Wo Milch und Honig fließen (eBook)

Roman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2024
272 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-491816-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Wo Milch und Honig fließen -  C Pam Zhang
Systemvoraussetzungen
19,99 inkl. MwSt
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen
Eat the Rich. Aber wen fressen die Reichen? Und ist leidenschaftlicher Genuss verwerflich in einer sterbenden Welt ohne Zukunft?
C Pam Zhang erzählt in ihrem neuen Roman »Wo Milch und Honig fließen« von einer jungen Köchin, die ihrer Verlorenheit durch einen Job in einer dekadenten Kolonie auf einem Berggipfel entflieht. All das Verschwundene existiert hier noch: die frischesten Erdbeeren, Gemüse, richtige Butter, das Fleisch längst ausgestorbener Tierarten - und das Verlangen einer anderen Frau. Sie begegnet einem neuen Leben, Privilegien, brutalem Luxus - aber vor allem dem Kampf um Macht, Identität und Zeit. Denn letztlich geht es nur um eines: Fressen oder gefressen werden?

Ein ungeheuer sinnlicher Roman über Verlangen und Täuschung, der direkt ins Herz unserer gegenwärtigen Zukunftslosigkeit trifft. Mit wilder Freiheit schreibt C Pam Zhang vom Schlimmsten - um es todesmutig in größte Schönheit zu verwandeln.

C Pam Zhang wurde 1990 in Peking geboren, ist aber hauptsächlich ein Kind der Vereinigten Staaten. Ihre Literatur erschien u.a. in »Harper's Bazaar«, in der »New York Times« und im »New Yorker«, ihr Debütroman »Wie viel von diesen Hügeln ist Gold« war ein internationaler Bestseller und stand u.a. auf der Longlist des Booker Prize. Zhang wurde mit zahlreichen Stipendien ausgezeichnet.

Eva Regul, geboren 1974 in Kiel, studierte Literaturwissenschaft in Berlin und lebte anschließend in London. Nach ersten Übersetzungen während des Studiums arbeitete sie mehrere Jahre als Untertitlerin. 2019 kehrte sie in die Welt der Bücher zurück und überträgt seither Literatur aus dem britischen und amerikanischen Englisch ins Deutsche.

Der neue Roman der internationalen Bestseller-Autorin. Elektrisierend, revolutionär, sinnlich.

»Zhang schreibt so sinnlich über Essen, über Lust und menschliches Versagen, dass man es bis tief in die Eingeweide spürt. Ein ungeheuerliches Buch darüber, wie Menschen zerbrechen, wenn die Welt zerbricht. Ganz und gar außergewöhnlich.« Roxane Gay

»Scharfsinnig und sinnlich.« Raven Leilani

»C Pam Zhang ist eine furchtlose Autorin.« Garth Greenwell

»Nur ganz selten liest man ein Buch, das so einzigartig ist. Voll wilder Fantasie und so eindringlich erzählt.« Gabrielle Zevin

»Eine verblüffende Hymne an Essen und Sex, Liebe und Gewalt, Macht und Widerstand.« The Guardian

EINS


Ich floh in das Land, weil ich überallhin gegangen wäre, alles getan hätte für einen letzten Bissen Grün, der bitter genug war, um die dünne Haut meines Lebens zu durchstechen. Ich war neunundzwanzig, ein hungriges, zielloses Gespenst. Seit zehn Jahren hatte ich Kalifornien nicht mehr gesehen, seit drei Jahren keine Erdbeere und kein Blatt Salat mehr geschmeckt. Der Hunger war einfach, der Rest nicht.

Das war der Rest: Ich war Amerikanerin, gestrandet in England, als die USA die Grenzen dichtmachten; ich war Köchin, als dieser Beruf ausstarb. Beide Probleme hatten dieselbe Ursache, nämlich den Smog, der sich von einem Mais-Acker in Iowa ausgebreitet hatte, die Sonne verfinsterte und den Weizen in der kanadischen Prärie ebenso erstickte wie den harten gelben Reis auf den Feldern Perus. Keine duftenden Zitronenbäume mehr an griechischen Hängen, keine Zuckerrohrreihen in Vietnam, keine kleinen, süßen Mangos in Indien. Die Biodiversität ging zurück. Wildtiere und Nutzvieh verhungerten. Während Wissenschaftler über die Zusammensetzung des Smogs stritten und Politiker über die Ursache – Luftverschmutzung oder zu niedrige CO2-Steuern oder China oder Atomtests oder die USA oder Russland –, fraß sich die leicht saure Dunkelheit durchs fruchtbare Land. Amerika stürzte in eine Hungersnot, und ein Ozean versperrte meinen weiteren Berufsweg – der falsche Ozean, der glatte, unfreundliche Atlantik. Jeden Morgen ging ich zum US-Konsulat und hörte: Bald. Jeden Nachmittag taute ich im Restaurant, das mir zu meinem Flüchtlingsvisum verholfen hatte, tiefgekühlten Fisch auf. Mein Leben bestand aus Rauskramen, Braten, Anrichten. Mein Leben bestand aus Warten, Warten, Warten.

