Der Pfad (eBook)
384 Seiten
Penguin Verlag
978-3-641-30846-9 (ISBN)
Ein abgeschiedenes Dorf im Schatten mächtiger Berggipfel: Seit zehn Jahren lebt Abby in Cutter's Pass, North Carolina. Längst fühlt sie sich heimisch, obwohl der eigentlich so idyllische Ort ein düsteres Geheimnis hütet - seit Jahren verschwinden hier Wanderer spurlos im Gebirge. Als wäre der Ort verflucht. Dann taucht in einer stürmischen Gewitternacht plötzlich ein Fremder in Cutter's Pass auf: Trey West ist gekommen, um herauszufinden, was damals mit seinem Bruder geschah. Denn auch er kehrte von jenem berüchtigten Pfad in die Wildnis niemals zurück. Je tiefer sich Abby in Treys Recherchen hineinziehen lässt, desto deutlicher merkt sie, wie die Dorfbewohner zusammenrücken und eine Mauer des Schweigens um sich errichten. Und bald muss sich Abby fragen, wie gut sie ihre Nachbarn tatsächlich kennt - und ob die Gefahr wirklich in den Bergen lauert. Oder nicht vielleicht dort, wo man sich eigentlich in Sicherheit wähnt ...
»Eine Geschichte so verschlungen und düster wie der titelgebende Pfad selbst. Mit dem tiefsten Unbehagen als Wegbegleiter ... Ich verpasse kein Buch von Megan Miranda, und Sie sollten das auch nicht tun. Das ist richtig hohe Thriller-Kunst.« Romy Hausmann
Megan Miranda ist eine erfolgreiche amerikanische Autorin und steht seit ihrem Spannungsdebüt »Tick Tack« mit jedem neuen Thriller wochenlang auf der deutschen SPIEGEL-Bestsellerliste. Ihr Markenzeichen sind atemlos machende Pageturner und Plottwists, die selbst ihre größten Fans nicht kommen sehen - bis zur letzten Seite. Auch mit ihrem neuen großen Thriller »SMALL TOWN« garantiert sie für clevere psychologische Spannung mit Gänsehautfaktor.
Megan Miranda lebt mit ihrer Familie in North Carolina.
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Kapitel 1
Er kam nachts an, während eines Platzregens, also unter Umständen, die für das Verschwinden einer Person durchaus geeignet sind.
Ich war allein in der Lobby des Passage Inn und wollte gerade die handgeschnitzten Wanderstöcke aus dem Ständer neben der Anmeldung nehmen, um sie durch unseren Vorrat an marineblauen Regenschirmen zu ersetzen, als jemand durch die Doppeltür am Eingang hereinkam. Das Rauschen des Regens in den Dachrinnen, das Rascheln einer Wanderhose, das Quietschen von nassen Stiefeln auf poliertem Boden.
Der Mann war eben erst eingetreten, als die Tür hinter ihm zufiel. Er trug einen schwarzen Regenmantel und erzählte mir eine traurige Geschichte über seine ursprünglichen Campingpläne.
Eigentlich nichts, wovor man sich fürchten müsste: ein Wanderer bei schlechtem Wetter.
Zuerst hörte ich nur mit halbem Ohr zu, denn seine eigentliche Frage war unter einer ganzen Reihe von Entschuldigungen begraben. Es tut mir leid, normalerweise bin ich besser vorbereitet. Mir ist klar, dass meine kurzfristige Anfrage Ihnen vermutlich Unannehmlichkeiten verursacht, aber …
»Wir können Sie schon unterbringen«, sagte ich und trat hinter die Rezeption, wo ich auf dem Computerbildschirm bereits die Liste der verfügbaren Zimmer geöffnet hatte. Diese Art von Regen trieb die Wanderer vom Berg – so plötzlich und heftig, dass er ihre Entschlossenheit erschütterte, nachdem sie einen zweiten Gedanken an ihre Ausrüstung, ihre Ausdauer und ihre Willenskraft verschwendet hatten. Im Gegensatz zu ihm war ich darauf vorbereitet gewesen.
