Die Diamanten von Selfridges (eBook)

Kriminalroman

(Autor)

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2023 | 1. Auflage
512 Seiten
Goldmann (Verlag)
978-3-641-30714-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Diamanten von Selfridges -  Erin Bledsoe
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London, 1920: Während die Stadt von kriminellen Banden beherrscht wird, versucht die junge Alice Diamond alles, um ihre Familie zu schützen. Dafür braucht sie dringen Geld. Es scheint nur einen Ausweg zu geben: Sie muss sich der Diebinnenbande The Forty Elephants anschließen. Doch damit gibt sie auch ihre Freiheit und Unabhängigkeit auf. Immer wieder gerät sie mit der Anführerin Mary Carr aneinander, die Alice' Familie zum Druckmittel macht. Erneut um die Sicherheit ihrer Liebsten besorgt, plant Alice den größten Raub der Geschichte Londons, mit dem Ziel, Mary vom Thron der Forty Elephants zu stoßen. Sie ahnt nicht, dass sie mit diesem Unterfangen ihre Familie selbst in tödliche Gefahr bringt.

Bereits in der sechsten Klasse entdeckte Erin Bledsoe ihre Liebe zum Schreiben. Wenn sie nicht gerade an ihren Büchern arbeitet, erkundet sie die Natur oder spielt Dungeons & Dragons. Sie lebt mit ihrem Mann und ihren Kindern in Michigan.

Zweites Kapitel


So spät treibt sich niemand mehr auf den Straßen in Lambeth herum, und ich vermisse das Hufgetrappel auf Kopfsteinpflaster und das Rattern der vorbeifahrenden Omnibusse. Die Stille macht mir deutlich, dass ich alleine bin, und veranlasst mich dazu, ständig nach Bewegung in der Dunkelheit Ausschau zu halten. Ein stilles London ist ein gefährliches London.

Plötzlich rast von hinten ein hupendes Automobil auf mich zu, und ich erschrecke mich beinahe zu Tode. Ich habe schon nach dem Messer in meinem Strumpfband gegriffen, als ich sehe, dass Maggie aus dem Ford Model T springt, der auf meiner Höhe gehalten hat.

»Du solltest dir eine Droschke nehmen. Es ist nicht sicher, hier nachts herumzulaufen.«

Ich fuchtle mit dem Butterflymesser in meiner Hand herum, bemüht, mir meine Unsicherheit nicht anmerken zu lassen. »Du weißt doch, dass ich immer ein Messer bei mir trage, Mags.«

Ich halte Augenkontakt und gebe mein Bestes, ihr Automobil nicht zu offensichtlich anzuglotzen. Es übersteigt meine Vorstellungskraft, ein eigenes Automobil zu besitzen, von neuen Seidenstrümpfen mal ganz abgesehen. Eine Welle des Neids überkommt mich, aber dann erinnere ich mich daran, wie sie sich das alles erarbeitet hat.

»Du solltest wissen, dass es zwecklos ist, mich darum zu bitten, mich einer Gang anzuschließen«, sage ich mit ausdrucksloser Stimme.

»Lass mich dich nach Hause fahren. Wir müssen auf der Fahrt nicht darüber reden. Sieh es einfach als einen Gefallen unter Freundinnen an. Bestimmt tun dir die Füße weh.«

Tatsächlich habe ich Füße wie Blei von dem langen Abend, an dem ich durch den Club gehetzt bin. Aber ich nehme ihr nicht ab, dass sie nur eine gute Tat vollbringen will. Die Maggie, die ich kannte, würde nicht so schnell aufgeben. »Ich bin durchaus noch in der Lage, zu Fuß zu gehen.«

»Ich will, dass du mich begleitest«, beharrt sie und dreht sich um, um mir die Beifahrertür zu öffnen. »Es ist doch nur eine Fahrt.«

Und als ob sie die Kontrolle über das Wetter hätte, fängt es an zu nieseln. Ich werfe ihr einen scharfen Blick zu, und ihre Lippen verziehen sich zu einem schalkhaften Lächeln. »Du willst doch nicht etwa im Regen nach Hause laufen, oder?«

Ich stöhne entnervt auf, gebe dann aber nach und gleite auf den Beifahrersitz. »Du fährst mit diesem Automobil und in diesem Outfit in The Mint? Dir sollte klar sein, dass nicht ich schuld daran bin, wenn du ein halbes Dutzend Mal überfallen wirst.«

Sie lacht, schweigt aber und hält ihr Wort, Mary oder die Gang während der Fahrt nicht zu erwähnen. Es herrscht ein seltsames Schweigen zwischen uns – zwei Freundinnen, die sich auseinandergelebt haben. Ich möchte sie so viel fragen, starre aber stattdessen aus dem Fenster und beobachte, wie gepflegte Wohnhäuser und Geschäfte von Minute zu Minute immer seltener am Straßenrand zu sehen sind.

