Zwei Wochen am Meer (eBook)

Roman
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2023 | 1. Auflage
352 Seiten
Unionsverlag
978-3-293-31146-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Zwei Wochen am Meer -  R. C. Sherriff
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Voller Vorfreude bricht die Familie Stevens an die englische Südküste auf, mit sorgsam gepacktem Koffer und diesem wunderbar freien Gefühl im Bauch, wenn der Urlaub beginnt. Die geliebte Pension ist ein wenig in die Jahre gekommen, aber irgendetwas sagt Mr Stevens, dass diese Ferien die schönsten werden, die sie je hatten. Und so lassen sie sich verführen: vom Geflatter des Drachens und Cricket im warmen Sand, von einem behaglichen Glas Port und der erleuchteten Promenade am Abend. Und jeden Tag wieder lockt das Meer, das so sehr glitzert, dass man es vor Glück kaum fassen kann. Die Familie Stevens besitzt die Fähigkeit, das Dunklere, das jeder in sich trägt, zu verwandeln und die verborgene Größe des Selbstverständlichen zu genießen. Sie nimmt uns mit in einen unvergesslichen Sommer.

R. C. (Robert Cedric) Sherriff, geboren 1896 in Surrey, war Schriftsteller, Drehbuchautor und Versicherungsbeamter. Er besuchte die Kingston Grammar School und arbeitete anschließend im väterlichen Versicherungsunternehmen. Er diente im Ersten Weltkrieg in der britischen Armee und besuchte danach das New College in Oxford. In seinen Werken verarbeitete er auch seine Erfahrungen an der Front. Seine Filmskripte wurden u. a. zweifach mit BAFTA-Preisen ausgezeichnet und waren für den Oscar nominiert. Sherriff starb 1975 in London.

R. C. (Robert Cedric) Sherriff, geboren 1896 in Surrey, war Schriftsteller, Drehbuchautor und Versicherungsbeamter. Er besuchte die Kingston Grammar School und arbeitete anschließend im väterlichen Versicherungsunternehmen. Er diente im Ersten Weltkrieg in der britischen Armee und besuchte danach das New College in Oxford. In seinen Werken verarbeitete er auch seine Erfahrungen an der Front. Seine Filmskripte wurden u. a. zweifach mit BAFTA-Preisen ausgezeichnet und waren für den Oscar nominiert. Sherriff starb 1975 in London.

2


Und nun«, erklärte Mr Stevens, während er seinen Stuhl heranzog, »die Marschordnung.«

Das Abendessen war vorbei. Mrs Stevens und Mary waren mit dem Abräumen fertig. Der Abwasch konnte noch warten.

Der Begriff »Marschordnung« gehörte in diesem Haus zu den Witzworten. Genau genommen hörte sich allerdings nur dieses Wort witzig an, die Sache selbst war durchaus ernst. Es gab eine Menge zu tun, bevor man das Haus für zwei Wochen verlassen konnte; nur wenn alle zusammen die vielen anstehenden Dinge methodisch erledigten, konnte man fahren, ohne noch in letzter Minute in eine heillose Hetze zu geraten.

Mr Stevens zog ein Blatt Papier hervor, eng beschrieben, mit einem Stift. Es handelte sich um das Resultat jahrelang angehäufter, immer wieder durchdachter Erfahrungen, die sich ihren vielen Ferien verdankten und zu einer derart ausgefeilten Planung geführt hatten, dass es perfekter nicht mehr ging. Gelegentlich lieh man dieses Papier sogar Freunden aus.

Mr Stevens zündete nochmals seine Pfeife an, wischte den Rest Tabakasche vom Tisch und räusperte sich. Da es inzwischen nicht mehr allzu häufig vorkam, dass alle so vollzählig um den Tisch saßen, nutzte er die Gunst der Stunde.

Dick saß seinem Vater gegenüber, die Arme nach vorne geschoben, das Kinn in die Hände gestützt. Mrs Stevens ließ nach einem letzten schnellen Blick durchs Zimmer den Öl- und Essigständer im Schrank verschwinden, nahm im Kaminsessel Platz und starrte geistesabwesend auf den Fächer hinunter, der auf dem leeren Rost lag. Ihre Hände fingerten an ihrem Blusenausschnitt herum und huschten schließlich zu den Knien hinab, als könnten sie nicht einfach auf Befehl zur Ruhe kommen, vor allem nicht auf einen so plötzlichen.

