Ein Fremder klopft an deine Tür (eBook)
368 Seiten
btb (Verlag)
978-3-641-30484-3 (ISBN)
»Håkan Nesser ist ein Autor, der es mit beidem ernst meint, mit dem Krimi und dem Roman.« Die Zeit • • Drei Kriminalfälle aus Maardam: An einem stürmischen Abend Ende Januar klopft es an Judith Millers Tür. Sie öffnet, ohne zu wissen, wen sie vorfinden wird, und ohne zu wissen, dass ihr Leben in dieser Sekunde eine völlig neue Richtung einschlagen wird. Es ist der Moment, auf den sie für immer zurückblicken wird, als Beginn der besten und schlimmsten Dinge, die ihr widerfahren sind. Ebenso wissen weder Anna Kowalski noch der Besitzer der Pferde Schwarz und Braun, dass nur ein paar Schritte abseits des gewohnten Weges unwiederbringliche Folgen haben können. In Van Veeterens Maardam werden weiterhin Verbrechen begangen, und sein Nachfolger, Kommissar Jung, tut sein Bestes, um sie aufzuklären. Einige Fälle jedoch sollten vielleicht besser ungelöst bleiben ...
Håkan Nesser, geboren 1950, ist einer der beliebtesten Schriftsteller Schwedens. Für seine Kriminalromane erhielt er zahlreiche Auszeichnungen, sie sind in über zwanzig Sprachen übersetzt und mehrmals erfolgreich verfilmt worden. Håkan Nesser lebt auf Gotland.
Die Kandidaten
Drei der Kandidaten arbeiteten an ihrer Schule.
Wenn sie die drei in eine Rangordnung bringen sollte, und sie konnte es nicht lassen, das zu tun, kam Max Lehrer auf den ersten Platz. Das stand außer Frage; er war in ihrem Alter, unterrichtete Literatur und Philosophie, war seit zwei Jahren geschieden und auf die klassische Art amerikanischer Filme attraktiv. Gregory Peck. Clark Gable. Burt Lancaster. Die Hälfte aller Schülerinnen war mit Sicherheit in ihn verliebt (vor allem die Siebzehn- und Achtzehnjährigen in den höheren Klassen), und darüber hinaus recht viele Frauen im Kollegium, aber Anna wusste, dass er gerade ihr besonders viel Aufmerksamkeit schenkte. Wenn er im Sekretariat etwas erledigt hatte, blieb er häufig noch einen Moment und unterhielt sich mit ihr. Und manchmal kam er sogar dorthin, ohne ein konkretes Anliegen zu haben. »Ich wollte nur mal hören, wie es dir geht«, sagte er dann etwa. Oder »Es ist immer eine Freude, dich hier zu sehen.« Trotzdem hatte sie nie das Gefühl, dass er mit ihr flirtete, jedenfalls nicht auf eine vulgäre Art, aber vor allem in letzter Zeit (vielleicht wirklich seit der Enthüllung über Herberts fragwürdige Spermien) war es vorgekommen, dass sein Blick eine Sekunde zu lange in ihrem verweilte. Und ihrer in seinem. Es ging um solche fast unmerklichen Zeichen, die nicht ganz leicht zu deuten und dennoch so deutlich waren, wie es nur ging, wenn man es wagte, den entscheidenden Schritt zu machen und zu glauben, was man da sah.
Auch seine Stimme hatte etwas. Sie hätte gern in einer seiner Stunden gesessen, vielleicht als Fliege an der Wand, nur um erleben zu dürfen, wie es aussah, wenn er unterrichtete. Wie er seine warme, dunkle Stimme benutzte, um den Schülern von einem großen Schriftsteller oder Philosophen zu erzählen. Und wie sich sein großer, durchtrainierter Körper zwischen den Pultreihen bewegte … o ja, selbstverständlich belegte Max Lehrer den ersten Platz im Wettbewerb der Bewunderer.
