Winterpoem 20/21 (eBook)

Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung 2023
eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
119 Seiten
Suhrkamp (Verlag)
978-3-518-77532-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Winterpoem 20/21 -  Maria Stepanova
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Der Ausbruch der Covid-Pandemie setzte im März 2020 einem Aufenthalt Maria Stepanovas im britischen Cambridge ein Ende. Zurück in Russland, verbrachte sie die folgenden Monate in einem Zustand der Erstarrung - die Welt hatte sich vor ihr zurückgezogen, die Zeit war »ertaubt«. Als sie aus diesem Zustand auftauchte, begann sie Ovid zu lesen. Motive fanden zueinander, die lange in ihr gewartet hatten. Wie schon in Der Körper kehrt wieder verwandelt sie historische und aktuelle Kataklysmen in ein ungemein feingliedriges, bewegliches Gebilde aus Rhythmen und Stimmen.

Das Poem, das in einer rauschhaften poetischen Inspiration entstand, spricht vom Winter und vom Krieg, von Verbannung und Exil, von sozialer Isolation und existentieller Verlassenheit. Stepanova findet grandiose Bilder für das Verstummen: wenn etwa Worte, die wir einander zurufen, in der Luft gefrieren und unser Gegenüber nicht mehr erreichen. Das Werk verwebt Liebesbriefe und Reiseberichte, chinesische Verse und dänische Märchen in eine vielstimmige Beschwörung der gefrorenen und langsam auftauenden Zeit.

Maria Stepanova, 1972 in Moskau geboren, ist die international erfolgreichste russische Dichterin der Gegenwart. Für ihr umfangreiches lyrisches und essayistisches Werk wurde sie vielfach ausgezeichnet. Ihr Prosadebüt <em>Nach dem Gedächtnis</em> (2018) wurde in zahlreiche Sprachen übersetzt. Sie lebt zurzeit in Paris.

А зима такая стоит по дворам:

Как дуб

Как сруб

Как храм

Летучие фракции снежного праха

Пикируют кавалеристами

На повинную голову

На самую ее маковку

Пора в зимнюю спячку:

Как труп разъятый в пустыне лежатый

Как остановите-вагоновожатый

Как положено

Лежать, где уложено

Жил был заяц со своей лисицей

У самого синего моря.

Они жили в ветхой землянке,

Потом построили домы:

У лисы стала избушка ледяная,

У зайца, говорят, слюдяная,

Из чистых заячьих слезок,

Из грустной слюны капустной

Жили-жили, никого не ели,

На праздники пускали фейерверки.

*

Dieser Winter draußen – steht

Wie ein Baum

Wie ein Bau

Wie ein Dom

Flüchtige Schneestaubfraktionen

Stoßen im Sturzflug herab

Asche aufs Haupt, berittene Schützen

Zielen direkt auf den Scheitel

Zeit für den Winterschlaf:

Wie im Wüstensand ein zerlegter toter Mann

Wie ein Schaffner-halten-Sie-an

Wie es sein soll

Abgelegt liegen bleiben

Lebte einst ein Hase mit seiner Fuchsfrau

Am blauen Meeresstrand

In einem alten Erdbau

Bis sich was Besseres fand:

Für Frau Fuchs ein Häuschen aus Eis,

Für Herrn Hase eines aus Gneis,

Aus reinen Hasentränchen,

Aus traurig-krautiger Spucke

So lebten sie friedlich, sie fraßen niemand

Und feiertags brannten sie Feuerwerk ab.

*

Видела сон: стол. А на том столе

Не стоял, но лежал прекрасный человек.

И на нем было надето:

одежда серая, соболем опушенная.

Матушка, Всемилостивейшая Государыня!

Марморный мой красавец.

Мой голубчик бесценный и беспримерный.

Право, крупно тебя люблю. Сам смотри.

*

– Ich habe geträumt: ein Tisch. Auf dem Tisch

Lag (nicht: stand) ein bildschöner Mann.

Und er trug:

graue Kleider, mit Zobel gesäumt.

– Teure Mutter, Allergnädigste Herrscherin!

– Mein Schöner, Marmorgleicher.

Mein köstliches, einziges Täubchen.

Ich liebe dich wahrhaft gewaltig. Sieh selbst.

*

Тут-то и все уснуло:

И ветер в трубе, и огонь в очаге,

И боль в голове, и в кране вода.

Тут-то и все застыло:

И парикмахерша в халате после смены,

Вытянув ноги, глаза полузакрыв.

И бездомный в остановившемся трамвае,

И светофор, едва зажегший желтый свет,

И в зимнем воздухе дубинки полицейских,

И небо желтое, подпертое столбами пара,

И люди в шубах шапках автозаках,

И люди, находящиеся по месту жительства

С полупрозрачными домашними растениями,

C неговорящими домашними животными,

С вещами теплыми, с напитками холодными

Мы, переложенные снегом для сохранности,

Как папиросною бумагою картинки,

Вдруг стали стоп.

*

Und da schlief alles ein:

Im Schornstein der Wind, das Feuer im Herd,

Im Kopf das Weh, das Wasser im Hahn.

Und da fror alles ein:

Die Friseurin im Kittel nach Ende der Schicht,

Beine hochgelegt, halb geschlossene Lider.

Der Obdachlose in seiner stehengebliebenen Tram,

Die gerade auf Gelb umspringende Ampel,

In der Winterluft die Schlagstöcke der Polizisten,

...

Erscheint lt. Verlag 17.4.2023
Übersetzer Olga Radetzkaja
Sprache deutsch
Original-Titel Священная зима 20/21 (original Russian title)
Themenwelt Literatur Lyrik / Dramatik Lyrik / Gedichte
Schlagworte aktuelles Buch • Bibliothek Suhrkamp 1547 • BS 1547 • BS1547 • bücher neuerscheinungen • chinesische verse • Corona • Covid-19 • Dänische Märchen • epochale Erfahrung • Exil • Gedichte • Gefrierpunkt • Krieg • Liebesbriefe • lockdown • Metaphern • Moderne russische Lyrik • Neuerscheinungen • neues Buch • Ovid • Pandemie • poetische Inspiration • Reiseberichte • Russland • soziale Isolation • Verbannung • Verlassenheit • Verstummen • Winter
ISBN-10 3-518-77532-4 / 3518775324
ISBN-13 978-3-518-77532-5 / 9783518775325
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