Warum ich mich töten musste -  Martin Wendel

Warum ich mich töten musste (eBook)

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2023 | 1. Auflage
345 Seiten
neobooks Self-Publishing (Verlag)
978-3-7549-9382-8 (ISBN)
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'Früher war es schlimm, in einer normalen Welt verrückt zu sein. Heute ist es umgekehrt.' Was treibt einen Menschen zum Selbstmord? Einige spannende Erklärungsversuche findest du hier in diesem Abschiedsbuch. Tauche ein in die Psyche der anonymen Hauptfigur und durchlebe mit ihr schöne, skurrile Momente, Sehnsucht nach Liebe und Geborgenheit, ernüchternde Niederlagen und brutale Rückschläge und versuche, die verlorene Seele zu verstehen. Als Kind erlebte sie ein Trauma, das sie nie wieder losließ und bis ans Ende verfolgte... Um Suizid zu begehen, braucht es Hoffnungslosigkeit, Verzweiflung, Mut, sehr viele Tabletten oder nur einen kleinen Schritt - von einer großen Brücke!

Drehbuch- und Buchautor Martin Wendel wurde im späten 20. Jahrhundert auf dem Planeten Erde geboren. Er studierte Germanistik und Anglistik und nutzt seine Kreativität und Fantasie, um unterhaltsame Geschichten zu schreiben, die möglichst viele Menschen begeistern und Denkanstöße liefern. Seit Jahren versucht er so nachhaltig und ressourcenschonend zu leben wie es ausführbar ist.

Martin Wendel ist (Drehbuch)Autor.

(2) Wie alles begann


 

Ich wuchs in einem kleinen Dorf in einer Vorstadtumgebung auf. War glücklich. Hatte eine tolle Familie: Zwei wunderbare Eltern und ein kleines Brüderchen. Sie bedeuteten mir alles. Dazu noch zwei Großeltern im selben Ort, zu denen ich immer nach dem Kindergarten und der Grundschule ging, während meine Mutter und mein Vater noch arbeiteten. Bei Oma gab es immer leckeres Essen. Heute würde ich nicht mehr viel davon essen. Nicht nur wegen der hin und wieder im Essen aufgetauchten, welligen, schwarz-weißen Schäferhundhundehaare, die sie meinem Bruder und mir als „Lauch“ verkaufen wollte. So viel Lauch hatte sie nie in der Küche vorrätig und viele Gerichte kamen ohnehin auch ohne ihn aus. Zudem fehlte mir trotz kindlicher Fantasie die Vorstellungskraft, wieso der grünliche Lauch beim Kochprozess plötzlich seine Farbe ändern sollte. Jedenfalls wurde ich im Grundschulalter schon ein wenig sensibilisiert bezüglich des Essens. Als Kind machte ich mir damals jedoch noch keine Gedanken, was man aß. Dass viel zu viel Fleisch auf den Tisch kam. Es war einfach da und schmeckte verdammt gut. Ja, meine Oma konnte schon gut kochen. Im Großen und Ganzen hatten mein Bruder und ich eine geregelte und schöne Kindergarten- und Schulzeit. Wobei, stimmt nicht ganz: Im Kindergarten gab’s jeden Tag beschissen schmeckenden Kamillentee. Wir wurden quasi dazu genötigt, weil es kein normales Wasser gab. Mir war der Gedanke noch fern, meine weiße Plastiktasse einfach unter den Wasserhahn zu halten und so meinen Wasserhaushalt aufzufüllen. Wahrscheinlich weil ich dann der einzige gewesen wäre. Ein Außenseiter, der nicht mit der Masse mitschwimmt oder den Tee nicht gemeinsam am Tisch mittrinkt. Ich ließ mir manchmal kreative Möglichkeiten einfallen, den lauwarmen Aufguss nicht zu trinken. Die subtilste Methode war es, ihn unbemerkt von der Aufsichtsperson und von den anderen Kindern unter den Tisch zu kippen. Auch wenn mir physikalische Gesetze damals noch fremd waren, bestand die Hoffnung, dass die Plörre sich schnell in Luft auflöste, sprich verdunstete. War das nicht der Fall, bekam jemand Ärger – wegen Inkontinenz. Ich war’s allerdings nicht, weil ich die Tasse möglichst weit weg von meinem angestammten Sitzplatz entleerte. Christian, tut mir leid. Obwohl, nein, tut mir doch nicht leid, schließlich hast du immer meine Lieblingsschaukel besetzt, mich viel zu viel genervt und ständig Streit gesucht. Da sollte man sich also nicht ins Hemd, in die Hose oder unter den Tisch machen.