Bei Tageslicht ist es in Lambeth ein Traum. Im hellen Sonnenschein erscheint das Leben auf den Straßen in einem ganz anderen Licht. Auf dem Weg zur Arbeit komme ich an Ständen von Gemüsehändlern vorbei, unter deren hellen Markisen lauter prall gefüllte Körbe und Kisten stehen, an Gebrauchtbuchläden, deren Verkäufer am Bordstein ihre Ware lautstark feilbieten, an Männern und Frauen, die mit strahlendem, fröhlichem Lachen in maßgeschneiderter Kleidung flanieren.

Auf dem Heimweg hingegen ist die einzige angenehme Begegnung, die sich uns entlang der im Schlaf liegenden Straßen bietet, ein zerlumpter Leierkastenmann, der vor sich hin schlurft und dabei mit seinem Hut um Münzen bettelt. Ich habe mit beiden Seiten meinen Frieden geschlossen: mit dem quirligen Wesen des Londoner Tags und mit der unheimlichen Stille, die dem Mondaufgang auf dem Fuße folgt.

Ich atme tief ein und lockere meine Schultern, bis meine ruhige Gelassenheit verschwindet, als mein Viertel in Sicht kommt – ein Viertel, das The Mint genannt wird und in dem die Straßenzüge vom Londoner Ruß geschwärzt sind.

Commissioner Horwood hat es das »Kriminellenviertel« getauft, eine düstere Gegend, in der sich der Ruß aus den Schornsteinen auf Kleidung und Haut niederlässt und sich nie wieder ganz entfernen lässt. Wenn hier jemand ermordet wird, macht sich die Polizei nicht einmal die Mühe, herzukommen, weil sie wissen, dass die Leiche und die Beweise vor ihrer Ankunft längst vom Erdboden verschwunden sind. Es ist ein Unterschlupf für Diebe, Mörder und Betrüger – Leute, die nur dank ihrer zweifelhaften Talente über die Runden kommen.

Das Schaufenster des Ladens meiner Mutter ist klein, und die Schrift auf dem Schild, auf dem Wahrsagerei beworben wird, blättert ab. Es ist nicht gerade eine einladende Werbung, aber Mum hat viele Kunden, die verzweifelt nach Antworten suchen und inständig hoffen, ihren Laden mit erfreulichen Neuigkeiten verlassen zu können. Sie enttäuscht niemanden.

Maggie parkt auf der gegenüberliegenden Straßenseite und schaut angewidert aus dem Autofenster. Die Mitglieder ihrer Familie, die Hills, waren die rechte Hand meines Vaters, bevor sie nach Chinatown zogen.

»Ich verstehe nicht, wie du hier ausharren kannst«, sagt sie schließlich. »Wieso kehrst du jeden Tag hierhin zurück, nachdem du Zeit in Soho verbracht hast, unter Menschen, die es verstehen, ihr Leben wirklich zu genießen?«

»Die Familie«, bringe ich ihr in Erinnerung, greife nach dem Türgriff und steige aus.

Rasch hüpft auch sie aus dem Automobil und kommt um den Wagen herum, um mir Auge in Auge gegenüberzustehen, bevor ich in den Laden eilen kann. »Ich hatte versprochen, dass ich während der Fahrt die Klappe halte.«

Ich schüttle den Kopf. »Es hätte auch einfach eine Begegnung von zwei Freundinnen sein können, die sich Hallo sagen, aber du musstest es ja zu einer persönlichen Sache machen. Du musstest etwas tun, das mir das Gefühl gibt, dass du mich gar nicht mehr kennst und dass du dich auf eine Art verändert hast, die ich dir nicht verzeihen kann.«

»Das klingt furchtbar dramatisch, wenn man bedenkt, dass du das Geld bestimmt gut brauchen könntest.«

»Wir kommen schon zurecht. Wir kommen immer irgendwie durch.«

»Dein Plan für die Zukunft ist also, immer nur irgendwie durchzukommen, obwohl du reich werden könntest?«

Ich zwicke mir in den Nasenrücken. »Warum drängst du so? Du warst die ganze Zeit in London und hast mich nie aufgesucht.«

