Werke (eBook)

Werke 7: Die Stücke 5. Die Übersetzungen

(Autor)

Frank Hörnigk (Herausgeber)

eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
844 Seiten
Suhrkamp Verlag
978-3-518-76104-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Werke - Heiner Müller
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Die hier vorgestellten Übersetzungen bilden einen wichtigen Bestandteil von Heiner Müllers Theaterarbeit.



<p>Heiner Müller, geboren am 9. Januar 1929 in Eppendorf, Sachsen, war einer der wichtigsten deutschsprachigen Dramatiker der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Zudem war er Lyriker, Prosa-Autor und Essayist sowie Präsident der Akademie der Künste Berlin (Ost). Er ist am 30. Dezember 1995 in Berlin verstorben.</p>

Molière

DON JUAN ODER DER STEINERNE GAST

(Originaltitel: »Don Juan ou le Festin de Pierre«)

Komödie

Mitarbeit: Benno Besson

PERSONEN

Don Juan, Sohn des Don Luis

Sganarelle, Don Juans Diener

Elvira, Don Juans Frau

Guzman, Elviras Rittmeister

Don Carlos, Elviras Bruder

Don Alonso, Elviras Bruder

Don Louis, Don Juans Vater

Francisque, ein armer Mann

Charlotte, Bauernmädchen

Mathurine, Bauernmädchen

Pierrot, Bauer

Die Statue des Komtur

La Violette, Don Juans Lakai

Ragotin, Don Juans Lakai

Monsieur Dimanche, Händler

La Ramie, gedungener Mörder

Gefolge des Don Juan

Gefolge von den Brüdern Don Carlos und Don Alonso

Ein Gespenst

Die Handlung ist auf Sizilien.

I

1

Sganarelle, Guzman.

SGANARELLE Was immer Aristoteles sagen mag und die ganze Philosophie – nichts kommt dem Tabak gleich; er ist die Passion der Leute von Stand, und wer ohne Tabak lebt, lebt unverdient: Nicht nur erfreut und spült er das menschliche Hirn, er lehrt die Seelen Tugend, und man lernt von ihm den Anstand. Sehen Sie nicht, wie man mit aller Welt umgeht auf die gefälligste Weise, entzückt, ihn anzubieten links und rechts, wenn man schnupft? Man wartet nicht, bis jemand darum bittet, man kommt dem Wunsch der Leute zuvor, so wahr ist es, daß der Tabak allen Schnupfern Gefühle der Ehre und der Tugend eingibt. Aber genug von diesem Stoff, nehmen wir unsre Rede wieder auf. Lieber Guzman, deine Elvira, deine Herrin, von unserer Abreise sehr überrascht, ist hinter uns her zu Feld gezogen; und ihr Herz, das mein Herr zu heftig gerührt hat, konnte nicht leben, sagst du, ohne ihm nachzulaufen. Soll ich dir, ganz unter uns, meine Meinung sagen? Ich fürchte, daß sie für ihre Liebe schlecht belohnt sein wird, daß eure Reise in diese Stadt wenig einbringt und daß ihr besser getan hättet, euch nicht vom Fleck zu rühren.

GUZMAN Aber dein Grund, Sganarelle, sag mir den Grund, ich bitte dich, der dich so Fatales befürchten läßt? Hat dir dein Herr sein Herz geöffnet, hat er dir gesagt, er empfinde für uns eine gewisse Kälte, die ihn zur Abreise zwang?

SGANARELLE Nicht das, aber mit der Nase weiß ich den Lauf der Dinge, und ohne daß er mir etwas gesagt hat, wette ich, die Sache geht in diese Richtung. Ich kann mich irren, aber schließlich, über solche Gegenstände hat mir die Erfahrung einige Aufklärung verschafft.

GUZMAN Was, diese so wenig vermutete Abreise wäre eine Untreue von Don Juan? Er könnte Elviras keuschem Feuer solche Schmach antun?

SGANARELLE Nun, er ist noch etwas jung, und hat den Mut nicht ...

