Wir Frauen aus der Villa Hermann (eBook)

Roman

(Autor)

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2023 | 1. Auflage
448 Seiten
Aufbau digital (Verlag)
978-3-8412-3309-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Wir Frauen aus der Villa Hermann - Pia Rosenberger
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Wie die Jeans nach Deutschland kam 

Künzelsau, 1932: Der Holzhandel der Familie Hermann ist bankrott. Luise Hermann steht mit ihren Kindern Erika und Rolf vor dem Nichts. Neue Hoffnung schöpft sie erst, als sie eine Näherei eröffnet. Doch dann kommen die Nazis an die Macht. Erikas Jugendliebe muss fliehen, und ihre beste Freundin Lia zieht es in das kriegsgebeutelte Berlin. Als Erika einen jungen Offizier kennenlernt, ahnt sie weder, dass er ihre große Liebe wird, noch, dass ihnen eines Tages ein blauer Stoff in die Hände fällt, der die Mode in Deutschland revolutionieren wird. 

Inspiriert von wahren Begebenheiten - das Schicksal dreier mutiger Frauen und die Geschichte der ersten deutschen Jeans



Pia Rosenberger wurde in der Nähe von Osnabrück geboren und studierte nach einer Ausbildung zur Handweberin Kunstgeschichte, Literaturwissenschaft und Pädagogik. Seit über 20 Jahren lebt sie mit ihrer Familie in Esslingen und arbeitet als Autorin, Journalistin, Museumspädagogin und Stadtführerin. Im Aufbau Taschenbuch sind bereits ihre Romane »Die Bildhauerin«, »Die Künstlerin der Frauen« und »Colette« erschienen.

1.


Winter 1932

Es war ein bitterkalter Sonntag Ende Februar. Luise Hermann saß in ihrer Bank in der Johanneskirche und wartete sehnsüchtig auf das Ende des Gottesdienstes.

Die beiden Engel unter dem Triumphkreuz sahen auf sie herab, als sei nichts geschehen. Normalerweise kam sie zur Ruhe, wenn sie den Blick auf sie lenkte und den Klängen der Orgel lauschte. Heute aber nicht, und das lag weder an der schlaflosen Nacht, die hinter ihr lag, noch an ihren Füßen, die in ihren abgetragenen Stiefeln langsam zu Eisblöcken erstarrten. Nein, es war das Getuschel, das sich wie Pfeilspitzen in ihren Rücken bohrte.

»Hochmut kommt vor dem Fall.«

In der Bank hinter ihr saßen die Frau des Bürgermeisters und die Apothekerin Auweiler, diese Heuchlerinnen, die ihr nach Heinrichs Tod tränenreich ihr Beileid ausgedrückt hatten. O nein, auch wenn sie es darauf anlegten, Luise würde sich nicht dazu herablassen, sich umzudrehen. Stattdessen seufzte sie und knetete ihre schwarze Kappe in den Händen. Aus der respektablen Bürgerin Luise Hermann war über Nacht eine bettelarme Witwe geworden. Hättest du nur besser gewirtschaftet, Heinrich!, durchfuhr es sie. Aber nein, er konnte nichts dafür. Sein einziger Fehler war, dass er nicht mit ihr gesprochen hatte. Die Weltwirtschaftskrise hatte ihrem Holzhandel in Hohenlohe schon vor Jahren das Genick gebrochen. Heinrich hatte es nur nicht wahrhaben wollen.

Der Gottesdienst war noch lange nicht vorbei. Als Pfarrer Peters auf die Kanzel stieg und predigte, versteckte Luise ein Gähnen hinter der geöffneten Hand. Mochte der Heiland ihr nachsehen, dass sie seine Worte über sich hinwegrinnen fühlte wie Wasser. »Und spräche ich: Finsternis breche über mich herein und Nacht sei das Licht um mich her, so wäre auch die Finsternis nicht finster für dich und die Nacht …« Ihre Gedanken verlangsamten sich, und der Kopf sank ihr auf die Brust. Minuten später rissen sie die mächtigen Klänge der Orgel aus dem Halbschlaf. Es folgten das Vaterunser und ein Choral, dann leerten sich die Reihen in Richtung Ausgang. Du meine Güte, war sie wirklich in der Kirche eingeschlafen?

