An den Ufern meiner Stadt (eBook)

Späte Gedichte
eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
496 Seiten
Verlag Kiepenheuer & Witsch GmbH
978-3-462-31238-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

An den Ufern meiner Stadt -  Peter Härtling
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Peter Härtling war Kinderbuchautor, Romancier, Essayist und Dramatiker. Und in allen Phasen seines Schriftstellerlebens aber schrieb er großartige Gedichte. Mit ihnen begann er sein literarisches Werk, und mit ihnen fand es seinen Abschluss. »An den Ufern meiner Stadt« versammelt erstmals die späten lyrischen Arbeiten Härtlings. Mit siebzehn Jahren veröffentlichte er seinen ersten Gedichtband - darin auch die später oft zitierte Zeile »ein narr wie ich« (gefolgt von den schönen Versen: »narren sind immer gleich / und wunderlich / und immer reich«). Der Narr begegnet uns auch in seinen späten, in seinen Altersgedichten. Hier hat er einen »Totenkopf« - »und einen Zauberspiegel / und einen Bleisoldatenknopf«. Bekannte Motive, Bilder und Stimmungen aus dem überaus reichen und vielgestaltigen Werk ziehen noch einmal auf in diesen späten Texten: mal düster, mal warm und hell, immer aber von beeindruckender sprachlicher Präzision und Schärfe. Seine Gedichte formten für Härtling ein literarisches Tagebuch, das er ohne Unterbrechung sein ganzes Leben über führte. Dieser Band versammelt in sorgsamer Edition sämtliche Gedichte, die von der Jahrtausendwende bis zu seinem Tod im Juli 2017, geschrieben wurden - darunter zahlreiche unveröffentlichte Texte, die erst posthum aufgefunden wurden.

Peter Härtling, geboren 1933 in Chemnitz, gestorben 2017 in Rüsselsheim, arbeitete zunächst als Redakteur bei Zeitungen und Zeitschriften. 1967 wurde er Cheflektor des S. Fischer Verlages in Frankfurt am Main und war dort von 1968 bis 1973 Sprecher der Geschäftsführung. Ab 1974 arbeitete er als freier Schriftsteller. Peter Härtling wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, zuletzt mit dem Hessischen Kulturpreis 2014 und dem Elisabeth-Langgässer-Preis 2015. Das gesamte literarische Werk des Autors ist lieferbar im Verlag Kiepenheuer & Witsch, zuletzt erschien sein Roman »Gedankenspieler« (2018).

Peter Härtling, geboren 1933 in Chemnitz, gestorben 2017 in Rüsselsheim, arbeitete zunächst als Redakteur bei Zeitungen und Zeitschriften. 1967 wurde er Cheflektor des S. Fischer Verlages in Frankfurt am Main und war dort von 1968 bis 1973 Sprecher der Geschäftsführung. Ab 1974 arbeitete er als freier Schriftsteller. Peter Härtling wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, zuletzt mit dem Hessischen Kulturpreis 2014 und dem Elisabeth-Langgässer-Preis 2015. Das gesamte literarische Werk des Autors ist lieferbar im Verlag Kiepenheuer & Witsch, zuletzt erschien sein Roman »Gedankenspieler« (2018).

kommen – gehen – bleiben


I.


Eine Kehre

Geh weg, ruft das Kind

und läuft dir hinterher.

Du folgst seinem Ruf.

Es holt dich ein.

Halt an, sagt das Kind

und erzählt dich zurück.

An den Anfang eines Satzes,

den du eben noch dachtest.

Es atmet eine Weile mit dir,

es raubt dir den Atem.

Es treibt dich ans Ende

des Satzes. Es verspricht

dir ein wortloses Glück.

Komm mir nach, ruft das Kind

und läuft dir voraus.

Veränderung

Kann es ein Spiel sein?

In einem Bild Ghirlandaios

einen Stein verstecken,

zwischen zierlichen Schuhn

und Battistsäumen. Und

die Betrachter auffordern,

eine Seele zu suchen.

Wer wird sie erkennen?

Jener vielleicht, der sich

schon lange in abendlichen

Städten aufhält und

die Finsternis erwartet,

die über die Ränder steigt.

Dort, sagt er, dort

kann ich bleiben

und schiebt den Stein

tiefer ins Bild.

Dauer

Sobald ich das Kind

wiedersehe, das Kind

in dem Zimmer, das, weiß,

vom Licht verschlungen

wird, das Mädchen auf dem

Bettrand sehe, wiedersehe,

die Puppe auf dem Schoß,

verhakt ins Karo des Röckchens,

und das Buch für die

vergessenen Wörter neben sich,

das Mädchen, das nicht mehr

weiß wie ein Kind wartet,

wenn es warten soll,

sobald ich das Kind

wiedersehe, versuche ich

die Wörter zu wecken,

die es verlernte, um zu

bleiben und sicher zu sein

vor dem, was es erwartet.

