Der eiserne Marquis (eBook)
928 Seiten
Verlagsbuchhandlung Liebeskind
978-3-95438-169-2 (ISBN)
Thomas Willmann, geboren 1969 in München, studierte Musikwissenschaft. Er arbeitet als freier Kulturjournalist u. a. für den Münchner Merkur. 2010 erschien sein Debütroman »Das finstere Tal«, der erfolgreich verfilmt wurde und sich zu einem Bestseller entwickelte.
Thomas Willmann, geboren 1969 in München, studierte Musikwissenschaft. Er arbeitet als freier Kulturjournalist u. a. für den Münchner Merkur. 2010 erschien sein Debütroman »Das finstere Tal«, der erfolgreich verfilmt wurde und sich zu einem Bestseller entwickelte.
– 1 –
Jener Mensch, den Ihr heute vor Euch erblickt, kam rechteigentlich zur Welt auf der Bettstatt eines preußischen Feldlazaretts, inmitten des eitrigen Gestanks und Gestöhns der Blessierten, im Jahre des Herrn Siebzehnhundertundsechzig. Ans Licht geholt hat mich da aus langem Dämmer der Marquis von D–––, welchem ich an jenem Tage zum ersten Male begegnete. Ich zählte bei jener, meiner zweiten Geburt bereits zwanzig Lenze.
Ich schlüpfte gleichsam aus einem Kokon, den mir das Schicksal gesponnen hatte aus vielen Fäden. Es kroch ein Selbst hervor, noch knittrig und klamm, welches die Larve seines bisherigen Daseins verflüssigt, aufgelöst, umverwandelt hatte.
Und so lasst mich zunächst Euch erzählen von jenem Verflossenen, jenem mir und Euch heute Fremden. Dessen Namen ich nicht mehr aus der Tiefe der Zeit herausfischen will. Lasst mich erzählen von meinem ersten, meinem Raupen-Leben.
Und lasst mich dazu sogleich anheben mit dem Geständnis einer … nun, wenn nicht Lüge, so doch Ungenauigkeit Euch gegenüber. Einer schmeichelnden Unterschlagung. Möge dies Euch lehren, die Ohren stets gespitzt zu halten und meine Worte nicht zu treugläubig zu verschlingen.
Denn ich muss gestehen: Ich war zwiefacher Mörder. Begann ich mein Leben doch noch vor meinem ersten Schrei damit, dass ich ein anderes Leben raubte. Auch wenn kein Gericht dieser Welt – nein, nicht dieser Welt – mir daraus je einen Strick drehen könnte. Weil freilich ich es blind und unwissend tat – allein durch die Gier, mit welcher ich als kleiner Homunkulus den Leib meiner Mutter von innen aufzehrte.
Wie sollte ich ahnden, dass all das Nährende, welches mich barg und umgab, erschöpflich war? Ich sog und begehrte nur immer mehr, ich tränkte und labte mich in ihrem Schoß, so feist ich nur konnte. Und beteuere meine Unschuld! Beteuere, noch nicht einmal Bewusstsein gehabt zu haben von meinerselbst als Wesen – geschweige denn vom Dasein anderer Menschen. In rotschwarzer Ewigkeit schwamm ich wie eine Kröte, vom Dunkeln nichts wissend, weil mir auch die Erfahrung des Lichtes noch fehlte. Die brütende Wärme nicht fühlend, weil ich noch nie Kälte empfand; und unberührt von jeder Erkenntnis der Zeit und ihres Verrinnens. Noch war mir sämtliches eins und ungeteilt – und allein meines. Ich kann mir nicht zur Anklage machen lassen, keinen Begriff gehabt zu haben, dass mein vermeintliches All nur der Leib war eines zierlichen, gar zu zierlichen Weibes.
