Die alte Garde (eBook)

Roman
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2023 | 1. Auflage
624 Seiten
Heyne (Verlag)
978-3-641-29394-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die alte Garde -  THOMAS D. LEE
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Seit Jahrhunderten wachen die unsterblichen Ritter der Tafelrunde über Großbritannien. Sie kämpften bei Agincourt, Waterloo und in beiden Weltkriegen. Sobald ihre Arbeit getan ist, kehren sie in ihre Gräber zurück. Nur wenige Eingeweihte, ebenfalls Unsterbliche, wissen um dieses Geheimnis. Als Sir Kay diesmal erwacht, erkennt er sein Land kaum wieder: Die Meeresspiegel sind gestiegen, die Hälfte des Landes wurde an chinesische Investoren verkauft, die Armee ist privatisiert. Mit dem Drachen, der beim Fracking wiedererweckt wurde, wird Kay fertig. Mit der jahrhundertealten Verschwörung, die das Land an den Rand des Abgrunds getrieben hat, kann er es nicht aufnehmen - jedenfalls nicht alleine ...

Thomas D. Lee arbeitete als Redakteur und Aushilfslehrer, ehe er 2019 sein Studium in Kreativem Schreiben an der University of Manchester abschloss. Derzeit schreibt er an seiner Doktorarbeit, die sich mit queeren Neuinterpretationen der Artus-Sage beschäftigt. Für seinen Debütroman »Die alte Garde« wurde er mit dem Peters Fraser + Dunlop Prize for Best Fiction ausgezeichnet. Immer wieder spielt er mit dem Gedanken, wie der Zauberer Merlin ein Einsiedler zu werden, der alleine im Wald lebt und nur in Rätseln spricht. Bis es so weit ist, bleibt er in Manchester mit seiner Yuccapalme Carlos.

1


KAY KRIECHT AUS SEINEM HÜGEL HERVOR, KÄMPFT sich durch die klumpige Erde an die Oberfläche.

Die letzten tausend Jahre war das Land rund um seinen Hügel trocken. Entwässerung, Ackerbau und moderne Wunder hielten das Wasser fern. Daran erinnert er sich. Jetzt ist der Boden wieder vernässt, wie damals, als er zum ersten Mal begraben wurde. Bevor die Moore trockengelegt wurden. Er fängt an zu grübeln, was der Grund sein könnte, doch dann kriecht ihm ein Wurm ins Auge, was genau die Art von Widerwärtigkeit ist, die einen vollständig aus den Gedanken reißt. Er stößt einen leisen angeekelten Laut aus und wischt sich den Wurm aus dem Auge.

Dieser Moment ist jedes Mal unangenehm, dieser brachiale Kampf ans Tageslicht. Er gräbt sich durch Lehm, zerrt an Wurzeln, bis er es endlich durch die Erde geschafft hat und in einen dunstigen gelben Himmel hinaufblickt. Er streckt den Kopf raus, dann zieht er einen Ellbogen nach, bevor er kurz eine Pause einlegt, um Atem zu holen. Die Luft schmeckt nicht besonders gut. Die Sonne brennt auf seinem Gesicht. Es muss Mittsommer sein.

Er macht sich wieder daran, sich zu befreien. Die Erde umklammert fest seine Beine, aber der glitschige Schlamm an seinem Kettenhemd wirkt wie Schmiere, endlich hört er ein mächtiges Schmatzen und spürt, wie die Erde ihn loslässt. Er bekommt die Beine frei. Seine Hüften flutschen durch die Wurzeln. Als er bis zu den Knien draußen ist, rutscht er ein wenig ab, wäre fast in die seltsame Höhle zurückgefallen, durch die er gerade hinaufgeklettert ist, aber er schafft es gerade noch, sich festzuhalten. Er zieht die Unterschenkel aus dem Boden, dann kniet er in der Sonne und keucht in der Hitze. In einem Kettenhemd und einem grünen Wollumhang, die beide mit matschiger Nachgeburt überzogen sind. Seine Dreadlocks sind mit Erde verkrustet.

Tatsächlich, sein kleiner Grabhügel ist von Sumpf umgeben. Der Wasserstand ist gestiegen. So war es auch, als er ursprünglich begraben wurde, bevor der Baum aus seinem Bauch wuchs.

