Die Hoffnung der Nebelkinder (eBook)

Roman

(Autor)

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2023 | 1. Auflage
320 Seiten
Aufbau digital (Verlag)
978-3-8412-3022-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Hoffnung der Nebelkinder - Stefanie Gregg
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Morgen sind wir uns wieder nah.

München, 1985: Als Lilith Robert kennenlernt, weiß sie: Er ist die Liebe ihres Lebens. Doch gezeichnet von den Traumata seiner Kindheit, entgleitet er Lilith immer mehr. Über Jahre verlieren sie sich aus den Augen, bis Robert plötzlich wieder vor ihrer Tür steht. Und mit ihm sein Sohn Aaron. Auch wenn Lilith nie Mutter werden wollte, sieht sie sich plötzlich mit Roberts Bitte konfrontiert, den 13-jährigen Jungen bei sich aufzunehmen. Doch kann sie überhaupt für ein Kind sorgen? Erst als Lilith gemeinsam mit Aaron und Robert eine Reise antritt, versteht sie ihre eigene Vergangenheit ... 

Die berührende Geschichte einer Kriegsenkelin, die aus den Schatten der Vergangenheit heraustritt.



Stefanie Gregg, geboren 1970 in Erlangen, studierte Philosophie, Kunstgeschichte, Germanistik und Theaterwissenschaften, worin sie auch promovierte. Nach Stationen in Medienunternehmen und als Unternehmensberaterin widmet sich die Autorin dem Schreiben. Mit ihrer Familie wohnt sie in der Nähe von München. Im Aufbau Taschenbuch sind ihre Romane »Mein schlimmster schöner Sommer«, »Der Sommer der blauen Nächte«, »Nebelkinder« und »Die Stunde der Nebelkinder« lieferbar.

Kapitel 2


Lilith und Robert,
München 2017

Als es klingelte, drückte Lilith auf den Knopf der Gegensprechanlage. »Hallo?«, fragte sie, doch da klopfte es bereits. Der Postbote stand wohl vor ihrer Tür.

Sie öffnete. Dieser Mann war nicht der Postbote.

Es war Robert, der sie breit anlächelte. Als ob er erst gestern bei ihr gewesen wäre. Als ob sie ihm wie damals, wie immer, um den Hals fallen müsste. Lächelnd und zugleich melancholisch, ein wenig gealtert. Der Intellektuelle, der seine Traurigkeit mit Charme überspielte. Robert, der einzige Mann, der ihr je wirklich etwas bedeutet hatte. Es gab Zeiten, da hatte sie ihn hin und wieder gesehen, dann war er wieder fort. Nun hatte sie ihn schon Jahre nicht mehr getroffen.

Sie war weder in der Lage zu sprechen noch sich zu bewegen. Er unternahm auch keine derartigen Anstalten. Er stand einfach nur da. Mal wieder zurückgekehrt. Als ob er nie verschwunden wäre, nie mehr verschwinden würde.

Der Schrei nach Ja wie nach Nein mischte sich in ihrem Kopf zu einem rasenden Wahnsinn. Wie immer. Sie hasste sich in diesem Moment. Und liebte ihn. Und hasste ihn.

»Darf ich hereinkommen?«

Immerhin, das hatte er noch nie gefragt. Ansonsten war er einfach hineinmarschiert, sie hatte ihm wohl auch stets die Tür geöffnet.

Robert ging an ihr vorbei ins Wohnzimmer und sah sich um in ihrer Welt. Sein Blick glitt über das schicke, grau abgesteppte Sofa, über die lange Bücherwand, über die kleinen Kunstwerke an den Wänden, über den signierten Picasso-Druck, die Horst-Janssen-Zeichnungen beim Esstisch. Die breite Skyline von Manhattan über dem Tresen der offenen Küche. Die Horst Janssens und den Picasso mochte er, da war sie sich sicher. Über den Fotodruck der Skyline hätte er sich normalerweise lustig gemacht. »Einrichtungs-Schnickschnack« oder so etwas hätte er mit einem Mund, der an nur einer Seite in seiner typischen Art spöttisch hochgezogen war, gesagt. Früher. Warum tat er es jetzt nicht? Wollte er sie schonen?