Aber die beiden anderen Anwärter an der Schule waren auch nicht zu verachten. Rickard Huygens, Geschichte und Gemeinschaftskunde, war zwar verheiratet (mit einer Lehrerin an der Realschule), aber es war offensichtlich, dass seine Ehe aus den Fugen geraten war. Bei einem Schulfest vor einem halben Jahr hatten Anna und er zufällig nebeneinandergesessen, und nach ein paar Gläsern Wein hatte er sich seinen Kummer von der Seele geredet. Er sei verheiratet mit einer Gans; als sie jung war, sei sie eine richtig hübsche Gans gewesen, aber mit den Jahren sei die Schönheit von ihr abgeperlt wie … ja, wie Wasser von einer Gans. Anna hatte sich gefragt, ob ihm diese witzige Bemerkung gerade eingefallen war, oder ob er sie eingeübt hatte. Wie auch immer, es war nicht zu weit gegangen, Rickard Huygens hatte seine Frau und seine Ehe nicht völlig niedergemacht, hatte einen Teil der Schuld auf sich genommen, und sie hatten auch über anderes geredet. Außerdem hatte er sich als ausgezeichneter Tänzer erwiesen, drei Lehrer (zwei im Fach Musik, einer in Mathematik) hatten spontan eine Jazz- und Bluesband gebildet, und als die Tafel aufgehoben war, hatte man fast zwei Stunden lang getanzt. Und Rickard Huygens hatte nicht nur zwei- oder dreimal, sondern eher neun- oder zehnmal Anna in Beschlag genommen.
Möglicherweise war er etwas zu jung, nicht älter als dreißig, fünf Jahre jünger als sie, aber wenn sie an ihn dachte, konnte sie sich ein Lächeln nicht verkneifen. Er war nicht halb so attraktiv wie Max Lehrer, der aus irgendeinem Grund nicht bei dem Fest gewesen war, aber er war lustig. Humorvoll und originell, und so weit von Herberts Charakter entfernt, wie es nur ging.
Bei Nummer drei lagen die Dinge etwas komplizierter. Sein Name war Benedict Maertens, und er besetzte die Stelle des Schulpsychologen. Sein Büro befand sich direkt neben dem Sekretariat, und er arbeitete erst seit ein paar Monaten an der Schule, seit dem ersten November, wenn sie sich richtig erinnerte. Er war um die vierzig, groß und dunkelhaarig und erinnerte an einen Therapeuten, den sie einmal in einer amerikanischen Fernsehserie gesehen hatte. Sie fand, dass ihn eine gewisse Mystik umgab, er war wortkarg und gleichzeitig intensiv. Wie eine Energiesparlampe. Wenn man sich mit ihm unterhielt, wurde stets das Tempo gesenkt, und was er sagte, war ausnahmslos klug und sorgsam formuliert. Als läse er laut aus einem Buch, hatte sie einmal gedacht. Aber auch, als blickte er direkt in die Seele des anderen.
Über sein Privatleben wusste sie nichts, und das tat vermutlich auch sonst niemand. Als er seine Stelle am Erasmusgymnasium antrat, war er von Aarlach nach Maardam gezogen, er lebte allein und hatte früher als Psychologe bei der Armee gearbeitet. Als Anna ihn irgendwann kurz vor Weihnachten gefragt hatte, ob er Familie habe, hatte er »Nein, ich habe keine Familie« geantwortet, und etwas in seinem Blick und seinem Tonfall bei diesem schlichten Satz hatte sie davon abgehalten, die natürliche Anschlussfrage zu stellen: Wie er Weihnachten feiern und die zwei Wochen langen Ferien verbringen wolle.
Ja, wenn es ein Wort gab, das die Person Benedict Maertens zusammenfassen konnte, dann war es wohl mystisch. Aber es war eine ansprechende, fast schon verlockende Mystik.
Die beiden übrigen denkbaren Bewunderer, die ihr in den Sinn kamen, gehörten ihrem privaten Umfeld an, und beide empfand sie in einer Weise als verboten, die nicht für das Trio an ihrem Arbeitsplatz galt. Es gab eben doch einen Unterschied zwischen Kollegen und Freunden.
Arnold Czernik war ein guter alter Freund von Herbert. Er war mit einer gewissen Sylvi verheiratet, die in ihren Jugendjahren zur selben Clique gehört hatte. Die beiden waren seit dem Gymnasium zusammen, hatten zwei Kinder im Teenageralter und wohnten draußen in Wemden, einem Vorort von Maardam. Arnold hatte eine Anwaltskanzlei, in der Sylvi als Sekretärin arbeitete, weshalb man mit Fug und Recht behaupten konnte, dass die beiden sich über einen ziemlich langen Zeitraum hinweg viel gesehen hatten und immer noch sahen.
