Die Essenz des Bösen (eBook)
464 Seiten
Piper ebooks (Verlag)
978-3-492-60523-6 (ISBN)
Ambrose Parry ist das Pseudonym der Autoren Christopher Brookmyre und Marisa Haetzman. Das Paar ist verheiratet und lebt in Schottland. Brookmyre arbeitete nach seinem Studium der Englischen Literatur- und Theaterwissenschaften als Journalist in London, Los Angeles und Edinburgh. Der mehrfach preisgekrönte Autor hat über zwanzig Romane veröffentlicht, darunter internationale Bestseller. Marisa Haetzman ist Medizinhistorikerin und hat zwanzig Jahre als Anästhesistin gearbeitet. Ihre Forschungsarbeit zur modernen Anästhesie inspirierte das Paar zu ihrer gemeinsamen Krimireihe um Will Raven und Sarah Fisher.
Ambrose Parry ist das Pseudonym der Autoren Christopher Brookmyre und Marisa Haetzman. Das Paar ist verheiratet und lebt in Schottland. Brookmyre arbeitete nach seinem Studium der Englischen Literatur- und Theaterwissenschaften als Journalist in London, Los Angeles und Edinburgh. Der mehrfach preisgekrönte Autor hat über zwanzig Romane veröffentlicht, darunter internationale Bestseller. Marisa Haetzman ist Medizinhistorikerin und hat zwanzig Jahre als Anästhesistin gearbeitet. Ihre Forschungsarbeit zur modernen Anästhesie inspirierte das Paar zu ihrer gemeinsamen Krimireihe um Will Raven und Sarah Fisher.
Kapitel 1
Ein Buch ist bereits geschrieben, ehe die Leserin oder der Leser den ersten Blick auf die Seite wirft. Die erzählte Geschichte schafft die Illusion eines ungewissen Ausganges und zahlloser Möglichkeiten, doch in Wahrheit sind alle Geschehnisse vorherbestimmt und folgen einer geordneten Reihung, die sich nicht verändern, sondern bloß betrachten lässt. War dies auch bei einem Menschenleben so? War unser Schicksal entschieden, noch ehe wir schreiend auf die Welt geholt wurden – diktiert durch Herkunft und Umstände, durch all das, was unsere Vorfahren uns geben konnten oder nicht, und durch das, zu dessen Weitergabe sie unwissentlich gezwungen waren?
Dies waren die Gedanken von Dr. Will Raven, während er eine marode Treppe in Leith emporstieg. Die Umgebung verhieß nichts Gutes für das Kind, zu dessen Geburt man ihn gerufen hatte. Ebenso fragte er sich, was in seinem eigenen Blut verborgen lag – eine stete Sorge – und was daraus folgen könnte, sollte er eines Tages selbst ein Kind zeugen.
Die gesuchte Adresse lag in der Old Sugarhouse Close, einem baufälligen Gebäude neben der Kerzenfabrik. Die Luft war schwer vom Talggeruch, vom speckigen Gestank geschmolzenen Eingeweidefetts. Auch andere, rohere Noten waren wahrzunehmen, denn auch die Fleisch-, Geflügel- und Fischmärkte befanden sich in unmittelbarer Nähe. Die Düfte des Letzteren lagen stets in der Brise, denn so nah am Hafen war das Fischaroma allgegenwärtig wie das Schreien der Möwen.
Raven fand die richtige Tür und wollte gerade klopfen, als er es schreien hörte. Er hielt inne. Es klang nicht nach den Qualen einer Frau in den Wehen, sondern nach dem herzhaften Brüllen eines gesunden Neugeborenen.
Er seufzte. Es war ein weiter Weg hinaus nach Leith gewesen. So etwas kam natürlich vor. Uti veniebam natus: bei meiner Ankunft bereits geboren. Das war ein recht häufiger Eintrag im Fallbuch für die Hausbesuche. Der Professor sagte gern, so sei auch ihm der örtliche Hausarzt erspart geblieben. Und dann musste er stets geschäftig weitereilen.