»Mary hat mich schon vor Jahren gebeten, dich anzuwerben, aber ich habe mich geweigert. Als sie mir dann mitteilte, sie wolle versuchen, dich selbst ausfindig zu machen, habe ich sogar gedroht fortzugehen, wenn sie das täte.«

Ich ziehe leicht die Augenbrauen hoch. »Wo war diese Zurückhaltung heute Abend?«

Statt einer Antwort strafft sie die Schultern. »Als ich dich sah … erkannte ich so viel Potenzial. Ich weiß zwar zu schätzen, was Mary aufgebaut hat, aber ich weiß auch, dass wir noch mehr erreichen könnten. Es gibt noch größere Herausforderungen, denen sie den Rücken kehrt, weil sie glaubt, wir sollten lieber auf Nummer sicher gehen. Aber ich weiß, dass ich zu mehr fähig bin, und die Mädchen sind ebenfalls zu mehr in der Lage. Man muss es ihnen nur zeigen. Wenn du und ich ihnen – Mary – die Möglichkeiten aufzeigen, wären wir mehr als nur Unterhaltungsstoff für die Zeitungen. Wir wären eine ernst zu nehmende Größe in London. Wir hätten etwas ganz Eigenes.«

Bei dieser Vorstellung beginnt sich in meinem Kopf alles zu drehen, und erneut kommt Neid in mir auf. Als wir noch Mädchen waren, gab es nichts, was wir nicht hätten gemeinsam erreichen können. Die Möglichkeiten jetzt, als erwachsene Frauen, fühlen sich grenzenlos an. Aber das Gefühl von Vorsicht überkommt mich – nicht nur bei der Vorstellung, mich einer Gang anzuschließen, sondern auch dabei, Maggie wieder zu vertrauen. Ich glaube nicht, dass ich das kann.

Ich verschränke die Arme vor der Brust und kneife die Augen zusammen. »Du willst mich rekrutieren, weil es mir nichts ausmacht, die Ärmel hochzukrempeln und mir die Hände schmutzig zu machen? Oder weil du schon immer versucht hast, deinen Brüdern zu beweisen, dass du sie nicht brauchst, um eine große Nummer zu sein?«

»Es geht hier nicht um sie.«

»Lüg mich nicht an! Das Mindeste, was du tun kannst, ist, ehrlich zu mir zu sein.«

»Willst du denn nicht mehr erreichen als das hier?« Sie fuchtelt mit den Armen herum, gestikuliert hinauf in die Dunstglocke, die über dem Viertel hängt. »Davon haben wir doch immer geträumt, als wir noch Mädchen waren – mehr zu erreichen und The Mint hinter uns zu lassen. Solange ich dich kenne, hast du dich immer nur für deine Familie aufgeopfert und hinter Tommy den Dreck weggeräumt. Wann wirst du entscheiden, dass es genug ist?«

Ich schäume. »Wir waren Mädchen, die von einer Welt träumten, die es nicht wirklich gibt.« Ich lasse dieses großkotzige Model T gründlich auf mich einwirken, da ich nie wieder darin fahren werde. Ich präge es mir für immer ins Gedächtnis ein, bevor ich sage: »Viel Glück, Mags.«

Dann lasse ich sie stehen und gehe hinein.

Die rostige alte Glocke, die über der Tür hängt, kündigt mich an. Der schwache, flackernde Lichtschein, der den Laden erhellt, ist kaum heller als das Licht in den schummrigen Straßen. Mum schaut auf, während sie die auf einem Tisch ausgebreiteten Tarotkarten aufsammelt. Der Tisch ist mit einem abgenutzten, ausgefransten Tuch bedeckt, das tiefrot ist – ihre Lieblingsfarbe. Als ich jung war, bewohnten wir beide Stockwerke des Gebäudes, aber als Tommy...

Erscheint lt. Verlag 20.12.2023
Übersetzer Peter Beyer
Sprache deutsch
Original-Titel The Forty Elephants
Themenwelt Literatur Historische Romane
Literatur Krimi / Thriller / Horror Historische Kriminalromane
Schlagworte 2023 • 20er Jahre • Alice Diamond • Bücher über starke Frauen • Diebesbande • eBooks • Erstmals auf Deutsch • Historische Kriminalromane • Historische Krimis • Juwelendiebe • Krimi • Kriminalromane • Krimis • London • nach wahren Begebenheiten • Neuerscheinung • Neuerscheinung 2023 • oceans 8 • Peaky Blinders • the forty elephants
ISBN-10 3-641-30714-7 / 3641307147
ISBN-13 978-3-641-30714-1 / 9783641307141
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