GUZMAN Ein Mann von seinem Rang und solche Feigheit?

SGANARELLE Ach ja, sein Rang. Ein schöner Grund. Der wird ihn hindern!

GUZMAN Aber die heiligen Bande der Ehe verpflichten ihn.

SGANARELLE Ach, mein armer Guzman, mein Freund, du weißt noch nicht, glaub mir, was Don Juan für ein Mensch ist.

GUZMAN Ich weiß wirklich nicht, was für ein Mensch er ist, wenn er uns diesen Treubruch angetan hat; und ich verstehe nicht, wie, nach so viel geschworener Liebe und bewiesener Ungeduld, nach so viel dringenden Huldigungen, Wünschen, Seufzern und Tränen, so viel leidenschaftlichen Briefen, brennenden Erklärungen und wiederholten Schwüren, nach so viel taumelndem Ausbruch und wilder Wallung, die er zeigte, so weit, daß er in seiner Leidenschaft die heilige Hürde, ein Kloster, bezwang, um Dona Elvira in seine Macht zu bekommen: Ich verstehe da nicht, sage ich, wie nach alledem er das Herz haben kann, sein Wort zu brechen.

SGANARELLE Ich habe keine Mühe, es zu verstehn, ich nicht; und wenn du diesen Vogel kennen würdest, erschiene dir das eine Kleinigkeit für ihn. Ich sage nicht, daß er sein Gefühl für Dona Elvira geändert hat, ich habe da noch keine Gewißheit: Du weißt, daß ich auf seinen Befehl vor ihm aufgebrochen bin, und seit seiner Ankunft hat er sich mir noch nicht mitgeteilt, aber aus Vorsicht eröffne ich dir, unter uns, daß du in Don Juan, meinem Herrn, den größten Verbrecher sehen mußt, den die Erde getragen hat; einen Tollwütigen, einen Hund, einen Teufel, einen Türken, einen Häretiker, der weder Himmel, Heilige, Gott noch Werwolf glaubt; der dieses Leben als ein wahres rohes Vieh verlebt; ein epikuräisches Schwein, ein Sardanapal, der sein Ohr allen christlichen Vorhaltungen sperrt, die man ihm machen kann, und alles, was wir glauben, ein Gespinst nennt. Du sagst, er hat deine Herrin geheiratet; glaube, daß er um seiner Leidenschaft willen mehr getan hätte, und daß er mit ihr dich geheiratet hätte, ihren Hund und ihre Katze. Eine Heirat kostet ihn nichts, er benutzt keine andere Falle, um die Schönen zu fangen; und er ist eine Heiraterbestie: Frauen, Fräuleins, Bürgerliche, Bäuerinnen, nichts ist ihm zu warm, nichts ist ihm zu kalt, und wenn ich dir die Namen aller nennen wollte, die er an verschiedenen Orten geheiratet hat, wäre das ein Kapitel bis morgen früh. Du staunst und wechselst die Farbe vor meiner Rede; das ist nur eine Skizze der Figur, und um sein Porträt zu vollenden, bedürfte es ganz anderer Pinselstriche. Kurz, der Himmelszorn muß eines Tages über ihn kommen: Es wäre für mich besser, des Teufels als sein zu sein, und so viel Grauen läßt er mich erleben, daß ich wünsche, er möge sein, ich weiß nicht wo. Aber ein böser Mensch, der ein großer Herr ist, ist eine schreckliche Sache; ich muß ihm die Treue halten, wie es mich auch verdrießt, meine Furcht ist mein Eifer, bremst meine Gefühle und bringt mich oft genug dahin, das zu beklatschen, was meine Seele verabscheut. Da kommt er, durch diesen Palast zu promovieren, promenieren. Trennen wir uns. Höre, du, ich habe dir diese vertrauliche Mitteilung offen gemacht, und das alles ist mir ein wenig schnell aus dem Mund gegangen, aber wenn etwas davon ihm ans Ohr kommen sollte, würde ich laut sagen, daß du gelogen hast.

2

Don Juan, Sganarelle.

