Diktator des Sol-Systems: Science Fiction (eBook)
300 Seiten
Uksak E-Books (Verlag)
978-3-7389-7597-0 (ISBN)
KAPITEL II
Die lange Dämmerung
Winchester öffnete seine Augen in der Dunkelheit und hob seine Hand zum Gesicht. Zu seinem absoluten Erstaunen fand er sie in einem dichten Haarwuchs verwickelt. Seine Hand zitterte, als er eine Entdeckung machte, die an das Unglaubliche grenzte. Er war bärtig wie ein Patriarch, und das Haar auf seinem Kopf reichte ihm bis über die Schultern.
Er setzte sich keuchend auf, zündete ein Streichholz an und taumelte auf die Beine. Die Kerze von gestern Abend war nur noch ein geschwärzter Dochtstummel. Er zündete noch eine an und noch eine. Das Licht brachte neues Erstaunen.
Der Raum sah unglaublich alt und schimmelig aus, und Stalaktiten, die der Amerikaner in der Nacht zuvor nicht bemerkt hatte, hingen tropfend von den gewölbten Steinen darüber. Die Steine, so stellte er jetzt fest, waren mit schwerem grünen Moos und Farnen bedeckt. Und zu allem Überfluss war das auch noch der Boden!
Winchester rieb sich verwirrt die Stirn. Er warf einen Blick auf die Käfige mit den Tieren. Wo vorher schlanke, wohlgenährte, schlafende Katzen und Hunde waren, gab es jetzt nur noch Skelette oder abgemagerte, halb mumifizierte Kadaver. Auf einem der Tische wuchsen Pilze neben einer Reihe von Gläsern mit Stopfen. Die Höhle wirkte wie ein unermessliches Altertum, und die Luft roch nach in der Höhle eingeschlossenen Gasen, die nie die wärmenden Strahlen der Sonne gesehen hatten.
Der Amerikaner kniete neben dem Mädchen nieder. Sie lag ausgestreckt da, wo sie gefallen war, und unter ihrem ausgestreckten Arm lag der leere Teller, aus dem sie die Gelatine vom Vorabend gegessen hatte. Sie war am Leben. Daran bestand kein Zweifel, aber ihre Kleidung hatte das fadenscheinige, verrottete Aussehen von Umhüllungen aus einem alten ägyptischen Grabmal.
Und das war noch nicht alles.
Die Eichentür, die zum Treppenhaus führte, war verschwunden, bis auf ein paar durchweichte Bretter, die noch an den alten schmiedeeisernen Beschlägen hingen. Harter Schutt versperrte die Treppe. Kein Wunder, dass ihr Versteck wie eine Gruft aussah - ihre Beerdigung war abgeschlossen!
Nur ein schmaler Schornstein führte frische Luft nach unten. Winchester konnte oben einen Schimmer grünlichen Lichts ausmachen, aber der Kamin war zu klein, um seinen Körper aufzunehmen.
Er ging zurück ins Zimmer und stöberte in den Lebensmittelbehältern. Er begann, sich ein Frühstück aus dem Gelatinezeug zu machen. Doch als er es probieren wollte, bemerkte er zum ersten Mal ein verwelktes und gelbliches Ticket auf der Schale.
Winchester hielt die Karte an das nächste Licht und las das schwache Gekritzel. "Los 3133, Hauptbuch Seite 104." Er drehte die Karte um. Auf der Rückseite stand nur das Wort "Nein!" und ein grober Totenkopf. Der Amerikaner runzelte die Stirn. Das war es, was sie gegessen hatten!
Er steckte die Karte ein und kramte nach dem Buch. Er fasste die hauchdünnen Seiten vorsichtig an, aus Angst, sie würden unter seinen Fingern zerfallen. Zu seiner Freude waren die Notizen in englischer Sprache verfasst worden. Auf Seite 104 stieß er auf dies:
Heureka! Endlich das perfekte Lebensmittelkonzentrat! Aber leider ist es zu perfekt. Ein einziges Körnchen reicht aus, um eine große Katze oder einen mittelgroßen Hund viele Wochen lang zu ernähren, aber leider widmet das Tier seine ganze Kraft der Verdauung. Es liegt wie betäubt da, bis es die Nahrung aufgenommen hat. Ich muss mir etwas einfallen lassen, wie ich es verdünnen kann. Ich habe berechnet, dass ein halbes Pfund davon einen erwachsenen Menschen viele Jahrhunderte ernähren kann - vielleicht fünf, vielleicht mehr. Was für eine Nahrung!
Winchester erschauderte. Er blickte auf das Mädchen hinunter, und ein neuer Schrecken überkam ihn. Er selbst war jetzt wach - ob nach Monaten, Jahren oder Jahrhunderten, konnte er nicht sagen. Hatten sie die gleiche Menge gegessen? War ihr Stoffwechsel ähnlich schnell? Konnte das Mädchen nicht noch jahrelang weiterschlafen, oder wie auch immer das heißen mochte?
Er warf sich neben sie und versuchte, sie zu wecken. Aber obwohl er sie rüttelte und schüttelte und sogar schlug, rührte sie sich nur leicht und lächelte verträumt, wie ein Kind in seiner Wiege. Schließlich gab er auf.