Das Abendessen war bestens verlaufen. Anfangs schienen alle noch ein bisschen zu sehr darauf bedacht, alles richtig zu machen, als fürchteten sie, dass die Lust auf einen solchen Abend im nächsten Jahr nicht mehr so groß sein könnte. Als sie sich aber allmählich warm geredet hatten, war auf magische Weise die gute alte Stimmung der früheren Aufbruchsabende zurückgekehrt.

Fragen waren über den Tisch geflogen, die auf Gegenfragen stießen: Würde Uncle Sam mit seiner Minstrel-Show wohl auch wieder da sein? Uncle Sam musste langsam uralt sein, obwohl er seit mindestens fünfzehn Jahren immer gleich aussah. Würden die gleichen Clowns da sein? Durfte man den Feldweg, der über die Kleewiese zum Meer führte, nicht mehr benutzen, weil dort, wie es hieß, gebaut wurde? Würde die echte Militärkapelle wieder auftreten? Sie riss einen tausendmal mehr mit als die andere.

Wenn Mr Stevens hin und wieder schwieg, dann deshalb, weil er weit weg war; er lief mit seinem Stock und seiner Pfeife über die Hügel, mit offenem Hemd und ohne Hut in praller Sonne und im Wind.

Draußen war der Abend wunderbar klar. Der Bahndamm versank allmählich im aufkommenden Dunkel. Dahinter ging die Sonne unter, durch die Fenster des kleinen Esszimmers fiel ein matter Goldschimmer, den vorbeifahrende Züge hin und wieder verdeckten, wobei selbst dann noch ein paar Strahlen zwischen den Waggons hindurchblitzten.

Doch das Abendessen war nun vorbei, es lag Arbeit vor ihnen.

Ernie, der gegessen hatte, bis er nicht mehr konnte, lag auf dem Sofa und rieb Puss’ Fell gegen den Strich, um zu sehen, wie die daraus aufsteigenden Stäubchen müde im verblassenden Licht tänzelten.

Mary kam aus der Küche zurück und lehnte sich an den Kaminsims. Alle waren bereit für die Marschordnung, jeder mit einem Stift in der Hand, um sich die Aufgaben zu notieren, die ihm wie gewohnt zufielen.

»Alle fertig?«, fragte Mr Stevens mit einem Blick über den Brillenrand. Er räusperte sich nochmals und fing an:

»Nr. 1. Werkzeugschuppen. Einfetten von Spaten, Gabel und Kelle. Abschließen. Schlüssel an den Küchenhaken hängen.«

Mr Stevens hakte diesen Punkt ordnungsgemäß ab.

»Das hätten wir. Erledige ich selbst heute Abend.«

»Nr. 2. Joe. Joe zu Mrs Haykin bringen – zudem Badewanne, Körner und zwei Muschelschalen.«

Über seine Brille schaute Mr Stevens streng zu seiner Tochter hinüber: »Machst du das, Mary?«

Die Aufgabe, Joe, den Kanarienvogel, nach nebenan zu Mrs Haykin zu bringen, war seit je unbeliebt. In Mr Stevens’ Stimme schwang ein Hauch Sorge mit, denn es war darüber letztes Jahr beinahe zum Streit gekommen.

Es bedeutete nämlich, dass man sich bei Mrs Haykin nicht nur bedanken, sondern auch ein paar Minuten bei ihr bleiben und sich mit ihr unterhalten musste. Mrs Haykin war zwar freundlich, aber eine ziemlich einfältige, launische alte Dame, die Dutzende Male beteuerte, sie kümmere sich wirklich sehr gern um Joe, es mache ihr wirklich überhaupt nichts, er sei ja so ein kleiner Schatz und singe schon morgens so wunderbar, dass es sie ganz glücklich mache – und traurig zugleich.

Es war alles andere als einfach, sich bei Mrs Haykin zu bedanken und wieder von ihr loszukommen. Auch fühlte man sich ziemlich unwohl und egoistisch, zumal Mrs Haykin selbst noch nie Ferien gemacht hatte.

Sie lebte allein. Früher, erzählten die Nachbarn, habe sie einen Mann, drei Söhne und eine Tochter gehabt, es sei dort zugegangen wie in einem Taubenschlag. Doch das war lange her, zu Zeiten, als die Stevensens noch nicht hier wohnten.

Sie verließ das Haus nur ein einziges Mal am Tag. Manchmal bekam man dann kurz eine kleine, vorbeihuschende Gestalt mit ein paar unordentlichen Haarsträhnen zu sehen, die auch gleich wieder weg war. Nie hatte man sie kommen, nie sie gehen sehen. Wenn die Stevensens ihr gelegentlich einen Besuch abstatteten, war sie vor Freude ganz aufgeregt und redete ganz schnell. Weil man bei ihr das Lachen vom Weinen zuweilen kaum unterscheiden konnte, wurden die Abstände zwischen diesen Besuchen immer größer. Inzwischen ging man nur noch zu ihr hinüber, wenn Mrs Haykin auf den Kanarienvogel aufpassen sollte – was solche Besuche mitnichten einfacher machte.

