Dreizehnfurcht (eBook)

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2023 | 1. Auflage
448 Seiten
Klett-Cotta (Verlag)
978-3-608-12194-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Dreizehnfurcht -  Wieland Freund
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In Dreizehneichen gehen die Uhren buchstäblich anders... Momme Bang hat panische Angst vor der Zahl 13. Dann wird er ausgerechnet in einen verborgenen 13. Bezirk Berlins gelotst und landet in einer merkwürdigen Zeit, in der alle Errungenschaften der Moderne abgelehnt werden. Doch hinter der traditionalistischen Fassade dieses bizarren in der Zeit eingefrorenen Berliner Stadtteils tobt ein Machtkampf, und Momme findet sich im Zentrum einer Verschwörung wieder ... Ein verlassenes Gästehaus ist seine letzte Chance: Auf der Flucht vor seinen krankhaften Zwängen kommt Momme in dem Gemäuer als Haushüter unter. Seiner Angst vor der 13 aber entkommt er nicht: Momme entdeckt ein 13. Zimmer, das es angeblich nicht gibt. Auch scheint im Haus das Gespenst einer weißen Frau umzugehen. Auf ihrer Spur gelangt Momme in einen geheimen Stadtteil Berlins, der das Gegenteil der modernen Metropole ist: Elektrizität ist dort verboten, gegen den Fortschritt hat man die Rückkehr zu einer ewigen Wahrheit gestellt. Mommes Eindringen aber bringt die Verhältnisse ins Rutschen. Oberst Secundus Falke etwa, der den Fall Bang untersucht, spielt ebenso ein doppeltes Spiel wie ein gewisser Hinckeldey, der die radikale »Legion des Heiligen Uriel« befehligt. Und das Schicksal des Mannes, der Momme eingeschleust hat, scheint eng verknüpft mit dem Widerstand einer Organisation namens »Die Schwestern«. Bald geht es um Leben und Tod.

Wieland Freund, geboren 1969, hat bisher für Kinder und Jugendliche geschrieben. Seine fantastischen Romane, darunter Krakonos und Die unwahrscheinliche Reise des Jonas Nichts, wurden mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, seine Geschichten um Törtel wurden für das ZDF verfilmt. Mit Rodrigo Raubein und Knirps, sein Knappe hat er zuletzt ein Fragment Michael Endes vollendet. Der Autor lebt in Berlin.

Wieland Freund, geboren 1969, hat bisher für Kinder und Jugendliche geschrieben. Seine fantastischen Romane, darunter Krakonos und Die unwahrscheinliche Reise des Jonas Nichts, wurden mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, seine Geschichten um Törtel wurden für das ZDF verfilmt. Mit Rodrigo Raubein und Knirps, sein Knappe hat er zuletzt ein Fragment Michael Endes vollendet. Der Autor lebt in Berlin.

I Post für Moritz Bang


Momme war kein Zahlenmystiker. Der Poststempel war nicht das Problem. Ein 11. September konnte ihm nichts anhaben. Zwei Tage später, und er hätte den Brief nicht aufgemacht, sondern mit spitzen Fingern zur Papiertonne getragen und sich dabei dreimal an die Schläfe geklopft. Dreimal und dann noch dreimal, weil doppelt besser hält, und schließlich dreimal zum Dritten, weil er es die ersten beiden Male nicht richtig gemacht hätte. Die Klopfer wären wieder nicht deutlich genug voneinander abgesetzt gewesen, was ständig passierte, weil Momme ja nicht wollte, dass ihn jemand beim Klopfen erwischte. In seiner Vorstellung sah er wie ein Psycho aus, wenn er klopfte, weshalb er jedes Mal so tat, als würde er sich kratzen, was vollkommen psycho war.

Momme wusste das: Moritz Bang hatte einen Knall und der Knall war im letzten Jahr so schlimm geworden, dass dieser Brief seinen letzten, unwahrscheinlichen Ausweg bedeutete. Die Räumungsklage etwa war mit Poststempel 13. Juli bei ihm eingetroffen, geöffnet hatte Momme also erst das Versäumnisurteil, in dem unter anderem stand, dass man auf eine Räumungsklage antworten musste.

Er wog das Kuvert in den Händen. Poststempel 11. September, die Marke zeigte ein romantisches Gemälde, einen einsamen Baum. Adressiert war der Brief handschriftlich, in Tinte und Großbuchstaben, alles genauso wie beim ersten Mal. Dickes Papier – Momme fielen Begriffe wie Bütten oder handgeschöpft ein –, der Absender auf der Rückseite kryptisch: kein Stempel, kein Logo, keine Adresse, bloß SCHWANSTEIN GMBH in den gleichen tintensatten Versalien.