Er sollte sich besser rasieren, dachte er. Der Bart gab ihm das Gefühl, unrein zu sein. Er fand eine Schere, ein oft benutztes Fleischermesser und den abgeschabten Boden einer Aluminiumpfanne. Es war mühsam und schmerzhaft, aber er schaffte es, sich zu rasieren.
Der Weg nach oben war ein langsameres Unterfangen. Es dauerte Wochen, in denen Winchester hauptsächlich im Dunkeln arbeiten musste, um die wenigen verbliebenen Kerzen zu schonen. Es dauerte mehr als zwanzig Tage, bis er endlich die Oberfläche durchbrach und in eine helle, sternenklare Nacht eintauchte.
Er hievte sich auf den Rasen und atmete zum ersten Mal die Außenluft ein. So erstaunlich das Innere des Gewölbes gewesen war, so erstaunlich war auch die Welt draußen. Anstatt in einer belagerten deutschen Stadt war der Amerikaner in einem unberührten Wald gelandet. Es war ein Land mit kleinen Hügeln, dicht bewachsen, und überall standen hohe Bäume.
Winchester unternahm eine kurze Erkundungstour in der Nähe, sah aber weder Lichter noch Anzeichen für menschliche Behausungen. Als er in die Höhle zurückkehrte, saß er lange Zeit da und schaute in den Himmel.
Bis zum Aufgang des Mondes sah es so aus wie immer. Doch als der Mond hinter einer hoch aufragenden Eiche zum Vorschein kam, musste Winchester vor lauter Bewunderung keuchen. Während der Mond, den er immer gekannt hatte, eine fahle Scheibe gewesen war, auf der nur einfarbige Krater zu sehen waren, war dieser Mond ein Ding von schillernder Farbe.
Es sah aus, als wäre es mit Juwelen besetzt gewesen.
Ein Krater leuchtete in einem facettenreichen Rubin, ein anderer in reinstem Smaragdgrün. Ein anderer hatte die Farbe eines erstklassigen Saphirs, während über die gesamte Oberfläche des Globus Flecken eines vagen Schillerns zu sehen waren, wie man es bei Feueropalen und erlesenen Mondsteinen findet. Winchester starrte und staunte.
Schließlich wurde er müde und beschloss, nach unten zu gehen. Morgen muss er früh aufstehen und das Land um sich herum erkunden.
Es war klar, dass der Krieg München zerstört hatte und dass es als Stadt nicht mehr existierte, aber sicherlich hatten die Deutschen irgendwo in der Nähe ihren Nachfolger wieder aufgebaut.
Doch wie es der Zufall wollte, rührte sich das Mädchen, als Winchester nach unten ging, von selbst und öffnete ein Auge. Er stand über ihr und hielt den Stumpf ihrer letzten Kerze in der Hand.
Sie setzte sich auf und blinzelte.
"Ich glaube, ich bin eingeschlafen", sagte sie entschuldigend.
"Ich glaube, das bist du", sagte er. Es war schon drei Wochen her, dass er selbst aufgewacht war.
Die ganze Zeit über hatte das Mädchen geschlafen, ohne sich zu bewegen.
"Hast du dich gut ausgeruht?", fragte er.
"Oh, ja", sagte sie und unterdrückte ein kleines Gähnen. "Glaubst du, die Razzia ist vorbei?"
"Ja", sagte Allan Winchester sehr nüchtern. "Die Razzia ist vorbei."
Aus irgendeinem Grund fiel es ihm sehr schwer, dem Mädchen zu sagen, was passiert war.
Oder besser gesagt, was er glaubte, was geschehen war. Denn er war sich nicht ganz sicher, ob nicht alles Teil eines nicht ganz unangenehmen Traums war. Doch trotz ihres fröhlichen, ungläubigen Lachens, als wolle er sie amüsieren, überzeugten sie schließlich der Anblick des Raumes und vor allem die mageren Kadaver der gefangenen Tiere.
"Wir sind also Jahre und Jahre in der Zukunft - ist es das?", fragte sie fröhlich. "So wie Wells und die anderen früher geschrieben haben?"
"Irgendwie schon", gab Winchester zu. "Aber das, was du gelesen hast, ist keine Hilfe. Draußen sind nur Wälder, und keine Menschen, die ich sehen kann. Vielleicht hat der Krieg die ganze Welt weggespült und nur wir sind übrig geblieben."
"Du meinst, ein weiteres Adam und Eva?", fragte sie spitzbübisch.
Der Amerikaner wurde rot.
"Nun, nein", stammelte er. "Das habe ich eigentlich nicht gemeint." Er zerzauste sein Haar und starrte auf den Boden.
Er fühlte sich ein wenig überfordert. Er suchte nach einer angemessenen Erwiderung, denn sie schien trotz der bedeutsamen Nachricht, die er ihr überbracht hatte, gut gelaunt zu sein.
"Ich denke allerdings", sagte er mit einem Schluck, "dass es an der Zeit ist, dass ich deinen Namen erfahre. Es ist ja nun schon ein Jahrzehnt oder vielleicht ein Jahrhundert, dass wir in dieser...
Erscheint lt. Verlag | 30.4.2023 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Fantasy / Science Fiction ► Science Fiction |
Literatur ► Romane / Erzählungen | |
ISBN-10 | 3-7389-7597-7 / 3738975977 |
ISBN-13 | 978-3-7389-7597-0 / 9783738975970 |
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