Dead Silence (eBook)

Roman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2024
448 Seiten
Heyne Verlag
978-3-641-30603-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Dead Silence - S. A. Barnes
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Nur noch wenige Tage, dann wird Claire Kovalik gefeuert. Sie und ihre Crew reparieren Relaisstationen im Sonnensystem, doch eine neue Kommunikationstechnik macht diese bald obsolet. Bei ihrem letzten Einsatz fangen sie ein Notsignal auf, das von weit jenseits der Plutobahn kommt. Was sie dort entdecken, raubt ihnen den Atem: Es ist die Aurora, das größte Luxus-Raumschiff aller Zeiten, das vor über zwanzig Jahren auf seinem Jungfernflug verschwand. Wenn Claire und ihre Crew das Wrack bergen können, haben sie ausgesorgt. Doch im Inneren der Aurora bietet sich ihnen ein Bild des Grauens: verstümmelte Leichen, in Blut geschriebene Botschaften, ein Flüstern im Dunkel. Was immer die Aurora angegriffen hat - es ist noch an Bord ...

S. A. Barnes arbeitet tagsüber als Bibliothekarin und schreibt nachts Romane, die sie bisher unter Pseudonym veröffentlicht hat. Für ihr Horror-SF-Debüt DEAD SILENCE wurde sie 2022 mit dem Goodreads Choice Award in der Kategorie Science-Fiction ausgezeichnet. S. A. Barnes lebt mit zu vielen Büchern, zu vielen Hunden und einem sehr geduldigen Partner in Illinois.

3


»Wir sind da, TL«, sagt Voller vierundneunzig Stunden später über die Sprechanlage in meiner Kabine. »Mitten im leeren Weltraum.« In seinem Ton liegt mehr als nur ein bisschen Schadenfreude.

Das Gefühl von Enttäuschung kommt schnell, aber nicht unerwartet. Wir werden die Signalquelle überprüfen, als Phantom kennzeichnen und uns dann auf den Weg zu unserem Treffpunkt mit der Ginsburg machen. Vielleicht warten sie sogar und nehmen uns mit.

Mit ins Nichts.

Die offene Aufbewahrungskiste am Fußende meines Betts nimmt den gesamten freien Platz auf dem Boden ein. Ich steige darüber hinweg und drücke den Sprechknopf an der Wand. »Okay. Bin auf dem Weg.«

Ich habe fast alles gepackt. Es wäre unsinnig, damit zu warten, bis wir die Ginsburg erreichen, und mich dann beeilen zu müssen. Ich falte meine ausgefranste Decke und verstaue sie sorgfältig in der Kiste. Die roten Flecken darauf gehen nicht mehr ab, wie oft ich sie auch wasche, und sie sieht zugegebenermaßen ein wenig eklig aus. Aber sie ist eines der wenigen Dinge, die ich noch besitze, die tatsächlich mir gehören – die mir von jemandem geschenkt wurden, der mich gekannt und geliebt hat, nicht von einem Fremden mit guten Absichten. In einer Ecke sind mein Name und meine Geburtsnummer gestochen scharf aufgestickt. Meine Mutter war Ärztin bei Verux, eine der wenigen auf dem Ferris-Außenposten, und daher im Nähen sehr geübt.

Der Außenposten war ein rauer Ort, nicht einmal eine richtige Kolonie, sondern nur eine Ansammlung miteinander verbundener Verux-Wohnmodule, bewohnt von Menschen, die verzweifelt versuchten, sich mit wenig bis gar keiner Hilfe vom sponsernden Konzern durchzuschlagen. Aber wenn sie die Zehn-Jahres-Marke geknackt hätten, wenn sie es geschafft hätten, tatsächlich auf dem Mars zu leben, hätte Verux sofort Besitzanspruch auf die neue Kolonie erhoben.

»Du wirst deine Sachen gut in Ordnung halten müssen«, sagte meine Mutter zu mir, als wir nach Ferris zogen. Ich war fünf und mein Vater ein Jahr zuvor gestorben. Meine Mutter hatte den gefährlichen, aber sehr gut bezahlten Job aus purer Verzweiflung angenommen. Ich hatte den Tod meines Vaters offenbar nicht gut verkraftet. Außerdem waren Menschen mit medizinischer Ausbildung zu diesem Zeitpunkt auf der Erde bereits von den MedBots verdrängt worden. Sie waren billiger und begingen weniger Fehler, wie ein paar schwammige Statistiken belegten. (Wenn sie allerdings mal danebenlagen, dann richtig. Ungefähr so wie ein Batter beim Baseball, der den Ball verfehlt und dann vom Schwung seines eigenen Schlages von den Beinen gerissen wird. Ihnen fehlte die Vorstellungskraft, die Fähigkeit zur kreativen Problemlösung ihrer menschlichen Vorgänger.) »Im Wohnmodul ist nicht genug Platz, dass jeder seine Sachen einfach herumliegen lassen kann. Hier gelten strikte Regeln.«