Er atmet gierig ein, um seine Lunge mit Sauerstoff zu versorgen, aber die Luft fühlt sich schwerer an, als sie sollte. Es sieht nicht danach aus, als wäre dieses Mal jemand gekommen, um ihn zu wecken. In den alten Tagen waren Reitertrupps anwesend oder manchmal sogar ein König höchstpersönlich, wenn große Not bestand. Dann wurden daraus Militärlaster oder Zirkel aus Druiden in weißen Gewändern, die etwas überrascht waren, dass ihre Tänze tatsächlich etwas bewirkt hatten. In jüngerer Zeit ein Mann im Regenmantel, der auf seine Armbanduhr schaute und hinter dem eine dröhnende Flugmaschine auf der Wiese wartete. Aber heute: nichts. Es muss sich um einen dieser organischen Fälle handeln, bei denen die Erde selbst beschließt, ihn wachzurütteln. Irgendeine Veränderung im Geist der Gefilde. Oder vielleicht haben die Vögel am Himmel eine Versammlung abgehalten und abgestimmt, dass er ausgegraben werden soll. Er blickt sich um. Von Vögeln ist auch nichts zu sehen.

»Also schlecht«, murmelt er zu sich selbst.

Kay wuchtet sich auf die Beine. Als Erstes muss er sein Schwert und seinen Schild finden. Üblicherweise spuckt sie die Erde irgendwo in der Nähe aus, aber es steckt keine präzise Wissenschaft dahinter. Er ist sich nicht sicher, ob die Erde sich ihrer Verpflichtungen gänzlich bewusst ist. Der Vertrag mit Merlin war recht konkret. Mach diesen Krieger wieder ganz und gib ihn zurück in die Gefilde der Lebenden, wann immer Britannien in Gefahr ist. Gib ihn zurück mit Schwert und Schild und anderen Werkzeugen des Krieges, allesamt makellos. Wenn die Gefahr überwunden ist, lass ihn in deinen Schoß zurückkehren und schlafen, bis eine neue Gefahr ihn herbeiruft.

Klarer könnte es kaum formuliert sein. Aber Schlamm ist Schlamm. Schlamm tut sich mit geschriebenen Anweisungen schwer. Es musste einfach zu Missverständnissen kommen.

Auf der anderen Seite des Moors ist etwas, das vorher nicht da war. Er muss blinzeln, weil die Sonne hell ist und sich auf den Metallteilen spiegelt. Eine hässliche Ansammlung von niedrigen Gebäuden, zwischen denen überall Rohre verlaufen, wie ein Gewimmel aus Schlangen. In der Mitte erhebt sich ein silberner Turm in Form einer Patrone. Eine Festung? Aber viel größer, als es Arthurs Festung in Caer Moelydd jemals war.

»War früher noch nicht da«, sagt er zu sich selbst.

Die seltsame Festung scheint ihm ein guter Ausgangspunkt zu sein, wenn er herausfinden will, warum er zurückgekommen ist.

Er macht sich hügelabwärts auf den Weg, die Erde schmatzt unter seinen Füßen. Vielleicht steckt irgendwo hier im Sumpf sein Schwert, ragt mit dem Griff aus dem feuchten Boden. Er hofft, dass er einfach darüberstolpert. So läuft es üblicherweise ab, die verschiedenen uralten Mächte der Gefilde arbeiten zusammen, um es ihm leichter zu machen. Das war immer einer der Vorteile, Arthurs Kriegertrupp anzugehören. Man stapfte einfach planlos in den Wald, und zufällig stieß man auf einen sprechenden Raben, der einem sagte, wo man finden konnte, wonach man suchte. Wie sonst hätten Idioten wie Bors und Gawain irgendetwas erreicht, wenn sie nicht auf weiße Hirschkühe oder Flussgeister gestoßen wären, die ihnen den Weg zeigten? Nicht dass sie jemals Dankbarkeit gezeigt hätten.

Auf der anderen Seite des Sumpfes glänzt das Durcheinander aus Gebäuden. Seltsam, dass man es so nah an diesem alten Hügel erbaut hat. Aber auch nicht seltsamer als weiße Hirschkühe oder sprechende Raben. Wenn man früher durch die alten Wälder ritt, konnte man nie das Gefühl abschütteln, dass hinter der nächsten Biegung eine rühmliche Aufgabe lauerte, die irgendeine höhere Gewalt dort platziert hatte, ob es nun Christus König oder ein germanischer Gott oder irgendeine noch ältere Göttin der Bäume war. Arthur schien das nie aufzufallen. Er fand es wohl ganz natürlich, dass sich Dinge von Bedeutung immer in seiner Nähe ereigneten. Und sollte es jemandem anderes aufgefallen sein, so wusste derjenige wohl, dass es klüger war, es nicht zu erwähnen. Nur Kay brachte es gelegentlich zur Sprache und handelte sich damit immer einen finsteren Blick von Merlin oder eine Spöttelei von Lancelot ein.