Der Tag, an dem ich den Brief aus Kalifornien bekam, war auch der Tag, an dem der Küchenchef Pesto endgültig von der Speisekarte strich. Keine Nüsse und Kerne mehr in der Speisekammer und auch kein Basilikum, nicht mal in Pulverform. Ich hörte ihn kaum. Nahm mir den Umschlag und ging in den Tiefkühlraum, als könnte das Eis mein Verlangen kühlen.

Den Rücken an kalten Stahl gelehnt, zog ich keine Wiedereinreisegenehmigung heraus, sondern eine Rechnung. Im beiliegenden Brief wurde mir mitgeteilt, dass die Wohnung meiner verstorbenen Mutter in Los Angeles abgebrannt war. Bedauerlicher Unglücksfall, schrieb der Rechtsanwalt über die Krawalle, die dazu geführt hatten, und dann: für die Schäden haftbar. Bis ins Detail waren Müllentsorgungsgebühren und Löschkosten und städtische Emissionsstrafen aufgeführt, aber nirgendwo auf der Rechnung stand etwas über die Farbe der Tapete, an die ich mich nicht mehr erinnern konnte. Keine Avocados, keine Erdbeeren, keine Mandeln. Kalifornien war zu einer Lebensmittelwüste geworden, und ich stellte mir vor, wie raspelnder Wind durch zerbrochene Fenster pfiff, trocken und dreckig.

Ich rechnete noch, als die Tür aufging. Es war einer der Postenchefs. Der Boss sagt, die Pause ist vorbei, verkündete er. Du sollst einen Ersatz fürs Pesto machen.

Womit denn?

Der Koch trat auf dem Weg nach draußen gegen einen Mehlsack. Womit du willst, Prinzessin, solange du den Scheiß hier benutzt.

Eine feine, graue Mehlwolke stob auf. Keine Petersilie, kein Salbei, nichts, was irgendwo gewachsen war. Es war Frühling. März. Aber ein falscher Frühling, in dem die Ernte das dritte Jahr in Folge ausbleiben würde. Ob man nun, wie manche es taten, den sauren Smog dafür verantwortlich machte oder Anhydrite oder den Mangel an Sonne und Moral – es lief so oder so auf Grau am Himmel und Grau in der Küche hinaus. Man konnte es schmecken, das Grau. Keine Oliven, keine Wachteln, keine säuerlichen grünen Trauben für Champagner. Ich machte eine Bestandsaufnahme der schwindenden Vorräte im Restaurant: verstaubte Konserven, jahrealter Tiefkühlfisch. Ansonsten nur säckeweise das von der Regierung ausgegebene Mungoprotein-Soja-Algenmehl.

Wir könnten von Glück sagen, dass wir es hatten!, hieß es. Das Mehl war ein Wunderwerk der Ernährungswissenschaft, hergestellt aus Pflanzen, die im Dunkeln wuchsen. Es war Glück, dass der Smog Europa erst nach anderthalb Jahren erreicht hatte, Glück, dass wir der Hungersnot entkommen waren, die Amerika und Südostasien heimgesucht hatte, Glück, dass das Mungoproteinmehl Kalorie für Kalorie billiger war als die zusammengeschusterte Kost vergangener Zeiten. Aber das Mehl war grau und körnig, und das Brot, das man daraus buk, weigerte sich aufzugehen. Ich spreche hier von einer Verfinsterung in meinem neunundzwanzigsten Lebensjahr, von einer Dämmerung, in der ich kaum noch sehen konnte, was vor mir lag, und damit meine ich nicht nur die Luft.

Das Wort Chefköchin hatte seine Bedeutung verloren, genau wie Glück, frisch, bald. Kein Safran, kein Büffelfleisch, kein polierter Rundkornreis. Gerichte verschwanden von Speisekarten wie erloschene Sterne, während in den wenigen Restaurants, die dank staatlicher Unterstützung noch offen waren, eine konservative, nativistische Stimmung um sich griff. Wie die Länder ihre Grenzen für Flüchtlinge schlossen, so verschlossen sie auch ihren Gaumen vor aller Kulinarik außerhalb der eigenen Küche. In England reservierte man die schrumpfenden Vorräte an Tiefkühlfisch für Kipper oder eine graue Version von Fish and Chips – und natürlich für einige wenige entsetzlich teure französische Gerichte, mit denen Restaurantgäste sich zusammen mit saurem Wein die Illusion kaufen konnten, trotz allem noch im Luxus zu leben. Zurück zu trister Sicherheit. Zurück zu seit Jahrhunderten unveränderten Nationalgerichten. Das Verschwinden von Pesto war natürlich keine Überraschung in einer Welt ohne Favas, ohne Milchfisch, ohne Curry Lane in London und Thai Town in L.A., ohne Fusion Food, ohne Tagesgerichte, ohne Trüffel, die sich wie heimliche Geliebte unter ihrer erdigen Decke versteckten. Wir hatten Glück gehabt, sagten die Leute um mich herum. Wir hatten überlebt.