Sie versuchte, mich zu warnen, aber ich war kein Kolonie-Kind, sondern immer noch eine verwöhnte Erdenbewohnerin, die an den Luxus gewöhnt war, dass es überall atembare Luft gab und ich einfach nach draußen gehen konnte. Und sei es nur auf den überfüllten Bürgersteig.

Meine Mutter hat damals ihre letzten Atemzüge auf meine Pflege verwendet und mich gerettet. Sie versuchte auch, alle anderen zu retten, und hätte es wahrscheinlich sogar geschafft, wenn ihr mehr Zeit geblieben wäre. Immerhin konnte Verux dank ihrer Vorarbeit ein neues (und teures) Virostatikum entwickeln.

Aber ich habe ihr einen Strich durch die Rechnung gemacht.

Ich laufe barfuß den Korridor entlang, die Erde aus dem Gewächshaus noch zwischen meinen Zehen und den Fingern. Beim Anblick des glänzenden blau-weißen Absperrbandes vor der Schleuse zum benachbarten Wohnmodul, das sanft in der Brise des Luftrecyclers flattert, halte ich inne. Das Wort QUARANTÄNE zittert, als wäre es lebendig.

Ich schüttele den Kopf und schließe den Deckel – über der Erinnerung und auch den der Aufbewahrungskiste mit der Decke darin. Als das Rettungsteam mich fand, nahmen sie mich so mit, wie ich war, ohne zu packen und ohne Koffer. Ich hielt mich an meiner fleckigen Schmusedecke fest, obwohl ich mit elf Jahren eigentlich schon viel zu alt dafür war.

Und das tue ich bis heute, auch wenn die Decke mich weit mehr an all meine Fehler als an meine Mutter erinnert.

Bevor ich mich auf den Weg zur Brücke mache, werfe ich einen Blick auf meine Kabine. Die Wände sind kahl, jedes Geräusch hallt von nacktem Metall wider. In meiner Koje liegen nur noch Kissen, Bettzeug und genug Verux-Overalls, um es damit bis zur Ginsburg zu schaffen. Es sieht überhaupt nicht wie das Zuhause von jemandem aus, trotzdem war es das für mich. Trotzdem ist es immer noch besser, der harten Realität direkt ins Auge zu blicken. So zu tun, als ob ich dieses Zuhause nicht eher früher als später verlieren würde, war nichts als ein billiger Trick gewesen. Wie viele Tage mir hier auch noch bleiben mögen, jetzt stelle ich mich wenigstens der Realität, anstatt mich verzweifelt an eine Illusion zu klammern.

Es mag andere Meinungen geben, aber so sehe ich es.

Auf dem Korridor stoße ich mit Kane zusammen – meine Schulter gegen seine Brust –, der gerade aus seiner Kabine kommt. Entweder hat der triumphierende Voller ihn ebenfalls aufgescheucht, oder er hat gemerkt, dass das Schiff langsamer wird, weil wir die Zielkoordinaten erreicht haben.

»Nach Ihnen«, sagt er, ohne mir in die Augen zu sehen, und tritt zurück. Sein lockiges Haar ist zerzaust, und seine linke Schläfe ziert ein Schmierfleck. Sein abgenutzter Overall ist bis zur Taille offen, die Ärmel hat er um seine Hüfte gebunden, sodass ich das Baumwoll-T-Shirt sehen kann, das er darunter trägt. Es sieht abgenutzt aus, weich. Die Fantasie, wie ich meine Wange an diese Brust, an diesen Stoff presse, lässt mich einen Moment lang erstarren.

Aber nur einen Moment.

Ich gehe wortlos an ihm vorbei, auch wenn meine Schulter immer noch warm kribbelt von dem unerwarteten Kontakt.

Nein, Claire. Tu das nicht.

Ich bin noch nicht mal ganz durch das Schott zur Brücke, als Voller verkündet: »Sehen Sie, ich hab’s doch gesagt!« Er deutet auf das Sichtfenster an der Vorderseite, das den weiten, leeren Weltraum zeigt. »Nichts.«

»Und das Notsignal?«, frage ich Lourdes.

