Das Kloster des geheimen Baumes - Die Thronfolgerin (eBook)
640 Seiten
Penhaligon (Verlag)
978-3-641-30900-8 (ISBN)
Zwei Frauen stehen am Scheideweg ihres Schicksals - und ahnen nicht, dass sich ihre Wege kreuzen werden. Das größte Problem von Glorian, der zukünftigen Herrscherin von Ynis, scheint es zu sein, sich für einen zukünftigen Prinzgemahl zu entscheiden. Gleichzeitig erfährt im fernen Seiiki am anderen Ende der Welt die junge Dumai, dass sie die Tochter des Kaisers ist, und muss sich völlig unvorbereitet den Intrigen des Hofes stellen. Doch all die Machenschaften der Sterblichen werden unwichtig, als auf dem Gipfel des Furchtberges drei Drachen ihre Schwingen ausbreiten, um Verderben über die Menschheit zu bringen ...
Das Kloster des geheimen Baumes
1. Die Thronfolgerin
2. Die Drachenreiterin
Der Orden des geheimen Baumes
1. Die Magierin
2. Die Königin
Samantha Shannon ist in West London geboren und aufgewachsen. Sie studierte Englische Sprache und Literatur in Oxford. Mit zwölf Jahren begann sie zu schreiben, mit fünfzehn arbeitete sie bereits an ihrem ersten Roman. Im Alter von 21 Jahren veröffentlichte sie einen Roman mit dem Originaltitel »The Bone Season«, der ein internationaler Bestseller wurde und der Auftakt zu einer siebenbändigen Fantasy-Reihe ist. Mit »Der Orden des geheimen Baumes« war sie als Finalistin bei den Lambda Literary Awards 2020 aufgestellt. Dessen Prequel »Das Kloster des geheimen Baumes« erscheint 2023 bei Penhaligon.
UNORA
Ihr Name war Dumai, abgeleitet von einem alten Wort für einen Traum, der zu früh endet. Sie wurde in der letzten Glut der Ära des Sonnenuntergangs geboren, als die Tage in der Stadt Antuma wie weicher Honig dahinflossen.
Eines Frühlings passierte eine junge Frau das Stadttor, dorthin geleitet durch einen verbotenen Wunsch.
Sie behauptete, sich an ihre Vergangenheit nicht zu erinnern – nur, dass sie Unora genannt würde. Aufgrund ihrer staubigen Kleidung und schwieligen Hände hätte niemand vermutet, dass ihr Vater einst die Macht besessen hatte, den ganzen Kaiserhof erzittern zu lassen.
Und niemand hätte erraten können, was sie in der Hauptstadt vorhatte.
*
In jenen Jahren war es schwierig, das trockene Hinterland von Seiiki zu bewirtschaften. Seit dem Rückzug der Götter war die Insel von langen Dürreperioden heimgesucht worden. Und fern der wasserarmen Flüsse dürstete der Boden.
Wäre der Gouverneur von Afa ein Mensch wie alle anderen gewesen, hätte er über seinen Posten in dieser staubigen Provinz geklagt. Stattdessen arbeitete er unermüdlich daran, die Felder des Landes zu bewässern. Und jedes Mal, wenn er an den Hof zurückkehrte, erschien er Kaiserin Manai einfallsreicher und fleißiger geworden zu sein. Sie schenkte ihm eine Villa in der Hauptstadt, wo er seine Tochter Unora in die Obhut eines Kindermädchens gab.
Doch Kaiserin Manai war schon lange krank, und ihr Leiden linderte sich nicht. Sie verzichtete vorzeitig auf den Thron, zog sich auf den Berg Ipyeda zurück und ließ ihr einziges Kind zurück, damit es den Thron bestiege.
Obwohl Prinz Jorodu noch jung war, hatte er viel von seiner Mutter gelernt. Seine erste Amtshandlung bestand darin, den Gouverneur von Afa zum Flussherrn von Seiiki zu ernennen. Dafür überging er alle anderen Bewerber auf dieses Amt. Ein Jahr lang war der Gouverneur der vertrauteste und beliebteste Berater des jungen Kaisers.
Daher schockierte es auch niemanden, als er plötzlich verbannt wurde. Man beschuldigte ihn, einen Gott erweckt zu haben, um seine Provinz erblühen zu lassen. Denn es gab eine Familie am Hof, die den Kaiser fest im Griff hatte, und sie duldete niemanden sonst in seiner Nähe. Jedenfalls nicht lange.
*
Ihre Handlanger kamen zu Unora und warfen sie auf die dunkle Straße hinaus. Im Alter von neun Jahren wurde sie zu einer mittellosen Waise. Ihr Kindermädchen brachte sie heimlich aufs Land, und zehn lange Jahre vergaß die Welt sie.
