Kopfgeld (eBook)

Roman
eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
368 Seiten
Aufbau Verlag
978-3-8412-3323-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Kopfgeld -  Sabine Hofmann
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Die Gefahren einer neuen Zeit.

Juni 1948 im Ruhrgebiet. Das neue Geld soll kommen - die D-Mark. Auch Edith Marheinecke macht sich auf zur Ausgabestelle. Sie ist nun Journalistin und fotografiert die wartenden Menschen, von denen einige in Streit geraten. Einer der Streitenden ist wenig später tot. Konrad Garthner wird vor eine Straßenbahn gestoßen. Als Edith ihre Fotos auswerten will, erlebt sie eine böse Überraschung. Man hat ihr die Kamera gestohlen. Und dann taucht auch noch ein Ex-Geliebter von ihr auf - und interessiert sich sehr für den toten Garthner.



Sabine Hofmann wurde 1964 in Bochum geboren und studierte Romanistik und Germanistik. Gemeinsam mit Rosa Ribas schrieb sie drei Kriminalromane über die Nachkriegszeit im Spanien. Zurzeit fasziniert sie die Beschäftigung mit der deutschen Nachkriegszeit als Bodensatz ihrer Kindheitserinnerungen - der Geschichten und Erlebnisse von Eltern, Großeltern, die ihre eigene Kindheit prägten. Sie lebt mit Mann, Kind und Kater in Erbach im Odenwald.

2


Edith Marheinecke erwachte aus traumlosem Schlaf, schlug die Augen auf und betrachtete den Mann neben ihr. Die Sonne fiel auf seinen hellen Körper zwischen den zerknautschten Laken.

Er hatte sich halb zur Seite gedreht, den einen Arm über dem Kopf angewinkelt, die Hand verschwand im Gewirr der dichten, dunklen Haare. Das Morgenlicht modellierte die sanfte Wölbung der Muskeln unter der Haut und zeichnete Schatten in die Einbuchtungen von Lenden und Achselhöhle. Die rechte Wange ruhte auf dem Laken, die andere Gesichtshälfte wurde von der Sonne ausgeleuchtet: das Profil mit der geraden Nase, im Schlaf leicht geöffnete Lippen, ein Satz dunkler, ewig langer Wimpern, die sacht die linke Wange berührten. Das Gesicht des Schläfers war glatt und ein wenig entrückt, die Instanz, die tagsüber für ein ständiges und bewegtes Mienenspiel sorgte, hatte im Moment Pause.

Der Mann war eine Schönheit, keine Frage.

Behutsam tastete Edith auf dem Nachttisch herum und fand, was sie suchte. Sie richtete sich vorsichtig auf und schob sich am Kopfteil des Bettes hoch, bis sie aufrecht saß.

Ihre Finger arbeiteten geschwind, stellten Blende, Belichtungszeit und Entfernung ein. Sie hob die Kamera vor ihr Auge, rutschte so weit wie möglich von dem Schläfer weg und suchte nach einem Ausschnitt, der die hellen und die verschatteten Seiten seines Körpers ungefähr zu gleichen Teilen zeigte. Kritisch blickte sie durch den Sucher, drehte noch einmal am Objektiv und drückte ab, als sie sicher war, die beste aller möglichen Einstellungen erwischt zu haben. Das satte Klicken sorgte dafür, dass Tristan sich auf den Bauch drehte und weiterschlief.

Oder so tat als ob, dachte Edith.

Sie richtete die Kamera auf die Haut seines Unterarms. Feine Härchen hoben sich ab und ließen die nackte Haut zart und fast verletzlich aussehen. Sie drehte am Objektiv und drückte wieder auf den Auslöser. Diesmal hatte das Klicken zur Folge, dass Tristan die Augen öffnete und sich ihr zuwandte.

»Fotografierst du mich schon wieder?«

Edith ließ die Kamera sinken und lachte leise.

»Ja, sicher.«

»Bekommst du nicht irgendwann genug davon?«

»Nein, niemals«, sagte sie und ließ ihren Zeigefinger über die Haut seines Unterarmes gleiten. Tristan sah ihrem Finger zu, wie er langsam zu seiner Schulter hinaufkroch.

»Du bist verrückt«, erklärte er. Verrückt nach dir, meinst du, dachte sie. Das war sie vermutlich, und Tristan hatte nichts dagegen. Ganz im Gegenteil.

»In einem gewissen Maße, ja«, sagte sie.

»Wann kann ich die Bilder anschauen?«

Edith schaute auf das Zählwerk.

»Bald, der Film ist fast voll.«

Tristan lächelte und streckte träge die Glieder.

»Dann kannst du ja noch einige Aufnahmen von mir machen.«

Er setzte sich auf, strich sich die Haare aus dem Gesicht, öffnete weit die Augen und richtete den Blick auf etwas, das anscheinend weit jenseits der Rosentapete von Ediths Zimmer lag. In seinem Gesicht erschienen Melancholie und unendliches Sehnen.

Tristan war ein Profi, und er wusste, was er tat.

»Hör auf, das Foto gibt es in hundertfacher Ausführung!« Sie machte keine Anstalten, die Kamera erneut zu heben.

»Tatsächlich? Wo denn?«

»Im Programmheft des Schauspielhauses, rund zweihundertmal gedruckt. Es ist dein übliches Gesicht: Tristan Wegener, der junge Held des Ensembles.«

Der Ausdruck auf Tristans Gesicht wechselte von Sehnsucht zu Schmerz.

»Ich bin ein Abklatsch meiner selbst«, verkündete er in Bühnenlautstärke.

