Der Hund, der nur Englisch sprach (eBook)

Roman
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2023 | 1. Auflage
320 Seiten
Verlag Kiepenheuer & Witsch GmbH
978-3-462-31207-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Der Hund, der nur Englisch sprach -  Linus Reichlin
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Linus Reichlin liefert in seinem Roman ein grandioses Vexierspiel über die Grenzen unserer Wirklichkeitswahrnehmung. Die Begegnung mit einem Hund wird zum Auslöser eines turbulenten Abenteuers zwischen Einbildung und Realität. Extrem schräg und mit hohem Suchtfaktor. Felix Sell hat eine eher pragmatische Sicht aufs Älterwerden. Wenn er sich ein neues Bücherregal kauft, schätzt er zum Beispiel vorher ein, ob das Preis-Leistungs-Lebenserwartungs-Verhältnis gewahrt ist. Und wenn er in seiner Plattensammlung auf einen uralten LSD-Trip stößt, probiert er ihn natürlich aus, er hat schließlich nichts zu verlieren.  Doch als kurz darauf ein kleiner Hund vor seiner Tür steht und fluchend reinkommen will, gerät Felix Sells entspannte Perspektive auf das Dasein ins Wanken. Denn bevor er herausfinden kann, ob der englisch sprechende Hund real oder eine Erfindung seines frisch berauschten (oder zu alten?) Gehirns ist, dringen zwei (offenbar echte?) Verfolger in seine Wohnung ein.  Felix bleibt nichts übrig, als erstmal das Naheliegende zu tun: den Hund in Sicherheit bringen und Indizien dafür sammeln, ob er existiert oder nicht. Was er nicht ahnt: Dies ist der Anfang eines Geschehens, das ihn für immer aus seinem festgefahrenen (Rest-)Leben beamen wird.

Linus Reichlin, geboren 1957, lebt als freier Schriftsteller in Berlin. Für sein Debüt Die Sehnsucht der Atome erhielt er 2009 den Deutschen Krimipreis. Der Roman Der Assistent der Sterne wurde zum 'Wissenschaftsbuch des Jahres 2010 (Sparte Unterhaltung)' gewählt. Es folgten die Romane Das Leuchten in der Ferne (2012), In einem anderen Leben (2014), Keiths Probleme im Jenseits (2019) und zuletzt Señor Herreras blühende Intuition (2021). 

Linus Reichlin, geboren 1957, lebt als freier Schriftsteller in Berlin. Für sein Debüt Die Sehnsucht der Atome erhielt er 2009 den Deutschen Krimipreis. Der Roman Der Assistent der Sterne wurde zum "Wissenschaftsbuch des Jahres 2010 (Sparte Unterhaltung)" gewählt. Es folgten die Romane Das Leuchten in der Ferne (2012), In einem anderen Leben (2014), Keiths Probleme im Jenseits (2019) und zuletzt Señor Herreras blühende Intuition (2021). 

Inhaltsverzeichnis


Felix liegt also auf dem Sofa, mit geschlossenen Augen. Er ignoriert den eingebildeten Hund einfach. Er hat nicht vor vierundvierzig Jahren 40 Mark bezahlt, um sich mit einem wahnhaften Hund abzugeben, der auf seiner Toilette das Wasser aus der Kloschüssel schlabbert. Das sind genau die Geräusche, die Felix auf dem Sofa hört und ignoriert: ein Tier, das Wasser aus dem Klo säuft. Es ist das typische Schlabbergeräusch langer Zungen.

Felix hört als Nächstes das Tippeln der Hundetätzchen auf den schönen Holzdielen. Dann hört er ein Schütteln von einem Hund, der sich schüttelt, und danach ein Lefz-Geräusch, wenn ein Hund sich mit der Zunge über die ganze Schnauze lefzt. Und als Nächstes hört er den Hund sagen: »I hate to break it to you, but I’m pretty sure those douchebags are pulling in before you can say your last prayer!«

 

Felix hört es, ignoriert es und denkt, komisch, dass ich den oft gar nicht verstehe. Als Felix in Florida war, verstand er natürlich sehr viele Leute manchmal nicht, aber das ist was anderes, die hat er sich ja nicht eingebildet. Diese Leute besitzen ein eigenes Gehirn, in dem englische Redewendungen wie I take a rain check on that gespeichert sind, während dieses Idiom in Felix’ Gehirn nicht gespeichert ist. Dieser Hund aber besitzt kein eigenes Gehirn, er ist ein Produkt von Felix’ Gehirn, und wie kann es nun sein, fragt sich Felix, dass der Hund besser Englisch spricht als er? Felix weiß nicht, was I hate to break it to you heißt, aber der Hund sagt es. Der Hund sagt those douchebags are pulling in, und Felix versteht es nicht.

