Die Pionierinnen (eBook)
368 Seiten
Penguin Verlag
978-3-641-30138-5 (ISBN)
Sie haben die Entwicklung der frisch gegründeten Bundesrepublik entscheidend mitgeprägt, und doch ist ihre Geschichte nie erzählt worden: die Journalistinnen der ersten Stunde, die dafür sorgten, dass sich in der jungen Demokratie Freiheit, Liberalität und Toleranz entwickelten.
Ganz unterschiedlich überstanden sie den Krieg: im Exil, im Versteck, auf der Flucht oder, indem sie sich mit dem NS-Regime arrangierten. Hinterher berichteten sie über die Nürnberger Prozesse, schrieben über die erwachende Liebe der Deutschen zu ihren Autos und kämpften für die Gleichberechtigung in der Familie. Diese Journalistinnen verstanden es, das vermeintlich rein Private politisch zu machen. Rainer Hank lässt ihre Stimmen für uns wieder hörbar werden.
Mit Porträts von Clara Menck, Margret Boveri, Elisabeth Noelle-Neumann, Inge Deutschkron, Maria Frisé, Marion Dönhoff, Helene Rahms und anderen.
Rainer Hank, geboren 1953, ist Wirtschaftsjournalist. 2001 bis 2018 leitete er die Wirtschafts- und Finanzredaktion der »Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung«, seither ist er als Publizist und Kolumnist für unterschiedliche Medien tätig, insbesondere für die FAS. 2009 erhielt er den Ludwig-Erhard-Preis, 2013 den Karl-Hermann-Flach-Preis und 2014 die Hayek-Medaille. Für sein 2017 erschienenes Buch »Lob der Macht« war Rainer Hank für den Deutschen Wirtschaftsbuchpreis nominiert. Zuletzt erschien im Penguin Verlag »Die Loyalitätsfalle« (2021).
Prolog
Zäh, aufmüpfig, gleichberechtigt: Pionierinnen des Nachkriegsjournalismus
Das Haus aus weiß getünchten Klinkern am Rand von Bad Homburg wirkt licht und hell. Vom Wohnzimmer aus, der Tisch wie immer überladen mit den Neuerscheinungen von Herbst und Winter, geht der Blick durch den Garten über den kleinen Teich hinweg in das weite Feld bis zum Kirchturm des nächsten Dorfes. Ich kann verstehen, warum sie diesen Platz so liebt. Etwas muss sie erinnern an den Blick über die Felder in Schlesien, wo sie aufgewachsen ist.
Maria Frisé hat keine guten Wochen hinter sich. Im Dezember war sie – wieder einmal – böse gestürzt, nach einer Ohnmacht, wie sie sagt. Es müssen schreckliche Schmerzen gewesen sein. Am Neujahrstag war sie sechsundneunzig Jahre alt geworden. Vor Corona hatte sie am Geburtstag immer offenes Haus, sie kochte Suppe, das Wohnzimmer war voller Leute. Alte Freunde, Vordertaunus-Adel, Frankfurter Gesellschaft, Journalistenkollegen von früher. In diesem Jahr, nach dem Sturz, wollte sie nicht feiern. »Am liebsten bin ich allein«, schrieb sie mir.
Schon bald danach fängt das Leben wieder an, ihr Freude zu bereiten. »Jetzt kommen doch die Schneeglöckchen«, sagt sie am Telefon. Und ja, sie freue sich über Besuch: »Ich empfange ab 15 Uhr.«
Maria Frisé war meine journalistische Lehrerin. Ich habe ihre ausgeprägte Nüchternheit in Erinnerung: kühl, fast kalt. Ohne viele Worte. Sie machte mir ein bisschen Angst. Mein erster Auftrag als Hospitant vierunddreißig Jahre zuvor, im Januar 1988: Ich sollte eine Bildunterschrift, sieben oder acht Zeilen, zu einer Neuübersetzung von Coopers Lederstrumpf machen. Das fand ich ein bisschen beleidigend, nahm es auf die leichte Schulter und bekam den Text dreimal zurück. »Geht so nicht«, stand ihr ins Gesicht geschrieben. Gesagt hat sie nichts, soweit ich mich erinnere. Sie konnte streng sein – und genau lesen.
Es war dann fast wie immer an diesem Januartag 2022. Anders als viele betagte Menschen, die vorwiegend von sich erzählen, weil sie ja auch viel erlebt haben, hat Maria Frisé sich bis ins hohe Alter ihre fragende Neugier erhalten. Neugier ist bekanntlich eine journalistische Tugend, aber eben auch das Geheimnis ihrer bleibenden geistigen Frische, die zunehmend im Missverhältnis zur körperlichen Gebrechlichkeit stand. Beim Erzählen mäandere sie, so kritisierte die alte Dame sich selbst. Aber wie sonst soll der Fluss der Erinnerungen eines langen Lebens gehen.