Das ist eine Vorstellung, die ihn wütend macht: Lancelot, wie er auf seinem weißen Ross höhnisch grinst. Und Arthur etwas ins Ohr flüstert. Schaut nur, Sire, ein brauner Nubier, mit braunem Dreck beschmiert, und dadurch kein bisschen brauner. Die Vorstellung ist die perfekte Motivation, um sich damit beim beschwerlichen Weg durch einen Sumpf anzutreiben. Er stellt sich in der Ferne Lancelot vor, wie er ihn provoziert. Er stellt sich vor, wie er Lancelot von seinem Pferd herunterzerrt und ihm einen Schlag gegen das Kinn verpasst. Wie er ihn im Schlamm ertränkt. Auch das ist ein netter Gedanke, um jemanden durch einen Sumpf zu bringen.

Der Matsch ist anfangs gar nicht so schlimm. Kay watet hindurch und verzieht kaum das Gesicht. Es ist nicht schlimmer als in Azincourt oder an der Somme. Zumindest fliegen keine Kugeln oder heißen Granatsplitter durch die Luft, und er wird nicht von französischen Schlachtrössern gejagt. Das einzige Problem ist das schwere Kettenhemd. Und es ist ein verdammt heißer Tag. Früher waren die Sommer nie so heiß, da ist er sich sicher. Es ist ein Tag, um sich im Schatten auszuruhen, nicht um ein Kettenhemd zu tragen oder durch Schlamm zu waten. Wenn der Boden noch weicher wird, wäre Kay schon ganz bald wieder unter der Erde und würde langsam ersticken, während sich seine Lunge mit Matsch füllt. Und was würde dann geschehen? Im Laufe der Jahre ist er auf vierzig verschiedene Arten gestorben, durch sächsische Speerspitzen und byzantinisches Feuer und japanische Ungastlichkeit, aber er ist noch nie zuvor in Schlamm ertrunken. Das wäre ein neuer Tod, den er seiner Liste hinzufügen könnte.

Unweigerlich bemerkt er, dass irgendetwas mit diesem Schlamm nicht stimmt. Er ist seltsam ölig, hat einen purpurnen Schimmer, der das Sonnenlicht mehr spiegelt, als Schlamm es eigentlich tun sollte. Jetzt steckt er bis zu den Knien drin. Immer noch kein Schwert. Er lässt den Blick schweifen, wirft verzweifelt die Hände hoch.

»Nimue?«, fragt er. Einen Versuch ist es wert. »Ein bisschen Hilfe, vielleicht?«

Keine Antwort. Kein blasser Arm, der aus dem öligen Wasser himmelwärts emporschießt und ein glänzendes Schwert hält. Das klappt anscheinend nur mit Arthurs Caliburn. Nicht mit normalen Schwertern wie seinem, die sich hin und wieder mit Blut besudeln.

Es hat ihn sorglos gemacht, immer wieder von den Toten zurückzukehren. In den alten Tagen wäre er niemals so unbekümmert durch ein Moor gestapft. Das ist Selbstmord. Aber inzwischen ist er es gewohnt, verhätschelt zu werden, wenn er über der Erde ist, mit Autos und Hubschraubern und warmen Betten. Er hat die Basics verlernt. Wenn er hier ertrinkt, wäre es ganz allein seine eigene Schuld. Kein Wunder, dass Nimue ihm nicht hilft. Sie hat wahrscheinlich viel wichtigere Dinge in einem anderen See zu erledigen. Viel wichtiger, als einem umherirrenden Ritter zu helfen, sein verdammtes Schwert zu finden.

Er überlegt gerade, ob er zurückwaten sollte, als ein Geräusch über das Moor schallt, ein modernes Geräusch. Es gibt immer noch diesen einen Teil seines Gehirns, der zuerst an altmodische Erklärungen denkt. Ist es eine Bestie, die erschlagen werden muss? Oder vielleicht ein Signalhorn? Aber nein, es ist eine...

Erscheint lt. Verlag 24.12.2023
Übersetzer Bernhard Kempen
Sprache deutsch
Original-Titel Perilous Times
Themenwelt Literatur Fantasy / Science Fiction Fantasy
Schlagworte 2023 • 2024 • Artusritter • Ben Aaronovitch • Die Nebel von Avalon • dystopie fantasy • eBooks • Fantasy • Galahad • Klimawandel • König Artus • Lanzelot • Nahe Zukunft • Neuerscheinung • Person of Colour • queer romance • Ritter der Tafelrunde • starke Heldin • T.J. Klune • Urban Fantasy
ISBN-10 3-641-29394-4 / 3641293944
ISBN-13 978-3-641-29394-9 / 9783641293949
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