Momme hatte nicht mit einem zweiten Schreiben gerechnet. Die Schwanstein GmbH war kein Rechnungssteller, der einen mit jedem automatisierten Schreiben weiter in die Enge trieb. Die Schwanstein GmbH war eine Chance, die Momme eigentlich schon vertan hatte. Warum schrieben sie ihm zum zweiten Mal? Um ihn zu beschimpfen? Um ihm zum Tod seiner Großmutter zu kondolieren, die er nach ihrem Tod wenigstens noch ein Dutzend Mal beerdigt hatte, weshalb er den Termin zu seinem großen Bedauern leider nicht …? Hatten sie seine fadenscheinige, unoriginelle Ausrede durchschaut und rieten ihm, einen Psychotherapeuten aufzusuchen? Vorstellungstermine an einem 13. waren ausgeschlossen. Vorstellungstermine um 13 Uhr auch. Vorstellungstermine an einem 13. um 13 Uhr waren der blanke Horror, wenn man bloß daran dachte.

Momme sah sich im dunklen Hausflur um, einmal zur schmierigen Treppe, dann zur altersschwachen Tür, und klopfte sich dreimal an die Schläfe, um die Erinnerung zu neutralisieren. Ihm war der kalte Schweiß ausgebrochen, als er den ersten Brief geöffnet hatte. Dann war die Verzweiflung in ihm aufgestiegen wie Wasser in einem geschlossenen Raum. Er hatte an dem kaffeefleckigen Resopaltisch in der winzigen Küche gesessen – Kaffee war mittlerweile aus, zu teuer – und den Brief fallen lassen, als stünde das dicke Papier – Bütten, handgeschöpft – in Flammen.

Kommen Sie bitte am 13. September um 13 Uhr zum Objekt, um sich vorzustellen. Wir freuen uns darauf, Sie kennenzulernen.

Veil Wallasch, Schwanstein GmbH

Eigentlich war das ein Fall für die Papiertonne, aber Momme hatte dagegen angeklopft, in seiner Küche sah ihn ja niemand. Dann hatte er sich unter heftigen Anfeindungen seines Zwangs einen Tee gekocht. Die doppelte 13 hatte einen Sturm entfacht. Er zählte bis 120, während das Wasser in den Wasserkocher lief, und kippte das Wasser trotzdem in den Ausguss, weil er beim ersten Mal geschummelt und in Zehnerschritten gezählt hatte. 120 war die stärkere drei; 120 Jahre alt zu werden, das war quasi das ewige Leben, in dem einem 120 Jahre lang nichts wirklich Schlimmes, also zumindest nichts Tödliches widerfahren war. Dann spülte Momme die einzige Tasse aus, die sicher kein Unglück brachte – die mit dem Bild von Ferkel aus dem Hundertmorgenwald –, und schließlich versagte er sich den Tee, den er mochte – Neun Kräuter, drei mal drei –, und kramte einen der alten staubigen Salbeiteebeutel hervor, denn sich etwas zu versagen half eigentlich fast immer, in diesem Fall allerdings nur bedingt, weil er sich plötzlich nicht mehr sicher war, dass er auch wirklich den ersten Salbeiteebeutel gegriffen hatte, der ihm in die Finger gekommen war.

Eigentlich war es ein ehernes Gesetz, immer bei der ersten Entscheidung zu bleiben. So schlug man den Zwang mit seinen eigenen Mitteln. In schlimmen Momenten aber wendete der Zwang auch dieses Gesetz gegen Momme, sodass Momme kein Ausweg mehr blieb: Der Salbeiteebeutel in seiner Hand hätte ebenso gut der erste, also ungefährliche, wie der zweite, also gefährliche, sein können: Momme konnte es einfach nicht mehr sagen und musste auf den Tee verzichten. Er hatte die Ferkel-Tasse zurück in den Schrank gestellt und dann so ausdauernd wie lange nicht mehr geklopft. 120 mal dreimal, sicher war sicher.

Er konnte den zweiten Brief unmöglich im Hausflur öffnen. Hier kam alle Nase lang jemand vorbei. Das Ganze war zu wichtig – oder würde sich als viel zu schrecklich erweisen –, um dabei Zuschauer zu riskieren. Momme würde sich in aller Ruhe an den Resopaltisch setzen. Er würde durchatmen und sich wappnen, auch wenn der Brief wahrscheinlich nur eine höhnische Absage war.

