Tschechische Märchen (eBook)

'Drei Haselnüsse für Aschenbrödel' und andere Märchen. Reich illustrierte Märchensammlung mit Texten von Karel Jaromír Erben und Bo?ena N?mcová

Erich Ackermann (Herausgeber)

eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
320 Seiten
Anaconda Verlag
978-3-641-30730-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Tschechische Märchen -
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Hierzulande kennen wir tschechische Märchen vor allem durch die beliebten Verfilmungen - »Drei Haselnüsse für Aschenbrödel« etwa gehört inzwischen zum Pflichtprogramm in der Adventszeit. Die Geschichten enthalten viele Motive des klassischen Zaubermärchens wie den Sieg des Guten über das Böse, Zwerge, Riesen, Hexen und sprechende Tiere. Besonderen Charme verleiht ihnen zudem das böhmisch-slawische Brauchtum und Lokalkolorit. Der reich bebilderte Band enthält unter anderem Texte aus den Märchensammlungen Karel Erbens und Bo?ena N?mcovás, die in Tschechien so bekannt sind wie die Grimms in Deutschland.

Der Feuervogel und der Rotfuchs


Ein König hatte einen großen schönen Garten, worin gar viele seltene und kostbare Bäume standen, doch der allerseltenste war ein Apfelbaum, der in der Mitte des Gartens stand. Er trug jeden Tag einen Apfel, und dieser war golden. Am Morgen noch war er nur eine Blüte, den Tag über aber wuchs und gedieh der ­Apfel und am Abend war er reif. Und am nächsten Morgen blühte schon wieder ein anderer. Aber keiner von diesen reifen Äpfeln hing noch am nächsten Tag am Baum. Jedes Mal verschwand er des Nachts vom Baum, und niemand wusste, wie das geschah und wo der Apfel geblieben war. Darüber war der König sehr betrübt; schließlich rief er seinen ältesten Sohn zu sich und sprach zu ihm:

»Heute in der Nacht wirst du beim Apfelbaum Wache halten. Bekommst du heraus, wer mir diese Äpfel stiehlt, werde ich dich überreich entlohnen, und mich dafür erkenntlich zeigen. Gelingt es dir aber sogar, den Dieb zu fangen, will ich dir dafür die Hälfte des Königreiches geben.«

Sogleich gürtete sich der Prinz mit seinem Schwert, nahm eine Armbrust auf die Schulter, steckte scharf gespitzte Pfeile in den Köcher und begab sich in der Abenddämmerung in den Garten, um Wache zu halten. Dort setzte er sich unter den Apfelbaum und wartete. Er saß noch nicht lange da, als ihn der Schlaf plötzlich überkam, und er konnte sich dessen nicht erwehren: die Hände sanken ihm ins Gras, seine Augen fielen ihm zu und er schlief fest bis zum hellen Tag. Als er in der Frühe erwachte, war indes der Apfel schon wieder verschwunden.

»Hast du den Dieb nicht gesehen?«, fragte ihn der König.

»Nein, es ist niemand gekommen«, antwortete der Sohn. »Der Apfel ist von selbst verschwunden.«

Der König schüttelte ungläubig den Kopf und wandte sich an seinen mittleren Sohn: »Heute ist es an dir, Wache zu halten. Und wenn du den Dieb ertappst, will ich dich reichlich entlohnen.«

Der zweite Sohn bewaffnete sich wie sein älterer Bruder und ging in den Garten, um Wache zu halten. Doch nach einer Weile schlief auch er unter dem Apfelbaum ein, und als er erwachte, war der Apfel weg. Als ihn dann am Morgen der Vater fragte, wer den Apfel genommen habe, antwortete auch er, dass der ­Apfel einfach so verschwunden sei; niemand habe ihn genommen.

Da ging der jüngste Königssohn zu seinem Vater und bat ihn, auch für eine Nacht Wache zu halten.