Es könnte natürlich sein, dass Felix’ Gehirn ein Fantasie-Englisch erfindet, so, wie es ja auch den Hund erfindet. Aber nein, Felix googelt, was der Hund gesagt hat, und die Übersetzungsmaschine erkennt es als richtiges Englisch und übersetzt: »Ich sag’s dir ungern, aber ich bin sicher, dass die Mistkerle hier auftauchen, bevor du einen Furz lassen kannst!«

 

Jetzt stellt sich noch die Frage: welche Mistkerle? Ignorieren, denkt Felix. Aber ein bisschen neugierig ist er schon. Soll er den Hund fragen, nur so spielerisch? Natürlich nicht im Ernst, denn Bonny Feldmann hat ganz recht, man darf sich nicht auf seine Halluzinationen einlassen, sonst geht man ganz schnell im Park einer psychiatrischen Klinik spazieren. Aber wie gesagt, man muss es ja nicht ernst nehmen.

Felix räuspert sich.

»Ähm … these douchebags«, sagt er, »who would that be?«

Der Hund hockt gerade auf Felix’ persischem Teppich und kratzt sich hinter dem Ohr, und ohne damit aufzuhören, sagt er: »You’ll see in a heartbeat.«

Auch das versteht Felix nicht, das heißt, er versteht den Sinn, aber er selber würde das nie so sagen und weiß nicht, was der heartbeat in dem Satz verloren hat. Und jetzt kommt sogar noch ein neurologisches Problem hinzu: Wenn der Hund, den Felix halluziniert, sagt, dass gleich Mistkerle hier auftauchen, und wenn diese Mistkerle dann tatsächlich auftauchen, müssen die ja dann auch Halluzinationen sein. Das ist genau das Problem bei Halluzinationen, auf die man sich einlässt: Sie ziehen Kreise. Eins greift ins andere. Plötzlich siehst du nicht nur den Hund, sondern auch Mistkerle, und was, wenn die sich mit dir versöhnen und dich auf ein Bier in die Kneipe einladen? Nehmen wir mal an, denkt Felix, ich nehme die Einladung an: Ist dann die Kneipe, in die wir uns setzen, real oder nicht? Das ist genau das Problem: Am Schluss sitzt man mit einem imaginierten Bier in der Hand an einer Busstation, und wenn die Polizei kommt, sagt man Ich weiß genau, dass ihr nicht existiert. Ihr seid nur in meinem Kopf!

 

Es klingelt. Oh nein, denkt Felix, darauf falle ich nicht rein! Aber es klingelt erneut. Und jetzt mal ehrlich: Hätte er doch diese verdammten Trips nicht geschluckt! Das ufert ja hier richtig aus und hat überhaupt nichts mit gemütlichem Sehen von bunten Farben und kleinen Sternchen zu tun!

Es klingelt zweimal, dann klopft jemand.

Der Hund rennt aus dem Wohnzimmer.

 

Ja, verschwinde, denkt Felix und wartet. Einerseits ist es ja das Prinzip von halluzinogenen Drogen, dass man die Kontrolle über seine Wahrnehmung verliert. Aber andererseits muss das auch nach Regeln ablaufen, da muss ein Stoppknopf eingebaut sein. Aber das ist Quatsch. Den Stoppknopf wollte damals auch Manfred Göschner drücken, als er nachts im Stadtpark nach der Abifeier einen Trip einwarf und eine halbe Stunde später auf die alte Buche im Park klettern wollte, weil ihm Spinnen auf den Fersen waren. Das wirkliche Prinzip ist eben das Fehlen des Stoppknopfs, und genau genommen ist das im realen Leben ja auch so: Man wird geboren, durchlebt eine Art geregelten Trip voller Wahrnehmungen, die nur deshalb nicht verrückt sind, weil die anderen sie auch haben, und was grundsätzlich auch hier fehlt, ist der Stoppknopf. Jeden Tag möchten Millionen Leute in ihrem ganz normalen Leben den Stoppknopf drücken, weil sie in Situationen hineingeraten, die genauso übel sind wie eine üble Halluzination.

Ich kann also genauso gut, denkt Felix, die Tür öffnen, denn in diesem Moment wird an die Tür von vielen Leuten geklopft, und vor der Tür steht jemand mit einem Küchenmesser oder einem Räumungsbefehl – viel schlimmer, denkt Felix, kann es ja in meiner Halluzination auch nicht sein.

 

Also geht er zur Tür und öffnet, und da steht ein Paar. Ein Mann und eine Frau, sie sind beide sehr modisch angezogen, er in einem blauen Sakko, weiter, gebügelter Hose, sie in einem grünen Sommerkleid aus Seide. Er hat recht lange schwarze, gewellte Haare, die er stark zurückgekämmt hat, sie trägt kurz mit spitzen Schläfenhaaren.

Wenn mich jetzt einer meiner Nachbarn durch den Türspion beobachtet, denkt Felix, sieht er mich, wie ich in der offenen Tür stehe und die Luft angaffe, weil da nämlich keiner ist.

