Die weite Wildnis (eBook)

Roman | New York Times Bestseller und Lieblingsbuch von Barack Obama 2023 | »Ein hinreißender Roman.« Die Zeit

(Autor)

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2023 | 1. Auflage
288 Seiten
Ullstein (Verlag)
978-3-8437-3035-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die weite Wildnis -  Lauren Groff
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'Lauren Groff hat gerade den Abenteuerroman neu erfunden.' - Los Angeles Times Eine kühne literarische Expedition in die amerikanische Wildnis und das Leben einer Pionierin  Ein Mädchen allein, frierend, auf der Flucht. Hinter ihr liegen Hungersnot und die Brutalität der Menschen, unter denen sie aufgewachsen ist; um sie herum fremdes Land und seine Bewohner, die sie fürchtet, weil sie es so gelernt hat; vor ihr das Unbekannte.  Nordamerika im frühen 17. Jahrhundert: Englische Siedler, fromm, überheblich und fähig zur schlimmsten Gewalt, nehmen das Land in Besitz. Das Mädchen gehörte zu ihnen, doch nun ist sie allein. Die Wildnis ist hart, sie kämpft ums Überleben und beginnt, infrage zu stellen, was man ihr beigebracht hat. Haben die Menschen hier nicht ihre eigenen Götter, ihre eigenen Namen für die Dinge? Wozu brauchen sie die Europäer? Ist sie nicht selbst nur ein fremdes, zerbeultes Wesen in einer Welt, die ihrer nicht bedarf? Und während sie die Natur zu lesen lernt, wächst etwas Neues in ihr: ein anderer Sinn, eine Liebe, die nicht besitzergreifend ist.  Die weite Wildnis ist die packende Geschichte einer Pionierin, einer Visionärin: Mit ihrer eigenen, gewaltigen Sprachmacht und dem Pathos biblischer Geschichten erzählt Lauren Groff das abenteuerliche Leben einer jungen Frau, die lernt, zuerst von der Natur zu leben und dann mit ihr - und die dabei eine neue, freie Sicht auf die Welt gewinnt.   'Lauren Groffs Roman folgt einer jungen Frau aus der sogenannten Zivilisation in die Wildnis, wo sie lernt, die Welt so zu sehen, wie sie wirklich ist - und sie nicht beherrschen zu wollen. Die weite Wildnis ist voller unvergesslicher Szenen und steht in einer großen nordamerikanischen Erzähltradition, die Groff zugleich gegen den Strich bürstet.' - Nicole Seifert 'Lauren Groff nutzt die Spielräume verschiedener Genres genial aus, um hochpolitische Romane zu schreiben, die direkt ins Herz unserer Gegenwart treffen.' - Denis Scheck 'Lauren Groff muss eine Zauberin sein. Auch Wochen nach dem Lesen denke ich an so gut wie nichts anderes als diesen Roman und seine unvergleichliche Hauptfigur. 'Die weite Wildnis' ist ein ergreifendes, sprachlich und intellektuell bestechendes und dazu noch hochspannendes Buch.' - Daniel Schreiber

Lauren Groff, 1978 geboren, lebt in Gainesville, Florida. Ihr Roman Licht und Zorn ist einer der größten Erfolge der amerikanischen Literatur der vergangenen Jahre. Er stand ebenso wie Matrix und ihre Erzählungen auf der Shortlist des National Book Award.

Lauren Groff, 1978 geboren, lebt in Gainesville, Florida. Ihr Roman Licht und Zorn ist einer der größten Erfolge der amerikanischen Literatur der vergangenen Jahre. Er stand ebenso wie Matrix und ihre Erzählungen auf der Shortlist des National Book Award.

1.


Der Mond verbarg sich in den Wolken. Der Wind spie schräge Wehen aus eisigem Schnee.

Durch einen Spalt zwischen den hohen schwarzen Palisaden, scheinbar zu schmal für einen Menschen, kletterte das Mädchen hinaus in die grimmige, weite Wildnis.

Sie hatte den Umhang tief ins Gesicht gezogen und war zierlich, sowohl schlank als auch kindlich klein, und vom Hunger gehagert, nur noch Faden und Faser und Sehne und Kern. Selbst derart ausgezehrt und im Dunkeln halb blind, bewegte sie sich flink. Sie rappelte sich auf, stolperte beim ersten Schritt und stürzte beinahe, fing sich aber wieder und rannte los, geduckt über die gefrorenen Ackerfurchen und all die toten Maisstängel, die im Sommer aus der Erde gewachsen waren und nun schon schwarzbraun und fruchtlos und voller Mehltau.

Schneller, Mädchen, trieb sie sich an, und in ihrer Angst und ihrem Schmerz trugen ihre Beine sie noch schneller.