Sie dreht ihren Sitz zu mir herum. »Hier draußen ist es schwächer. Aber die Koordinaten stimmen.« Ihre glatte Stirn legt sich in Falten. »Ich verstehe nicht …«

»Weil das Commweb das Notsignal verstärkt hat«, wirft Nysus über die Bordsprechanlage ein. »Wir sind jetzt näher an der Quelle, und das bedeutet, dass wir das Signal direkt vom Sender empfangen, und das hat weniger Saft. Außerdem befinden wir uns außerhalb der Reichweite des Commweb.«

Außerhalb der Reichweite des Commweb. Ich war noch nie so weit draußen. Keiner von uns war das. Unser Job ist buchstäblich das Commweb: Wir leben und arbeiten darin wie eine Spinne, die unablässig an ihrem Netz knüpft, alle Knotenpunkte überprüft und wieder überprüft.

Es ist schwer, ein leichtes Schwindelgefühl zu unterdrücken, wenn ich aus dem Sichtfenster blicke. Als würde ich aus extremer Höhe nach unten schauen oder in ein endloses schwarzes Meer, das uns jeden Moment verschlingen wird, ohne dass eine Spur von uns zurückbliebe.

»Wie steht’s um unsere Batterien?«, frage ich Voller. Wenn jemand so weit draußen in Schwierigkeiten gerät, wären ironischerweise wir das einzige Schiff, das zu Hilfe kommen oder wenigstens den Notruf weiterleiten könnte. Das heißt, wenn wir uns in Reichweite des Commweb befänden, was offensichtlich nicht mehr der Fall ist.

»Sind randvoll«, sagt Voller und winkt ab, um meine Bedenken zu zerstreuen. »Können wir jetzt endlich von hier verschwinden?« Er beugt sich vor und blickt durch das Sichtfenster nach oben. »Wir befinden uns weit außerhalb des bekannten Raums, und ich würde es vorziehen, nicht von einem Scheißasteroiden oder was auch immer getroffen zu werden.«

Voller klingt zum ersten Mal, seit ich ihn kenne, tatsächlich ein wenig beunruhigt.

»Zur Kenntnis genommen«, antworte ich. »Sobald wir den Sender gefunden haben.«

Er stöhnt.

»Also, Nysus, Sie sagen, das Signal, das wir empfangen, stammt von dem Schiff selbst«, spreche ich weiter.

»Ganz genau«, bestätigt Nysus.

Voller wischt sich mit den Händen übers Gesicht. »Es gibt kein Schiff!«

Lourdes starrt ihn an. »Doch, da draußen ist etwas. Es gibt kein Echo, wie es bei einem Geistersignal der Fall wäre. Und es müsste genau hier sein. Aber ich bekomme keine Kollisionswarnung, und weder durch die Sichtfenster noch auf den Kameras ist irgendwas zu sehen.« Sie gestikuliert in Richtung der sechs Monitore, die links und rechts von den dicken Sichtfenstern aufgereiht sind.

Sie klingt frustriert, und das ist auch verständlich. Die Außenkameras decken fast jeden erdenklichen Winkel der Umgebung unseres Schiffes ab. Allerdings haben wir keine Langstreckenscanner wie die großen Transport-, Militär- und Erkundungsschiffe. Reparaturschiffe, die nur von einer Funkboje zur nächsten fliegen wie wir, brauchen sie nicht. Wir machen kurze Sprünge in wohlbekanntem Raum, zwischen Punkten, die seit Jahren kartiert sind und regelmäßig angeflogen werden. Außerdem liegen sie weitab der von den schweren Jungs benutzten Routen, weshalb die Gefahr, dort mit irgendetwas zusammenzustoßen, denkbar gering ist.

Aber hier draußen ist alles ein wenig unscharf,...

Erscheint lt. Verlag 11.1.2024
Übersetzer Michael Pfingstl
Sprache deutsch
Original-Titel Dead Silence
Themenwelt Literatur Fantasy / Science Fiction Science Fiction
Schlagworte 2024 • Äußeres Sonnensystem • eBooks • Event horizon • Horror • Neuerscheinung • Schiffswrack • Sonnensystem • Space Horror • Space Opera • Titanic • Todeswrack • Weltraumabenteuer • Weltraumhorror • Wrack
ISBN-10 3-641-30603-5 / 3641306035
ISBN-13 978-3-641-30603-8 / 9783641306038
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