Der eiserne Weg (eBook)

Die Chronik der Sarmaten (2) - Historischer Roman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2024
384 Seiten
Goldmann Verlag
978-3-641-30952-7 (ISBN)

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Der eiserne Weg - Tim Leach
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175 n. Chr., Vindolanda, Britannien: Die sarmatische Kavallerie wurde bei der Donauschlacht von den römischen Legionen zerschlagen. Nun muss sich Kai, ihr stolzester Krieger, das Überleben seines Volkes mit dem Versprechen erkaufen, Rom zu dienen. Obwohl die Sarmaten unter der Schmach der Niederlage leiden, sind sie bereit, für Kaiser Marc Aurel zu kämpfen und zu sterben. Aus ihrer Heimat verbannt, sollen sie sich auf dem Eisernen Weg bis zum Rand des Römischen Reiches begeben. Hier durchschneidet der Hadrianswall das Land und trennt die römischen Gebiete vom Rest der Insel. Für die nomadischen Sarmaten ist der Garnisonsdienst eine grausame Strafe. Doch als es auf beiden Seiten des Walls zu Unruhen kommt, entdeckt Kai, dass jedes Bollwerk seine Schwächen hat: Das ist seine Chance, für sein Volk zu kämpfen.

Tim Leach ist Absolvent des Warwick Writing Programme, wo er mittlerweile als Assistenzprofessor unterrichtet. Band 1 der Trilogie »Die Chronik der Sarmaten«, »Der Winterkrieg«, war für den Historical Writers' Association Gold Crown Award nominiert.

1


In der erbarmungslosen Landschaft am nördlichen Rand des Imperiums ragte ein monströser Schatten am Horizont auf.

Es war weder der schartige Rand einer Klippe noch ein mächtiger Wald, denn dies war ein Schatten, den Menschen geschaffen hatten. Hoch und unvorstellbar ausufernd zog sich eine gewaltige Mauer aus Stein über die sanften Hügel mit ihren vereinzelten Bäumen. Sie zerteilte die Landschaft so schnurgerade, als hätte man sie mit dem Schwert gezogen.

Einst war die Reichsgrenze an diesem Ort, der den Römern als Britannien bekannt war, bei den örtlichen Stämmen jedoch ein halbes Hundert verschiedener Namen trug, nur ein Gebilde aus Gedanken und Träumen gewesen. Ein eisiger Hauch auf der Haut des Mannes, der die weite Heide überquerte; eine Frage, die einheimische Häuptlinge bei Viehdiebstahl und Blutfehden diskutierten; ein Rätsel, das sich in der Position der Sterne und in Zeichen verbarg, die man nur aus dem Land selbst lesen konnte. Manche behaupteten, sie als weißen Stein in einem Haufen grauer Kiesel entdeckt zu haben, andere im ausgetrockneten Bett eines alten Baches oder an dem Ort, wo an jenem Tag, als die Römer den Boden dieser Insel zum ersten Mal betreten hatten, ein Haselstrauch vom Blitz getroffen worden war. Jeder Mann und jede Frau hatten für sich im Kopf die Grenze ziehen müssen – zwischen den letzten fernen Ausläufern des Imperiums und den wilden Landen jenseits davon.

Eines Tages aber, so erzählte man sich, hatte sich der große Kaiser auf der anderen Seite des Meeres nicht länger mit einer Grenze aus Gedanken und Träumen begnügen wollen. Er hatte sich nach einem steinernen Vermächtnis gesehnt, das dieses Land als sein Eigentum markieren sollte, und so war dieser Wall auf seinen Befehl hin aus der Erde gehoben worden, in einer solchen Geschwindigkeit, dass die ansässigen Stämme darauf bestanden, es müsse die Tat eines rachsüchtigen Gottes gewesen sein.

Aus der Ferne sah er uneinnehmbar aus. Angeblich konnte man oben auf seinem Scheitel von einem Ozean zum anderen gehen, ohne jemals mit den Füßen die Erde berühren zu müssen. Jede Meile gab es eine kleine Festung, jeder Fußbreit Boden stand unter Beobachtung, die ganze Nacht hindurch brannten Fackeln auf den Wehrgängen, getragen von schlaflosen Wächtern, die mit Speer und Bogen gerüstet hinaus in die Finsternis starrten.

Aber jede Grenze hat eine Schwachstelle, wenn man nur gründlich genug danach sucht.