Unora arbeitete auf den Feldern. Sie lernte, die Sonne zu ertragen. Doch ohne die Hilfe ihres Vaters floss das Wasser nicht mehr. Sie pflanzte Hirse, Gerste und Weizen an, gab die Samen in die trockene Erde. Sie lebte mit einer vor Trockenheit brennenden Kehle und einem dumpfen Schmerz in den Knochen. Jeden Abend ging sie zum Schrein auf dem Hügel, dem Schrein des Drachen Pajati, und klatschte.
Eines Tages würde Pajati erwachen. Eines Tages würde er ihre Gebete erhören und der Provinz Regen bringen.
Mit der Zeit vergaß sie ihr Leben in der Hauptstadt. Sie vergaß, wie sich das Rauschen eines Flusses anhörte oder wie es sich anfühlte, in einem kühlen Teich zu baden – ihren Vater jedoch vergaß sie nie. Ebenso wenig vergaß sie, wer sie beide vernichtet hatte.
Die Kuposa, hämmerte sie sich ein. Die Kuposa haben uns zerstört.
In ihrem zwanzigsten Lebensjahr suchte der Tod die Siedlung heim.
Monatelang währte die Dürre in diesem Jahr. Die Feldarbeiter setzten ihre Hoffnungen auf den Brunnen, aber irgendetwas hatte das Wasser verunreinigt. Als ihr altes Kindermädchen erkrankte, blieb Unora an ihrer Seite und erzählte ihr Geschichten – Geschichten von Pajati, dem Gott, dessen Rückkehr sie alle ersehnten.
Die Dorfbewohner schafften die Leiche weg. Und sie starben als Nächste. Am sechsten Tag war nur noch Unora übrig. Sie lag in den Stoppeln der Felder, zu durstig, um weiterzukämpfen, und wartete auf das Ende.
Dann öffnete sich der Himmel. Regen tröpfelte auf den Boden, der längst zum Sterbebett geworden war – und aus dem Prasseln wurde ein Wolkenbruch, der die trockene Erde dunkel färbte und süß duften ließ.
Unora blinzelte die Tröpfchen von ihren Lidern. Sie setzte sich auf, legte die gewölbten Hände aneinander und fing den Regen auf, und als sie trank, lachte sie vor Freude.
Das Unwetter ließ so plötzlich nach, wie es heraufgezogen war. Unora stolperte in Richtung des Knarrenden Waldes, von Kopf bis Fuß mit Schlamm beschmiert. Tagelang nippte sie Tropfen von Blättern und trank aus Pfützen, fand indes kaum Essbares. Obwohl ihre Beine zitterten und ein alter Bär beharrlich auf ihrer Fährte blieb, folgte sie weiter den Sternen.
Endlich gelangte sie an den richtigen Ort. Hinter den rieselnden Überresten eines einst rauschenden Wasserfalls schlummerte der Weiße Drache Pajati – Pajati, der Wächter von Afa. Einst hatte er all denjenigen Wünsche erfüllt, die den entsprechenden Preis zahlten. Fast ohnmächtig vor Hunger und Durst suchte Unora die Glocke, die ihn wecken würde.
Von nun an würde sie ihr Schicksal in die Hände der Götter legen.
Die Götter schlummerten tief in jenen Jahren. Die meisten hatten sich in für Menschen unerreichbare Unterwasserhöhlen zurückgezogen, doch einige schliefen auch an Land. Obwohl Seiiki ihre Abwesenheit bedauerte, galt die Störung ihrer Ruhe als das schwerste aller Verbrechen. Nur die kaiserliche Familie besaß das Recht dazu.
Doch Unora kannte keine Angst mehr, denn sie hatte nichts mehr zu verlieren.
Die Glocke war größer als sie selbst – die Glocke, die den Wächter wecken würde und die bei Todesstrafe nicht berührt werden durfte. Die Bronze war bereits grün verfärbt. Unora näherte sich ihr. Wenn sie ihr Vorhaben in die Tat umsetzte, konnte sie getötet werden. Scheiterte sie, erwarteten sie nur noch Krankheit und der Hungertod.
Ich verdiene es zu leben.
Der Gedanke hallte wie ein Donnerschlag durch ihr Hirn. Sie hatte ihren Wert seit dem Tag gekannt, an dem sie geboren wurde. Das Exil hatte sie in den Staub gezwungen, aber dort würde sie nicht liegen bleiben. Keinen Tag länger.
Sie schlug die Glocke an. Nach Jahrhunderten der Stille zerriss ihr Läuten die Nacht.
