Die Schatten, die dich jagen (eBook)
300 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-01727-6 (ISBN)
Alex Smith schrieb sein erstes Buch im Alter von sechs Jahren. Es war nicht gerade gut, aber es kamen übernatürliche Monster darin vor. Später veröffentlichte er Horror-Romane unter seinem vollen Namen Alexander Gordon Smith. Seine drei Töchter inspirierten ihn dazu, über einen Detective zu schreiben, der ebenfalls kleine Kinder hat. In den Thrillern mit DCI Robert Kett geht es wieder um Monster, die sind jedoch menschlicher Natur und daher umso Furcht einflößender. Alex Smith lebt in Norwich mit seiner Frau und seinen Kindern.
Alex Smith schrieb sein erstes Buch im Alter von sechs Jahren. Es war nicht gerade gut, aber es kamen übernatürliche Monster darin vor. Später veröffentlichte er Horror-Romane unter seinem vollen Namen Alexander Gordon Smith. Seine drei Töchter inspirierten ihn dazu, über einen Detective zu schreiben, der ebenfalls kleine Kinder hat. In den Thrillern mit DCI Robert Kett geht es wieder um Monster, die sind jedoch menschlicher Natur und daher umso Furcht einflößender. Alex Smith lebt in Norwich mit seiner Frau und seinen Kindern. Alice Jakubeit übersetzt Romane, Sachbücher und Reportagen aus dem Englischen und Spanischen, u.a. Alexander McCall Smith, Greer Hendricks & Sarah Pekkanen, Brian McGilloway und Eva García Sáenz. Sie lebt in Düsseldorf.
PROLOG
Donnerstag
Es war einfach nicht das Gleiche ohne den Hund.
Sicher, Maurice war ein kleines Biest gewesen. Halb Mops, halb Gott weiß was noch, hatte er auf ihren täglichen Spaziergängen über die Felder niemals nicht bis zum Hals in Kuhscheiße gesteckt. Er hatte den Großteil seines Lebens damit verbracht, jeden Zaunpfahl, jedes grasbewachsene Hügelchen und jedes verwirrte Mutterschaf zu bespringen, dem er begegnete, selbst als er schon auf die vierzehn zuging und sein Fell eher grau als schwarz war. Roger Carver hatte den Großteil ihrer Spaziergänge damit verbracht, den Hund entweder anzubrüllen, zu retten oder nach Hause zu tragen, weil seine kurzen Beine müde waren. Maurice war eine unglaubliche Nervensäge gewesen.
Doch was würde er nicht dafür geben, ihn zurückzubekommen.
Roger seufzte, ein bisschen theatralischer als beabsichtigt. Die Abendluft war von Staub erfüllt, und die Stoppeln auf den kürzlich abgeernteten Feldern knisterten unter seinen Füßen. Zu seiner Linken erstreckten sich kilometerweit helle, offene Felder und seufzten vor Erleichterung, nun, da ihre Last von ihnen genommen worden war. Zu seiner Rechten lag der alte, finstere Wald, dessen Bäume schon mit Orange- und Brauntönen geschmückt waren. Der Herbst war unleugbar da, und er würde kalt werden. Roger lebte lange genug in diesem Teil der Welt, um die Jahreszeiten einschätzen zu können, sogar im notorisch unberechenbaren Klima East Anglias.
«Amüsierst dich also nicht», sagte Sally ein paar Schritte hinter ihm. Es klang wie ein Vorwurf, und als er einen Blick über die Schulter auf ihr säuerliches Gesicht warf, wusste er, dass sie es genau so gemeint hatte. Abrupt stieg Wut in ihm auf – vielleicht sogar Hass –, doch er schluckte diese Gefühle herunter. Unwillkürlich sah er sich nach dem Hund um, und wieder schmerzte es, als schlüge ihm jemand mit dem Hammer aufs Herz, als ihm einfiel, dass Maurice nicht mehr da war. Dass er nie wieder da sein würde.
Der blöde kleine Scheißer.
«Mir geht’s gut», sagte er und hörte den passiv-aggressiven Unterton selbst.
«Ja, dir geht’s gut», gab sie vor Sarkasmus triefend zurück. «Dir geht’s immer gut.»