»Das wird dir kaum gelingen, liebes Kind«, antwortete ihm der Vater. »Du bist ja noch zu jung und unerfahren. Und wenn es deine älteren Brüder nicht geschafft haben, den goldenen ­Apfel zu beschützen, dann wird es dir umso weniger glücken. Doch wenn du willst, dann gehe!«

Am Abend, als es dunkel zu werden begann, ging dann der Jüngste in den Garten. Er nahm gleichfalls ein Schwert, eine Armbrust und einige spitze Pfeile mit sich, doch daneben auch ein Igelfell. Im Garten ließ er sich unter dem Apfelbaum nieder, und breitete das Igelfell auf seinen Knien aus. Dieses sollte ihn aufwecken, wenn ihn der Schlaf überkäme und die Hände zu sinken begännen.

Um Mitternacht nun kam ein goldener Vogel angeflogen, setzte sich auf den Baum und wollte den Apfel abpicken. In diesem Augenblick knarrte die Armbrust und ein Pfeil des Prinzen schnellte los und traf den Vogel am Flügel. Der Vogel flog davon, doch eine goldene Feder aus seinem Flügel fiel zur Erde. Der kostbare Apfel aber blieb am Baum.

»Nun, hast du den Dieb?«, fragte am Morgen der König.

»Ich habe ihn nicht«, entgegnete der Prinz, »aber was nicht ist, kann ja noch werden. Vorläufig habe ich ein Stück von seinem Gewand.« Dabei zog er die goldene Feder hervor und erzählte seinem Vater, was sich in der Nacht ereignet hatte.

Der König freute sich sehr über diese Feder. Sie war so schön und strahlte einen solchen Lichtschein aus, dass nachts im königlichen Thronsaal keine anderen Lichter mehr angezündet zu werden brauchten. Die Höflinge, die sich in derartigen Dingen auskannten, meinten, diese Feder stamme vom Feuervogel und sei wertvoller als alle anderen Schätze des ganzen Königreichs.

Von dieser Zeit an zeigte sich der Feuervogel nicht mehr im Garten, und die Äpfel kamen auch nicht mehr abhanden. Doch sie erfreuten auch den König nicht mehr, denn er musste ständig an den Feuervogel denken und war tief betrübt, dass er ihn nicht sein eigen nennen konnte. Dieser Kummer bedrückte ihn so sehr, dass sein Herz immer mehr ermattete. Eines Tages rief er seine drei Söhne zu sich und sprach:

»Liebe Söhne! Ihr seht, dass es mir von Tag zu Tag schlechter geht. Aber ich weiß bestimmt: Wenn ich den Feuervogel singen hören könnte, dann wäre mein Herz wieder schnell gesund und munter. Wer von euch dreien mir den Feuervogel lebendig bringt, damit er für mich singt, dieser soll sodann gleich die Hälfte des Königreichs bekommen und nach meinem Tod mein Nachfolger werden.«

Da trafen die Söhne sogleich Reisevorbereitungen für ihre Suche nach dem goldenen Wundervogel, nahmen Abschied vom Vater und brachen auf. Sie ritten noch nicht lange und schon kamen sie in einen Wald, und im Wald zu einem Kreuzweg.

»Welchen Weg sollen wir einschlagen?«, fragte da der älteste Bruder.

»Wir sind drei, und haben vor uns drei Wege«, meinte der zweite. »Jeder soll also einen davon nehmen. Wenn wir nach drei Seiten weiter reiten, werden wir den Feuervogel leichter entdecken.«

»Und welchen Weg soll jeder von uns nehmen?«

»Jeder von euch beiden soll die Straße wählen, die ihm beliebt. Ich werde den Weg einschlagen, der übrig bleibt«, so der Jüngste.

Die Brüder waren damit zufrieden, und jeder wählte sich einen Weg, den er zu reiten vorhatte. Da sagte einer:

»Lasst uns an dieser Stelle hier irgendein Zeichen zurücklassen, damit der von uns, der zuerst hierher zurückkommt, gleich weiß, wie es den anderen ergangen ist. Wir wollen jeder ein Reis in die Erde stecken: wessen Reis grün ausschlägt, der ist der glückliche, der den Feuervogel gefunden hat.«

Den Brüdern gefiel dieser Plan, und jeder steckte am Rande seines Wegs ein Reis in die Erde, und dann ritten sie auseinander.

