Der letzte Thron (eBook)

Die Chronik der Sarmaten (3) - Historischer Roman

(Autor)

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2024 | 1. Auflage
352 Seiten
Goldmann (Verlag)
978-3-641-30953-4 (ISBN)

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Der letzte Thron -  Tim Leach
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180 n. Chr.: Nördlich des Hadrianswalls kämpfen der sarmatische Krieger Kai und sein Adoptivstamm, die Votadini, ums Überleben, nachdem sie durch römische Repressalien in ein unbekanntes Land vertrieben wurden. Dann trifft die Nachricht ein, dass ein verfeindetes Volk sich bereit macht, gegen die Votadini ins Feld zu ziehen, angeführt von einem altem Feind Kais. Sofort macht sich Kai auf den Weg nach Süden, in der Hoffnung, sich mit den Römern gegen diese neuerliche Bedrohung zu verbünden. In der Zwischenzeit haben die Römer jedoch von Chaos und Gemetzel jenseits des Walls gehört. Der Legat Lucius glaubt, dass Kai und seine Verbündeten dafür verantwortlich sind, und schickt eine Expedition aus, um seinen alten Kameraden zu ergreifen. Und Kai droht in eine tödliche Falle zu geraten ...

Tim Leach ist Absolvent des Warwick Writing Programme, wo er mittlerweile als Assistenzprofessor unterrichtet. Band 1 der Trilogie »Die Chronik der Sarmaten«, »Der Winterkrieg«, war für den Historical Writers' Association Gold Crown Award nominiert.

1


Über die Hügel und durch die Heide wanderte ein gebrochenes Volk gen Norden.

Tausende waren sie, aschfahl vor Erschöpfung, die Haut mit Blut und Erde beschmiert. Sie stolperten und schlurften, erinnerten eher an eine Armee der Toten denn der Lebenden, als wäre ein uraltes Hügelgrab aufgebrochen worden und zahllose Leichen wären daraus hervorgekrochen. Auf ihren Schilden und ihrer Haut waren die Zeichen vieler verschiedener Stämme zu sehen – Dumnonier, Veniconen, Taexalier und mehr. Ein halbes Dutzend Stämme aus dem Norden, welche die tiefen Wunden alter Fehden unter einem gemeinsamen Banner begraben und sich selbst das Bemalte Volk genannt hatten.

Keine Armee verfolgte sie, kein lebender Feind war in Sichtweite. Nur ganz im Süden ragte der gewaltige Wall aus Stein auf, der die Grenze eines großen Reiches markierte. Das Bemalte Volk floh vor diesem Wall, und fast sah es aus, als hätte diese Armee der Toten gegen ein Monster aus Stein gekämpft – und verloren.

Aber kein Monster hatte sie besiegt, auch nicht die Legionen Roms – das immerhin wäre eine vertraute Erniedrigung. Dies aber war ein neuer Feind gewesen, eine neue Schmach, die sie tragen mussten. Ein Volk aus einem fernen Land, zum Dienst für das Imperium verpflichtet; Krieger, die drachenartige Schuppen auf der Haut trugen und enorme Lanzen, die dafür gemacht schienen, Riesen niederzustrecken. Sie ritten auf monströsen Pferden, die gemeinsam mit ihren Reitern kämpften und töteten.

Was sollte man gegen solche Krieger ausrichten, die scheinbar aus alten Sagen hervorgeritten waren? Und obwohl das Bemalte Volk kaum die Kraft aufbringen konnte, zu laufen oder auch nur zu stehen, wiederholten sie immer wieder einen Namen, wie einen Fluch oder ein Gebet: Sarmaten, Sarmaten. Der Name jener, von denen sie besiegt worden waren. Der Name, den sie hassen lernen mussten.

Das Bemalte Volk bewegte sich wie ein verwundetes Tier, schleppte sich blutend voran über Heide und Hügel, ließ eine Fährte von Leichen hinter sich, als immer wieder blutbefleckte Männer strauchelten und fielen und sich zum Sterben niederlegten. Sie flohen in einen tiefen Wald in einem Tal in den Nordlanden, an einen der Orte, wo ihr Volk seine geheimen Handlungen durchführte, heilig und verboten. Da endlich, durch die dichten Wipfel vor den Augen der Menschen und Götter gleichermaßen verborgen, sanken sie zu Boden.