Sie wollte schon in der Menge verschwinden, als sie Pfarrer Peters in Richtung Sakristei gehen sah. Auch wenn es ihr schwerfiel, sie würde das Gespräch mit ihm nicht länger vor sich herschieben. »Herr Pfarrer, hätten Sie einen Moment Zeit für mich?«

»Was gibt es denn, Luise?« Peters ließ seine blauen Augen auf ihr ruhen. Er war ein schwergewichtiger Mann mit einer goldenen Brille, der seine verbliebenen Haarsträhnen hartnäckig über seine Glatze kämmte. Luise richtete sich auf. Mit ihrer Körpergröße von fast 1,80 Metern überragte sie ihn deutlich; ein Umstand, mit dem viele Männer nicht umgehen konnten. »Ich brauche Ihren Rat.«

»Dann komm.« Er ging ihr voran in den Nebenraum, in dem ein großer Tisch und ein paar Stühle standen. »Setz dich doch, Luisle.«

Nicht viele Leute durften sie so nennen, aber bei Peters, der sie getraut und ihre Kinder getauft hatte, mochte die vertrauliche Anrede angehen. Befangen nahm sie Platz.

Warum nur hatte Heinrich sie alleingelassen? Als ihre Wahl vor gut zehn Jahren auf ihn gefallen war, hatten sie beide nicht ahnen können, dass ihm auf Erden nur so wenig Zeit beschieden war.

»Wie geht es dir denn?«, fragte Dekan Peters mitfühlend. »Kommst du zurecht?«

Er goss ihr Wasser aus einer Karaffe ein. Luise trank durstig. »Die Holzhandlung ist bankrott. Was soll ich tun?«

Nichts war ihr je schwerer gefallen, als das zuzugeben. Aber die Wahrheit musste ans Licht.

»Ich habe davon gehört«, sagte der Pfarrer mitfühlend und faltete seine kräftigen Finger.

Luise schnaubte. Anscheinend war ihre missliche Lage schon Stadtgespräch. »Das Geschäft mit dem Holz läuft schon lange schlecht. Die Preise sind am Boden. Aber wie schlimm es wirklich steht, habe ich erst nach der Beerdigung erfahren.«

Über 200 Leute hatten sich auf dem Friedhof rund um das offene Grab versammelt, beim Leichenschmaus ordentlich zugelangt und ihren Weinkeller leer getrunken. Tage später waren die Forderungen der Gläubiger ins Haus geflattert, und Luise hatte das getan, was Heinrich seit Monaten versäumt hatte. Sie hatte die Stapel ungeöffneter Post auf dem Schreibtisch durchgesehen und sich mit jedem Brief elender gefühlt.

Peters sah sie an. »Und wie kann ich dir helfen, Luise?«

»Ich weiß es nicht.« Plötzlich hatte sie Skrupel, seine Zeit in Anspruch zu nehmen. Sicher wartete die Pfarrersfrau daheim schon mit dem Sonntagsbraten auf ihn.

Peters holte tief Luft. »Hör mir zu, Luise. Ich überschreite meine Kompetenzen, wenn ich mich in Geschäftliches einmische, und ich darf auch keines meiner Pfarrkinder vorziehen, aber mein Rat in dieser Sache ist klar. Du solltest verkaufen.«

Luise schüttelte den Kopf. Tränen traten ihr in die Augen. »Aber ich kann doch nicht Heinrichs Lebenswerk verscherbeln, das einmal die Zukunft meines Sohnes werden soll.«

Ihr Mann hatte sich zum Holzhändler hochgearbeitet. Das Geschäft war sein ganzer Stolz gewesen, und seine Kinder sollten es einmal besser haben als er.

