Freiheit - Gleichheit - Sinnlichkeit (eBook)

Literatur des Libertinismus in Deutschland
eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
1216 Seiten
Verlag Kiepenheuer & Witsch GmbH
978-3-462-31249-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Freiheit - Gleichheit - Sinnlichkeit -  Markus Bernauer,  Josefine Kitzbichler
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Versteckt, verboten, zensiert: Wo in der Literatur der Goethezeit Freigeisterei, Sinnlichkeit oder gar Sex Erwähnung fanden, war die Zensurschere schnell zur Hand. Und doch gab es eine erstaunliche Menge an libertinen Texten - oft anonym gedruckt, unterm Ladentisch gehandelt: Hier sind sie, lest und staunt!  Ähnlich wie 1968 fand schon im 18. Jahrhundert eine Art Revolution des Denkens und Schreibens statt: Man besann sich auf das Hier und Jetzt (statt aufs Jenseits), man feierte Körper und Dasein, man schwor der Erbsünde ab und dachte »über den Trieb, sich zu gatten« (Johann Reinhold Lenz) nach - oder man beschrieb ihn gar. Freilich meist im Verborgenen, in anonymen Schriften oder - zu Zeiten der Französischen Revolution - in einer Flut von Büchern, die heimlich gehandelt wurden.  Zentren dieser Bewegung waren der freigeistige Hof Friedrichs des Großen, Großstädte (»Du Sodomsort, Du neues Gomorrha«) wie Wien und Berlin und die Schreib­stuben der Dichter, die auf die Unverkrampftheit heid­nisch-antiker Autoren gestoßen waren. Erst mit der Restauration verschwand dieses Schrifttum wieder - um hinfort von der Germanistik ignoriert zu werden. Doch unsere Zeiten sind frei: Und so versammeln diese Bände, was es an libertiner Literatur in Deutschland gab, von obszönen anonymen Romanen wie Schwester Monika bis zu Werken berühmter Autoren wie Heinse, Goethe, Wieland und Lenz.

Im Auftrag der Berliner Akademie der Wissenschaften, finanziert von der Hamburger Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Kultur, forschten Markus Bernauer und Josefine Kitzbichler jahrelang zur bisher vernachlässigten libertinen Literatur Deutschlands, fahndeten nach Texten (manches gibt es nur in Nachlässen oder weltweit nur in wenigen Exemplaren), und edierten viele davon erstmals ungekürzt und unverstellt. Die zweibändige Sammlung Freiheit - Gleichheit - Sinnlichkeit. Literatur des Libertinismus in Deutschland ist das Ergebnis ihrer Arbeit.

Im Auftrag der Berliner Akademie der Wissenschaften, finanziert von der Hamburger Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Kultur, forschten Markus Bernauer und Josefine Kitzbichler jahrelang zur bisher vernachlässigten libertinen Literatur Deutschlands, fahndeten nach Texten (manches gibt es nur in Nachlässen oder weltweit nur in wenigen Exemplaren), und edierten viele davon erstmals ungekürzt und unverstellt. Die zweibändige Sammlung Freiheit - Gleichheit - Sinnlichkeit. Literatur des Libertinismus in Deutschland ist das Ergebnis ihrer Arbeit. Im Auftrag der Berliner Akademie der Wissenschaften, finanziert von der Hamburger Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Kultur, forschten Markus Bernauer und Josefine Kitzbichler jahrelang zur bisher vernachlässigten libertinen Literatur Deutschlands, fahndeten nach Texten (manches gibt es nur in Nachlässen oder weltweit nur in wenigen Exemplaren), und edierten viele davon erstmals ungekürzt und unverstellt. Die zweibändige Sammlung Freiheit - Gleichheit - Sinnlichkeit. Literatur des Libertinismus in Deutschland ist das Ergebnis ihrer Arbeit.

Christoph Martin Wieland


Comische Erzählungen


Cajus Plinius Secundus

an seinen Freund Ariston.

