22 Krimis für zwischendurch am Strand: Krimi Paket (eBook)
1000 Seiten
Alfredbooks (Verlag)
978-3-7452-2978-3 (ISBN)
Die schlesische Zeitmaschine
von Alfred Bekker
© 1984 Alfred Bekker
Diese Erzählung erschien ursprünglich in der Anthologie 'Gefangen in Raum und Zeit', Hrsg. Axel Ertelt,1985
© 2012 der Digitalausgabe AlfredBekker/CassiopeiaPress
Ein CassiopeiaPress E-Book
Alle Rechte vorbehalten.
Www.AlfredBekker.de
***
Nowak und Lupka hatten sich schon seit einigen Jahren nicht mehr gesehen.
Umso erstaunlicher war dieser unerwartete Besuch...
Unvermittelt hatte Nowak vor der Tür gestanden und (obwohl Lupka sich eines unguten Gefühls und nicht unbeträchtlicher Gewissensbisse keinesfalls erwehren konnte) natürlich war er eingelassen worden.
Schließlich hatten sie in der Vergangenheit einiges miteinander verbunden...
Beide kamen sie aus dem Osten.
Beide aus Schlesien.
Und beide hatten sie langjährig als Vertriebenenfunktionäre gedient – Lupka tat dies noch immer, Nowak nicht mehr.
"Etwas zu trinken?"
"Ja, gerne."
Sie setzten sich in Lupkas luxuriös ausgestattetes Wohnzimmer, aber trotz des guten Tropfens, der gereicht wurde, wollte die Verkrampfung von beiden nicht abfallen.
Unsichtbar lag da etwas zwischen ihnen, etwas aus der Vergangenheit und beide wussten wohl, was es war.
Aber sie hüteten sich zunächst, diese Sache anzusprechen.
"Ich habe dich lange nicht mehr gesehen, Franz", sagte Lupka.
"Das ist wahr", kam die lakonische Erwiderung.
Die Luft in diesen wunderschönen Wohnzimmer knisterte förmlich vor Spannung.
"Du hast unsere Versammlungen nicht mehr besucht."
"Ja."
"Gab es dafür einen Grund, Franz?"
Es gab einen.
Einen, außer der Tatsache, dass Nowak Lupka hatte aus dem Weg gehen wollen.
Es war Anfang der siebziger Jahre gewesen.
Nowak hatte Brandt gewählt, da er für die Ostverträge gewesen war.
Es hatte doch keinen Sinn mehr, dieses ständige Säbelrasseln, diese unvernünftige Beharren auf Rechtspositionen, die die normative Kraft des Faktischen längst zu grotesken Anachronismen hatte werden lassen...
Nowak hatte damals Brandt gewählt und sogar seine Mitgliedschaft in der CDU aufgekündigt – aber von beidem wusste Lupka nichts.
"Ich hatte viel zu arbeiten", sagte Nowak ruhig.
Er schien sehr kontrolliert, sehr gefasst.
Lupka zuckte mit den Schultern.
"Ich verstehe..."
Natürlich verstand er gar nichts.
Und das war gut so.
"Sag mal, Franz – "
Die Spannung stieg jetzt auf ein schier unerträgliches Maß.
Lupka schluckte.
Man sah ihm an, was es ihm abverlangte, endlich (vorsichtig und sehr zögerlich) jenes Terrain zu betreten, das von ihnen Beiden bisher stillschweigend tabuisiert worden war.
"Franz, du weißt, ich – "
"Ich bin nicht nachtragend, Ernst!"
"Ich weiß... Vielleicht war ich ein Hund – "
"So ist es eben: Das einen Brot ist des anderen Tod. Du hast nichts weiter getan, als nach dem Gesetz zu handeln, dem die ganze Welt unterworfen ist."
Lupka nippte an seinem Glas.
Er schwitzte ein wenig, versuchte zu lächeln und verschluckte sich schließlich, so dass er ganz erbärmlich husten musste.
Nein, das war keine würdelose Pose, nicht die standesgemäße Haltung eines ehemaligen Offiziers des Deutschen Reichs!
Aber auch dies ging schließlich vorüber und wenn Nowak sich über die offensichtliche Schwäche und das Unbehagen des anderen freute, so zeigte er dies nicht.
Schließlich fragte lupka: "Weshalb bist du gekommen, Franz?"
Es war da ein Quentchen Angst aus der Stimme des alten Schlesiers zu hören; Angst davor, dass Nowak ihm irgendeine alte Rechnung auf den Tisch legte...
Es musste einen wahrhaftig trifftigen Grund für ihn geben,
hier her zu kommen, denn Freunde waren sie schon längst nicht mehr...
Und dann, Nowak hatte absichtlich, so schien es, gezögert, um Lupka weiter zu verunsichern, kam die Antwort:
"Ich will dir etwas zeigen, Ernst."
"Etwas zeigen?"
"Ja."
Was mochte das sein?
Nowak fragte: "Du willst doch, das Schlesien wieder deutsch wird, nicht wahr? Als wir uns das letzte Mal sahen, wolltest du es jedenfalls noch – wenn es auch teilweise der offiziellen Politik unserer Organisation widersprach. Gewaltverzicht und so weiter – du weißt ja..."
Lupka sah Nowak sprachlos an, öffnete den Mund, als wollte
er zu einer Entgegnung ansetzen, sagte dann aber doch nichts
und vergaß, ihn wieder zu schließen.
