Die Sonntagsschwestern (eBook)

Roman

(Autor)

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2023 | 1. Auflage
448 Seiten
Goldmann (Verlag)
978-3-641-30955-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Sonntagsschwestern -  Sonja Roos
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Hanne, Mone und Jessy wurden schon früh von ihrem Vater verlassen - und damit auch von ihrer Mutter, die in tiefe Depressionen fiel und kaum noch für ihre Kinder sorgen konnte. Auf sich gestellt gaben die Schwestern einander Halt und wurden ein eingeschworenes Team. Doch Jahre später haben sie sich auseinandergelebt, und nur das sonntägliche Mittagessen bei Hanne verbindet die Familie. Das ändert sich, als bei Hanne eine tödliche Krankheit diagnostiziert wird. Ein Weckruf für Jessy und Mone, endlich ihre Probleme in den Griff zu bekommen, um für Hanne da sein zu können. Doch wird es den Sonntagsschwestern gelingen, ihren alten Zusammenhalt wiederzufinden, bevor es zu spät ist?

Sonja Roos, 1974 geboren, wuchs in einem kleinen Dorf im Westerwald auf. Sie studierte Germanistik und Anglistik und arbeitete als Redakteurin und Kolumnistin bei der Rhein-Zeitung. Sonja Roos lebt heute mit Mann, drei Töchtern und einem Hund in ihrer alten Heimat, dem Westerwald.

Prolog


Zehn Jahre zuvor


Jessy stand in der Tür zum Wohnzimmer und betrachtete die Silhouette ihrer schlafenden Mutter auf dem Sofa. Im Halbdunkel konnte sie weder die Falten noch den bereits ergrauten Haaransatz ausmachen. Jessy ließ ihren Blick über den Raum gleiten. Vor der abgewetzten Couch lag eine leere Weinflasche, daneben häuften sich Zigarettenstummel in einem Aschenbecher. Die Luft roch schal und abgestanden wie in einer Kneipe.

»Mama?«, flüsterte Jessy.

Die Gestalt zuckte kurz, sodass die alte Wolldecke herunterrutschte und einen Blick auf den knochigen Körper freigab.

»Mama?«, fragte Jessy etwas lauter.

»Lass sie schlafen«, hörte sie plötzlich die Stimme ihrer älteren Schwester Mone hinter sich.

»Aber ich hab den Bus verpasst«, sagte Jessy und starrte auf ihre kaputten Turnschuhe.

»Ich fahr dich«, sagte Mone und zog Jessy aus dem Zimmer. Jessy folgte ihrer Schwester, die sich im Vorbeigehen eine Jeansjacke vom Wandhaken angelte und die Schlüssel zu ihrem Roller aus einer Schale klaubte, die auf dem Flurschrank stand.

»Ich wollte eh mal mit dir reden«, rief Mone ihr bedeutungsschwer zu, während sie bereits im schummrigen Hausflur stand, in dem eine einzelne, defekte Neonröhre ähnlich panisch flackerte wie Jessys Herz in diesem Augenblick. Sie schluckte mehrmals, bevor sie ihren Schulrucksack griff und leise die Wohnungstür schloss. Dabei blieb ihr Blick an dem Namensschild hängen, das Hanne, die älteste der drei Schwestern, damals nach dem Umzug geschrieben hatte. »Sturm«, stand da der Familienname in Hannes schönster Mädchen-Handschrift, wobei der Zustand ihrer kleinen Familie nach Papas Fortgang eher dem glich, was ein Tornado zurückließ.

»Jessy, du träumst schon wieder«, hörte sie Mones gereizte Stimme. Jessy riss ihren Blick los und begann eilig, die vier Stockwerke hinter Mone herzulaufen, die bereits einen guten Vorsprung hatte. An der Haustür holte sie ihre Schwester ein. Mone war stehen geblieben und betrachtete Jessy aus zusammengekniffenen Augen.

»Du weißt, dass du der Sache jetzt mit dem Brief die Krone aufgesetzt hast?«, fragte sie gereizt. Jessy spürte, wie ihr der Schweiß ausbrach.

