und tänzelten nervös hin und her. Das Kichern des Alten neben dem Turm steigerte sich in ein schadenfreudiges, überdrehtes Kreischen.
Urkhôn wandte den Blick wieder dem Turm zu, von wo die Musik erklang, und da sah er sie.
Sie stand in der offenen Tür auf halber Höhe des Turms, hatte die Arme erhoben und lenkte damit die Musik in kreischende Höhen und stürmische Täler. Ihre langen, nachtschwarzen Haare flatterten im Wind, in ihren Augen war nur das Weiße zu sehen. Dunkle Linien zogen sich quer über ihr Gesicht und zerflossen im Regen zu schwarzen Tränen. Sie trug weite, weiße Gewänder, die vom Wind hin und her gepeitscht wurden. Der Regen hatte sie komplett durchnässt, so dass sich ihre Brustwarzen deutlich darunter abzeichneten.
Und dann fuhr der erste Blitz vom Himmel. Ohne Vorwarnung schlug er irgendwo hinter Urkhôn ein. Jemand kreischte, doch Urkhôn konnte den Blick nicht von der Frau vor sich...
Erscheint lt. Verlag | 15.5.2023 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Fantasy / Science Fiction ► Fantasy |
ISBN-10 | 3-9523612-8-3 / 3952361283 |
ISBN-13 | 978-3-9523612-8-3 / 9783952361283 |
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