Der essentielle Marcel Proust -  Gerhard Willke

Der essentielle Marcel Proust (eBook)

Die 'Recherche' in einem lesbaren Modus
eBook Download: EPUB
2023 | 4. Auflage
284 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7578-6854-3 (ISBN)
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Wer hat nicht schon mal einen Band von Marcel Prousts 'Auf der Suche nach der verlorenen Zeit' in den Händen gehabt, gar zu lesen angefangen, ist aber bei allem Bemühen nicht sehr weit damit gekommen. Das vorliegende Buch soll Lust darauf machen, einen neuen Anlauf zu wagen, um einen der größten und schönsten Romane der Weltliteratur kennenzulernen und zu genießen. Denn die 'Recherche' ist ein köstliches literarisches Vergnügen, eine intellektuelle Herausforderung, ein Entdecker-Abenteuer. Bei der Lektüre taucht man ein in die Zeitgeschichte der Belle Époque bis hin zum Ersten Weltkrieg, man bewegt sich in den Kultursparten Literatur, Theater, Malerei, Musik, Architektur, Mode etc. -- und wird reichlich belohnt beim Verweilen im allzu weiten Feld menschlicher Gefühle und Erfahrungen. Kurz: die 'Recherche' ist ein Bildungsroman. Um die Lektüre dieses 'ozeanischen Romans' (Ingeborg Bachmann) zu erleichtern, habe ich meine Leseerfahrungen und meine Sicht auf Prousts Hauptwerk in 28 'Aufzügen' und in einer Vielzahl von 'Bildern' zusammengefasst -- und damit in eine Form gebracht, die zum einen lesbar und zu bewältigen ist, zum anderen aber auch dazu verführen soll, sich so gerüstet und zu gegebener Zeit dem originalen Text selbst zuzuwenden, der inzwischen in schönen neuen beziehungsweise revidierten Übersetzungen vorliegt. Erstleser sind häufig schon mit dem Beginn des Romans überfordert -- da schläft der Autor nämlich ein. Kaum verwunderlich, dass sogar Leute wie Christian Berkel beim ersten Versuch das Buch im hohen Bogen in die Ecke warfen. Aber er hat dann einen zweiten Versuch unternommen -- und war beglückt. Zu diesem Glück der Proust-Lektüre will das vorliegende Buch hinführen. 'Mein Buch ist ein Gemälde', sagt Proust über seinen Roman. Und in diesem Gemälde ist 'Platz für alle Facetten des Menschlichen -- für Koketterie, für Scham, für Fettnäpfchen, für Grausamkeit, den Wankelmut des Herzens, Aufstiegswillen, Abstiegsangst, Snobismus' (Doris Anselm) -- 'nichts Menschliches ist ihm fremd' (Andreas Platthaus). Ich habe meine zusammenfassenden 'Bilder' gelegentlich mit kurzen Kommentaren und Anmerkungen versehen, die dem besseren Verständnis des Textes und der Lesbarkeit dienen. Immer wieder habe ich auch kurze französische Zitate eingefügt, damit deutlich wird, dass meine Leseerfahrungen im Originaltext verankert sind.

Dr. Gerhard Willke, Jahrgang 1945, lebt in Tübingen, wo er über ein Jahrzehnt lang in einem Proust-Lesekreis engagiert war. Zusammen mit Rudolf Steiert hat er eine öffentliche Lesung der 'Suche nach der verlorenen Zeit' in einem Tübinger Café organisiert. Er war Professor für Wirtschaftspolitik am Europäischen Hochschulinstitut in Florenz und an der Hochschule Nürtingen. Veröffentlichungen zu wirtschafts- und beschäftigungspolitischen Themen bei Campus, Cornelsen und Murmann.

VORWORT


Erwähnt man PROUST und seine SUCHE NACH DER VERLORENEN ZEIT im Kreise lesenden Mitmenschen, dann sagen viele: „Ja, ich hab’ mal damit angefangen, aber ...“ (so auch die Erfahrung des PROUST-Vorlesers Peter Matić). Nicht alle sind so resolut wie Ronya Othmann: „Ich lese Bücher zu Ende. Egal wie sehr sie mich quälen“, – wobei sie aber zugibt, die eine Ausnahme sei eben genau die Recherche gewesen. Nun ist es aber so: Man kann die Recherche tatsächlich zu Ende lesen und dabei sogar zum Glück der PROUST-Lektüre finden.

