Die Feinde der Zeit (eBook)

Gewinner des Hugo Award 2023 für Beste Serie - Roman
eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
560 Seiten
Heyne (Verlag)
978-3-641-30602-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Feinde der Zeit -  Adrian Tchaikovsky
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Die Zukunft. Die Erde ist unbewohnbar geworden, und nach einigen fehlgeschlagenen Experimenten ist das Raumschiff Enkidu die letzte Hoffnung der Menschheit. Auf einem neuen Planet Eden gründen die letzten überlebenden Menschen eine Kolonie. Doch Eden ist bereits besiedelt - und die Nachbarn der Menschen bergen ein Geheimnis, das über die Zukunft der ganzen Spezies entscheiden wird.

Adrian Tchaikovsky wurde in Woodhall Spa, Lincolnshire, geboren, studierte Psychologie und Zoologie, schloss sein Studium schließlich in Rechtswissenschaften ab und war als Jurist in Reading und Leeds tätig. Für seinen Roman »Die Kinder der Zeit« wurde er mit dem Arthur C. Clarke Award ausgezeichnet. Er lebt mit seiner Familie in Leeds.

1.1


Kein Winseln, sondern ein Knall.

Das Schiff hatte Heorest Holt mit allen geeigneten Drogen vollgepumpt, um einen friedlichen Wiedereintritt ins Leben zu gewährleisten, aber darauf war er nicht vorbereitet. Es hörte sich an wie das Ende der Welt. Aus subjektiver Sicht hatten sie sich alle eben erst in der Kommandozentrale versammelt, um über das Ziel zu sprechen und ihren Erfolg zu feiern. Esi Arbandir, die geschwätzige Altertumsforscherin, hatte den antiken Druckern der Enkidu sogar etwas Alkoholisches entlockt, das trinkbar war.

Der Erfolg: Sie waren weiter gekommen als irgendein Mensch je zuvor, und sie waren die ältesten Menschen überhaupt. Ein Fragment der Erde, das allen Widrigkeiten zum Trotz weiterleben würde. Das Schiff hielt noch zusammen, und obwohl Olf, der Techniker, in quälender Ausführlichkeit sämtliche ausgefallenen und toten Systeme aufgezählt hatte, schien allein die Tatsache, dass er noch lebte, dass er sprechen und dass sie ihn hören konnten, alle Wahrscheinlichkeiten, ja sogar alle Gewissheiten einschließlich des Todes selbst überlistet zu haben. Sie hatten überlebt. Sie hatten es geschafft. Fast zweieinhalbtausend Jahre lang waren sie in Kälte und Stille durch den interstellaren Raum gereist. Und jetzt hatten sie sogar noch Daten gesammelt. Als Holt das letzte Mal aufgewacht war, hatte es Hoffnung in Hülle und Fülle gegeben. Das Sonnensystem, das sie angesteuert hatten, war tatsächlich da, und selbst, wenn das nicht allzu überraschend war: Auch der Planet war vorhanden und sofort zu finden. Ein System von vierzehn Welten zerrte am Muttergestirn, und eine davon, die fünfte von der Sonne aus gesehen, hatten die Ahnen für erdähnlich genug gehalten, um sie in ein Paradies zu verwandeln.

Jedenfalls behaupteten das die Altertumsforscher, und worauf hätte sich die arme auf der Flucht befindliche Menschheit sonst berufen sollen? Während der Alkohol durch die Kehlen floss, hatten die sechs Menschen darüber spekuliert, was genau sie wohl dort erwartete. Olf sprach von einer unberührten Welt, für sie gebaut von ihren unvorstellbar fernen Vorfahren und dann zurückgelassen wie eine Ware in noch intakter Verpackung. Als hätten die Ahnen in die Zukunft geschaut und über ihren kommenden Untergang ebenso Bescheid gewusst wie darüber, dass Holt und seine Leute ihnen eine Ewigkeit später nachfolgen würden. Als hätten sie einen Planeten wiederaufgebaut, als verdiente Belohnung für jene, die dereinst kommen würden, und wären dann ohne viel Aufhebens abgezogen. Und dank des Alkohols war ihnen diese Vorstellung gar nicht so abartig erschienen. Sie hatten darauf getrunken. Esi, die Altertumsforscherin, hatte vergnügt von all den Dingen geschwatzt, die ihnen die Ahnen vielleicht noch zurückgelassen haben könnten: intakte Maschinen, Archive voller Überlieferungen, all die Wunder ihrer verschollenen Epoche. Vielleicht würden gar die Ahnen selbst, in einer vollkommen geregelten Gesellschaft lebend, ihre Not leidenden Verwandten willkommen heißen. Von der Erde?, würden sie sagen. Aber wir dachten, da wäre niemand mehr! Kommt herein, kommt nur herein und habt teil an unserem Überfluss!