Innere Bewegung

Kann die Elster den Garten

erobern?

Du sprichst zu wenig

mit ihr.

Übermorgen gibts Krieg,

schreit sie

und rauft sich die Federn.

Dass sie die Nacht

fürchtet,

sollest du wissen;

und den Tag

immer alleine anzettelt,

dem sie droht und

der schnell vergisst.

Gegenbewegung

Dieser Neckar, der umkehrt,

treibt den störrischen Kahn

dort, am Turm, vorüber,

wo die Stimme steht, seither

dieser eine Schrei aus dem Fenster;

wo die gelehrten Schatten,

aus allen Fragen entlassen,

in die Nacht aufgehen;

wo widerstrebende Wellen

die Rinde von den Stämmen

jener Bäume zärtlich schälen,

die sich seit je

im Fluss spiegeln.

Erwartung

Endlich der gläserne Himmel,

Winterhimmel,

der die Nacht über den

Rest von Licht hebt.

Eine einzige eisige Spannung,

in der Glück sichtbar wird:

Spuren von Bildern, von

Buchstaben, Engelshaaren.

In Erwartung der Sterne.

Zeitgewinn

So unterm Mond,

windig bis in die Knochen,

frei von Nachreden,

dem Morgen abspenstig,

so unterm Mond

treffen sich die Tagdiebe,

um sich auszutauschen,

sich zu tauschen

und die Spur der

gestohlenen Tage

in einem andern Licht

verschwinden zu sehn.

II.


Versuchung

Mal einen Weg, der

dir hinterm Horizont

wegläuft oder

schreib ihn –

nur weiter kommst du nicht.

Du übertreibst die Farben,

die ihn säumen, die Schatten

der Bäume, die ihn

zurechtweisen.

Noch traust du dir

den Gang nicht zu.

Du könntest aber,

wenn die Wörter, die Farben

verbraucht sind,

dich auf den Weg begeben,

und dort, wo die Farben,

die Wörter enden,

auf den Himmel treten.

Florentinischer Augenblick

Du könntest hinuntergehn

in die aufgeschichtete Stadt

und den Heiligen die Mäntel

stehlen. Am Abend könntest

du sie ausbreiten auf den

warmen durstigen Hügeln,

ihre Säume auftrennen, nach

einander, und die Reste

freilassen: die ganze Saumseligkeit

aus Wörtern, gestirnten Silben –

bereit für ein Amen

und untauglich für den Tag.

Auf Probe

Du lauschst an der Tür,

das Ohr am Holz,

lauschst einer vergangenen

Geschichte

und versiegelst sie mit Scham:

Hinter der Tür

erzählt die Liebe.

Nur noch von sich.

Aber du wolltest dich

hören und sie

wolltest du hören.

Und danach erst das alte Lied.

Danach

Orpheus, zerfallen in Asche.

Danach ist danach.

Dies eine Lied, das er konnte,

gerann zur Spur

im schwarzen Staub.

Feuer sprang vor ihr Bild.

Er hat, fiel ihm ein,

bevor er fiel, stumm sein

wollen. Aber das Lied, das eine,

mit dem er sich hörte,

verriet ihn.

Fragen

In Gedanken ein Zimmer

betreten, das du in Gedanken

verließest. Wer hat

es umgeräumt und wessen

Atem stockt in ihm?

Staub hat Buchstaben

auf die Tischplatte

geschrieben. Du mühst

dich umsonst, sie zu lesen.

Du hörst auch den Rest

einer Stimme – deiner?

Könnte es ein Lied

werden, sein Anfang?

Was erinnerst du und

wer erinnert dich?

Wer ist es, fragst du nach,

der sich verließ?

Wer blieb?

Wechsel

Dieser Ausschnitt Nacht, meiner,

in wechselnden Fenstern.

Tintig und beschwert von Schatten

oder mit springenden Lichtern.

Immer ohne Himmel und Erde:

ein Gelände für unausgesprochene

Wörter, angeredet und blind,

keine Vorbereitung auf den Schlaf,

eher der Ansatz für eine Hymne,

die dem Vergessen widersteht

vor dem schönen Wechsel der Finsternis.

Verdoppelung

Wieder der Fremde

die Nacht geöffnet,

dem lautlosen Körper,

auch einem Streifen Licht

am Rand der Erwartung.

Er bewegt sich mit...

Erscheint lt. Verlag 2.11.2023
Verlagsort Köln
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Lyrik / Dramatik Lyrik / Gedichte
Schlagworte Dichtung • Die Mörsinger Pappel • Ein Balkon aus Papier • ein Narr wie ich • Gedichtband • Literarisches Tagebuch • Lyrik • Posthum erschienen • Sammlung • unveröffentliche Texte
ISBN-10 3-462-31238-3 / 3462312383
ISBN-13 978-3-462-31238-6 / 9783462312386
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