Anfangs sprach niemand. Abgesehen von der wiederholten Nennung des Namens ihres Feindes hatten Scham und Erschöpfung sie an einen Ort jenseits von Worten gebracht, zurück auf die alten Pfade des Herzens und des Geistes, als ihre Vorfahren noch ohne Sprache geliebt und gekämpft und gehasst hatten. Ganz langsam, Stück für Stück, schien die Gabe der Worte zurückzukehren. Sie aber brauchten nur ein einziges. Sie sprachen nichts als einen Namen, immer und immer wieder.

»Corvus, Corvus, Corvus.«

Der Name ihres Kriegshäuptlings, Hochkönig des Bemalten Volkes. Der Mann, der sie in ihre Niederlage geführt hatte.

Noch tags zuvor hatten sie seinen Namen als Schlachtruf auf dem Feld hervorgestoßen, denn er hatte ihnen großes Kriegsglück gebracht, sie gut gelehrt, ihre Feinde zu hassen und zu vernichten. Jetzt sprachen sie seinen Namen wie einen Fluch und einen Befehl, denn sie verlangten, dass er vor sie trat und sich ihrem Urteil stellte.

Von ihrem Wort beschworen, wie feenhafte Kreaturen gezwungen sind, zu erscheinen, wenn man ihren wahren Namen spricht, trat eine Gestalt auf die Lichtung. Das Mondlicht leuchtete auf seiner leichenblassen Haut.

Er war groß, größer als alle anderen Männer – ein blonder Krieger aus einer anderen Welt, aus den Wäldern jenseits des Rhenus am anderen Ende des Imperiums. Seine blauen Augen waren so still und leer wie die Wasser des Nordmeeres, seine blasse Haut versehen mit den Zeichen der Legion, aus der er vor langer Zeit desertiert war. So stand er vor ihnen, ungebeugt und scheinbar furchtlos. Er wartete ab, wie das Bemalte Volk mit ihm verfahren würde.

Die Menschen versammelten sich um ihn, während die Mordlust in ihren Herzen anschwoll. Die rachsüchtige Wut besiegter Männer und noch mehr – trotz all der Toten, die sie im Schatten des Walls zurückgelassen hatten, wussten sie, dass noch ein letztes Opfer nötig war. Es musste ein Fluch der Götter auf ihnen lasten, dass sie solch eine Niederlage erlitten hatten. Einzig das Blut eines Königs würde diesen Fluch brechen, und er war ihrer aller König gewesen.

Corvus schien all das zu wissen. Er flehte jedoch nicht, fluchte nicht, hob nicht die Waffe, um sich zu verteidigen. Er löste nur die Fibel seines Umhangs und warf diesen zu Boden, zog sich die Rüstung aus Leder und Stoff ab, löste die Riemen seiner Stiefel. Mit langsamen, achtlosen Bewegungen warf er seine Kleider fort – er hätte ein Reisender sein können, der nach einer langen Wanderung ans heimische Feuer zurückkehrt, um sich zu wärmen, oder ein Mann, der sich anschickt, zu seiner Liebsten ins Bett zu steigen.

Schließlich stand er nackt zwischen ihnen und bot sein Fleisch dar.

Kein Feuer war entfacht worden, denn niemand hatte die Kraft oder den Willen besessen, eines zu errichten. Aber der Mond war halbvoll, und die fast unaufhörlichen Wolken hatten sich für einen Moment zurückgezogen. Es war windstill; die Lichtung im Wald lag unter freiem Himmel. So konnte das Bemalte Volk Corvus gut erkennen, genau wie das Messer in seiner Hand.

Es hätte nur einen Atemzug gedauert, über ihn herzufallen und ihn in Stücke zu reißen. Aber noch verharrten sie reglos. Nicht aus Angst, was sein Messer ihnen antun könnte, denn sie waren zu erschöpft, um noch Todesangst zu verspüren. Irgendwie fürchteten sie sich in diesem Moment eher vor dem, was Corvus sich selbst antun wollte.

Das Messer erhob sich weit über seinen Kopf, als er die Klinge der Göttin des Mondes darbot. Corvus legte die Waffe an seine Stirn, suchte vielleicht Trost im Gefühl des trockenen, kalten Eisens auf kriegsfiebriger Haut. Die Spitze der Klinge wanderte zu seiner Brust, als habe er vor, sich ein schnelles Ende zu setzen, dann hinab zum Bauch, dem Ort des langsamen Todes. Noch tiefer rutschte die Klinge, bis unterhalb seines Gemächts, und das Bemalte Volk wusste, was er vorhatte.