Nach dem Kindergarten und der Erlösung des täglichen Tee-Martyriums ging es in die Grundschule, immer noch im selben Ort, gerade mal 100 Meter vom Kindergarten entfernt. Auch hier gab es keine besonderen Vorkommnisse. Klar war am Anfang alles neu und man gehörte zu den Kleinsten und Jüngsten in der Schule. Aber die Zeit verging recht schnell und man gehörte plötzlich zu den Großen auf dem Schulhof, die die Hoheit hatten, in der Pause Fußball zu spielen, während die Jüngeren auf einen mit Bewunderung aufblickten. Ich will nicht prahlen, aber in der Schule war ich, glaub ich zumindest auch jetzt rückblickend, sehr beliebt. Sportlich war ich seit jeher. Meine Eltern waren beide Leichtathleten, mein Vater sogar Deutscher Meister in der Jugend. Hatte wohl daher auch gute Gene mitbekommen. Jedenfalls war ich ein Bewegungs- und Naturtalent und wurde fast jedes Mal als Erster ausgewählt, wenn es um Teambildung ging. Egal, ob im Handball, Fußball oder Hockey. Es war schön. Und trotzdem tat es mir leid, wie andere Mitschüler konsequent als Letzte gewählt wurden. Wie es darauf hinauslief, dass zwei, drei immer als Letzte auf der Bank übrig geblieben waren. Und jedem der „Wähler“ klar war, dass man am liebsten ganz auf sie verzichten wollte. Diese Momente waren für mich die ersten Anzeichen von Empathie. Wo ich merkte, dass da was nicht stimmt. Wie ich mich wohl fühlen würde an deren Stelle? Unwohl. Noch schlimmer wurde es dann beim Spiel selbst. Die Unsportlichen waren zwar auf dem Spielfeld in der Turnhalle, doch nahmen sie wirklich daran teil? Wollten wir nicht alle gewinnen? Warum soll ich jemandem den Ball zuspielen, wenn ich weiß, dass er ihn sofort an den Gegner wieder verliert? So dachte doch jeder von uns. Ich will mich hier als damals unerfahrenes Kind nicht ausnehmen, aber ein bisschen stolz war ich schon im Nachhinein, dass ich versucht habe, meine oftmals gemobbten Mitschüler miteinzubeziehen. Ich verfügte damals bereits über einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn. Ich erinnere mich an ein konkretes Beispiel: Wir spielten wie gewohnt zur großen Pause Fußball auf dem Hof. In einem Zweikampf hatte ich den Ball als letztes berührt, als er ins Aus kullerte. Das hatte allerdings außer mir niemand mitbekommen und gesehen. Ich nahm den Ball in die Hand zum Einwurf, wo auch schon meine Teamkameraden winkten, dass ich ihnen den Ball zuwerfen sollte. Ich übergab den Ball jedoch meinem Gegenspieler, der überrascht war.

Einer meiner Mannschaftskollegen rief mir sauer zu: „Hey, was machst du?!“

„Ich war als letztes dran“, sagte ich.

„Na und? Das hat doch keiner gesehen“, antwortete er, schüttelte verärgert den Kopf, zeigte mir den Vogel und das Spiel ging weiter.

Das war für mich ein Moment, den ich bis heute nicht vergessen habe. Ich dachte mir bloß: Wir haben hier 20 Minuten Pause. Das ist nur ein normales Spiel ohne Chance auf Bundesligapunkte oder gar eine Chance auf den DFB-Pokal. Was soll’s? Das war der Augenblick, in dem ich realisierte, wie es um Ehrlichkeit bestellt ist. Und ich sah all die Fußballspiele im Fernsehen mit anderen Augen. All das FIFA FAIR PLAY Getue. Und auf dem Spielfeld, wo es um Millionen geht? Achtet mal darauf, wie mittlerweile jeder Spieler die Hand hebt, wenn der Ball ins Aus geht, um dem Schiedsrichter zu signalisieren, dass er nicht als letztes am Ball war und er den Einwurf oder Eckball für sich beansprucht – und das obwohl es in vielen Fällen gar nicht stimmt und sowieso Kameras alles mitverfolgen. Ich fand es nur noch abartig und peinlich und konnte mir so etwas nicht mehr anschauen. Aber zurück zur Grundschule:

Ich kam mir manchmal vor, als ob ich der Einzige wäre, der wusste, dass es nur ein Spiel zur geistigen Erholung in der Pause war. Dass wir Spaß haben sollten. Und es ist nicht so, als ob ich nicht ehrgeizig gewesen wäre. Im Gegenteil, ich war verdammt ehrgeizig, dort, worauf es ankam. Zumindest in dem Mikrokosmos, in dem ich damals lebte. Wo Sportfeste viel bedeuteten und es toll war, Pokale und Medaillen zu gewinnen und mit voller Stolz ins Regal zu stellen beziehungsweise an die Wand zu hängen.