Raven klopfte. Er hörte hastige Schritte, dann ging die Tür auf, und vor ihm stand eine grauhaarige Frau mit dem nackten Kind auf dem Arm, die Haut noch voller Blut und Käseschmiere.
Raven hielt seine verschlissene Ledertasche empor, um sich auszuweisen.
»Ich brauche wohl nicht mehr zu fragen, ob ich hier richtig bin – ich bin wegen Mrs Corrigan da.«
»Haben sich ja Zeit gelassen«, sagte die Frau.
Er nahm an, dass es sich um die örtliche Hebamme handelte. Die Frauen dieser Zunft duldeten meist nur ungern das Eindringen eines Arztes in ihr Revier. Des neunmalklugen Accoucheurs mit seiner Zange.
Er lächelte, beschwichtigend, wie er hoffte.
»Dr. Raven. Zu Diensten.«
Die Frau versperrte ihm noch einen Moment den Weg, bevor sie schließlich doch beiseitetrat. Ein kurzer Flur führte zu zwei geschlossenen Türen.
»Wo ist die Mutter?«, fragte er.
Sie nickte in Richtung eines der Zimmer. »Da drinnen. Die Nachgeburt muss sich noch lösen.«
»Wie lang ist die Geburt her?«
»Eine Weile.«
»Könnten Sie vielleicht die ungefähre Zeit einschätzen?«
»Nicht lang her.«
»Gab es eine Blutung?«
Sie sah ihn schief an. »Wenn ein Kind zur Welt kommt, gibt es immer ein bisschen Blut.«
»Ich meine eine starke Blutung. Schwallartig.«
»Wenn das so wäre, würde ich wohl kaum hier stehen und mit Ihnen plaudern.«
Ihm fiel eine Seekarte an der Wand auf.
»Der Vater ist Seemann?«, fragte er.
Die Frau schaute finster und deutete ein Nicken an, vielleicht wollte sie durchscheinen lassen, dass dies in Leith keine allzu raffinierte Folgerung war.
»Er ist auf See.«
»Wann kommt er wieder?«
Sie verdrehte die Augen. »Die Frage ist eher, ob als wann, würde ich sagen.« Sie sprach leiser. »Die Mutter heißt Miss Corrigan«, ergänzte sie spitz.
Raven öffnete die Tür und betrat eine kleine Kammer mit einem Bett und sonst nicht viel. Es war ein vertrauter Anblick: ein Haushalt, der kaum das Essen für einen weiteren Mund zusammenbekommen würde.
Schon oft hatte er Tiraden von Kirchenmännern und Politikern gehört über die Armen, die Kinder kriegten, die sie weder ernähren noch kleiden konnten. Derartige Empörung wucherte auf dem fruchtbaren Boden der Unwissenheit.
Die Luft war feucht und drückend. Über dem Bett gab es ein kleines Fenster, aber um es zu öffnen, hätte man über die Patientin hinwegsteigen müssen. Ein dünnes Laken bedeckte sie, und ihr Bauch zeichnete sich immer noch als erhabene Wölbung ab. Der Anblick gefiel Raven nicht. Der Uterus hätte sich in der Zwischenzeit schon weiter zusammenziehen sollen.
Er stellte seine Tasche ab. Miss Corrigan hatte die Augen geschlossen, aber ihr Gesicht war von guter Farbe, und ihr Atem ging regelmäßig. Raven nahm sanft ihre Hand und fühlte den Puls. Schnell, aber kräftig. Derart versichert sprach er ihren Namen und stellte sich vor. Sie öffnete die Augen. Er erklärte, was er nun tun werde. Sie nickte.
Raven zog die Jacke aus, krempelte die Ärmel hoch und legte behutsam die Hände auf den gewölbten Unterleib. Unter den Augen der alten Frau holte er das Stethoskop aus der Tasche und horchte. Er spürte, wie der Uterus sich verhärtete und wieder entspannte. Zuletzt untersuchte er den Geburtskanal und den Muttermund.
Das Kind war mittlerweile getröstet, und im Zimmer war es still.