Die guten Stiefel hatte das Mädchen dem Sohn eines Edelmanns gestohlen, einem Jüngling halben Alters, doch gleicher Größe, der in der Nacht zuvor an Pocken gestorben war, die sich rostgleich auf den hervorstehenden kleinen Knochen ausgebreitet hatten. Die Lederhandschuhe und den dicken Umhang hatte sie ihrer eigenen Herrin gestohlen. Den Gedanken an die Frau, die noch immer weinend auf dem gefrorenen Boden im Innenhof kniete, schob sie beiseite. Schritt um Schritt ließ sie diesen höllengleichen Ort hinter sich, und sein Zugriff auf sie schwand.

Doch dann bemerkte sie vor sich auf dem dunklen Feld einen seltsamen Schimmer, und als sie näher kam, erkannte sie das Unterhemd eines Soldaten, den man vierzehn Tage zuvor gesehen hatte, wie er sich langsam schlängelnd von den Schrecken des Forts entfernte, auf die andersartigen Schrecken des Waldes zu. Den halben Weg bis zu den Bäumen hatte er geschafft, als sich plötzlich ein Schatten auf dem Boden verdichtete, emporschnellte und als der furchteinflößendste aller Männer dieses Landes erkennbar wurde, jener Krieger, der zwei Köpfe größer war als die Männer im Fort und seine fürchterliche Wirkung noch verstärkte, indem er einen weiten, dunklen Umhang aus Truthahnfedern über den Schultern trug. Er hatte den zitternd dahinkrauchenden Soldaten mit einer Hand beim Schopfe gepackt und ihm mit einem Messer die Kehle aufgeschlitzt, sodass ein lang gezogener roter Mund darin klaffte. Dann hatte er ihn fallen lassen, auf dass er seines Herzens Blut auf die gefrorene Erde vergieße, und da lag der Tote nun, in unedel verrenkter Pose. Unbegraben, denn der Hunger hatte die Soldaten der Siedlung zu schwach und zu feige werden lassen, um den Leichnam zu holen.

Das Mädchen hatte den Toten bereits hinter sich gelassen, hatte seinen Gestank nicht mehr in der Nase und war schon beinahe am Waldrand angelangt, als sie abermals stolperte, denn der Gedanke an diese beiden Männer ließ Gedanken an jene anderen aufkommen, die in den Wäldern lauern könnten, still in ihren Verstecken. Und als sie in den Wald spähte, der dunkel vor ihr lag, sah sie nun im noch tieferen Schattenschwarz jedes Baumes einen Mann im Hinterhalt kauern, mit einem Messer vielleicht, mit einer Axt oder einem Pfeil und mit kalter Mordlust im Blick.

Für einen Atemzug blieb sie stehen und hatte doch keine Wahl, und so nahm sie ihren Mut zusammen und rannte weiter.

Und jeder dieser Männer erwies sich im Vorbeirennen doch nur als ein Schatten.

Sie hatte beschlossen zu fliehen, und mit diesem Entschluss hatte sie allem entsagt, was sie besaß, ihrem Dach, ihrem Zuhause, ihrem Land, ihrer Sprache, der einzigen Familie, die sie je hatte, und der kleinen Bess, in ihre Obhut geboren, als sie selbst noch ein Kind von vier oder fünf Jahren war; sie hatte ihrer Unschuld, ihrem Verständnis von sich selbst und auch den Träumen entsagt, wer sie eines Tages sein könnte, wenn sie nur diese Hungersnot überlebte.

Denk nicht daran, Mädchen, sagte sie sich, denk nicht daran, sonst wirst du Grames sterben.

Und sie drehte sich nicht um, blickte kein letztes Mal auf das Fort, über dem der Schein eines Feuers den Nachthimmel rot anmalte. Sie konnte weder lesen noch schreiben, doch sie war ein gutes und frommes Kind und hatte stets aufmerksam zugehört, wenn die Pfarrer aus dem Heiligen Buch vorlasen, und sich auf diese Weise lange Passagen daraus Wort für Wort eingeprägt. Nur vorwärts gehen, diese Lektion hatte sie von Lots Frau gelernt, die auf der Flucht vor der Zerstörung von Sodom einmal hinter sich sah und durch ihre Schwäche und den Zorn Gottes zur Salzsäule ward.

Erst als sie im Wald angelangt war, nahm der Wind seine Hände von ihren Wangen, zog sie unter ihrem Rock hervor. Es war wärmer inmitten der Bäume, doch mitnichten warm. Sie blieb stehen und legte die Stirn gegen die schorfige Rinde einer Kiefer, und die raue Härte auf ihrer Haut ließ sie verharren. Der Himmel über ihr war von einer dicken Schicht Wolken überzogen und sandte kein Licht hinab in ihr Dunkel, gar keines. Pechschwarz umgab sie der Wald, nur in den Mulden rings um die Bäume schimmerten Pocken aus Schnee. Mit Mühe beruhigte sie ihren keuchenden Atem. Sie ließ die Stille in sich einsinken, in sich und in den Wald, wo sie sich über die Erinnerung an ihre krachenden Schritte legte, und sie fragte sich, ob sie mit ihrem Lärm wohl die Männer im Fort geweckt hatte oder die, die von jeher in diesem Wald lebten. Die Männer, die sie kannte, und die, die sie nicht kannte. Beide könnten sich in diesem Moment an sie heranpirschen.