Sie wusste, dass er jedes Detail sofort wahrnahm, in sich aufnahm. Vermutlich wertete. Aha, sie hat es sich schön gemacht. Kulturell hochwertig, mit modernem Schick. Und dann doch der geschwungene Silberleuchter auf der alten Nähmaschine, die als Sideboard diente. Lilith eben.

Sie konnte seine Gedanken hören. Wie damals. Wie lange war es her.

Er setzte sich an den Tisch und barg sein Gesicht in den Händen. Das war neu. Früher hätte er sie einfach geküsst. Und kurz nur hätte es gedauert, bis sie unbekleidet auf dem Boden lagen und Lilith sich stundenlang dem Rausch seiner Hände, seines Körpers hingab. Diesmal sah er nicht nach einem überzeugten Gewinner aus, sondern nach einem verzweifelten Verlierer. Das war neu.

»Kann ich vielleicht eine Tasse Kaffee haben?«

Das war auch neu, zumindest vor dem Sex.

Sie löste sich von der Tür, an der sie immer noch gestanden hatte, schloss sie und ging zur Küchenzeile. Wie in Trance fühlte sie sich. Sie holte eine Tasse, schaltete die Kaffeemaschine an. Sie sah ihn nicht dabei an, konzentrierte sich voll und ganz auf die Handgriffe, die es auszuführen galt. Es waren nicht viele. Milch und Zucker wollte er nicht. Ebenso wenig fragte sie nach, welchen Kaffee er haben wollte. Sie drückte den Espresso-Knopf auf der Maschine und sah zu, wie der dunkle Trank in die Tasse lief.

Sie stellte die kleine Tasse auf den dazugehörigen Unterteller. Kein Zucker, kein Löffel. Als Lilith sie ihm brachte, zögerte sie kurz, dann setzte sie sich zu ihm an den Tisch.

Er fuhr sich mit der Hand durch die Haare. Sie kannte die Geste so gut. Es war weniger Haar geworden. Während seine Finger hindurchglitten, glaubte sie, seine feinen weichen Haare an der eigenen Hand spüren zu können.

Er nahm noch einen Schluck.

»Es scheint dir gut zu gehen«, sagte er.

Ist es wirklich das, was du mir sagen willst, nach all diesen Jahren?, schrie es in ihr. Du fragst nicht, natürlich nicht. Du entschuldigst dich auch nicht, dass du ohne ein Wort gegangen bist. Warum auch? Du bist einfach wieder da. Wie immer. Nur, dass es unendlich lange her ist, seit du gegangen bist. Sieben Jahre ist es diesmal her, dass ich dich gesehen habe, dich getroffen habe, dich geliebt habe.

Sie stand auf, ging zum Küchenschrank, holte sich ein Weinglas, entkorkte den guten Bordeaux, der eigentlich fürs Wochenende gedacht war, goss sich das Glas ein, ging zurück, setzte sich, nahm einen langen Schluck und sah ihm dann direkt in die Augen.

Er lachte. Laut, in der Robert-Art, die sie so liebte. Dann stand er auf, holte sich ebenfalls ein Glas, schenkte sich ein und kam zurück. Er hob das Glas und sagte: »Cheers, Lilith, Göttin der Sumerer.«

Sie streckte ihr Glas in die Höhe und ließ es an seines klingen. Sie hätte es nicht tun sollen. Sie hätte ihn nicht hereinlassen dürfen, ihm keinen Espresso machen sollen. Aber als sie mit ihm anstieß, schien sie verloren.