Die Rückseite unseres Grundstücks endete dort, wo der Zubringer zum Appalachian Trail begann: Er war mit einem kleinen Holzschild markiert, das den Tageswanderern den Weg zu den Wasserfällen zeigte. Von dort verlief der Pfad steil ansteigend, bis er schließlich auf den großen Appalachian Trail traf. Unsere Hotelgäste liebten die Kombination von Bequemlichkeit und diesem Hauch von Wildnis – mit einem Berg, der direkt hinter ihren bodentiefen Fenstern aufragte.
Ich wusste, dass man vom Kamm dieses Berges, wo sich die beiden Pfade kreuzten, auch uns sehen konnte: das Kuppeldach des Passage Inn und die Stadt gleich dahinter, mit dem Kirchturm, der sich durch die Baumwipfel reckte, mit einem Versprechen von Zivilisation. Manchmal stürzten sie an Abenden wie diesem den Berg herab wie Ameisen auf der Flucht aus einem vergifteten Hügel. Unsere Lichter zogen sie an, die ersten Vorboten einer Ruhepause abseits des Trails. Manchmal, wenn nur noch ein einziges Zimmer frei war, vereinten sich vollkommen Fremde zu Gruppen und rückten zusammen.
Zurzeit war Hochsaison und das Hauptgebäude bis auf das letzte Zimmer ausgebucht, aber drei der insgesamt vier Hütten waren noch frei. Die Unterkünfte dort draußen waren viel rustikaler und wurden deshalb vor allem für längere Aufenthalte gebucht – oder in Notfällen wie diesem.
Der Mann stand noch immer am anderen Ende der Lobby, die Hände vor dem Mund, um warme Luft hineinzupusten, als hätte das Unwetter die Temperaturen fallen lassen. Ich bemerkte, wie sein Blick zu dem frei stehenden Kamin in der Mitte des Raums wanderte.
»Zum Einchecken müssen Sie schon ein wenig näher kommen«, sagte ich.
Er stieß ein Lachen aus und schob die Kapuze seines Regenmantels zurück, während er die Lobby durchquerte, bevor er mit einer allzu vertrauten Geste zuerst die Haare und dann die Ärmel ausschüttelte.
Ich spürte, wie mein Lächeln in sich zusammenfiel, und versuchte, es mit einem Blick auf den Bildschirm zu überspielen, während ich im Geiste die Möglichkeiten durchging. War es ein Tourist, der sich entschieden hatte, wiederzukommen? Oder jemand, den ich Anfang der Woche in der Stadt gesehen hatte? Doch da war nichts. Zufall.
»Dann schauen wir mal, was wir Ihnen anbieten können«, sagte ich und sah ihn wieder an in der Hoffnung, dass sein Anblick eine Erinnerung in mir wachrufen würde, um ihn einordnen zu können: braune Haare in einem Frisurstadium irgendwo zwischen ungepflegt und angesagt, tiefblaue Augen, in den Dreißigern, kein Ehering, die scharfe Linie einer weißen Narbe unten am Kiefer, die ich nur deshalb erkennen konnte, weil er einen ganzen Kopf größer war als ich. Ich stellte mir vor, wie er während einer Wanderung abgestürzt war und mit dem Kinn den Felsen gestreift hatte. Ich stellte mir einen Hockeyschläger vor, der ihn im Gesicht traf, einen abgerissenen Helm, Blut auf Eis.
Ich stellte mir manchmal die Geschichten hinter den Menschen vor. Es war eine Angewohnheit, die ich mir abzugewöhnen versuchte.
Ich war mir sicher, ihn von irgendwoher zu kennen, doch ich konnte ihn einfach nicht einordnen. Normalerweise war ich gut darin – ich erinnerte mich an wiederkehrende Gäste, konnte mir einen Namen von vor drei Jahren ins Gedächtnis rufen, wusste noch, wer verheiratet oder geschieden war, selbst wenn jemand seinen Namen geändert oder einen neuen Partner hatte. Ich war aufmerksam, machte mir Notizen, merkte mir Details. Manchmal halfen mir dabei die Geschichten, die ich mir über die Leute vorstellte.