Etwa auf der Hälfte des Walls stand ein Meilenkastell, das einst einen Hauch von kaiserlicher Erhabenheit ausgestrahlt hatte. Stolze blasse Steinquader und ein eisenbeschlagenes Tor aus dunklen Eichenstämmen, das dem Faustschlag eines Riesen standgehalten hätte. Aber es war nachlässig errichtet worden, von einer Legion, die wärmeres Klima gewöhnt war und der das geistige Format gefehlt hatte, ihre Arbeit an diese andere Welt anzupassen. Denn mittlerweile waren die Holzplanken der Wehrgänge modrig und verzogen, der Mörtel zwischen den Steinblöcken von Regen und Wind zersetzt und das mächtige Tor mit Rost überzogen.

Die Wächter hingegen standen stramm und aufrecht oben hinter der Brüstung, während unter ihnen der einsame Torwächter in den wilden Norden starrte. Alle hielten sich mit erhobenem Kinn, duckten sich nicht vor dem schneidenden Wind und vernachlässigten nicht ihre Pflicht, während sich die Stunden hinzogen. Selbst hier, am äußersten Rand des Imperiums und in tiefster Nacht, schien der Geist von Rom wachsam zu bleiben.

Schon bei Tag gab es für die Wächter wenig genug zu sehen – Nebel, der über die fernen Hügel rollte, ein Schäfer, der wurmgeplagte Schafe durch den Morast lotste, ein einsamer Händler mit seinem Maulesel, der den Soldaten des Walls Heidebier und fragwürdige Tinkturen verkaufen wollte. Und nachts gab es noch weniger zu sehen, denn die Einheimischen waren davon überzeugt, dass es Unglück brachte, nach Sonnenuntergang noch draußen unterwegs zu sein. Ein Wächter mochte seine gesamte Nachtwache verbringen und sich glücklich schätzen, dabei überhaupt irgendetwas zu entdecken, was ihm die Eintönigkeit ein wenig auflockerte – den geisterhaften Anblick einer Schleiereule vielleicht, die ihr Revier absuchte, oder das Leuchten eines fernen Blitzes aus dem nächsten Tal.

Aber nicht in dieser Nacht, denn in der Dunkelheit krochen Schatten durchs Farnkraut.

Sie hielten sich tief geduckt und bewegten sich nur, wann immer der Wind die Geräusche ihrer Schritte verwehte. Ein Wächter mit müden Augen hätte sie für nicht mehr als eine Brise im Unterholz halten können oder für ein Wolfsrudel, das dem Duft einer Herde nachstellte. Aber so vorsichtig diese Plünderer auch waren – sie konnten sich nur bis zu einem gewissen Punkt leise und ungesehen bewegen. Das Kratzen und Rascheln aufgewühlter Blätter drohte sie zu verraten, ebenso das Klappern einer Speerspitze, die nicht fest genug im Schaft verankert war und im Wind säuselte. Auch wechselten jetzt die Wolken, die ihr Näherkommen gedeckt hatten, plötzlich die Seite und zerfaserten zu dünnen Schlieren, sodass sich der Schimmer des Mondlichts auf der breiten Klinge einer Speerspitze spiegelte, auf gefletschten Zähnen, auf kalkweißen Gesichtern mit Kriegsbemalung.

Aber noch immer ertönte kein Alarm, flüsterten keine Pfeile durch die Luft, um sich in die Eindringlinge zu bohren. Noch immer wurden weder Hörner gezückt noch Signalfeuer entfacht, um die nächsten beiden Meilenkastelle zu warnen. Oben auf dem Wehrgang begann der Kopf eines Wächters auf und ab zu nicken – er stand im Halbschlaf auf seinem Posten, wie es schien. Hexenwerk, ein mächtiger Glücksbringer oder göttliche Gunst ließen die Plünderer unbemerkt bleiben, während sie immer weiter auf den Wall vorrückten.

Aber irgendwann endet jede Erfolgssträhne, denn die Götter sind wankelmütig, und zu viel Glück weckt schnell ihren Neid.

Vor den Plünderern lag offenes Gelände, da das Umland der Straße und des Walls vor langer Zeit von jeglichem Unterholz befreit worden war. Nach vielen Jahren der Vernachlässigung kämpfte es sich nun langsam zurück, aber noch war zu viel freies Land vorhanden, als dass ein feindlicher Stoßtrupp es unbemerkt hätte durchqueren können.