Edith hoffte, dass er die übrigen Bewohner der Wohnung nicht geweckt hatte. Fritzi war entgegen ihrer Gewohnheit schon früh aus dem Haus gegangen.

Das Ehepaar Koppitz rumorte üblicherweise zu dieser Zeit in der Küche, da Frau Koppitz ihrem magenkranken Mann Haferschleim kochte, doch heute war es still in der Dreizimmerwohnung. Und es blieb still, als Tristan noch einmal ausrief: »Ein Abklatsch.«

Er sank dramatisch in sich zusammen.

»Sind wir das nicht alle?«, gab Edith zurück. »Irgendein schwacher Abklatsch unseres besseren und schöneren Selbst?«

Nicht so edel, so hilfreich und so gut, wie man es gern hätte, weder so klug noch so schön, sondern im besten Fall ein mittelprächtiges Gemisch.

Tristan verwandelte sich wieder zurück in einen ganz gewöhnlichen Samstagmorgen-Tristan.

»Wahrscheinlich«, stimmte er zu. »Was gibt es zum Frühstück?«

»Brot und Rübenkraut.«

Falls Herr Koppitz noch etwas übrig gelassen hatte. Der zähe, braune Sirup wurde in seinem Pappbecher auch ohne ihr Zutun weniger, da Herr Koppitz sich heimlich daran bediente. Sie hatte ihn einmal ertappt, als er in seiner braunen Samtjacke in der Küche stand, das schlechte Gewissen in seinem Mienenspiel genauso deutlich wie der teerdunkle Fleck des Zuckerrübensirups am Kinn. Sie hatte die Gelegenheit genutzt und von der kaputten Lampe in ihrem Zimmer gesprochen. Einen Tag später hatte sie wieder geleuchtet, denn Herr Koppitz war Chef der Lichttechnik im Theater.

»Keine Butter?«

»Keine Butter. Selbst die Kühe scheinen auf den Tag X zu warten.«

»Begrüßen wir freudig den Tag X«, sagte Tristan und sprang aus dem Bett, als wollte er unverzüglich und höchstpersönlich besagten Tag X in Empfang nehmen. Er schlüpfte in Hemd und Hose.

»Apropos Tag X. Kannst du mir vierzig Mark leihen?«

Edith schüttelte den Kopf.

»Tut mir leid.«

Ihr letztes Geld war in der Kasse des Fotoateliers gelandet. Sie hatte Glück gehabt. Einen guten Fitsch gemacht, wie die Leute hier sagten. Lehmann, der Fotohändler, hatte sich vor einer Woche überreden lassen, ihr Filme zu verkaufen, was weder ihrem Verhandlungsgeschick noch den Bündeln Reichsmark zu verdanken war, die sie auf seiner Ladentheke gestapelt hatte, sondern vielmehr den zwei Päckchen Zigaretten, die am Ende der Verhandlungen dem Geld Gesellschaft geleistet hatten. Zum Schluss war sie mit drei Rollfilmen in der Tasche aus dem Laden spaziert.

»Wirklich nicht? Bist du sicher?«

Edith lachte. Tristan hatte eine komische Verzweiflung auf sein Gesicht gezaubert, die vermutlich seine Unverfrorenheit etwas abmildern sollte.

»Sehr sicher. Bist du sicher, dass du wirklich nichts hast?«

Tristan drehte die Taschen seiner Hose nach außen.

»Nichts. Nada. Niente.«

Er schaute sie mit schief gelegtem Kopf wie ein betrübtes Kind an.

»Dito«, gab Edith zurück.

Sein Blick glitt zu ihrer Tasche, aber er wagte es nicht. Er hob die Hände zum Himmel: »Macht nichts. Bis morgen ist ja noch Zeit. Bis dahin werde ich es noch auftreiben. Mach dir keine Gedanken.«

Edith war weit entfernt davon, sich Gedanken zu machen, zumindest nicht über Tristans Geldprobleme. Für diese fand sich in der Regel rasch eine Lösung. Irgendjemand würde ihm die vierzig Mark für den Umtausch borgen, vielleicht mit bärbeißiger Gutmütigkeit angesichts des stets klammen Tristan, vielleicht voller Hoffnung, eine Portion von dem Leuchten abzubekommen, das ihn zumeist umgab.

Sie stand ebenfalls auf und zog einen rotsamtenen Morgenmantel über, den sie auf dem Schwarzmarkt erstanden hatte.

»Es gab einen regelrechten Ansturm auf die Theaterkarten«, erklärte Tristan einen Moment später, als sie in der Küche der noch halbwegs unversehrten Wohnung saßen.

»Alle wollen ihr altes Geld loswerden«, fuhr er fort. »So viel Andrang hatten wir noch nie. Die Vorstellungen für die nächste Woche sind ausverkauft.«

»Verflixt.«

»Wieso?«, fragte Tristan. »Volle Vorstellungen – « Er brach ab und setzte erneut an. »Volle Vorstellungen sind großartig. Aber – «

»Wenn man damit nichts verdient – «, fiel Edith ein.

»Dann ist es Mist«, vollendete er ihren Satz. »Denn essen muss auch...

Erscheint lt. Verlag 14.11.2023
Reihe/Serie Edith - Eine Frau geht ihren Weg
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte 1948 • Bochum • Bundesrepublik • D-Mark • Edith Marheinecke • historischer Krimi • Journalistin • Neuerscheinung 2023 • Regionalkrimi • Ruhrgebiet • Trümmerland • Währungsreform
ISBN-10 3-8412-3323-6 / 3841233236
ISBN-13 978-3-8412-3323-3 / 9783841233233
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