Die Frau sagt: »Guten Abend, Herr Sell.« Der Mann tippt mit dem Finger auf Felix’ Klingelschild, auf dem F. Sell steht.

»Ja, das bin ich«, sagt Felix, und aus irgendeinem Grund kriegt er einen Lachanfall.

Die beiden lassen ihn eine Weile lachen, dann sagt die Frau: »Herr Sell, wir glauben, dass der Hund meiner Mutter …«

Felix kann nicht mehr! Der Hund ihrer Mutter! Das ist so komisch! Was ihm alles einfällt, wenn er halluziniert! Felix lacht so aus ganzem Herzen, dass sogar dem sehr ernst dreinblickenden Mann ein Mundwinkellächeln entfährt.

»Der Hund meiner Mutter«, sagt die Frau und sendet dem Mann einen strafenden Blick, »den sie über alles liebt, ist unserer Kenntnis nach in Ihrer Wohnung.«

»Jaja«, sagt Felix, »das ist … klar. Ist es so ein kleiner Hund mit braunen Flecken? Oder eher ein größerer?« Bonny Feldmann würde sich in seinem indischen Grab umdrehen, wenn er wüsste, wie sehr Felix sich gerade auf seine Halluzinationen einlässt. Aber Felix hat das Gefühl, sowieso bereits über den Jordan zu sein, in einer Welt ohne oben und unten: Der Spaß mit LSD beginnt vielleicht erst, wenn man sich total darauf einlässt.

»Ja«, sagt die Frau, »es ist der mit den braunen Flecken.«

»Darf ich dann bitte eintreten«, sagt der Mann und schiebt Felix beiseite.

 

Ja, gern, denkt Felix, nur hereinspaziert, die sehr verehrten Halluzinationen sind herzlich eingeladen, sich bei mir umzusehen. Felix ist ja schon froh, dass sich seine Halluzinationen einigermaßen an die Regeln der Realität halten und in Gestalt eines schicken Mittelklassepaares auftauchen. Sie könnten ja auch als riesige Spinnen hier herumlaufen – remember Manfred Göschner.

Der Mann betritt ganz ungeniert das Wohnzimmer und schiebt dann die Tür zum Schlafzimmer auf: Er pfeift durch die Zähne und sagt: »Hobo, du kleiner Mistkerl, komm raus, wir gehen zu Mutterchen.«

Mutterchen. Dieses Wort wäre Felix nüchtern nie in den Sinn gekommen. Das LSD scheint sein Englisch zu verbessern und seinen Wortschatz zu vergrößern.

 

Felix setzt sich aufs Sofa, aber könnte er sich nicht eigentlich auch hinlegen, wie er es jetzt tun würde, wenn er allein wäre? Er ist doch allein! Es ist doch keine Frage fehlenden Anstands, wenn man es sich während des Besuchs zweier Halluzinationen bequem macht. Die Frau setzt sich in den Sessel und schaut ihn an, während der Mann in der Küche Lärm macht. Felix denkt, dass die vom LSD betroffenen Teile seines Gehirns offenbar beschlossen haben, die Halluzination A (Mann) die Halluzination B (Hund) nicht finden zu lassen. Ob das wohl alles gewissen psychologischen Spurrinnen folgt, wie Träume auch?

 

Die Frau hebt die Bunte auf und legt sie ordentlich auf den Sofatisch. Sie scheint mit der Ordnung im Wohnzimmer nicht zufrieden zu sein, ihr Blick auf die Schallplatten und Bücher, die vor dem leeren Regel stehen, ist vernichtend.

Der Mann kommt rein, seine Stirn glänzt, er ist in seinem Sakko zu warm angezogen für die Tropennacht. Er sagt: »Verdammt, was soll das! Der Mistkerl muss doch hier irgendwo sein!«

»Nenn ihn nicht Mistkerl!«, sagt die Frau. »Das würde meine Mutter sehr kränken.« Diesen Satz sagt sie zu Felix. »Herr Sell«, sagt sie, »können Sie sich vorstellen, dass ein Hund für jemanden zur einzigen Freude im Leben wird? Wenn Sie krank sind, wenn Sie betagt sind, wenn Sie niemanden sonst haben?«

»Ihre Mutter?«, fragt Felix und streckt sich nun bequem auf dem Sofa aus, streift die Schuhe ab. Er sieht an der Decke einen Streifen...

Erscheint lt. Verlag 17.8.2023
Verlagsort Köln
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Drogen-Rausch • Humor • Hund • Lebens-Philosophie • Linus Reichlin • LSD • Satire • sprechender Hund • Welt-Wahrnehmung • Wirklichkeit
ISBN-10 3-462-31207-3 / 3462312073
ISBN-13 978-3-462-31207-2 / 9783462312072
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