– – – Sie melden mir, daß meine scherzhaften Gedichte der Gegenstand eines weitläuffigen Gesprächs in Ihrem Hause gewesen, und daß sehr ungleiche Urtheile darüber gefällt worden seyen. Selbst diejenigen, (sagen Sie) welche diese Gedichte an sich selbst nicht mißbilligten, konnten doch, aus Freundschaft für mich, nicht gut heissen, daß ich sie gemacht hätte; noch weniger aber, daß ich sie gar öffentlich bekannt werden liesse. Ich werde diesen Freunden eine Antwort geben, die mich in ihren Augen noch strafbarer machen wird: Es ist wahr, ich mache zuweilen Verse, und nicht sehr ernsthafte; ich mache Comödien, ich liebe alle Arten der Schauspiele; ich lese mit Vergnügen die Lyrischen Dichter; ich lese die Satyren-Schreiber, selbst die allerfreyesten, und brauche keinen Ausleger dazu; es giebt Stunden, wo es mir angenehm ist zu lachen, zu scherzen und zu kurzweilen; kurz, und um alle Arten der unschuldigen Ergözungen in einem Worte zusammenzufassen: Ich bin ein Mensch. Es ist sehr schmeichelhaft für mich, wenn diejenigen, denen es unbekannt ist, daß die gelehrtesten, ansehnlichsten und rechtschaffensten Männer dergleichen Dinge geschrieben haben, aus guter Meynung von meinem Character sich verwundern, daß ich dergleichen schreibe. Von denen aber, welche wissen, wie viele und wie grosse Leute ich hierinn zu Vorgängern habe, hoffe ich ohne Mühe zu erhalten, daß sie mich auf meinem Irrweg (wenn es anders einer ist) hinter denjenigen herschlendern lassen, denen nicht nur in ihren ernsthaften Beschäftigungen, sondern auch so gar in ihren Spielen nachzufolgen rühmlich ist; u.s.w.

Im dritten Briefe des fünften Buchs der Briefe des Plinius.

Das Urtheil des Paris.

οὐϰ ἀλλη ϰρατησει, της Αϕροδιτης ἀγωνιζομενης, ἠν μη τι πανυ ὁ διαιτητης ἀμβλυωττη.

Lucian.

An

Herrn Doctor Z*** in B*.

Aus dreyen Reitzenden die Schönste auszuwählen

Fand Aristipp, ein weiser Mann, nicht leicht;

Er gukte lang, und sich an keiner zu verfehlen,

Erwählt er alle drey; unweislich, wie mich däucht.

Der Mann verstand nicht viel von Weiber-Seelen;

Zum mindsten hält sein Grund nicht Stich.

Ein Kenner, ihr, Herr Doctor, oder ich,

Wir hätten uns um Eine doch von Dreyen

Durch unsre Wahl verdient gemacht,

Und in der Freundin Arm der andern Zorn verlacht;

Denn, wie’s der Philosoph gemacht,

Das war das Mittel sich mit allen zu entzweyen.

So hat Prinz Paris einst gedacht,

Als ihm den goldnen Preis der Schönsten zuzusprechen

Ein Götter-Wink zur Pflicht gemacht.

Anstatt den Kopf sich lange zu zerbrechen

Erklärt er sich um eine hübsche Nacht

Für die gefällige Cythere.

Freund Lucian, der Spötter, sagt uns zwar

Von diesem Umstand nichts; doch, war er auch nicht wahr,

So macht er doch dem Witz des Richters Ehre.

Du kennst und liebst wie ich, mein Z***,

Den feinen Schalk, den Spötter Lucian;

Wer bey ihm gähnt, der schnarchte wohl am Busen

Der Venus selbst, und beym Gesang der Musen.

Daß niemand feiner scherzen kan,

Daß er ein schöner Geist, ein Kenner,

Ein Weltmann war, gesteht ihm jeder ein;

Doch wünschen Tillemont und andre wahre Männer

Mit gutem Fug, er möchte frömmer seyn.

Was uns betrift, die gern sokratisch lachen,

Uns dient er oft zum wahren Aesculap;

Er treibt uns manchen Wind und manche Grillen ab,

Und weiß die Kunst mit Lächeln oder Lachen

Uns klüger oft, vergnügter stets zu machen:

Und das ist mehr, gestehs, als Habermann,

Tom von Aquin und Raymund Lullus kan.

Um dich und mich für dißmal zu erbauen,

Erzähl’ ich dir, den Musen, Freund, und mir,

In Reimen ohne Kunst und weitgesuchte Zier,

Den fabelhaften Streit der schönen Götter-Frauen;

Und wenn die Grazien, sie wissen wohl wofür,

Nach Standes-Pflicht, ein wenig dankbar wären,

So würd ich wenigstens mein Urbild nicht entehren.

Noch flammt der Streit, den Eris angeschürt,

Die Fehde, ohne die Fürst Priam unbezwungen,

Achillens Zorn und Hector unbesungen,

Herr Menelas am Vorhaubt ungeziert,

Und seine schöne Frau zu ihrer grössern Ehre

Uns unbekannt geblieben wäre;

Der Zank, der Götter selbst in Hochzeit-Freuden stört,

Und denke nicht um Kleinigkeiten;

Nicht was die Linien im Buch Ye-Kim bedeuten?