Aber auch meine schulischen Leistungen konnten sich in der Grundschule noch sehen lassen. Klassenbester in Klasse 3 mit 9 x „sehr gut“ und 5 x „gut“. Ab da ging es allerdings bergab. Nicht steil, aber stetig. Die Erklärung dafür wäre zu einfach, es auf die Lehrer zu schieben. Und ich will auch keine Ausreden finden. Doch im Nachhinein ergibt alles irgendwie einen Sinn, jedenfalls sind es kleine Einzelteile des Puzzles. In der Grundschule bezeichnete mich unser Klassenlehrer einmal als „Besserwisser“. Ich war in der ersten oder zweiten Klasse, also ungefähr 8 Jahre. Damals dachte ich noch, das sei ein Kompliment gewesen, weil ich es ja schließlich besser wusste als meine Mitschüler. Meine Eltern berichteten mir, dass der Lehrer es auch nicht ernst gemeint hatte und erklärten mir, dass ich wohl zu rechthaberisch auftrat. Der Lehrer war streng aber konnte mich gut leiden. Meine Eltern erzählten mir auch, dass er viele Komplimente für mich hatte. Dass ich aufmerksam zuhörte und ihn mit meinen Augen quasi auszog. So oder so ähnlich war die Wortwahl, die ich damals etwas merkwürdig fand. Augenscheinlich war ich ein wissbegieriges Kind, das sich nach dem Schlussgong zur Oma stürzte und sich von seinem Taschengeld vorher noch eine kleine Tüte mit weißen Mäusen oder Cola-Schnüre kaufte.

Nach der Grundschule kam ich aufs Gymnasium. Zum ersten Mal musste ich mit dem Bus fahren. Es war alles neu. Noch früher aufstehen. Dann in die Landeshauptstadt und zwischendurch noch einmal umsteigen. Immerhin gingen – oder besser – fuhren zwei, drei meiner ehemaligen Schulkollegen auch zur neuen Bildungsstätte. Doch mit der Zeit verblassten die Freundschaften zu meinen ehemaligen Grundschulfreunden. Musste ich vorher nie lernen, um gut zu sein, war es hier anders. Ich lernte weiterhin nicht und wurde auch nicht gut. Ich war es einfach gewohnt, stinkfaul zu sein. Dass mir alles zufliegt. Wieso soll ich jetzt plötzlich für die Schule lernen? Wo kommen wir denn da hin? Ich schwamm im Strom mit bis die Schleuse mich in der achten Klasse für ein Jahr nicht weiterließ. Also ein neuer Anlauf.

Als ich mir in den letzten Tagen, bevor ich das hier schrieb, wiederholt die Frage nach dem „Bösen“ gestellt hatte, blitzte immer wieder folgende Erinnerung hoch: Ich tötete schon damals, ohne dass es mir etwas ausmachte, ohne Reue. Genau kann ich’s jetzt nicht mehr sagen, aber ich schätze ich war höchstens 10 Jahre alt. Mein jüngerer Bruder und ich hatten im Wald mit einem kleinen Eimer Kaulquappen-Eier gesammelt und sie bei uns zu Hause in einen großen Waschkorb aus Plastik umgefüllt und dort aufwachsen lassen. Wir hatten ihnen ein Mini-Biotop gebaut aus Ästen und Steinen, wo sie Unterschlupf suchen konnten. Es war spannend, jeden Tag zu beobachten, wie die kleinen Froschvorstufen sich weiterentwickelten. Wie sie größer wurden, zuerst kleine Beine und dann Arme ausbildeten. Doch zu einem ausgewachsenen Frosch hatte es niemand dieser Babys geschafft. Ein paar sind wegen Überhitzung in der sengenden Sonne gestorben, nachdem ich vergessen hatte, den Behälter in den Schatten unter den Balkon zu stellen....

Erscheint lt. Verlag 4.4.2023
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte Biografie • Spannung • Suspense • Thriller
ISBN-10 3-7549-9382-8 / 3754993828
ISBN-13 978-3-7549-9382-8 / 9783754993828
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