Die alte Frau schnaubte. »Machen Sie das zum ersten Mal? Wissen Sie überhaupt, wonach Sie suchen müssen? Es ist wie ein Stück altes Seil. Ziehen Sie daran, dann kommt die Nachgeburt schon.«
Raven sah sie an und zog die Augenbrauen hoch.
»Wahrscheinlich wäre es besser, wenn ich zunächst das andere Kind hole«, sagte er.
Die Geburt der Zwillingsschwester verlief ohne weitere Vorkommnisse, und Raven bedurfte keiner Hilfe beim Hervorholen der Nachgeburt. Allzu lang staunte die alte Frau nicht darüber, was sie übersehen hatte, fand vielmehr bald wieder zurück zu ihrer vorherigen Haltung und beobachtete Raven mit Argusaugen.
Aber ihre Überraschung war nichts gegen die der Mutter. Diese schien überwältigt und geradezu entsetzt von der Ankunft des unerwarteten Kindes. Für Menschen von bescheidenen Mitteln waren Kinder zuweilen Segen und Fluch zugleich. Zwar konnten sie arbeiten und zum Einkommen der Familie beitragen, sofern sie die frühe Kindheit überlebt hatten, doch wie sollte die Mutter zwei auf einmal ernähren, während ihre eigene Arbeitskraft stark gemindert war, solange sie sich um die beiden kümmern musste? Wenn das Leben der beiden Mädchen so begann, wie sollte es dann weitergehen, fragte Raven sich.
In solchen Momenten tröstete er sich mit dem Gedanken an Simpsons eigene bescheidene Herkunft als siebter Sohn eines Bäckers in Bathgate. Niemand hatte die Wahl, was er erbte, in welches Haus er geboren wurde und was ihn dort erwartete: Reichtum oder Armut, Liebe oder Grausamkeit, Hege oder Verwahrlosung. Aber Simpson hatte bewiesen, dass das Schicksal eines Menschen nicht von seinen Ausgangsbedingungen vorherbestimmt war.
In Ravens Augen galt auch, was als die andere Seite der Medaille bezeichnet werden mochte. Wurde man wohlhabend geboren, war es nicht mehr besonders schwer, seine Spuren zu hinterlassen, und entsprechend sollten auch die Leistungen eines Menschen bewertet werden, doch dieser Standpunkt erfreute sich bei den Reichen keiner großen Beliebtheit. Mit einem Lächeln erinnerte er sich an den Kommentar seines Freundes Henry über einen vornehmen Kommilitonen, der Menschen »von niedriger Geburt« allzu gern für ihr Schicksal selbst verantwortlich machte: »Er kann sich ein hartes Urteil erlauben, schließlich hat er seine Eltern mit Bedacht gewählt.«
Als Raven wieder hinaus in die Old Sugarhouse Close trat, stand die Frühsommersonne bereits so hoch, dass ihre Strahlen ihn zwischen den Häusern fanden. Er umfasste seine Taschenuhr, denn die Menschen drängten sich enger, je näher er der Leith Shore kam. Hier verrichteten oftmals geschickte Hände ihr Werk, auf die jeder Chirurg hätte neidisch sein können. Die Uhr war das einzig Wertvolle, was sein Vater ihm hinterlassen hatte, doch ein Erbe...
Erscheint lt. Verlag | 2.11.2023 |
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Reihe/Serie | Die Morde von Edinburgh |
Die Morde von Edinburgh | Die Morde von Edinburgh |
Übersetzer | Hannes Meyer |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Original-Titel | A Corruption of Blood |
Themenwelt | Literatur ► Historische Romane |
Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Historische Kriminalromane | |
Schlagworte | 19. Jahrhundert • Arzt • Christopher Brookmyre • Detektiv • Edinburgh • frühe Medizin • Historischer Kriminalroman • Historischer Roman • Historische Spannung • Ian Rankin • Kindsmorde • Medizingeschichte • Schottland • Sherlock Holmes • spannend • Val McDermid |
ISBN-10 | 3-492-60523-0 / 3492605230 |
ISBN-13 | 978-3-492-60523-6 / 9783492605236 |
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Größe: 7,4 MB
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