Da riefen sie ihm zu, es nicht zu tun. Denn so sehr sie vor einem Moment noch willens gewesen waren, ihn zu töten, fürchteten sie jetzt um ihn. Sie spürten seinen Schmerz als ihren eigenen. Er war ihr Bruder, und sie liebten ihn.

Aber es war zu spät. Er hatte den Schnitt bereits gesetzt.

Ein wilder Schrei brach die Stille des Waldes – Corvus hatte viele Wunden auf dem Schlachtfeld davongetragen, aber dieser Schmerz war ungekannt. Mit gefletschten Zähnen, knochenweiß im Licht des Mondes, richtete er das gequälte Gesicht gen Himmel, während die Stränge in seinem Hals tanzten und zuckten.

Dann war es vollbracht, Blut und Samen ergossen sich auf die Erde. Corvus kniete und hielt sich mit roten Händen, als fürchtete er, den Boden berühren zu lassen, was er weggeschnitten hatte. Stille breitete sich um ihn aus, denn alle wussten, dass sie Zeugen von etwas Entsetzlichem und Heiligem wurden.

Corvus sprach – er richtete weder ein Gebet an einen Gott, seine Tat ungeschehen zu machen, noch verfluchte er seine Feinde. Er sagte nur: »Bringt ihn mir.«

Das Bemalte Volk hatte keinen Zweifel, wovon er sprach. Es gab nur einen Schatz, den er meinen konnte.

Er war geheim und verboten und nur den Stämmen des Nordens bekannt. Sie hatten ihn mit auf die Reise genommen, es aber nicht gewagt, ihn einzusetzen, selbst nicht, als sie wussten, dass sie besiegt waren. Besser zu sterben, so hatten sie gedacht, als dieses Unheil freizusetzen. Jetzt aber verbreitete sich die Kunde, und aus dem Herzen des Waldes reichten sie, von Hand zu Hand und mit großer Zärtlichkeit, ihren schrecklichen Schatz bis auf die Lichtung weiter.

Zuerst schien es, als trügen sie ein Stück greifbarer Nacht – eine Sphäre aus völliger Schwärze, die das einfallende Mondlicht verschluckte. Erst aus der Nähe sah man die alten Hammerabdrücke im Metall, das vor über einem Jahrhundert geglättet worden war. Jene, die es trugen, spürten die Muster unter ihren Fingern. Die eingearbeiteten Bäume, Ulme und Eiche und Esche. Die Gesichter von Männern, lächelnd und lachend und schreiend.

Es war ein alter Kessel, geschmiedet aus schwarzem Eisen. Ein schlichtes, einfaches Ding, ein Gerät von der Sorte, wie man es im ganzen Land nördlich des Walls über sein Kochfeuer hängen würde. Aber in den Geschichten ihrer Völker gab es viele geheiligte Kessel. Den Kessel von Ceridwen, der Weisheit braute wie Suppe. Den Kessel des Dagda, der niemals leer wurde. Und diesen hier – den Brennenden Kessel, das Grab längst vergangener Götter.

Jeder Mann in der Kette berührte ihn nur für kurze Zeit und stolperte fast, um ihn so rasch wie möglich weiterzugeben. Hinterher schworen sie alle, dass der Kessel ihnen fast die Finger verbrannt habe, so heiß sei er gewesen, obwohl er seit hundert Jahren kein Feuer mehr berührt hatte.

So reiste er von Hand zu Hand, bis er schließlich vor Corvus stand. Vor dem Mann, den sie bald schon den Verstümmelten König nennen würden und der nun mit einer zitternden, blutigen Hand hineingriff.

In dem Kessel lag kein Schatz aus Gold und Silber, keine Königskrone, kein Zauberstab. Nichts als Asche und Ruß. Und in diesen Kessel warf Corvus nun das zerstörte Stück seiner selbst. Dann beugte er sich vor und lag weinend auf dem Boden. Alle Kraft und aller Mut waren versiegt.

Sofort scharte sich das Bemalte Volk um...

Erscheint lt. Verlag 21.2.2024
Reihe/Serie Die Sarmaten-Trilogie
Übersetzer Julian Haefs
Sprache deutsch
Original-Titel The Sarmatian Trilogy Book 3
Themenwelt Literatur Historische Romane
Schlagworte 2024 • Amazone • a winter war • barbarians • Donau • eBooks • Erstmals auf Deutsch • Historische Romane • Historischer Roman • Kampf gegen Rom • Krieger • Neue Reihe • Neuerscheinung • neuerscheinung 2024 • Osteuropa
ISBN-10 3-641-30953-0 / 3641309530
ISBN-13 978-3-641-30953-4 / 9783641309534
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