Pajati folgte ihrem Ruf.
Vor Unoras Augen tauchte der Gott aus der Höhle auf und wand seinen langen Leib ins Freie. Er war vollkommen weiß, von den perlmuttfarbenen Zähnen bis zur schimmernden Blässe seiner Schuppen. Unora fiel auf die Knie und presste ihre Stirn auf den Boden.
»Der Stern ist noch nicht erschienen.« Seine Stimme rauschte wie der Wind. »Warum weckst du mich, Kind der Erde?«
Unora konnte nicht antworten. Niemand hätte das vermocht. Als Pajati ihr seinen Schweif hinhielt, ergriff sie ihn mit zitternden Händen. Seine Schuppen fühlten sich an wie nasses Eis.
Es stand ihr nicht zu, die Götter um Geschenke zu bitten. Das war das Privileg der Kaiserinnen und Könige.
»Erhabener, ich bin eine Frau aus deiner Provinz. Ich komme aus einem Dorf, das von der Dürre heimgesucht wurde.« Sie nahm allen Mut zusammen. »Ich bitte dich um Regen, oh König des Wassers. Bitte, schicke uns mehr Regen.«
»Diesen Wunsch kann ich nicht erfüllen. Es ist nicht an der Zeit.«
Unora wagte nicht, ihn zu fragen, wann die Zeit denn wohl kommen würde. Die Dürre dauerte bereits viel zu lange. »Dann bitte ich dich um einen Weg, an den glänzenden Hof von Antuma zu gelangen, damit ich den Kaiser anflehen kann, meinen Vater aus der Verbannung zu retten«, sagte sie. »Hilf mir, den Sohn des Regenbogens zur Barmherzigkeit zu bewegen.«
Pajati fletschte die Zähne. Er war der Glanz des Mondes, und seine Schuppen waren die Milch und die Tränen der Nacht.
»Das kostet seinen Preis.«
Und es war kein geringer Preis, hier, wo Wasser und Salz so kostbar und selten waren. Unora schloss die Augen. Sie dachte an ihren Vater, an die Toten in ihrem Dorf, an ihre Einsamkeit – und obwohl ihre Lippen rissig waren und ihre Schläfen vor Durst pochten, sickerte ein Tropfen über ihre Wange.
Die Schneewandelnde Jungfrau weinte um den großen Kwiriki, und er begriff, dass die Menschen Gutes in sich trugen, hatte ihr Kindermädchen ihr einst erzählt. Denn erst als sie um ihn weinte, wusste er, dass auch sie das Meer in sich trug.
Diese Warnung aus ihrer Kindheit pulsierte in ihr. Sie drängte sie dazu, den Tod zu akzeptieren, der auf sie wartete. Aber der Gott ihrer Provinz hatte bereits gesprochen.
»Eine Reise der Sonne wird es andauern, nicht länger.«
Er schenkte ihr im Gegenzug ebenfalls eine Träne, ließ sie wie eine Münze in ihre Handfläche fallen. Sie hob das silberne Glühen an die Lippen.
Es war, als würde sie in eine Sichel beißen. Der Tropfen fegte ein Jahrzehnt des Durstes aus ihrer Kehle und löschte ihn vollkommen. Pajati nahm ihre Träne mit der Zungenspitze von ihrer Wange, doch bevor er ihr die Bedingungen ihres Handels mitteilen konnte, fiel Unora ohnmächtig zu Boden.
Am nächsten Tag fand eine Botin sie immer noch dort liegend. Eine Botin des Strahlenden Hofes.
*
Die Frauen des Palastes sahen ganz anders aus als sie. Ihre Haare reichten fast bis zu den Füßen hinab, die Schleppen ihrer Gewänder glitten hinter ihnen über den Boden. Unora scheute vor ihren starren Blicken zurück. Ihr eigenes Haar war kurz, es fiel ihr gerade einmal bis auf die Schultern, und ihre Hände waren durch ein Jahrzehnt der Arbeit rau und schwielig. Das Getuschel der...
Erscheint lt. Verlag | 1.6.2023 |
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Reihe/Serie | A Day of Fallen Night |
"A Day of Fallen Night"-Saga | "A Day of Fallen Night"-Saga |
Übersetzer | Wolfgang Thon |
Sprache | deutsch |
Original-Titel | A Day of Fallen Night 1. A Roots of Chaos Novel (S. 1-463) |
Themenwelt | Literatur ► Fantasy / Science Fiction ► Fantasy |
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ISBN-10 | 3-641-30900-X / 364130900X |
ISBN-13 | 978-3-641-30900-8 / 9783641309008 |
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