Mit der hier vorliegenden Hinführung zu PROUST und zu seiner Recherche geht es mir darum, diesen grandiosen Roman der Weltliteratur in einer Form zu präsentieren, die einerseits meine Leseerfahrungen wiederspiegelt, die andererseits aber für interessierte Leserinnen und Leser als ‚Einstieg‘ zu bewältigen ist – gerade auch für solche, die mal damit angefangen haben, aber nicht sehr weit gekommen sind. Das soll den ‚originalen‘ PROUST natürlich nicht ersetzen, sondern im Gegenteil Appetit auf sein mehrtausendseitiges Werk machen.

In den zurückliegenden Jahrzehnten habe ich PROUSTS Recherche mehrmals gelesen – anfangs die Taschenbücher in der Übersetzung von Eva Rechel-Mertens (die jetzt in einer Überarbeitung von Luzius Keller und Sibylla Laemmel vorliegen), dann aber bald die französische Fassung in der schönen, ledergebundenen vierbändigen Pléiade-Ausgabe von Jean-Yves Tadié (mit gelegentlicher Unterstützung durch Rechel-Mertens und das online-LEO-Wörterbuch). Die Zeit, die man mit PROUST verbringt, ist nicht die geringste Dimension der PROUSTSCHEN Zeiten – temps perdu et temps retrouvé. Und wie Andreas Isenschmidt habe ich auch beim wiederholten Lesen die Erfahrung gemacht, dass es an den „besten Stellen jedes Mal vollkommen neu ist“. Überhaupt, so Wolf Lepenies, empfindet wahre Freude an der Literatur nur, „wer sich auf das Wiederlesen versteht.“

Für die liseurs (im Unterschied zu den lecteurs, die halt lesen, sind liseurs die LeserInnen, qui aiment à lire) – für die liseurs also ist die Lektüre der Recherche neben dem köstlichen literarischen Vergnügen vor allem eine intellektuelle Herausforderung, ein Entdecker-Abenteuer. Bei dieser Lektüre taucht man ein in die Zeitgeschichte der Belle Époque bis hin zum Ersten Weltkrieg, man bewegt sich in den Kultursparten Literatur, Theater, Malerei, Musik, Architektur, Mode etc. -- und wird reichlich belohnt beim Verweilen im allzu weiten Feld menschlicher Gefühle und Erfahrungen. Kurz: die Recherche ist ein Bildungsroman. Hinzu kommen „die psychologischen Funde, Neuheiten und Keckheiten des Franzosen, die sind das reine Amusement“, sagt Thomas Mann.

Ich möchte meine Leseerfahrungen und meine Sicht auf PROUSTS Hauptwerk so vermitteln, dass sie zur Lektüre der Recherche hinführen – dass also Lust entsteht, zu diesen Bänden zu greifen, zur Recherche als „einer Schule der Empfindsamkeit“ (Denis Scheck). Meine Version umfasst die (unvermeidlich selektive) Wiedergabe des Romangeschehens und dessen gelegentliche, auf das Nötige beschränkte Kommentierung und Erläuterung.

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„Es ist schön“, meint Detlef Kuhlbrodt, „das Buch anzuschauen, Tee und Madeleines ans Sofa zu stellen, eine angenehme Sitzposition zu suchen und dann noch einmal damit zu beginnen, den sicher größten und vielleicht auch umfangreichsten Roman des 20. Jahrhunderts zu lesen.“ – Natürlich habe ich auch beim ersten Lesen dieses Werks mit den Schultern gezuckt: Was haben die Leute bloß, wie kann man von diesem Roman so schwärmen? Es ist ganz ähnlich wie bei Musikstücken, die man zum ersten Mal hört: Da ‚spricht‘ es noch nicht zu einem – noch fehlt die Erinnerung, wie der Erzähler später sagen wird. Aber wie bei einer kunstvollen Sonate, die man, kaum dass sie beendet ist, gleich noch einmal hören möchte, so ist es am Schluss der Recherche: Dann ist man bereit und suffisamment passionné pour recommencer (Jacques Dubois). Dann wird man damit „anfangen und nie wieder aufhören“ (Andreas Isenschmidt).

Erst bei meiner zweiten und dritten Lektüre habe ich verstanden, was diese anfangs nur hingetupften Töne und Farben enthalten, dass sie ein Bild ergeben, wie bei den von PROUST so geschätzten Impressionisten. „Mein Buch ist ein Gemälde“, sagt der Autor über seinen Roman. Und in diesem Gemälde ist Platz für alle Facetten des Menschlichen – „für Koketterie, für Scham, für Fettnäpfchen, für Grausamkeit, den Wankelmut des Herzens, Aufstiegswillen, Abstiegsangst, Snobismus“ (Doris Anselm) – „nichts Menschliches ist ihm fremd“ (Andreas Platthaus).