Peters nickte langsam. Sie konnte sein Mitgefühl kaum ertragen. Die stolze Luise, die immer den Kopf so hochtrug, war unter die Bittsteller gegangen.

»Und wenn du dich an Johanna und Rupprecht wendest?«, fragte er.

Sie schüttelte vehement den Kopf. Bis sie ihre Schwester und ihren geizigen Mann um Hilfe bitten würde, musste noch viel Wasser den Kocher hinabfließen. Sie stand auf und glättete ihren Mantel. »Ich sollte jetzt gehen.«

Sie stand schon an der Tür, als Peters sie zurückrief.

»Du bist eine Frau, Luise«, sagte er leise. »Zu viel geschäftlicher Einsatz ziemt sich nicht für dein Geschlecht.«

Sie nickte widerwillig und spürte ein Beben in sich aufsteigen. Ob vor Kälte, vor Enttäuschung oder vor Müdigkeit wusste sie nicht.

»Bleib im Vertrauen auf Gott, Luise.« Peters deutete auf das Kruzifix an der weißen Wand. »Und noch etwas. Ich sage es nur, weil du es sowieso bald erfährst. Der Thalheimer ist drauf und dran, dir ein Angebot zu machen. Er will dir den Holzhandel abkaufen.«

Alfred Thalheimer war ihr größter Konkurrent. Natürlich hatte der Pfarrer von seinen Plänen gehört, denn schließlich traf er sich immer mittwochs mit den Künzelsauer Honoratioren zum Stammtisch, dem gleichen, den auch Heinrich besucht hatte.

»Aber dann bleibt uns nichts mehr«, wandte sie ein. Sie hatte keine Bitte äußern wollen, aber jetzt sprang sie über ihren Schatten. »Könnten Sie für mich eintreten, dass man mir einen kleinen Zahlungsaufschub gewährt? Es muss auch keine Stundung sein. Ich brauche nur etwas Zeit, um wieder auf die Beine zu kommen.«

Peters Hände glätteten seinen schwarzen Talar. »Da ist zu viel Stolz in dir, Luisle. Vielleicht will Gott ja, dass du dich der Demut besinnst, die einer Frau gut zu Gesicht steht.«

»Und dass ich zu Kreuze krieche? Besten Dank!«

Sie schlug die Tür hinter sich zu und blieb schwer atmend im Gang stehen. Es war klar, dass der Künzelsauer Klüngel keine Frau unter sich dulden würde, schon gar nicht als Konkurrentin. Sie musste selbst sehen, wie sie zurechtkam.

Draußen wehte ein so kalter Ostwind, dass sie sich den Mantel zuknöpfte und die Kappe über die Ohren zog. Der Himmel war grau. Am Straßenrand türmte sich der Schnee zu schmutzigen Wällen, und auf den Pfützen knackte das Eis.

Eilig lief Luise nach Hause und blieb in der Austraße für einen kurzen Augenblick vor der geräumigen Villa mit dem Walmdach stehen. Heinrich hatte ihr unbedingt etwas bieten wollen. Das schöne Haus, die Urlaubsreisen nach Österreich und Sylt, der Nerzmantel, das Auto, die Käthe-Kruse-Puppe für Erika, und der Märklin-Baukasten für Rolf. Das alles sollte zeigen, dass er...

Erscheint lt. Verlag 14.11.2023
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Historische Romane
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Bankrott • Berufsbekleidung • Brigitte Riebe • Campinghose • Carmen Korn • Flucht • Jeans • Judenverfolgung • Jugendliebe • Künzelsau • Levi's • L. Hermann Kleiderfabrik • Linda Winterberg • Miriam Georg • Mustang • Mutter-Tochter-Beziehung • Nachkriegsdeutschland • Näherei • Neuanfang • Nietenhose • NS-Deutschland • Schwangerschaft • Sefranek • Starke Frauen • Ulrike Schweikert • Zweiter Weltkrieg
ISBN-10 3-8412-3309-0 / 3841233090
ISBN-13 978-3-8412-3309-7 / 9783841233097
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