"Mir gegenüber kannst du es ruhig zugeben, Ernst Lupka: Am
liebsten wäre dir doch, wenn morgen die Bundeswehr in Schlesien einmarschieren und diese Provinz 'heim ins Reich' holen würde!
Jetzt wurde der ehemalige Offizier zornig, da er den sarkastischen Unterton heraushörte.
"Was willst du, Franz? Verdammt noch mal, was willst du?"
"Gib es zu!"
"Ich gebe es zu! Zufrieden?"
Nowak nickte.
Welche Teufelei mag hier gegen mich im Gange sein, überlegte Lupka verzweifelt.
War dieser ehemalige Kamerad aus der Landsmannschaft einzig Und allein zu dem Zweck hier aufgetaucht, die Finger auf die Wunden Punkte seiner Seele zu legen und ihn auf diese Weise Zu malträtieren?
"Was willst du, Franz? Willst du mich beim Verfassungsschutz melden? Als unverbesserlichen Altnazi?"
"Nein, Ernst. Wie ich schon sagte: Ich möchte dir etwas zeigen. Etwas womit wir Schlesien wieder deutsch machen können!"
Lupka hob beide Augenbrauen.
"Willst du mich auf den Arm nehmen?"
"Ich meine es ernst. Aber hier kann ich nicht mit dir darüber
sprechen. Kannst du morgen zu mir 'raus fahren? So gegen Abend?"
Zunächst antwortete Lupka nicht, schien zu überlegen und hin
Und her zu wägen.
"Bitte", sagte Nowak. "Tu mir den Gefallen."
Und da Lupka sich tief in der Schuld des anderen wusste, sagte er ja, obwohl er sich auf der anderen Seite wünschte, Nowaks Gesicht für immer aus seinem Leben verbannen zu können.
"Was ist los mit dir? Warum schläfst du nicht?", fragte seine Frau.
Lupka saß aufrecht im Bett.
Der Mond schien hell durch das Fenster, aber sie konnte sein Gesicht nicht sehen.
"Was ist?"
"Ich hatte Besuch."
"Besuch? Von wem?"
"Nowak."
Es herrschte eine Weile Stille. Dieser Name – sie hatte ihn bereits gehört, aber sie wusste in diesem Moment nichts mit ihm anzufangen.
Nowak – ein Name, ein Wort – offensichtlich jedoch mächtig genug, um ihren Mann zu beunruhigen.
"Was wollte er? Etwas Besonderes?"
"Er will mir etwas zeigen. Morgen. Er hat nicht gesagt, was es ist."
Wieder folgte eine Pause.
Dann fragt seine Frau.
"Was ist zwischen diesem Nowak und dir? Irgendetwas stimmt da nicht!"
"Es liegt schon etwas zurück – "
"Was?"
"Erinnerst du dich noch? Damals, als es darum ging, wer die Direktion unserer Abteilung übernimmt."
"Und?"
"Ich hatte einen Konkurrenten."
"Nowak!"
"Richtig, Nowak. Aber Nowak hatte einen entscheidenden Trumpf in der Hand, durch den er sich hätte profilieren können: Ein neuartiges Recycling-System zur Müllverwertung. Die Pläne waren noch überarbeitungsbedürftig, ja, aber dennoch – "
"Und? Warum wurdest du Direktor?"
"Ich sabotierte die Sache. Ich bestach die entsprechenden Gutachter."
"Weiß Nowak davon?"
"Er muss es geahnt haben. Beweisen konnte er jedenfalls nichts. Er hat dann intensivere Nachforschungen angestellt und da habe ich seine Entlassung betrieben..."
"Du bist jetzt im Ruhestand. Die ganze Sache geht dich nichts mehr an."
Lupka zuckte mit den Schultern.
Nowak wohnte etwas außerhalb auf einem alten Bauernhof, den er instandgesetzt hatte. Lupka wusste den Weg noch genau, obwohl er ihn jahrelang nicht gefahren war.
Der Wagen humpelte die ausgefahrenen Feldwege entlang, es Regnete und der Wind bog die Bäume nach Osten.
Schließlich hatte er Nowaks einsames Domizil erreicht.
Seitdem Frau Nowak bei einem tragischen Verkehrsunglück ums Leben gekommen war, lebte er allein und zurückgezogen, ja, fast wie ein Einsiedler.
Lupka verließ den Wagen und klopfte an die Tür.
Eine Klingel gab es nicht.
Es wurde geöffnet und er blickte in Nowaks Gesicht.
Nein, dachte er, ich hätte nicht hier her kommen dürfen.
Es war ein Fehler!
Es war ein verdammter Fehler!
Aber da waren diese Schuldgefühle, diese unerträglichen Gewissensbisse, die ihn schwach machten und anfällig für jedes Wort von Nowak!
Nowak! Nowak! Nowak!
Die ganze Nacht hatte er an nichts anderes denken können, als
Diesen Namen!
Nowak!
Ach, wäre er nie geboren worden, dieser Nowak!
Und dabei hatte Nowak mehr Grund dafür, sich gepeinigt und wie ein Opfer zu fühlen!
Es war dieses sensible Gespür für schuldhafte...
Erscheint lt. Verlag | 10.5.2023 |
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Verlagsort | Lengerich |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
ISBN-10 | 3-7452-2978-9 / 3745229789 |
ISBN-13 | 978-3-7452-2978-3 / 9783745229783 |
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