Der Chefwissenschaftler, der kahlköpfige alte Mazarin Toke – zwar waren sie nach der Kryostase alle so haarlos wie ein Ei, aber er hatte sich schon mit einem kahlen Schädel in die Truhe gelegt –, war blind gewesen, als er aufwachte, und ein Arm und ein Bein waren verkrüppelt. Er kam nicht gut damit klar. Sie hatten ihm einen Rollstuhl gedruckt, und er hatte Gembel, seinen Assistenten, der ihm Augen und Hände ersetzte, aber unter Alkohol war er noch während der Feier ausfallend geworden. Die Ahnen, hatte er verkündet, wären wahrscheinlich schon noch da, aber ohne jede Verbindung zur Erde wären sie sicher zu Wilden degeneriert und lebten wie die Tiere in einer Welt, die dafür geplant war, alle ihre Bedürfnisse zu erfüllen und sie vor keinerlei Herausforderungen zu stellen. Wenn wir Fleisch wollen, müssen wir wahrscheinlich Jagd auf sie machen, hatte er mit hämischem Grinsen bemerkt, und alle hatten die Augen verdreht, ihm aber dennoch zugeprostet.

Nur Halena Garm war nicht zu der spontanen Versammlung gestoßen, um auf die Zukunft zu trinken. Sie war damit beschäftigt gewesen, sich mehr Informationen über ihr Ziel, den Planeten zu beschaffen. Das sei nicht ihre Aufgabe, riefen die anderen ihr freundlich zu. Oh doch, sagte sie. Sie sei die Sicherheitschefin, und was gebe es für die Sicherheit an größeren Herausforderungen als den Planeten selbst? Sie fürchtete keine wilden Tiere oder atavistischen Ahnen. Sie machte sich vielmehr Sorgen, dass bereits auf der neuen Welt lebende Bewohner nicht begeistert sein könnten, wenn plötzlich ein marodes Boot voller entfernter Verwandter aus der Dunkelheit auftauchte. Die werden ihre eigenen Probleme haben, hatte sie gesagt. Und mit uns bekommen sie noch eins dazu.

Und so hatte sie dagesessen und versucht, die Schiffsinstrumente zu voller Funktionsfähigkeit hochzufahren, während die anderen feierten. Einmal, nur ein einziges Mal, behauptete sie, ein Signal aufgefangen zu haben. Eine Übertragung von jenem fernen Himmelskörper. Aber das Schiff hatte nichts als statisches Rauschen aufgezeichnet, sie konnte das Signal nicht wiederholen und hatte nach einer Weile frustriert aufgegeben.

Schließlich waren sie in die Kälteschlafkapseln zurückgekehrt. Olf hatte sich gewaltsam ausgenüchtert und alle nötigen Checks durchgeführt – der Abschlussbericht der Technik war auch für alle anderen ernüchternd gewesen. Nahezu alle Werte des Schiffs bewegten sich im roten Bereich. Fast hätten wir es nicht geschafft, hatten sie zueinander gesagt. Aber jetzt standen sie kurz vor dem Ziel. Nur ein kurzer Schritt über den eisigen Abgrund, dann wären sie in ihrer neuen Heimat. Vielleicht hatte die unsichtbare Welt einen Namen und Bewohner, die diesen Namen und seine lange, sagenumwobene Geschichte kannten. Die größte Krise für die Flüchtlinge, die mit dem Hut in der Hand von der Erde kamen, war vielleicht eine diplomatische, wenn erst die Verhandlungen um Landeplätze und Wohnraum begannen. Aber in diesem Punkt war Holt zuversichtlich gewesen. Das würde in seiner Verantwortung liegen, und er wusste, dass er es schaffen würde, welche Kompromisse auch nötig wären. Immerhin stand das Schicksal der menschlichen Rasse auf dem Spiel. Er würde einen Weg finden.