Wie waren sie bloß an diesen Punkt gelangt, Sally und er? Sie waren erst sieben Jahre zusammen. Nach so kurzer Zeit konnte das Fundament ihrer Beziehung doch noch nicht dermaßen verrottet sein. Sie waren beide jung, er ein paar Monate jenseits der fünfunddreißig, sie ein paar Wochen diesseits, mit guten Jobs und ohne Kinder – und auch ohne Kinderwunsch. Die Welt stand ihnen offen, und sie waren so begierig darauf gewesen, sie zu erobern. Maurice, der alte Hund, war ihre einzige Verbindlichkeit gewesen, nur er hatte sie ein bisschen an die Leine genommen. Ohne ihn war alles möglich.
Jedenfalls Sally zufolge.
«Sieh mal», sagte sie. «Du hast es selbst zugegeben, er hatte Schmerzen. Es wurde Zeit für ihn.»
Sie näherten sich dem Rand des Ackers und mussten achtgeben, damit sie sich in den harten Furchen nicht die Knöchel verstauchten. Vor ihnen, dort, wo das offene Feld an den Wald grenzte, stand ein verwitterter Zauntritt, und Roger wusste, dass irgendwo darauf etwas eingeritzt war: Rog + Sal + Maurice für immer. Sie hatten es mit Sallys Wohnungsschlüssel ins Holz gekerbt, kurz nachdem sie zusammengekommen waren.
«Ich weiß», erwiderte Roger. «Schon gut. Ich habe doch gesagt, mir geht’s gut. Was willst du denn von mir hören? Du hast meinen Hund getötet?»
Die Worte waren heraus, bevor er sie sich verkneifen konnte, und nun konnte er sie nicht zurücknehmen. Er hörte Sally nach Luft schnappen und wappnete sich für das, was gleich kommen würde. Doch sie erwiderte nichts, und als er sich umblickte, sah er, dass sie stehen geblieben war. Die Sonne gab noch so viel Licht, dass es auf den Tränen glitzerte, die Sally in die Augen traten und sich einen Weg über ihre staubigen Wangen bahnten.
«Denkst du das wirklich?», fragte sie.
Roger zuckte die Achseln, räusperte sich. Er packte den Pfosten. Das Holz fühlte sich feucht an.
«Nein», sagte er schließlich. «Aber du wolltest es einfach nicht auf sich beruhen lassen, hast immer wieder davon angefangen. Er hätte operiert werden können. Vielleicht hätte er noch ein paar Jahre gehabt.»
Sally schüttelte den Kopf und schlang sich die Arme so fest um den Brustkorb, dass ihre weiße Jacke wie eine Zwangsjacke aussah.
«Er lag im Sterben», sagte sie. «Das hat der Tierarzt gesagt. Ich dachte … ich habe dich da nicht reingeschleift. Ich dachte, du wolltest es so?»
«Du wolltest es so», gab Roger zurück. «Du wolltest das schon immer. Du wolltest ihn einfach loswerden.»
Er wartete auf die Einwände, die Verteidigung, die Entschuldigungen. Doch stattdessen verwandelte sich ihre Traurigkeit in etwas anderes.
«Ach, fick dich, Roger.»
Sally machte kehrt, stolperte in ihren Gummistiefeln und ging davon.
«Was?», fragte Roger und erstickte beinahe an dem Wort. «Nein, fick du dich. Miststück.»
Er ließ sie gehen, stieg über den Zauntritt und schob sich durch die Weißdornbüsche dahinter auf den nächsten Acker. Er kam nur drei Schritte weit – vor Wut pochten die Adern an seinen Schläfen bei jedem Herzschlag, und der Himmel schien zu tanzen –, dann zwang er sich stehen zu bleiben.
«Scheiße», murmelte er.
Er war wütend auf Sally, weil sie recht hatte. Maurice hatte an der Schwelle des Todes gestanden. Ja, sie hätten ihn aufschneiden und so viel von seinem Krebs herausholen können, dass er noch ein bisschen weitergelebt hätte, aber er hätte konstante Schmerzen gehabt und jeden Tag Medikamente benötigt – falls er denn die Operation und die Genesungszeit überlebt hätte. Die arme Socke hatte ja nicht einmal mehr sehen und nicht mehr als ein paar Schritte tun können. Er hatte ein wunderbares Leben gehabt, und Sally hatte recht – es war Zeit für ihn gewesen.
In der Ferne hörte er Sally genervt schreien. Und diesmal nahm er es ihr nicht übel. Er führte sich wie ein Arsch auf.
«Scheiße», sagte er noch einmal, machte kehrt und kämpfte sich zurück zum Zauntritt. «Sally!», brüllte er. «Sal, warte, es tut mir leid.»