DON JUAN Welcher Mann sprach mit dir eben? Er sieht mir genau aus wie der gute Guzman von Dona Elvira.

SGANARELLE Er ist auch ungefähr so etwas.

DON JUAN Was, er ist es?

SGANARELLE Er selbst.

DON JUAN Und seit wann ist er in dieser Stadt?

SGANARELLE Seit gestern abend.

DON JUAN Und was bringt ihn her?

SGANARELLE Ich glaube, Sie können selbst urteilen, was ihn beunruhigt.

DON JUAN Unsere Abreise wahrscheinlich.

SGANARELLE Der brave Mann ist ganz betrübt davon und fragt mich nach dem Grund.

DON JUAN Und welche Antwort hast du gegeben?

SGANARELLE Daß Sie mir nichts gesagt haben.

DON JUAN Weiter. Wie denkst du darüber, wie stellst du dir die Sache vor?

SGANARELLE Ich? Ich glaube, ohne Ihnen Abbruch tun zu wollen, Sie haben eine neue Liebe im Kopf.

DON JUAN Das glaubst du?

SGANARELLE Ja.

DON JUAN Nun, du irrst dich nicht, und ich muß dir gestehen, daß eine andere Dona Elvira aus meinen Gedanken vertrieben hat.

SGANARELLE Ach mein Gott! Ich kann mir meinen Don Juan an den Fingern abzählen und kenne Ihr Herz als den größten Läufer der Welt: Von Band zu Band zu spazieren gefällt ihm, und es bleibt nicht gern auf einer Stelle.

DON JUAN Und findest du nicht, sag mir, daß ich recht habe, es so zu handhaben?

SGANARELLE Ach, Monsieur!

DON JUAN Was? Sprich.

SGANARELLE Sicher haben Sie recht; wenn Sie es so wollen, kann man nicht dagegen gehn; aber wenn Sie es nicht wollten, wäre es vielleicht etwas anderes.

DON JUAN Also, ich gebe dir die Freiheit zu sprechen und mir zu sagen, was du davon hältst.

SGANARELLE In dem Fall, Monsieur, sage ich Ihnen offen, daß ich Ihre Methode nicht billige und daß ich es sehr häßlich finde, nach allen Seiten zu lieben, wie Sie es tun.

DON JUAN Was? Du willst, daß man sich bindet an den ersten einnehmenden Gegenstand, daß man für ihn der Welt entsagt und keine Augen mehr hat für andre. Schöne Sache, sich zu verschreiben dem falschen Ehrgeiz, treu zu sein, sich zu begraben für immer in einer Leidenschaft und tot zu sein von Jugend auf für alle andere Schönheit, die unsere Augen rühren kann! Nein, nein, Beständigkeit ist gut für Schwachköpfe, alle Schönen haben das Recht, uns zu bezaubern, und der einen Vorzug darf die andern nicht berauben der gerechten Ansprüche auf unser Herz. Was mich angeht, Schönheit reizt mich, wo ich sie finde; und ich gebe leicht dieser süßen Gewalt nach, mit der sie uns hinreißt. Auch wenn ich engagiert bin, die Liebe für eine Schöne verpflichtet meine Seele nicht, den anderen Unrecht zu tun; ich behalte Augen, die Vorzüge aller zu sehn, und ich lasse jeder die Huldigungen und den Tribut zukommen, die uns die Natur auferlegt. Wie dem auch sei, ich kann mein Herz dem, was mir liebenswürdig erscheint, nicht versagen, und sobald ein schönes Gesicht...

Erscheint lt. Verlag 17.4.2023
Co-Autor Christian Hippe, Ludwig Haugk, Ingo Way, Kristin Schulz
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 20. Jahrhundert • Deutschland • Drama • Dramatiker • Dramaturg • Heiner Müller • Inszenierungen • Max Messer • Molière • Orestie • Shakespeare • Stücke • Theater • Übersetzungen
ISBN-10 3-518-76104-8 / 3518761048
ISBN-13 978-3-518-76104-5 / 9783518761045
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