Die Butterbrotbriefe (eBook)
256 Seiten
Piper Verlag
978-3-492-60514-4 (ISBN)
Carsten Henn, geboren 1973 in Köln, ist neben seiner Tätigkeit als Autor auch als Weinjournalist und Restaurantkritiker tätig. Viele erfolgreiche kulinarische Kriminalromane stammen aus seiner Feder, aber auch Liebeskomödien, Theaterstücke und ein Bilderbuch. Sein Roman »Der Buchspazierer« stand über zwei Jahre auf der SPIEGEL-Bestsellerliste, wurde allein in Deutschland über eine halbe Millionen Mal verkauft, in mehr als 30 Sprachen übersetzt und mit Christoph Maria Herbst in der Titelrolle verfilmt. Auch seine nächsten Romane »Der Geschichtenbäcker« und »Die Butterbrotbriefe« waren große Bestseller-Erfolge. Für seine literarischen Werke erhielt er mehrere Auszeichnungen.
Carsten Henn, geboren 1973 in Köln, besitzt einen Weinberg an der Terrassen-Mosel, hält Hühner und Bienen und teilt sein Leben mit Katzen. Er arbeitete nach seinem Studium als Radiomoderator und ist heute als freier Weinjournalist und Restaurantkritiker tätig. Er veröffentlichte zahlreiche erfolgreiche Kriminalromane und Liebeskomödien. Sein Roman »Der Buchspazierer« stand über ein Jahr ununterbrochen auf der SPIEGEL-Bestsellerliste, wurde in 25 Länder verkauft, eroberte die Herzen der Leserinnen und Leser und erhielt begeisterte Besprechungen. Auch sein nächster Roman »Der Geschichtenbäcker« eroberte auf Anhieb die Top 10 der SPIEGEL-Bestsellerliste, blieb viele Monate darauf und wurde vielfach ins Ausland verkauft.
Kapitel 2
Brief ohne Empfänger
Am nächsten Abend betrat Kati das Zimmer am Ende des Flurs.
»Hallo, Papa«, sagte sie zur Begrüßung in Richtung des alten schwarzen Kleiderständers, wie er sich heute noch in Wiener Kaffeehäusern findet. Ein breitkrempiger Fedora-Hut und ein Trenchcoat hingen daran, wie Bogart sie in Casablanca getragen hatte, einem der Lieblingsfilme ihres Vaters. Kati hatte den Kleiderständer so aufgestellt, dass ihr Vater immer in den Garten hinausblicken konnte.
»Ein neuer Abschied?«, hätte er sie gefragt. Wenn er noch leben würde. Und wenn er nicht aufgehört hätte, mit ihr zu reden, als er noch gelebt hatte. Seit ihrem achten Geburtstag hatte er nicht mehr richtig mit ihr gesprochen. Nur noch das Nötigste. Kati hatte sich so viel mehr an Worten von ihm gewünscht. Ein paar konnte sie nun in diesem Zimmer nachholen, wenn sie einen ihrer Briefe schrieb. »Abschiedsszenen sind in Filmen immer Momente für Nahaufnahmen.«
»Ein neuer Neubeginn«, antwortete sie.
Gott würfelte nicht. Kati schon.
Mit fünf gelblich verfärbten Würfeln in einem ledernen Becher. Sie stammten von verschiedenen Gesellschaftsspielen, die alle längst nicht mehr komplett waren. Bei einem Pasch verfasste sie einen handgeschriebenen Brief. Bei allem anderen tippte sie.
Kati würfelte immer in diesem Raum, der früher Achims Arbeitszimmer gewesen war. Nach seinem überhasteten Auszug hatte sie ein Lesezimmer daraus gemacht – obwohl sie am liebsten in der Badewanne schmökerte. Dann war es zum Sportzimmer geworden, obwohl sie Sport nur im Freien trieb, und danach zum Hobbyraum, obwohl sie gar keine Hobbys hatte, die einen eigenen Raum brauchten.
Jetzt war es ihr Schreibzimmer, in dem Relikte der früheren Nutzungen standen wie antike Säulen in einer modernen Stadt.