»Mensch, Jessy, ich bin nicht mal mehr auf der Schule, aber jeder hat es mitgekriegt. Ich meine, es war schon peinlich genug, dass du den Kerl aus der Ferne angehimmelt hast, aber dass du ihm nun auch noch so einen Brief schreiben musstest.«

»Der Brief war ja nicht wirklich für ihn bestimmt. Ich hab ihn geschrieben, weil, weil …«

Jessy stockte, weil sie nicht einmal sagen konnte, weshalb sie ihre Gefühle zu Papier gebracht hatte. Sie hatte einfach ein Ventil gebraucht. Sie war so unglücklich, weil Lukas Danko sie nicht liebte. Nein, nicht nur, dass er ihre Gefühle nicht erwiderte, er mied sie, wechselte die Straßenseite, wenn sie ihm entgegenkam, und in jüngster Zeit reagierte er sogar abweisend, wenn er sie in seiner Nähe bemerkte. Und trotzdem – obwohl sie ihn nur aus der Ferne lieben konnte, löste er ein warmes Gefühl in ihr aus, fast wie die Geborgenheit, die sie zu Hause so schmerzlich vermisste. Ihn jeden Morgen in der Schule zu sehen gab ihr Halt. Doch Lukas stand kurz vor dem Abitur und würde danach aus Deutschland fortgehen, und sie hätte dann nichts mehr außer ihrem armen, geschundenen Herz. Dieser Gedanke bereitete ihr panische Angst. All das hatte sie ihm geschrieben und natürlich auch, dass sie sich mehr als alles andere wünschte, er würde sie endlich bemerken und irgendwann ihre Gefühle erwidern.

Sie hatte nie vorgehabt, ihm diesen Brief zu geben, doch vorige Woche, als sie ihre Bücher in den Schulspint legte, musste der Brief wohl herausgefallen sein, ohne, dass sie es bemerkte. Am nächsten Morgen hatte jemand ihre Zeilen vervielfältigt und überall in der Schule ausgehangen. Die größten Lästermäuler hatten ein gefundenes Fressen, liefen mit ihren Worten über den Schulhof und lasen vor, was für niemandes Ohren bestimmt gewesen war. Jessy wäre am liebsten auf der Stelle gestorben. Doch noch schlimmer war, dass Lukas ihr an diesem Tag plötzlich gegenüberstand und sie wütend anfunkelte. Er hob an, etwas zu sagen, besann sich dann aber eines Bessern, drehte sich um und stapfte kopfschüttelnd davon. Jessy liefen die Tränen, während sie sich zunächst in der Schultoilette einsperrte, um sich nach der Pause im Sekretariat krankzumelden und nach Hause zu fliehen. Ein paar Tage konnte sie Mone vormachen, dass es ihr tatsächlich schlecht ging, doch seit gestern musste sie wieder zur Schule, und es war die Hölle.

Ihre Mutter bekam von alldem nichts mit. Schon seit Jahren erzogen die Schwestern sich untereinander. Hanne hatte sich als älteste um die beiden jüngeren gekümmert. Seit sie zum Studium fortgegangen war, hatte Mone die Rolle übernommen. Und sie nahm die Sache sehr ernst.

»Herrgott, Jessy, komm drüber weg. Werd endlich erwachsen. Du bist jetzt siebzehn, und dieser Unsinn geht schon wie lange? Drei Jahre?« Sie schüttelte den Kopf und öffnete nun die Haustür, durch deren unebenen Glaseinsatz sich ein langer Riss zog. Eilig lief Mone zu ihrem Roller, doch Jessy war wie immer, wenn es Richtung Schule ging, wie gelähmt.

»Nun mach, ich komm zu spät. Du weißt, dass mein Chef gerade bei den Auszubildenden keinen Spaß versteht.«

Während Mone sich ihren Helm über die blonden Locken zog, schlurfte Jessy ihr nach, wobei sie sich fühlte wie ein Verurteilter, der zum Schafott geführt wurde. Mone drückte ihr den zweiten Helm in die Hand und wartete, bis Jessy diesen aufzog und sich hinter ihr auf den Sitz des Rollers fallen ließ. Zwanzig Minuten später hielten sie vor der Schule. Jessy starrte das Schulgebäude widerwillig an.

»Los, Jessy, wegen dem Umweg bin ich eh schon knapp dran.«

Jessy beeilte sich abzusteigen und blickte ihrer Schwester nach, die schnell nur noch ein kleiner Punkt am Horizont war. Schweren Herzens trat sie durch das schmiedeeiserne Schultor, in Gedanken noch ganz bei dem Gespräch mit Mone, sodass sie sein Rufen erst beim dritten Mal hörte.