Dass das FAZ-Feuilleton ihr weiterhin regelmäßig Bücher zur Rezension schickte, dankte sie mit schnörkellosen Besprechungen, zuweilen vorab mit dem Kommentar versehen, sie müsse als Rentnerin halt nehmen, was in der Redaktion übrig sei. Man darf sich für nichts zu schade sein; das hat diese Generation der Nachkriegsjournalistinnen verinnerlicht. »Jetzt schicken die mir einen Softporno über eine Nymphomanin«, empörte sie sich. »Wissen die nicht, dass ich eine über neunzigjährige Frau bin und nie durch ausgelassene Libertinage aufgefallen bin.« Die spontane Reaktion, das Buch gleich wieder zurückzuschicken, wurde von ihrer Neugierde vereitelt. Abgeliefert hat sie einen fabelhaften Text, der unter der Überschrift »Die Sünde der Zahnärztin« in der Zeitung stand und selbst dem offenkundigen Kitsch der Erzählung noch ein großes Maß an Komik abzugewinnen vermochte. Für einen Verriss wäre sie sich zu schade gewesen.
Wie oft habe ich sie in den vergangenen Jahren besucht. Meist saßen wir draußen im Garten. Im Alter war sie weicher geworden, zugewandter als damals in der Zeitung. Den Tee hatte sie schon vorbereitet. Stollen – sie sagt Striezel – und Baumkuchen waren auch noch da. Eigentlich, so hatte sie mich vorbereitet, müsse sie liegen. Ihr Bett hatte sie immer schon im Wohnzimmer, nicht im Schlafzimmer (»Ich wollte nie wieder neben schnarchenden Männern liegen«). Doch dann brachte sie sich, halb sitzend, halb liegend, auf dem Sofa in Position. Und begann zu erzählen.
Maria Frisé kam in den fünfziger Jahren als Autodidaktin zum Journalismus. Eine feste Anstellung als Redakteurin erhielt sie erst 1968. »Wie sich an meinem ersten Arbeitstag im siebten Stock der FAZ herausstellte, fehlte mir nicht nur ein akademischer Rang, es fehlte mir überhaupt das Nötigste.« Sie hatte nicht studiert, Krieg, Vertreibung, frühe Eheschließung hatten das verhindert. Sie rückte dann sehr bald nach vorne, verantwortete lange Jahre die legendäre Tiefdruckbeilage »Bilder und Zeiten«, in der sie Essays, große Gesellschaftsreportagen und immer Fotos von Barbara Klemm druckte, alles in allem ein Spiegel der Zeit und der Veränderungen der Bundesrepublik von den späten sechziger bis in die frühen neunziger Jahre.
Maria Frisé ist eine von nicht wenigen Frauen im Nachkriegsjournalismus. Diese Frauen haben viel erzählt und viel geschrieben. Den Heutigen sagen die meisten dieser Namen nichts mehr. Gewiss, Marion Dönhoff, die strenge Gräfin, langjährige Chefredakteurin und Herausgeberin der Hamburger Wochenzeitung Die Zeit, die kennt man. Wahrscheinlich auch noch Margret Boveri, die Eigensinnige: Für viele große Zeitungen hat sie gearbeitet, als Korrespondentin die halbe Welt bereist, nach 1945 dickköpfig gegen die Westbindung der Nachkriegsrepublik und für eine rasche Wiedervereinigung gekämpft.
Aber dann? Ist schon Schluss. In Erinnerung ist mir ein Videogespräch mit einer jungen germanistischen Forscherin und Feministin im Jahr 2019 aus Anlass einer Relecture eines Boveri-Artikels der Monatszeitschrift Merkur. Es habe im deutschen Nachkriegsjournalismus »nur zwei, drei Frauen gegeben, die schreiben«, erklärt die Germanistin. Heutige Journalistinnen könnten in den fünfziger und sechziger Jahren keine Rollenmodelle finden, bedauert die Forscherin. Sie, die »Öffentlichkeit nach 1945« zu ihren Spezialgebieten zählt, weiß gar nicht mehr, wie viele starke Frauen es im frühen bundesrepublikanischen Journalismus gab.
Quasi ex cathedra liest man im 2020 erschienenen, vorzüglichen Standardwerk über Medien-Intellektuelle der Bundesrepublik des Historikers Axel Schildt, die Zahl prominenter Frauen mit einem breiteren Themenspektrum – auch Schildt nennt die beiden Journalistinnen Margret Boveri und Marion Dönhoff – sei nach dem Krieg sehr klein gewesen und habe sich bis in die 1970er Jahre hinein kaum verändert. Frauen hätten in der Welt der Intellektuellen lediglich als »die Frau an seiner Seite« eine Rolle gespielt.