Der älteste Königssohn ritt auf seinem Weg stets vorwärts, bis er auf eine Berghöhe kam. Dort sprang er vom Pferd, ließ es frei in der Umgegend weiden und setzte sich selbst im Gras nieder. Dann nahm er seinen Proviant hervor und begann sich zu stärken. Auf einmal kam ein kleiner roter Fuchs zu ihm geschlichen.

»Bitte, junger Herr«, flehte er, »ich habe solchen Hunger. Gib mir auch etwas davon!«

Als der Königssohn den Fuchs erblickte, griff er nach seiner Armbrust und schoss einen scharfen Pfeil nach ihm ab. Er sah nicht, ob er ihn getroffen oder verfehlt hatte, der Fuchs war verschwunden.

Dem zweiten Bruder erging es ebenso. Als er sich auf einer weiten Wiese bequem im Gras ausstreckte und seinen Proviant auspackte, kam zu ihm ebenfalls der hungrige rote Fuchs und bat um eine Gabe für sich. Doch auch der mittlere Bruder schoss nach dem Tier, das dann vor seinen Augen entschwand.

Der jüngste Bruder ritt vor sich hin, bis er zu einem Bach kam. Da auch er müde und hungrig war, stieg er vom Pferd ab und ließ sich am Ufer des Bachs auf dem Gras nieder, um etwas von seinem Proviant zu sich zu nehmen. Als er zu essen begann, erblickte er ebenfalls den roten Fuchs, der ihm immer näher kam, bis er in einer kleinen Entfernung stehen blieb.

»Bitte, junger Herr«, ich bin sehr hungrig; gib mir doch etwas von deinem Essen ab!«

Der Prinz warf ihm sogleich ein Stückchen Rauchfleisch hin mit den Worten:

»Komm her, kleiner Fuchs! Hab keine Angst! Ich merke, dass du hungriger bist als ich, und für heute zumindest werden wir beide genug haben.«

Dann machte er aus seinen Proviant zwei Teile: den einen für sich, den anderen für den Fuchs. Dieser aß sich dann satt und sagte:

»Du hast mich gut gefüttert, und dafür danke ich dir. Steige nun auf dein Pferd und reite mir nach. Wenn du dann tust, was ich dir rate, wird der Feuervogel dir gehören.« Dann lief er voraus und bahnte ihm mit seinem buschigen roten Schweif den Weg. Die Höhen wehte er im Nu weg, die Täler füllte er aus und über die Gewässer baute er Brücken. Der Prinz galoppierte hinter ihm her, bis er sich plötzlich vor einem kupfernen Schloss befand.

»In diesem Schloss befindet sich der Feuervogel«, sagte ihm da der Fuchs. »Begib dich genau zur Mittagsstunde hinein; da werden die Wächter schlafen. Du aber verweile nirgends und säume dich nicht. In dem ersten Saal wirst du zwölf schwarze Vögel in goldenen Käfigen vorfinden, im zweiten wirst du zwölf goldene Vögel in hölzernen Käfigen sehen, im dritten Saal wird der Feuervogel auf einer Stange sitzen. Neben ihm stehen zwei Käfige, einer aus Gold und einer aus Holz. Du aber setz den Vogel nicht in den goldenen, sondern in den hölzernen hinein, sonst wird es dir schlecht ergehen.«

Der Königssohn tat so. Er ging in das kupferne Schloss und fand dort alles...

Erscheint lt. Verlag 20.9.2023
Zusatzinfo Mit zahlreichen sw-Illustrationen
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Märchen / Sagen
Literatur Romane / Erzählungen
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ISBN-10 3-641-30730-9 / 3641307309
ISBN-13 978-3-641-30730-1 / 9783641307301
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