Momme schloss den Briefkasten ab – auch diesen Schlüssel würde er bald abgeben müssen – und schlurfte Richtung Treppe. Der Flur war schwarz und schmutzigweiß gefliest, aber davon wollte sein Zwang nichts wissen; eine Fuge war kein Rubikon.

Die Treppe stöhnte wie immer. Die 13. Stufe ließ Momme, sich an die Schläfe klopfend, aus.

Worüber er nicht hinweggekommen war: Telefonnummern, in deren Abfolge sich eine 13 verbarg, selbst bei der automatischen Anwahl im Call-Center – leider hatte das Telefon dort ein Display. Hausnummern – das Abenteuer als Fahrradbote hatte nur einen einzigen Tag gewährt, obwohl Momme die Sendungsnummern wohlwissend ignoriert hatte. Die Kaffeebar in Treptow – Momme hatte an der Kasse gestanden, die Getränke, Sandwiches oder Kuchenstücke auf den Tabletts addiert und so lange es ging Beträge wie 13,80 kassiert – es ging nicht lange. Das Jobcenter war danach ein einziger langer Spießrutenlauf: Wartenummern, Zimmernummern, Kundennummern – nur bei den Sprechzeiten hatte es nie ein Problem gegeben, einer dort streng eingehaltenen Mittagspause sei Dank. Um 13 Uhr empfing einen dort niemand.

Geld war jedenfalls nie geflossen, in die Krankenkasse zahlte Momme auch nicht ein, er hatte nicht mal mehr Internetzugang oder auch nur ein Handy. Aber wenn man Jobs in Berlin googelte, sprang einen gleich auf dem ersten Screen doch nur so etwas wie 21 113 Stellenangebote an, und also hatte er wieder klopfend in seinem Poäng-Sessel vom Sperrmüll gesessen und den Link nicht angeklickt. Momme führte mittlerweile eine rein analoge Existenz – anders wäre er auch gar nicht auf die gedruckte Anzeige der Schwanstein GmbH gestoßen.

HAUSHÜTER AM STADTRAND GESUCHT. EINWOHNEN BEDINGUNG. VERGÜTUNG VERHANDLUNGSSACHE. AUSSCHLIESSLICH SCHRIFTLICHE BEWERBUNGEN.

Die Adresse, irgendwo draußen in Brandenburg, war auf wunderbare Weise ungefährlich gewesen, und das Fehlen einer E-Mail-Adresse oder Telefonnummer kam ihm zupass. Momme hatte sich handschriftlich beworben.

Es war nicht immer so gewesen. Insgeheim war der Zwang feige. Wie eine Zecke lauerte er im Unterholz des täglichen Lebens. In Phasen der Stärke machte er sich unsichtbar, jahrelang hatte es gereicht, dass Momme bloß beschäftigt gewesen war. Mit Partys, Freunden oder unbedeutenden Verliebtheiten, mit Abiklausuren oder der Idee, nach Berlin zu ziehen, Kreuzberg vielleicht oder besser Friedrichshain – Treptow oder Oberschöneweide hätten ihm damals nichts gesagt.

Es hatte allerdings eine Phase gegeben, als Kind, in der er jede Nacht gebetet hatte, obwohl bei ihm zuhause nicht mal die Großeltern religiös gewesen waren. Momme aber hatte irgendwann angefangen, abends im Bett vor dem Einschlafen das Vaterunser aufzusagen, das einzige Gebet, das er kannte, weil sie es in der Schule gelernt hatten. Erst hatte er es bloß einmal mit geschlossenen Augen und auf der Brust gefalteten Händen vor sich hingemurmelt, nachdem er das Licht ausgemacht hatte, dann hatte er das Licht dreimal an- und ausmachen und...

Erscheint lt. Verlag 16.9.2023
Verlagsort Stuttgart
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Fantasy / Science Fiction Fantasy
Schlagworte 13. Bezirk • Ben Aaronovitch • Berlin • Berliner Stadtteil • Berlin Fantasy • blaues Cover • Blaues Fantasy Cover • Dreizehneichen • Fantasy • Fantasy Buch 2023 • Fantasy Bücher • Fantasyliteratur • geheime Stadt • Geschenk Fantasyleser • magische Stadt • Natasha Pulley • Neil Gaiman • Neue Fantasy 2023 • neverwhere • Niemalsland • Phantastik • Phantastische Literatur • Spiegel Bestseller Autor • TRISKAIDEKAPHOBIE • Uhr auf Cover • Urban Fantasy • Verschwörung • versteckter Stadtteil • Zahlenangst • Zeitgenössische Fantasy
ISBN-10 3-608-12194-3 / 3608121943
ISBN-13 978-3-608-12194-0 / 9783608121940
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