Nicht ob diß Flekchen Land das dritthalb Ziegen nährt,

Dem Junker Hans, dem Junker Jörg gehört?

Wie viele Cherubim mit schön vergoldten Schwingen

Durchs Oehr der feinsten Nadel giengen?

Ob dudeldum, ob dudeldey

Der größre Triller-Schläger sey?

Ob Scaramuz, ob Scapin besser tanze?

Dergleichen Fragen trägt, wie Freund Pedrillo spricht,

Die kleinste Mück auf ihrem Schwänze

Wer weiß wie weit – Göttinnen zancken nicht

Wie Philosophen und wie Kinder;

Sie machten wohl um nichts so viel Geschrey!

Mein guter Freund, der Streit betraf nicht minder

Als wer die schönste sey?

Um diesen Preiß kan man zuviel nicht wagen.

Die Damen schreyen nicht allein:

Das Nymphen-Volk aus Flüssen, Meer und Hayn,

Das bey der Hochzeit war, will auch nicht müßig seyn;

Es mischen sich schon auch die Zofen drein,

Man krazt sich schon, es ist ganz nah am Schlagen,

Sie kriegen sich bereits bey ihrem blonden Haar,

Und kurz, sie lärmten dir, daß es ein Elend war:

Als Vater Zevs, in den sie alle dringen

Um ihm den Ausspruch abzuzwingen,

Sich glüklich einer List besann.

Er spricht: Man weiß, daß ich, (als dieser Göttin Mann,

Und jener zwoo Papa,) nicht gültig sprechen kan;

Denn was auch unsre Priester sagen,

Partheylichkeit steht Göttern gar nicht an.

Zum Richter weiß ich euch nur einen vorzuschlagen

Der tauglich ist; er ist von Ilion,

Ein junger Hirt, jedoch ein Königs-Sohn,

Schön wie der Tag, geübt in Fragen

Von dieser Art, trägt (wie die Leute sagen)

In jedem Spiel das Beste stets davon,

Und hat bey Tag und Nacht, auch ohne Sold und Lohn,

Noch keinen Dienst den Damen abgeschlagen:

Kurz, Kinderchen, das ist ein Mann für euch,

Ihr werdet wider ihn nichts einzuwenden haben;

Er ist ein Sterblicher von ungemeinen Gaben;

Doch redet frey, mir gilt es gleich.

Mir auch, (versezt mit stolzen Augen-Brauen

Saturnia) vor mir mag Momus Richter seyn;

Man hat sich, wie mir däucht, vor Tadlern nicht zu scheu’n;

Fragt diese Damen hier – Mir wirds wohl auch nicht grauen,

Spricht lächelnd Cypria, und dreht

Sich einem Spiegel zu, der vor ihr über steht;

Mir kan, hat nur der Richter Herz und Augen,

Ein Hirt soviel als jeder andre taugen.

Minerva schweigt. Und du, spricht drauf der Gott,

Mein Töchterchen, du schweigest und wirst roth?

Doch Jungfern machens so, wenn von dergleichen Sachen

Die Rede ist, ihr Schweigen gilt für ja.

Wohlan, Merkur steht schon gestiefelt da,

Ihr könnt euch auf die Reise machen;

Doch nehmt die Hüte mit, der Tag ist ziemlich heiß,

Und, wie ihr wißt, macht Sonnenschein nicht weiß.

Das Reise-Protocoll, und was sie auf der Strassen

Gesehn, gehört, geschwazt, das will ich dir erlassen.

Man hebt den einen Fuß, man sezt den andern hin,

Und komt, wie Sancho sagt, dabey doch immer weiter;

Auch kürzt den Weg der aufgewekte Sinn

Von ihrem schwebenden Begleiter.

Der ganze Chor der Götter wird

Von Glied zu Glied anatomiert;

Man steigt von da zu Faunen und Najaden;

Selbst von den Grazien die im Cocyt sich...

Erscheint lt. Verlag 5.10.2023
Verlagsort Köln
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Anthologien
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 18. Jahrhundert • Anthologie • erotisch-sinnlich • Freigeist • Friedrich der Große • Goethe-Zeit • Libertine Literatur • Libertinismus • Sinnlichkeit • Wiederentdeckung
ISBN-10 3-462-31249-9 / 3462312499
ISBN-13 978-3-462-31249-2 / 9783462312492
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