An der Raufasertapete war ein großes, rechteckiges Stück Geschenkpapier befestigt, mit der Rückseite nach vorne. Siebenunddreißig Namen standen darauf, auf den meisten befand sich ein Stempelabdruck mit dem Wort »Erledigt«. Der Moment, wenn der Stempelfuß auf einen Namen traf, fühlte sich jedes Mal an, als würde ein Felsbrocken von ihren Schultern zu Boden fallen.
Kati setzte sich an den Schreibtisch, der eigentlich eine Nähmaschine war, die man in der hölzernen Platte versenken konnte, und warf die bereitliegenden Würfel in den Lederbecher. Lange ertönte das Klackern der im Inneren herumspringenden Plastikkuben, bis Kati den Becher auf die Tischplatte knallte und anhob.
Zweimal die Vier.
»Ein Pasch. Wie schön«, würde ihr Vater sagen. Und vielleicht etwas über eine Szene von James Bond im Casino. »Ich mag es immer lieber, wenn du einen Pasch würfelst.«
Nach einem tiefen Atemzug drehte Kati einen der Würfel auf die Drei.»Doch kein Pasch. Ein getippter Brief.«
»Ist es heute so weit?«, würde ihr Vater fragen.
Kati nickte. Es war Zeit für einen speziellen Brief.
Den an Achim, ihren Ex-Mann.
Während der Ehe war er glänzend mit ihrer Mutter klargekommen, mehr noch, die beiden waren Vertraute gewesen.
Er konnte ihr hoffentlich ein paar Antworten geben.
Dies war einer der Briefe, die Kati schon unzählige Male geschrieben hatte, nachts im Bett liegend, auf das dunkle Papier zwischen Wachen und Träumen. Es war so eine Befreiung, die Worte endlich aus dem Kopf fließen lassen zu können und zu wissen, dass sie gleich auf leicht knittriges Butterbrotpapier gedruckt werden würden, dessen leichter Glanz jedes Wort erscheinen ließ, als wäre es in Alabaster gemeißelt und für die Ewigkeit.
Während sie schrieb, sah Kati nicht aus dem Fenster, nicht in den Garten oder auf die Dächer der anderen Häuser, sie sah den Eichelhäher nicht, der seine Flügel mit den himmelblauen Flecken ausstreckte, nicht das hellbraune Eichhörnchen zwischen den gelben Herbstblättern, das tollkühn von einem Ast auf einen dünnen Zweig sprang, nicht die alte Katze der Nachbarn, die mit dem Hintern wackelte, in Richtung des Eichhörnchens rannte, aber nur für wenige Meter, dann stehen blieb und sich die Hinterpfoten leckte, als wäre genau das von Anfang an ihr Plan gewesen.
Kati hatte nur Augen für das Butterbrotpapier auf der Schreibwalze, tippte rasant, wurde dann immer langsamer, und irgendwann konnte sie gar nicht mehr weiterschreiben.
Kati schrieb per Hand weiter, drückte die Spitze des Kugelschreibers dabei so fest auf das Papier, dass sie sich tief eingrub.
In der nächsten Phase strich sie all das durch, was eigentlich nicht gesagt werden musste, bei dem es reichte, dass es gedacht worden war. Dann all die Sätze zu Nebenschauplätzen, als ihre Beziehung auseinandergefallen war wie ein Vielstaatengebilde, das von da an Krieg untereinander führte. Bis schließlich von ihrem Brief nur noch der Kern übrig blieb, als hätte sie bei einem Apfel alles weggeschnitten bis auf das innerste, unverdauliche Gehäuse.
Kati faltete das Butterbrotpapier so fest, dass die Falzkante scharf wurde, und steckte den Brief in ein Kuvert, auf das sie die laufende Nummer (32) und Achims Namen schrieb.
Katis größtes Problem mit ihren Briefen war die Zeit bis zur Zustellung. Sobald sie einen geschrieben hatte, wollte sie, dass er ankam.
Aber dieser Brief musste bis zum nächsten Tag warten, und Kati auch, denn es war spät geworden.
Morgen würde sie ihn vorlesen.
***
In der Nacht schrieb ihr Kopf den Brief einfach weiter, aber während Kati das beobachtete, schlief sie ein. Beim Morgenkaffee am Küchentisch fühlte sie sich so erschöpft wie nach einem langen Gespräch.