Die Schatten krochen hierhin und dorthin und verharrten scheinbar unschlüssig, denn ihre Wahl bestand darin, entweder in Schande durchs Heidekraut zurück zu ihren Heimstätten zu kriechen oder das offene Gelände im Sturmangriff zu überqueren und zu Füßen des Walls zu sterben. Finger krümmten sich um Speerschäfte, Blicke zuckten durchs Dunkel in Richtung der Gefährten. Niemand wollte der Erste sein, der floh, oder der Erste, der sein Leben im nackten Gras aushauchte.

Dann aber wählten sie einen dritten Weg. Als der Mond am Himmel tiefer sackte und ihn die Wolken in voller Größe enthüllten, standen die Angreifer auf, traten vor und warteten.

Jetzt war der Zeitpunkt gekommen, an dem man ihnen herausfordernd zurufen musste, an dem Hörner erschallen mussten, an dem ein Hagelschauer aus Speeren und Pfeilen und geschleuderten Steinen die Angreifer an Ort und Stelle niederstrecken musste, an dem die Macht Roms jene zermalmen musste, die es gewagt hatten, mit Waffen in der Hand zur Grenze zu kommen.

Nichts dergleichen geschah.

Gelächter erhob sich aus den Reihen der dunklen Gestalten, Jubel und Siegesschreie, Dank und Segen an die Götter des Krieges und der Jagd. Ohne Hast spazierten sie vorwärts, die Schilde und Speere gesenkt, und näherten sich dem Tor des Meilenkastells. Einer der Männer gab dem Wächter vor dem Tor einen kleinen Stoß – er schwang sanft an Ort und Stelle, drehte sich wie eine Vogelscheuche. Das Mondlicht fiel auf ihn, und seine durchtrennte Kehle schimmerte schwarz in der Nacht; darunter leuchtete fahl der Schaft des Speeres, auf den sein Leib gespießt war. Ein zweiter Angreifer winkte spöttisch hinauf zur Brüstung, wo zwei Männer gegen die Ecken der Festungsmauern gelehnt standen. Denn diesen Ort bewachten nur noch die Toten, und sie waren schlechte Aufpasser.

Das Tor war unverschlossen und schwang unter dem Druck einer flachen Hand quietschend nach innen. Die sanften Hügel dahinter erstreckten sich vor den Angreifern, und plötzlich war ein merkliches Zögern zu spüren, diese Grenze zu übertreten. Wie Kinder, die sich einem verbotenen Ort nähern, Kinder, die auch fern der wachsamen Blicke von Mutter und Vater diese Blicke sehr wohl spüren und die Verurteilung fürchten, die ganz sicher folgen muss. Sie schauten einander an und stellten fest, dass sie allesamt Angst hatten.

Da ertönte aus dem Farndickicht in ihrem Rücken der Klang gleichmäßigen Hufschlags.

Wie ein Wesen aus einem Albtraum wirkte diese Gestalt zuerst – ein großer Mann in Umhang und Kapuze, der auf einem mächtigen Ross ritt und durchaus einer der todbringenden Geister sein mochte, von denen es hieß, sie durchstreiften dieses Land in tiefer Nacht und entführten Reisende, die unglücklich genug waren, zu dieser Zeit fern von ihren Behausungen zu weilen. Die Angreifer aber begrüßten den Reiter mit leisen Willkommensrufen und reckten die Hände zu seinem Sattel, als suchten sie seinen Segen.

Der Reiter hielt nicht an, sondern ritt geradewegs durch das Tor, räusperte sich und spuckte auf römischen Boden. Kurz danach folgten ihm die anderen, die wie Wölfe die Hälse reckten und schnüffelten, denn in der Luft lag der sanfte Rauch von Kochfeuern und der beißende Hauch des Mists auf den Feldern. Die nächsten Höfe lagen ganz in der Nähe, vollkommen schutzlos. Die Vorhut pfiff durch das Tor nach ihren Gefährten, sich zu beeilen.

Ein Anblick allerdings ließ sie zögern. Ein Meer...

Erscheint lt. Verlag 17.1.2024
Reihe/Serie Die Sarmaten-Trilogie
Die Sarmaten-Trilogie
Übersetzer Julian Haefs
Sprache deutsch
Original-Titel The Iron Way. The Sarmatian Trilogy Book 2
Themenwelt Literatur Historische Romane
Schlagworte 2024 • Amazone • a winter war • barbarians • Donau • eBooks • Erstmals auf Deutsch • Historische Romane • Historischer Roman • Kampf gegen Rom • Krieger • Neue Reihe • Neuerscheinung • neuerscheinung 2024 • Osteuropa
ISBN-10 3-641-30952-2 / 3641309522
ISBN-13 978-3-641-30952-7 / 9783641309527
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