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Man muss es wohl so sagen: Ein Leben ohne PROUST ist möglich, aber weithin sinnlos. Darüber hinaus gilt ganz generell: Man muss für PROUST – für diese „15 kg Buch“ (Ronya Othmann) und für das „Ozeanische“ dieses Romans (Ingeborg Bachmann) – bereit sein, um „Zugang zu finden zu diesen besonderen von Kostbarkeiten überquellenden Bänden“ (Jóseph Czapski), zu diesem „phänomenalen Seelenzergliederer“ (Jürgen Kaube). Diese Bereitschaft für einen der bedeutendsten Romanciers und einen der Begründer der literarischen Moderne lässt sich aufbauen – beispielsweise mit dem vorliegenden beiden Bänden. Wenn man dann dafür bereit ist, besteht die Chance, bei diesem Autor und seinem „unbändigen Glücksverlangen“ (Adorno) – das eigene Leseglück zu finden.

Um den unendlichen Strom der PROUSTSCHEN Erinnerungen, in denen das Vergangene, seine vie d’autrefois, gegenwärtig wird, – um dieses erinnerte Leben einigermaßen zu gliedern, zu interpunktieren, fasse ich das Geschehen in einzelnen Aufzügen und Bildern zusammen. Ein ‚Bild‘ umfasst in der Regel das, was Susan Suleiman „a narrative sequence“ nennt. Diese Art der Interpunktion erscheint angezeigt, weil „each episode in Proust’s immense novel is a separate and to some degree detachable anecdote, event, or little narrative” (Joseph H. Miller). Zugegeben, das steht in einem gewissen Gegensatz zu PROUSTS ursprünglicher Absicht, seinen Roman in einem einzigen Band herauszubringen, dazu noch ohne Zwischentitel und Überschriften. Doch das war die Idee, bevor der Roman auf sieben Bände angewachsen war.

Natürlich müssen in einer zusammenfassenden Darstellung der eigenen Leseerfahrungen sehr viele auch schöne Passagen und ganze Episoden notgedrungen übersprungen, ausgelassen werden – à la rigueur. Es handelt sich hier also um eine subjektive Auswahl dessen, was sich vom gelesenen Text sinnvoll in ein ‚Bild‘ einbringen und gegebenenfalls sichtbar machen lässt.

[Meine eigenen Kommentare zum Text und zu meinen Leseerfahrungen habe ich durch eckige Klammern und Grauunterlegung kenntlich gemacht. Gelegentlich sind diese Kommentare oder Ergänzungen in einem kurzen ‚Intermezzo‘ zusammengefasst.]

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ProbeleserInnen haben gefragt, warum immer wieder Formulierungen oder halbe Sätze aus dem französischen Original zitiert werden. Das hat den Grund, dass ich meinen récit im Originaltext verankert sehen möchte. Es handelt sich hier nicht um eine freischwebende Interpretation, sondern um meine Leseerfahrungen entlang des PROUST-Textes, wie er in der Pléiade-Ausgabe zu lesen ist. Im Übrigen sind die französischen Textstellen mit ein paar Jahren Schul-Französisch gut zu schaffen (sofern man im Unterricht aufgepasst und nicht nur billets doux geschrieben hat). Auch Fontanes Stechlin ist hier einschlägig, meinte er doch bereits in den 1890er Jahren: „Wer heutzutage nicht drei Sprachen spricht, gehört in die Ecke ...“

Sprache ist für mich ein dreidimensionales Kunstwerk: Neben der eigenen Sprache sind die (Fremd-)Sprachen die zweite Dimension, und die dritte sind die verschiedenen Sprachregister, von der Hochsprache bis zur Gossensprache. Gelegentlich kommt sogar noch eine vierte Dimension dazu, nämlich die Veränderung der Sprache in der Zeit, etwa während des Jahrhunderts zwischen dem Schreiben der Recherche und der heutigen Lektüre. Im folgenden Text nehme ich mir die Freiheit, alle Sprachdimensionen nach Gusto zu verwenden (zumal sie beim Schreiben ohnehin ineinander rinnen). Schließlich war PROUST auch ein Meister darin, „den Ton zu wechseln, vom Provinz- zum Salongespräch“ (Stefan Zweifel), vom Slapstick bis zur Elegie.

Auch die Bilder und Abbildungen im Text haben eine Funktion: PROUST spricht immer wieder von den images – den aus sinnlichen Eindrücken entstandenen Bildern, die er und seine Helden in ihrer Phantasie wunschgerecht konfigurieren, die dann wiederum ihre Realitätswahrnehmungen prägen...

Erscheint lt. Verlag 26.4.2023
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Klassiker / Moderne Klassiker
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Kommentierung • Leseerfahrungen • Marcel Proust • mit Abbildungen • Recherche
ISBN-10 3-7578-6854-4 / 3757868544
ISBN-13 978-3-7578-6854-3 / 9783757868543
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