Von wegen »keine Journalistinnen«! Von wegen »kein breites Themenspektrum«! Sie sind bloß vergessen worden. Über die Dönhoff gibt es – Stand heute – inzwischen fünf zum Teil ziemlich dickleibige Biografien, Tendenz steigend. Von Clara Menck (gestorben 1983) oder Hanni Konitzer (sie lebt noch, feierte 2022 ihren hundertsten Geburtstag), zwei Zeitungskorrespondentinnen, die für viele Leser das Weltbild über Jahrzehnte geprägt haben, gibt es immerhin ihre Artikel, Kommentare und Analysen. Über Hannelore Krollpfeiffer – dreißig Jahre lang war sie leitende Journalistin, erst bei der Constanze, dann stellvertretende Chefredakteurin bei der Brigitte – oder über Liselotte Krakauer, zwölf Jahre lang Chefredakteurin der Bravo, konnte ich noch nicht einmal basale biografische Dokumente finden, trotz intensiver Recherche in den Archiven der Zeitungsgeschichte und der Verlage, bei denen diese Frauen angestellt waren. Dabei könnte man vermuten, dass eine so wache Frauenzeitschrift wie die Constanze oder eine die Jugend (auch meine!) prägende Zeitschrift wie die Bravo auf ihre Weise genauso viel Wirkung entfaltet haben wie die bildungsbürgerliche Zeit oder die liberal-konservative FAZ.
Aber eben: Viele dieser Frauen haben vieles schriftlich hinterlassen. Mit einer ganzen Reihe von ihnen konnte ich Interviews für dieses Buch führen. Ich sprach mit ihren Töchtern, Söhnen oder Enkeln. Und mit Wegbegleitern. Und plötzlich eröffnete sich die Welt von gestern als unglaublich heutig. Die Stimme dieser Frauen hat das Land verändert. Eine starke These, ich weiß. Im Gang dieses Buches und in den biografischen Annäherungen an ein gutes Dutzend dieser starken Journalistinnen hoffe ich auf Zustimmung zu meiner These.
Diese Journalistinnen waren Wegbereiter eines »Feminismus«, obwohl oder gerade weil sie ihr Geschlecht und ihre Benachteiligung nicht zum Thema gemacht haben. Sie mussten sich nicht bemühen, tough zu wirken. Es blieb ihnen gar keine Wahl, als sich in der Männerwelt durchzusetzen. Von ihren Stimmen strahlte etwas Neues und bislang Ungehörtes aus. Die heutigen Journalistinnen und Journalisten stehen auf ihren Schultern, ohne es zu wissen.
Quasi von der Not gedrungen, verstanden es diese Frauen, aus den ihnen von den Männern zugewiesenen Themen Familie, Kinder, Frauen, Mode eine Tugend zu machen. Sie haben diese Themen politisiert. Die Zeitungsredaktionen im Übrigen veränderten sie auch. Sie habe sich in den Redaktionskonferenzen der FAZ stets in die erste Reihe gesetzt, erzählt Maria Frisé, genau gegenüber den männlichen Herausgebern, unübersehbar also, noch dazu meistens in einem roten oder sonst wie farbenfrohen Kleid. Um nicht überhört zu werden, etwa bei der Blattkritik, habe sie sich vorher Unterstützer gesichert. Nicht immer sei die demonstrative Sichtbarkeit von Erfolg gekrönt gewesen.
»Am 1. Oktober 1945 wurde ich Journalistin.« Mit diesem Satz beginnt Susanne von...
Erscheint lt. Verlag | 25.10.2023 |
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Zusatzinfo | Mit zahlreichen Abbildungen |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Biografien / Erfahrungsberichte |
Schlagworte | 2023 • Alice Schwarzer • Bundesrepublik • Christa Meves • clara menck • Demokratie • die loyalitätsfalle • DIE ZEIT • eBooks • Elisabeth Noelle-Neumann • FAZ • Feminismus • Geschichte • Gleichberechtigung • Helene Rahms • Hilde Spiel • Ingeborg Bachmann • Inge Deutschkron • JournalistInnen • Liberalität • links, wo das herz schlägt • Margret Boveri • maria frisé • Marion Dönhoff • Max Frisch • Nachkriegszeit • Neuerscheinung • Patriarchat • Publizistinnen • Starke Frauen • Sybil Gräfin Schönfeldt • vilma sturm • Weltfrauentag • Wir haben es nicht gut gemacht • Wolfszeit |
ISBN-10 | 3-641-30138-6 / 3641301386 |
ISBN-13 | 978-3-641-30138-5 / 9783641301385 |
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