Nicht weiter verwunderlich, wenn man unter diesen Voraussetzungen ein wenig frische Luft benötigte. Anna hatte oft daran gedacht, und es gab Zeichen, die es bestätigten. Der klarste Hinweis hatte sich knapp zwei Monate zuvor ergeben, an Silvester. Gemeinsam mit drei anderen Paaren hatte man bei Anna und Herbert festlich gespeist, und ein paar Minuten vor zwölf, als man noch am Tisch saß (ausgenommen Herbert, der in der Küche war und die traditionelle Flasche Veuve Clicquot öffnete), hatte Arnold eine Hand auf ihren Oberschenkel gelegt. Ziemlich weit oben und unter ihrem Rock; möglicherweise hatte sie seine Hand dort einen Augenblick zu lange liegen lassen, ehe sie sie behutsam wegschob. Vielleicht war sie auch nicht sonderlich abweisend gewesen, aber sie war ein wenig betrunken gewesen, und hinterher war es ihr schwergefallen, sich an die Details zu erinnern.
Wie gesagt, es gab weitere Zeichen, wenn sie sich diese in Erinnerung rufen wollte, jedenfalls fiel es einem nicht besonders schwer, sich den recht eleganten, aber leider etwas korpulenten Anwalt in der Rolle des heimlichen Bewunderers vorzustellen.
Der zweite Kandidat aus ihrem Bekanntenkreis war problematischer und der Einzige in ihrem Quintett, für den sie keine Sympathie empfand. Im Gegenteil, falls sich herausstellen sollte, dass Klaus Freydenbach hinter dem Brief im Treppenhaus und den symbolischen Geschenken im Gepäckschließfach im Hauptbahnhof steckte, sagte ihr Bauch ihr, dass sie sofort einen Rückzieher machen würde.
Klaus war nach zwei komplizierten Beziehungen Single, und in der bisher letzten war er mit Brigitte zusammen gewesen, einer Freundin Annas. Brigitte hatte vor gut einem Jahr Schluss gemacht mit Klaus und lebte mittlerweile mit einem neuen Mann in London. Anlässlich ihres Aufbruchs und in der Zeit davor hatte sie sich Anna anvertraut und ihr erzählt, Klaus habe sie völlig dominiert, er sei wahrscheinlich ein Psychopath und sie fürchte sich vor ihm. Sie waren mehr als fünf Jahre zusammen gewesen, sie wusste also, wovon sie sprach; außerdem hatte sie Kontakt zu der Frau aufgenommen, mit der er vorher zusammen gewesen war, und diese hatte ihre Analyse in jedem Punkt bestätigt.
Klaus Freydenbach hatte sich auch noch mit dem Ehepaar Kowalski getroffen, obwohl Brigitte von der Bildfläche verschwunden war. Anna hatte darüber mit Herbert diskutiert und bei der Gelegenheit auch angesprochen, was sie über die dominanten und psychopathischen Züge gehört hatte, aber Herbert hatte das als Nonsens abgetan. »Das sind so Sachen, wie Frauen sie immer sagen, wenn sie von einem Mann verlassen werden.« Dass in diesem Fall die Frau den Mann verlassen hatte, glaubte er ihr nicht. Klaus habe ihm erklärt, es sei eine gemeinsame Entscheidung gewesen, aber er sei definitiv die treibende Kraft gewesen.
Herbert mochte Klaus, das war wohl das Problem. »Ein geradliniger und ehrlicher Typ, der sagt, was er denkt und der immer positiv ist. Nett und lustig. Und verdammt smart.«
Anna stimmte zu, dass Klaus smart war. Er war Professor für Semiotik, was immer das war, an der Universität von Maardam, und so jemand sollte wohl hoffentlich einen etwas höheren IQ haben als der Durchschnitt. Sie stimmte ihm auch darin zu, dass er ein Händchen für den Umgang mit Menschen hatte, aber gerade das war, wenn sie es richtig sah, ein gemeinsamer Nenner für alle Psychopathen. Der oberflächliche Charme. Wie auch immer, sollte sich herausstellen, dass Klaus Freydenbach ihr heimlicher Bewunderer war, gab es nur eins, diese Tür hart und entschieden zuzuknallen.
Ein Problem würde natürlich entstehen, wenn der Bewunderer weiter Kontakt zu ihr...
Erscheint lt. Verlag | 4.10.2023 |
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Übersetzer | Paul Berf |
Sprache | deutsch |
Original-Titel | En Främling Knackar pa din dörr. Och tva andra brottstycken fran Maardam med omnejd. |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | 2023 • eBooks • Krimi • kriminalinspektor jung • Kriminalromane • Krimis • Maardam • Neuerscheinung • Schwedenkrimi • SPIEGEL-Bestsellerautor • Van Veeteren |
ISBN-10 | 3-641-30484-9 / 3641304849 |
ISBN-13 | 978-3-641-30484-3 / 9783641304843 |
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