»Hey, Jessy, nun warte doch mal!«

Sie drehte sich ungläubig zu der Stimme um. Tatsächlich stand Lukas Danko neben ihr. Jessy schaute misstrauisch in sein Gesicht, das ihr so vertraut und doch so fremd war. So lange schon war sie in diesen Jungen verliebt, dass sie gar nicht mehr wusste, wie es sich anfühlte, ihn nicht zu lieben. Ihr Herz hämmerte nun so laut, dass sie glaubte, er könne es ebenfalls hören. Unsicher blickte sie ihn an.

»Hast du mich gerufen?«, fragte sie, eine Spur zu barsch vielleicht, weil sie es nicht gewohnt war, mit ihm zu reden. Er holte Luft, und sie glaubte schon, er würde wie die anderen über sie spotten, doch dann legte er den Kopf schief und schenkte ihr ein überraschendes Lächeln.

»Ich wollte mich entschuldigen, dass ich neulich so sauer war. Es tut mir leid. Im Grunde war es ein netter Brief.«

Jessy blieb buchstäblich der Mund offen stehen. Sie brachte keinen Laut heraus. Er räusperte sich.

»Tja, vielleicht hast du ja nach der Schule mal Bock abzuhängen?«

Jessys Augen weiteten sich, ihr Herz stolperte in ihrer Brust, und sie spürte, wie sich eine brennende Röte über ihre Wangen zog. Sie konnte nicht sprechen, weil ihr Mund zu trocken war, darum nickte sie nur.

»Okay.« Er schenkte ihr wieder dieses Lächeln, das ihre Knie weich werden ließ. »Morgen im Park, so um drei?«

Jessy nickte erneut wie benommen. Dann ging er, jedoch nicht, ohne ihr vorher noch einmal zuzuzwinkern. Sie spürte, wie ihre Knie weich wurden, und ließ sich auf eine kaputte Bank am Rand des Schulhofs fallen, damit sie nicht zu Boden ging. Das musste ein Traum sein, ganz sicher. Nie, nicht ein einziges Mal, seit Lukas ihre Verliebtheit bemerkt hatte, war er auch nur freiwillig in ihre Nähe gekommen. Und jetzt das. Den Schultag über bewegte sich Jessy wie in einer Blase. Sie bemerkte kaum etwas um sich herum, zu beschäftigt war sie mit der Frage, was diese neue Entwicklung zu bedeuten hatte. Konnte es tatsächlich der Brief gewesen sein? Hatten ihre Worte etwas in ihm berührt? Sie war so in ihrer eigenen Welt gefangen, dass sie die hämischen Blicke seiner Freunde nicht sah und das Gekicher hinter ihrem Rücken schlichtweg überhörte.

In dieser Nacht fand Jessy kaum Schlaf. Sie blätterte stattdessen in ihrem Tagebuch, las die Einträge, die sie über die Jahre hinweg gemacht hatte, von dem Tag an, als Lukas Danko das erste Mal in ihr Leben getreten war, bis zu dem furchtbaren Moment, als sie den Brief verloren hatte. Was nur sollte sie von dieser überraschenden Wendung halten? Zu gern hätte sie jemanden um Rat gefragt, doch Mones Antwort dazu kannte sie bereits, Hanne hatte seit dem Studium andere Probleme, und ihre Mutter lebte in ihrer eigenen Welt, seit ihr Vater auf und davon war.

Irgendwann schlief sie im Schein ihrer Nachttischlampe ein, sodass sie am Morgen, als der Wecker anging, geblendet die Augen zukneifen musste, weil das Licht immer noch auf sie gerichtet war. Jessy stand auf und huschte ins Bad. Heute wollte sie sich besonders zurechtmachen – egal, was dieser Tag bringen würde. Doch als sie ihr Spiegelbild betrachtete, wurde ihr schlagartig bewusst, dass es fast unmöglich für sie war, auch nur annähernd hübsch auszusehen. Mit ihren siebzehn Jahren hatte Jessy immer noch keine Kurven. Ihre Figur war knabenhaft, fast hager, mit winzig kleinen Brüsten. Dazu hatte sie mausbraunes Haar, das stets strähnig aussah, egal, wie oft sie es wusch. Eine hartnäckige Akne und die Zahnspange, die sie erst im kommenden Sommer loswerden würde,...

Erscheint lt. Verlag 1.11.2023
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Klassiker / Moderne Klassiker
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 2023 • Berührend • Dora Heldt • eBooks • Familiengeschichte • Frauenunterhaltung • Hoffnungsvoll • Monika Peetz • Neuerscheinung • Neuerscheinung 2023 • Roman • Romane • Schwester
ISBN-10 3-641-30955-7 / 3641309557
ISBN-13 978-3-641-30955-8 / 9783641309558
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