Aber im Halbdunkel des Kühlraums konnte ich mir eine Zukunft für Heilbutt ohne Pesto genauso wenig vorstellen wie die Summe meiner Schulden oder die Farbe eines wolkenlosen Himmels. Ich sah nicht mehr, wofür ich überlebt hatte. Die Briten bewahrten eisern Haltung, aber das war mir fremd; wenn ich in dieser nasskalten Hafenstadt einen Freund hatte, dann war es der Trinker, der im halbleeren Supermarkt hockte und verkündete, dass alles zu Ende ging.

An diesem Tag wusste ich es. Eine Welt war verschwunden. Ich konnte mich verabschieden von dem Menschen, der ich gewesen war, von ihr, die unter der brennenden Sonne Kaliforniens einen Teller Carnitas halb aufgegessen stehen gelassen hatte. Ich vermisste weniger das Fett als vielmehr das überraschende Aroma der Limetten. Als ich noch auf die Trauer wartete, kam der Hunger. Auf Rettich, auf Radicchio, auf bitteres Endiviengrün.

Also kündigte ich in leichtsinniger, unmoralischer, verzweifelter Hoffnung auf den einzigen Job, der möglicherweise Salat versprach. Eine »Spitzenforschungsgemeinschaft« auf irgendeinem Berg an der italienisch-französischen Grenze hatte eine Stelle für eine Privatköchin ausgeschrieben. Die Sache war nicht unumstritten, wie ich nach kurzer Recherche herausfand. Ziel der Forschungsgemeinschaft war die Entwicklung von Nahrungspflanzen, die mit dem Smog zurechtkamen. Alle Entdeckungen sollten der italienischen Regierung zur Verfügung gestellt werden – und da die Kolonie sich über private Investoren finanzierte, hatte die Regierung als ihren Teil des Deals eines der wenigen hochgelegenen Gebiete zur Verfügung gestellt, die noch ab und zu mit Sonnenlicht gesegnet waren. So waren Wissenschaftler, Angestellte, medizinisches Personal, Landarbeiter und so weiter mitsamt den Investoren auf den Berg gezogen, wo man ihnen für ihre ambitionierte Forschung komplett freie Hand ließ. Abgesehen von vierteljährlichen Stippvisiten von Mitarbeitern des italienischen Landwirtschaftsministeriums gab es keine Kontrollen, keine Polizei, keine Kommunikation nach außen oder nach innen: Der Berg verwaltete sich selbst mit diplomatischer Immunität. Das Geschrei im Internet war mörderisch. Eine fette Bestie kann sich ein eigenes Land kaufen!!, lautete einer der automatisch übersetzten Kommentare, den ich erst verstand, als ich eine andere Übersetzung fand: ein reiches Monster.

Für mich zählte nur, dass der Job frisches Obst und Gemüse versprach – der Haken war allerdings, dass es keine Garantie für ein Langzeitvisum gab. Es war eine zehnwöchige Probeanstellung mit Aussicht auf Übernahme. Fristlose Kündigung jederzeit möglich.

Meine Kollegen im Fischrestaurant sorgten sich um meinen Verstand, als ich den Job dort aufgab. Sie erinnerten mich daran, dass sich nach meinem Arbeitsvisum Tausende die Finger leckten.

Ich war mir des Risikos durchaus bewusst. Deshalb schmückte ich meine Bewerbung mit ein paar Lügen aus. Es wurde eine in französischer Küche erfahrene Köchin gesucht, die in der Lage war, mit außergewöhnlichen Zutaten zu arbeiten und exquisite Menüs auf Sterneniveau zu kreieren, also bauschte ich meinen Lebenslauf etwas auf. Ausbildung am Le Cordon Bleu in Paris, Souschef in einem Restaurant mit Michelin-Stern, das schließen musste, nachdem die Besitzerin sich an einer Schnur ihrer eigenen Saucissons erhängt hatte – so konnte niemand meine Behauptung widerlegen. Wenn ich zögerte angesichts meiner Lügen oder angesichts der extremen Isolation, die...

Erscheint lt. Verlag 24.1.2024
Übersetzer Eva Regul
Zusatzinfo mit vier sw-Abbildungen
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Alpen • Anspruchsvolle Literatur • Bertold Brecht • China • Dystopie • Ein Buch von S. Fischer • Essen • Extinction Rebellion • Franz Kafka • Genuss • Gerechtigkeit • Hunger • Italien • Klasse • Klassenkampf • Klima • Klimawandel • Kochen • Liebe • Marie Antoinette • Milliardär • Nahrung • Reichtum • Revolution • Superreiche • The Menu • Triangle of Sadness • Umwelt • USA • Utopie • WIe viel von diesen Hügeln ist Gold • Zukunft
ISBN-10 3-10-491816-3 / 3104918163
ISBN-13 978-3-10-491816-7 / 9783104918167
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
EPUBEPUB (Wasserzeichen)
Größe: 5,3 MB

DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasser­zeichen und ist damit für Sie persona­lisiert. Bei einer missbräuch­lichen Weiter­gabe des eBooks an Dritte ist eine Rück­ver­folgung an die Quelle möglich.

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich
Roman

von T.C. Boyle

eBook Download (2023)
Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG
20,99