»Du musst es mir nicht sagen. Ich habe alles falsch gemacht. Mein ganzes Leben ist ein einziger Fehler. Ich bin der größte Idiot auf dieser Erde. Und der größte Scheißkerl. Falls es dir guttut: Ich zahle dafür, mit jeder Minute meines Lebens.«

»Sei nicht theatralisch, Robert, das passt nicht zu dir.«

»Aber du weißt, dass ich es so meine. Und dass es so ist.«

Er trank erst den Espresso aus und danach einen Schluck Wein. Sie sah ihn an.

»Ich bin verheiratet.« Noch ein Schluck Wein.

»Als ob ich das nicht wüsste.« Sie merkte selbst, dass ihre Stimme zwischen Hohn und Wut schwankte. Als ob sie nicht innerlich gestorben wäre, als sie es vor sieben Jahren erfahren hatte. Aber sie wollte jetzt nicht weinen.

»Ich hatte dir einmal eine Rose von Jericho mitgebracht. Das war 1997, als ich zu dir zurückkommen wollte. Aber ein Mann war bei dir.«

Zurückkommen wollte. So wie so oft. Nur um dann wieder zu gehen. »Tobias vermutlich.«

»Deine Jugendliebe aus der Schulzeit?« Sein Mundwinkel zuckte nach oben. Ein Grinsen, das er zu unterdrücken versuchte.

»Ja.«

Er sah sich um. »Jetzt ist er nicht mehr da. Hier wohnt kein Mann«, stellte er fest.

»Robert, was willst du hier?«

»Lilith …« Er brach ab. Das war nicht seine Art.

»Was willst du hier?«

»Mit dir sprechen.«

Was auch immer er geantwortet hätte. Mit dir sprechen, mit dir schlafen, mit dir leben – sie hätte es nicht gewollt und zugleich geliebt, gehasst und nicht geglaubt. Mit dir sprechen also.

»Über was?« Sie merkte selbst, dass ihre Stimme zu milde war.

»Eigentlich würde ich jetzt lieber mit dir schlafen, gemeinsam versinken, so wie immer.«

Bevor sie etwas sagen konnte, hob er die Hand. Dabei hätte sie ihm gern entgegengeschrien, wie unverschämt er sei, dass er es tatsächlich wagte zu sagen, dass er mit ihr schlafen wolle. Früher hatte sie diese Frechheit an ihm geliebt. Jetzt demütigte er sie damit, auch wenn er es nicht so meinte, das wusste sie.

»Entschuldige, Lilith, ich sage das nur, weil es stimmt. Aber ich weiß, dass das nicht denkbar ist. Und ich weiß, wie du zu mir stehst.«

Noch mehr hasste sie es, wenn er sie nicht mal hassen und schreien ließ und selbst dies vorausnahm.

»Entschuldige, Lilith. Ich entschuldige mich für alles, was ich dir angetan habe. Und was ich dir noch antun werde.«

Nun lächelte sie. Und sie war sich fast sicher, als sie es sagte. »Du wirst mir nichts mehr antun können.«

Er sah sie an, als wisse er um das Gegenteil.

Wieder fuhr er sich durch die Haare. Wieder war es ihr, als ob sie seine weichen Haare an ihrer Hand spüren konnte. Dann zog er etwas aus der Tasche seiner Jacke, die er noch immer anhatte. Ein Foto. Er legte es auf den Tisch. ...

Erscheint lt. Verlag 19.9.2023
Reihe/Serie Die Schatten des Krieges
Die Schatten des Krieges
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Historische Romane
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Familiengeschichte • Familienschicksal • Flüchtling • Generationengeschichte • Große Liebe • Kriegsenkel • Lilly Bernstein • Missbrauch • München • Nachkriegsdeutschland • Nebelkinder • Studium • Trümmerkind • vererbte Traumata • Ziehkind • Zweiter Weltkrieg
ISBN-10 3-8412-3022-9 / 3841230229
ISBN-13 978-3-8412-3022-5 / 9783841230225
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