Auf dem Acker war nichts von ihr zu sehen, sie musste also gerannt sein. Roger lief ihr hinterher. Die Erde zerkrümelte unter seinen Schritten, sodass er das Gefühl hatte, in einem Traum zu laufen, ohne voranzukommen. Er hielt den Blick zu Boden gerichtet und war so darauf konzentriert, dass er es beinahe übersehen hätte – ein Aufblitzen von Weiß zwischen den Bäumen links von ihm.
Er blieb stehen. Sein Herzschlag war das einzige Geräusch auf der Welt. Ganz kurz dachte er, er hätte es sich eingebildet, aber als er mit zusammengekniffenen Augen in den Wald spähte, sah er es noch einmal. Etwas Weißes, das sich schnell bewegte.
«Sally!», brüllte er. Warum zum Teufel lief sie in diese Richtung? Es war kein großer Wald, nur ein schmaler Streifen, der sich von ihrem Dorf hinunter nach Beccles zog, doch die Bäume waren alt und schirmten das letzte Tageslicht ab. Der Abend brach im Wald früh herein, und Schatten krochen zwischen die knorrigen Stämme. Roger erschauerte in seiner Barbourjacke.
Lass sie doch, dachte er. Sie kriegt sich wieder ein.
Aber er hatte ihr unrecht getan, und je länger er die Entschuldigung aufschob, desto unerfreulicher würde es werden.
«Sally!», rief er, krabbelte die niedrige Böschung hinauf, packte einen Ast und hievte sich in den Schatten einer gewaltigen Eibe. Sofort war die Luft um zehn Grad kühler. Wo war Sally hin?
Vorsichtig stieg er über die Wurzeln hinweg, blinzelte sich den Staub des Stoppelfeldes aus den Augen und versuchte, in den schwankenden Schatten etwas zu erkennen. Da, ein flüchtiger Blick auf etwas Weißes, gleich darauf wieder verschwunden.
«Ich weiß, du hast ihn geliebt.» Rogers Worte wurden von den Bäumen verschluckt. «Er hat dich auch geliebt. Es tut mir leid, was ich gesagt habe, ich bin einfach immer noch außer mir.»
Ihre Antwort war ein Flüstern, oder vielleicht ließ das erdrückende Gewicht der Äste und Blätter über ihm auch nicht zu, dass ihre Stimme zu ihm drang. Roger zögerte und blickte sich um. Der Acker wirkte weiter entfernt, als er gedacht hätte, der Tag zu dunkel. Roger mochte den Wald nicht, seit er sich als Kind auf einem Schulausflug im Thetford Forest verirrt hatte – zwar nicht einmal eine Stunde lang, doch das genügte, wenn man neun war. Nirgendwo fühlte man sich kleiner als unter Bäumen, nirgendwo verletzlicher.
«Ich sag dir was», rief er und wagte sich weiter vor. «Lass uns eine Weile wegfahren. Nehmen wir uns einfach eine Auszeit und fahren irgendwohin.»
Ein Zweig zerbrach unter seinem Fuß, es klang wie ein Gewehrschuss. Ihm blieb fast das Herz stehen, und er fasste sich an die Brust.
«Sally?»
Vor ihm ertönte ein weiteres Geräusch, aber dieses klang nicht nach Sally. Es klang überhaupt nicht menschlich. Es war ein tiefes Knurren, fast hundeähnlich, aber lauter. Vielleicht ging da jemand mit seinem Hund im Wald spazieren. Es war kein häufig genutzter Weg – in all den Jahren, in denen sie jetzt schon über diese Felder liefen, waren sie nur selten jemandem begegnet –, doch dank der großen Neubausiedlungen in der Gegend zogen ständig neue Leute zu.
Er ging weiter, und als der Boden unebener wurde, stützte er sich an den gewaltigen Baumstämmen ab. Hin und wieder erhaschte er einen Blick auf Sallys Jacke, kam ihr mit...
Erscheint lt. Verlag | 14.11.2023 |
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Reihe/Serie | Detective Robert Kett | Detective Robert Kett |
Übersetzer | Alice Jakubeit |
Verlagsort | Hamburg |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | Black Dog • Britischer Krimi • crimethrill • DCI Kett • Kindle unlimited • Krimi E-Book • Krimi Neuerscheinung • Krimis und Thriller • Polizeiarbeit • Prime Reading • Spannung • Suspense • Thriller E-Book • Thriller England • thriller neuerscheinung |
ISBN-10 | 3-644-01727-1 / 3644017271 |
ISBN-13 | 978-3-644-01727-6 / 9783644017276 |
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