Sie lauschte, und da war nur der Wind, der seinen Kratzfuß machte, war nur das Reiben von kaltem Stamm an kaltem Stamm wie das Stimmen von Fiedeln, sie hörte weder Schritte noch knackende Zweige. Doch war die Abwesenheit von Geräuschen kein echter Trost.

Als sich das Blut in ihren Ohren etwas beruhigte, hörte sie nicht weit entfernt den Bach, der unter seinem Schild aus Eis entlangschrappte. So schnell und sachte sie konnte, ging sie weiter, und als sie schließlich Glätte unter den Füßen spürte und dann das steingesäumte Bett sah, durch das er im Frühjahr angeschwollen strömen würde, folgte sie ihm gen Norden und war froh, den spitzen Zweigen und Büschen zu entfliehen, die begehrlich nach ihrem Gesicht und ihren Kleidern schnappten.

Das Mädchen rannte immer tiefer in die Nacht, und die Kälte, die Dunkelheit, die Wildnis, ihre Angst und ihre tiefen Verluste, all das zusammen ließ immer weniger übrig von ihr selbst, wie sie sich kannte, bis sie schließlich nichts mehr war.

Ein Nichts ist nicht da, und was nicht da ist, hat keine Vergangenheit.

Doch ohne eine Vergangenheit, dachte das Mädchen, war ein Nichts wiederum auch frei.

Nach einer Weile wich der erste Schrecken der Flucht, und ihre Gedanken regten sich wieder.

Sie spürte, dass Blicke auf ihr ruhten.

Und auch wenn es in ihrer Vorstellung die Blicke feindseliger Männer waren, so handelte es sich in Wahrheit um den Blick des Waldes selbst, der sich dieses neuartige Wesen mit seinem keuchenden Atem, dem lärmenden Tritt und dem beißenden Menschengeruch besah; alle Nachtvögel und sämtliches herumstreifende Getier verharrte in regloser Verwunderung, während das Mädchen vorüberlief. Und als sie das rennende Mädchen schon nicht mehr sehen oder hören konnten und die letzte Schärfe ihrer Pein aus den Nasen all der krauchenden Kreaturen gewichen war, als dem Laub, der Erde und dem von ihren Füßen verdrängten Schnee nur noch eine vage Ahnung ihres Geruchs anhaftete, schien der Wald noch einmal zu erbeben und die Zeit einen Sprung zu machen, und der Riss, den das hastende Mädchen verursacht hatte, schloss sich, und hinter ihr erwachte allseits der Hunger, folgte jedes Wesen wieder dem Lauf seiner Gelüste. Bloß Stunden nachdem das Mädchen den Wald durchquert hatte, war das nur noch ein seltsamer Traum, ob der Dringlichkeiten des Augenblicks schon beinahe vergessen.

Vielleicht nach Minuten, vielleicht nach Stunden, es ließ sich nicht sagen, in jedem Fall nach einer langen, dicken Schicht aus Zeit, die sie nordwärts das Flussbett hinaufgerannt war, entdeckte das Mädchen einen tieferen, dunkleren Glanz unweit der Stelle, an der ihr Stiefel jetzt leicht einsank, und sie wusste, es war vom Eis befreites Wasser, das offen floss. Sie bückte sich, zog mit den Zähnen die ledernen Handschuhe aus und schob die eiskalten Hände zwischen ihre Schenkel, bis sie etwas aufgetaut und wieder beweglich waren, und dann öffnete sie den Sack, den sie in ihrer steifen Faust getragen hatte, holte den gestohlenen Zinnbecher heraus und nahm einen herzhaften Schluck des plätschernden Wassers. Die Kälte schlitzte sie innerlich auf wie eine Messerspitze. Sie zitterte. Ihre Zähne klapperten, dass ihr ganzer Schädel vibrierte. Ihr Magen, vier Tage ohne Nahrung, protestierte gegen diese neue Fülle. Schließlich packte sie den Becher wieder ein und band sich den Sack fest um die Taille, hob Umhang und Kleid hoch, um ihn direkt auf der Haut zu tragen und seine tröstliche Nähe zu ihrem eigenen Fleisch zu spüren. Am liebsten wäre sie in den kleinen Schneehügel hinabgesunken und eingeschlafen, denn ihr war schwindelig und es wummerte in ihrem Kopf, doch das ging nicht, und so trieb sie sich wieder an, vorwärts, weiter, fort von hier.

Und während sie rannte, betete sie in ihrer Seele: Ach, du...

Erscheint lt. Verlag 28.9.2023
Übersetzer Stefanie Jacobs
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 17. Jahrhundert • Abenteuer • Amerika • Einsamkeit • Frau • Hungersnot • Jamestown • kolonalismus • Lauren Groff • literarisch • Literatur • Mädchen • Natur • Nordamerika • Roman • Siedler • Überleben • Utopie • Virginia • Vision • Wildnis
ISBN-10 3-8437-3035-0 / 3843730350
ISBN-13 978-3-8437-3035-8 / 9783843730358
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