Ich habe von meiner Mutter nur ein vages Bild – seinerseits bloß das vom milchigen Auge der Erinnerung verwischte Abbild eines bereits unzulänglichen Originals. Mein Vater bewahrte von seiner verblichenen Gemahlin eine Miniatur, doch hielt er sie in seinem Schreibtisch unter Verschluss. Ob er damit sich den Schmerz ihres ständigen Anblicks ersparen oder ihr Bildnis vor meinen gefräßigen Augen bergen, es allein sich vorbehalten wollte, vermag ich nicht zu sagen. Jedenfalls verschafften mir erst spät diebische Neugier und das erworbene Geschick im Umgang mit Schlössern jeglicher Art die erste, verstohlene Ansicht ihres verblassenden Antlitzes. Und wenn ich die folgenden Jahre immer wieder eine Abwesenheit des Vaters nutzte, um heimlich die Lade zu öffnen und das winzige Oval an den Tagesschein zu holen, welches selbst in meinen kleinen Kinderhänden gänzlich nistend zu bergen war – dann nicht, weil mich beim ersten Blick schon die Empfindung überwältigt hätte, hier nun endlich dem lange vermissten, ungekannt geliebten Menschen, der entbehrten Mutter zu begegnen. Sondern in der Hoffnung – oder soll ich gar sagen: Vermeintlichen Pflicht? –, doch noch irgendeine innige Regung, tiefe Bande des Herzens zu diesem Bildnis zu empfinden.
Denn in Wahrheit schaute ich auf jenes Angesicht und fühlte … nichts. Nichts denn eines gewissen befriedigten Interesses. Und, wenn ich ganz ehrlich bin, eines Bodensatzes bitteren Mitleids, halb schon zu milder Verachtung vergärend. Dieses Antlitz bedeutete mir so wenig wie die austauschbar huldvollen Visagen von Heiligenbildchen. Freilich vermochte ich nicht zu entscheiden, ob dies ein Fehl war meiner mir fremden Mutter – oder des Künstlers, welcher sichtlich nicht gesegnet war mit dem höchsten Talent. Es sprach jedenfalls aus jenem Portrait eine matte Kraftlosigkeit. Eine fahle Frau zeigte es, mit schlaffen Zügen in einem auf plumpe Weise lang gezogenen Gesicht, nachlässig umschlängelt von dunklen Locken. Reine Gleichgültigkeit sah ich da. Welche – wenn sie nicht jene des Malers war, mit seinen flachen Farben und verallgemeinernden Pinselstrichen – keinerlei Wunsch stellte an die Welt. In böseren Stunden dachte ich später, nur so ein Weib habe sich mit meinem Vater vermählen können – und dass er genötigt war, sie abgöttisch zu lieben, weil einzig sie ihn duldete.
Freilich: Wohl diese Duldsamkeit schrieb ihr auch das schwarze Urteil – denn sie war nicht gewachsen meiner Gier, welche mich noch vor jedem Geist, allen Sinnen erfüllte. Und hegte ich also doch eine Empfindung gegen dies Bildnis, dies Weib? Nämlich einen insgeheimen Zorn? Warum war sie zu schwach, sich zu erwehren? Warum bewahrte sie mich nicht davor, zu ihrem Mörder zu werden?
Was am Tage meiner Geburt geschah, das weiß ich nur, weil mein Oheim mir es später erzählte. Oder besser: Ich ihn beständig über Jahre dazu löcherte, ihm mal dieses, mal jenes Mosaiksteinchen entwendend. Mein Vater hat davon zu mir nie gesprochen. Mag also gut sein, dass, wenn ich Euch wiederum davon berichte, als hätte meine Seele dies aus den Himmeln geschaut, bevor sie sich auf Gedeih und Verdammnis in diesen Leib verbannt fand … Mag also gut sein, dass sich dieser Erzählung Traum, Wunsch – und vielleicht gar tiefste Erinnerung meinerselbst – beigemischt haben. Nehmt sie so wahr, wie Ihr wollt.