Mr Stevens’ Stift kreiste über dem Papier hin und her.

»Machst du’s, Mary?«

Marys Gesicht versteinerte. Sie sah blass und müde aus, sie hatte einen langen, anstrengenden Tag hinter sich. Den ganzen Morgen hatte sie fieberhaft gearbeitet, um nachmittags noch genügend Zeit zum Aufräumen zu haben. Doch dann war nach dem Mittagessen etwas Ärgerliches, vollkommen Unvorhersehbares passiert. Eine Kundin kam hereingerannt, die ein paar Änderungen an einem Kleid haben wollte, das sie am Abend zu tragen wünschte, womit Mary am Nachmittag ganze zwei Stunden zubringen musste, die Augen unablässig auf dieses hässliche Kleid geheftet, in dem Wissen, dass keine einzige Änderung an der Unförmigkeit ihrer Besitzerin etwas besser machen würde.

Auch wenn Mary in Madam Lupont’s kleinem Laden in der King’s Road gelegentlich selbst Kunden bedienen durfte, verbrachte sie die meiste Zeit in dem trostlosen Schneidereizimmer dahinter, dessen kahles Fenster auf die Wellblechwand einer Werkstatt zeigte. Sonne kam dort nie herein, selbst nicht, wenn der Himmel weißlich grell schimmerte und ihr dabei die Augen wehtaten. Sie war wirklich müde heute Abend. Warum sollte ausgerechnet sie Joe zu Mrs Haykin hinüberbringen und ihr zuhören müssen? Warum konnte es nicht …

Sie schaute zu ihrer Mutter hinüber, die mit ihren auf den Knien ruhenden Händen in den Kamin starrte. Sie bemerkte, dass einer ihrer Finger mit einem kleinen, groben Leintuch verbunden war. Sie musste sich geschnitten haben – und niemand hatte es bemerkt. Mary warf einen Blick aus dem Fenster. Die Sonne war schon fast hinter dem Bahndamm verschwunden, der Himmel wolkenlos, in einer Woche würden ihre Arme schon ganz braun sein. Sie gab sich einen Ruck. Sie schaute ihren Vater an und lächelte.

»Gut, ich übernehme Joe.«

Mit einem Seufzer der Erleichterung hakte Mr Stevens auch diesen Punkt ab.

»Danke, Mary.«

»Nr. 3. Puss. Waschküchenfenster einen Spalt offen lassen. Mrs Bullevant bitten, jeden zweiten Tag Milch hinzustellen. Am Montag und Donnerstag Bücklinge.«

Stumm schaute Mr Stevens seine Frau an. Erschrocken blickte Mrs Stevens auf.

»Nein, i-i-ich habe Mrs Bullevant heute nicht angetroffen. Sie war nicht da. Ich dachte, wir könnten es ihr sagen, wenn wir ihr morgen früh den Schlüssel bringen.«

Mr Stevens’ Brauen hoben sich ein wenig.

»Ist das nicht zu riskant?«, sagte er. »Angenommen, es gibt etwas, worüber sie reden möchte. Irgendwelche Kleinigkeiten. Viel Zeit haben wir nicht.«

Kurz glitt Mrs Stevens’ Blick zu ihrem Mann hinüber und sofort wieder zurück zum Rost.

»Gut …, ich …, ich geh gleich.«

»Jetzt ist’s zu spät. Wir müssen’s riskieren.«

Mrs Bullevant wohnte direkt gegenüber. Ihr Mann war ein pensionierter Polizist. Ein ideales Paar, um dort den Schlüssel zu hinterlegen. Jedes Jahr wurde ausgemacht, dass Mr oder Mrs Bullevant einmal am Tag nach dem Rechten sah, etwaige Briefe mit drei Halfpenny-Marken nachsandte und nach Puss schaute. Dafür bekamen die Bullevants die Bohnen und den Rhabarber, die man...

Erscheint lt. Verlag 13.6.2023
Übersetzer Karl-Heinz Ott
Verlagsort Zürich
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Klassiker / Moderne Klassiker
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Adoleszenz • bognor regis • England • Englische Küste • Familie • Lebensglück • Meer • Natur • Sommer • Strand • Südengland • Urlaub • Urlaubslektüre
ISBN-10 3-293-31146-6 / 3293311466
ISBN-13 978-3-293-31146-6 / 9783293311466
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