Als sie vor die Haustür auf die Fußmatte aus Kokosfaser trat, roch Kati den Herbst. Der Wind trug Würze in sich, und während sie über den mit Laub bedeckten Bürgersteig ging, knisterte es unter ihren Füßen wie kleine Lagerfeuer.
Zuerst musste sie zum Salon, um die Frisiertasche zurückzugeben und zu bezahlen, was sie verbraucht hatte. Madame Catherine würde da sein – obwohl montags geschlossen war. Denn sie genoss die Zeit, wenn der Salon noch leer war und sie letzte Vorbereitungen treffen konnte. Alles musste am rechten Platz sein, alles aufgefüllt, alles sauber. Wie ein Tanzsaal, bevor die festlich gekleideten Paare hereindefilierten.
Kati klopfte sachte an die gläserne Eingangstür.
Als Madame Catherine öffnete, saß ihre Dauerwelle genauso perfekt wie ihr Make-up. Kati hatte es noch nie anders erlebt, egal, zu welcher Uhrzeit.
»Willst du einen Kaffee, Liebes? Ich habe gerade einen aufgesetzt. Schwarz und stark!« Madame Catherine öffnete die Tür einladend weit.
»Hab schon. Aber danke Ihnen.«
»Dafür nicht.« Sie winkte ab. »Wie ist es gestern gelaufen?«
»Gut, hatte viel zu tun. Nur die Bettler kommen nicht, weil ein guter Haarschnitt schlecht fürs Geschäft ist. Dann denken die Leute, sie würden nur so tun, als wären sie arm.«
»Wenn man an der Klasse eines Haarschnitts sehen könnte, wie reich jemand ist, wäre ich Millionärin!« Madame Catherine schüttelte ihr wundervoll elastisches Haar, als würde sie gerade für eine Haarspray-Reklame gefilmt.
»Zum Schluss bin ich sogar gesegnet worden.« Kati grinste. »Sieht man, oder?«
»Gesegnet? Mich hat noch nie ein Kunde gesegnet, und ich hätte es weiß Gott mehr als einmal verdient.«
»Ich erzähle Ihnen später alles, muss jetzt los ins Einwohnermeldeamt.« Kati reichte ihr die Tasche.
»Eine Verschwendung, dass du da arbeitest! Jemand wie du sollte Bürgermeisterin sein! Aber du hörst ja nicht auf mich, Liebes.«
»Doch«, antwortete Kati. »Eigentlich immer, seit ich Sie kenne.«
Madame Catherine fächelte sich theatralisch Luft zu. »Jetzt machst du mich verlegen! Geh schnell, bevor noch jemand sieht, wie ich rot werde.«
»Steht Ihnen gut!«
Madame Catherine wurde wirklich rot und schloss hinter Kati schnell die Salontür.
Als Kati Richtung Straße blickte, fiel ihr die Frisur direkt ins Auge. Sie erkannte ihre eigenen Haarschnitte wie andere ihr Haustier.
Was daran lag, dass ihr beim Schneiden immer dieselben Fehler unterliefen.
Der Mann saß auf der Wartebank der Bushaltestelle, hielt ein Buch mit einer...
Erscheint lt. Verlag | 31.8.2023 |
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Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Schlagworte | achtsamkeit roman • Bücher 2023 Neuerscheinungen • Buch gegen Einsamkeit • Der Buchspazierer • Der Geschichtenbäcker • Ein Roman über das Ankommen • inspirational novel • inspirierender Roman • Liebesgeschichte • Roman für den Urlaub • Roman für Frauen • Roman Hardcover 2023 Neuerscheinungen • Roman Hardcover gebunden Novität • Roman über das Leben • Roman über Freundschaft • Roman über Liebe • Roman über Neuanfang • Roman über Selbstliebe • schicksal bücher • Schicksal Roman • Selbstbestimmung • SPIEGEL-Bestsellerautor • Wohlfühlbuch |
ISBN-10 | 3-492-60514-1 / 3492605141 |
ISBN-13 | 978-3-492-60514-4 / 9783492605144 |
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