Doch vielleicht gab es auf der Welt gar keine Menschen, die ihr einen Namen geben und diplomatische Hürden aufbauen konnten. Vielleicht war sie das Paradies, das die Altertumsforscher versprochen hatten. Keine fortgeschrittene Gesellschaft aus silberhaarigen Ahnen; keine neoprimitiven oder barbarischen Stämme im Naturzustand, keine mystischen Herrscher mit unheimlichen mentalen Kräften; keine sprechenden Tiere wie aus dem Märchen. In diesem Fall fiele ihnen, der Inneren Crew der Enkidu, den letzten Sprösslingen der Alten Erde, diese Ehre zu. Die Gespräche am Tisch hatten sich endlos im Kreis gedreht: historische Namen, mächtige Namen, Namen, die vor Bedeutung nur so strotzten, lyrische Namen, die einem wie Musik von der Zunge rollten. Letztlich lag die Entscheidung bei Captain Heorest Holt, dem Kommandanten. Er hatte sie alle mit großer Zuneigung angesehen, seine Crew, seine Leute, seine Freunde. Esi, Herz und Seele der Party; den kleinen, zuverlässigen Olf; den verbitterten Mazarin, den jungen Gembel, der dem alten Mann den Becher füllte; und sogar die strenge Halena, die sich endlich doch noch hatte überreden lassen, sich zu ihnen zu gesellen. Sie waren gemeinsam ausgebildet worden – alle bis auf Gembel jedenfalls, der keine Gelegenheit fand, zu Wort zu kommen. Anders als bei so vielen Archen-Crews hatten sie so viel Zeit bekommen, sich aneinander zu gewöhnen, bis sie schließlich zusammenpassten wie die Teile eines Puzzles. Sie waren ein Team. Und sie hatten es geschafft. Sie hatten diesen Trümmerhaufen voller versagender Systeme tatsächlich über die Lichtjahre hinweggesteuert, nur mithilfe lückenhafter Sternenkarten, die sie von seit Jahrtausenden verlassenen Orbitalen geholt hatten. Die Sonne war da; der Planet war da; und die Hoffnung war da.

»Imir«, hatte er gesagt, an alle gewandt, und sein Glas erhoben. An diesem Punkt hätte er ehrlicherweise nicht genau sagen können, warum. Er schaute nur an seiner langen Nase entlang und erklärte, der Name sei tief bedeutsam und sinnreich, dabei hatte er den vagen Verdacht, er habe ihn einst als Kind in einer alten Geschichte gelesen. Einer Geschichte mit sprechenden Vögeln und Zank und Streit, in der auf den Trümmern von etwas Großem und Schrecklichem neues Leben entstand. Doch Imir gefiel allen, sogar Mazarin Toke, und so tranken sie darauf. Dann war es Zeit geworden, wieder nüchtern zu werden und in die Betten in der Kryo-Kammer zurückzukehren. Hätte er sitzen bleiben und die Ankunft abwarten wollen, die Enkel der Enkel der Kinder, die er nie haben würde, wären noch vor der Landung alt geworden und gestorben.

Und da war er nun. Augenblicke später. Jahrhunderte später. Im Begriff, in Würde und Gelassenheit zu erwachen, um auf der neuen Welt Ordnung zu schaffen, doch dann war etwas explodiert. Schlagartig hatte es die Luft in der Kryo-Kammer sehr eilig, die Kryo-Kammer zu verlassen, und er, Holt, der sich soeben gähnend aufrichtete, wurde aus seiner Kapsel geschleudert und auf den Boden geworfen. An mehr oder weniger intimen Stellen wurden ihm ein Dutzend Schläuche und Röhren aus dem Körper gerissen, und er wusste, dass er sterben würde. Doch er starb nicht. Die Luft, die heulend an ihm vorbei ins Nichts rauschte, hörte mit einem Mal genau dann damit auf, als er sicher...

Erscheint lt. Verlag 13.12.2023
Reihe/Serie Die Zeit-Saga
Übersetzer Irene Holicki
Sprache deutsch
Original-Titel Children of Memory
Themenwelt Literatur Fantasy / Science Fiction Science Fiction
Schlagworte 2023 • Adrian Tchaikovsky • Arthur C. Clarke Award • diezukunft.de • eBooks • Fremde planeten • Neuerscheinung • Raumschiffe • Space Opera • Weltraum-Abenteuer
ISBN-10 3-641-30602-7 / 3641306027
ISBN-13 978-3-641-30602-1 / 9783641306021
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