Jedenfalls scheint meine Mutter eine Ahndung in sich getragen zu haben, dass das Schicksal (oder gar: Ich, ihr werdendes Kind) ihr keine glückliche Niederkunft zu vergönnen gedachte. Sie brachte, erzählte mein Oheim, der heiligen Emerentiana in unserer Kirche fast wöchentlich Modeln dar. Doch trotz all der wächsernen Kröten war ihr die Heilige nicht wohlgesinnt – oder deren bester Wille zu schwach gegen jene Mächtigkeit, welche ich angenommen. Mit jedem meiner neun Monde war meine Mutter am Rest des Leibs schmaler geworden und bleicher. War in die abnehmende Phase ihrer Lebenssichel getreten, in eine Ebbe der Kräfte und Säfte. Doch wo ihr Fleisch sonst magerer und magerer ward, da rundete sich weiter und weiter der Bauch. Da spannte ich Unersättlicher ihn zur grotesk prallen Kugel – ein Zentrum der Gravität, welchem Haupt und Glieder der Mutter lediglich noch anzuhaften schienen. Nur mit äußerster Mühe vermochte ihr Leib, mich zu tragen. Doch als ich ihn ausgezehrt hatte, ihn mir einverleibt, und an die Welt hinausdrängte: Da war mir die Pforte längst zu eng geworden, welche er mir dafür bot.
Im Morgengrauen eines schwülen Spätsommertags hatte ich zuerst kundgetan, dass mir mein Höhlenreich nicht mehr genügte und ich mir Gestade zu erobern strebte, fern dem Blut meiner Mutter. Die Hebamme ward gerufen; doch schon nach dem ersten prüfenden Tasten, dem ersten Warten und Lauschen auf die Wehen war Sorge in ihrem Blick. Der Mutter sprach sie beruhigende Zuversicht zu – doch dem Vater flüsterte sie, er solle sich Beistand holen. Also kam mein Oheim hinzu: Geschwisterlos war seit dem letzten Wüten der Blattern die Mutter, und ihren Eltern hatte der Vater niemals verziehen, dass sie die Verbindung abgelehnt hatten. Ihn der Tochter nicht würdig befanden, bis diese drohte, als alte Jungfer zu enden – und dann war er ihnen grade gut genug. Diesen Schwiegereltern gab er Bescheid mit einem nüchternen, kurzen Billett, erst als alles vorüber war. (Mag sein, dass in ihm wühlte die Scham, er habe nun die Befürchtung erwiesen, ihnen die Tochter ohne Recht und Lohn zu rauben. Mag sein, dass ihn der Vorwurf trieb, diese Tochter habe sich nun seiner und seiner Saat als nicht gewachsen, nicht würdig gezeigt.)
Stunde um Stunde verging, und häufiger ward und heftiger das Stöhnen der Mutter, ihr Winden in Krämpfen, ihr Keuchen im kalten, tranigen Schweiß. Doch nichts geschah. Ich verharrte in ihr – wollte womöglich nicht lassen, bis ich auch den letzten Tropfen an Leben gesaugt, wollte womöglich nicht trennen mich von diesem, meinem ersten Besitz. Oder wusste auch nur, dass jener armselige Spalt, der sich aufzutun bemühte, mir nicht genügte: Mir, der sich nie bescheiden mochte mit dem, was ihm Ordnung, Gott oder Natur zustehen wollten! Stunde um Stunde verfinsterte sich der Hebamme Miene, Stunde um Stunde draußen der Tag. Und gegen Abend rief man den Vater – der Küster war und Schulmeister unseres Orts –, dass er läuten solle die Warnung vor einem nahenden Sturm.
Die stickige Feuchte der Luft war unerträglich geworden. Es fuhr kaum trockener,...
Erscheint lt. Verlag | 11.9.2023 |
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Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Historische Romane |
Schlagworte | 18. Jahrhundert • Aufklärung • Automaten • Liebesgeschichte • Paris • Schauerromantik • Uhrmacher • Wien |
ISBN-10 | 3-95438-169-9 / 3954381699 |
ISBN-13 | 978-3-95438-169-2 / 9783954381692 |
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