Er warf einen Blick über die Schulter in die leere Lobby, bevor er einen Arm auf den abgenutzten Holztresen zwischen uns legte. »Es tut mir so leid«, wiederholte er, auch wenn ich mir nicht sicher war, ob seine Entschuldigung diesmal seiner nicht vorhandenen Reservierung oder den Wasserpfützen galt, die er auf den Holzdielen hinterlassen hatte. »Es ist nur so, dass ich mein Portemonnaie verloren habe. Irgendwo dort draußen.« Sein Regenmantel raschelte, als er zur Tür deutete. Dabei zeigte er allerdings nicht in die Richtung des Berges, aber ich verkniff es mir, ihn darauf hinzuweisen – wegen der Dunkelheit und des Regens und weil ich wusste, wie orientierungslos man dort draußen bei schlechtem Wetter werden konnte. »Aber ich hatte noch ein bisschen Bargeld im Auto«, sagte er und zog aus der Tasche seines Regenmantels eine feuchte Rolle Zwanzigdollarscheine hervor. »Für Notfälle.«
Er reichte mir das Geld mit spitzen Fingern.
Immer wieder kamen Wanderer wie er unangekündigt hierher, das war keine Seltenheit. Ich musterte ihn genauer. Die sauberen Fingernägel. Das gerade noch sichtbare Bündchen seines blauen T-Shirts, nach wie vor trocken. Das vertraute Quietschen von zu neuen Stiefeln mit Gummisohlen, die kaum Kilometer gesammelt hatten.
Celeste würde das nicht gutheißen – ein Mann ohne Ausweis und ohne Kreditkarte, der kurz vor Feierabend auftauchte. Sie würde sagen, ich müsse in erster Linie auf mich selbst achtgeben, die Gäste kämen an zweiter Stelle und dann das Hotel. Sie würde mich daran erinnern, dass wir hier oben allein waren und dass man das Ganze nur im Griff hatte, wenn man andere nicht in dem Glauben ließ, sie selbst hielten die Zügel in der Hand. Celeste würde lieber einen Kunden verlieren als die Kontrolle. An meiner Stelle würde sie sagen: Tut mir leid, wir sind ausgebucht, und den Campingplatz unten am Fluss, die Gästezimmer in der Stadt, das Motel im nächsten Ort erwähnen. Aber ich war dafür bekannt, Ausnahmen zu machen. Mir gefiel die Vorstellung nicht, jemanden da draußen sich selbst zu überlassen. Insbesondere nicht an einem Abend wie diesem. Außerdem war ich mir sicher, dass er schon einmal hier gewesen war.
»Kein Problem«, sagte ich. »Mr. …«
Wieder ließ er den Blick durch die Lobby wandern, musterte alles, als würde er diesen Ort zum ersten Mal sehen: den Kamin aus Stein und Glas, der aus jedem Winkel zu bewundern war, die Holzscheite, die rechts und links davon zu perfekten Pyramiden aufgeschichtet waren, der zweigeschossige Bogen der Kuppel mit den frei liegenden Holzbalken, die großen Panoramafenster für die beste Aussicht, die Schlüssel an der Stecktafel hinter mir, die sich in einem abschließbaren Glaskasten befand.
»Sir?«
Endlich sah er wieder zu mir. »Clarke.« Er räusperte sich. »Mit einem E am Ende.« Er lächelte entschuldigend, ein wenig schief, mit einem Grübchen in der linken Wange – ein weiterer Anflug von Vertrautheit.
Der Name kam mir nicht bekannt vor.
»Natürlich, Mr. Clarke. Dann sehen wir mal, was ich für Sie tun kann.«
Cutter’s Pass war ein saisonales Kleinstadtparadies mit Flussführungen und Flying Fox, einem gut ausgestatteten Campingplatz eine halbe Meile von der Innenstadt entfernt, geführten Ausritten und unzähligen Wandermöglichkeiten in den umliegenden Bergen. Die Gäste, die in unser Hotel kamen, ließen sich in der Regel in eine von drei Kategorien einsortieren. Die anspruchsvollen High-End-Urlauber, die sich nur einen Hauch rustikalen Charme wünschten, aber nicht bereit waren, auf Bequemlichkeit zu verzichten. Die Wanderer, die glaubten, auf Bequemlichkeit verzichten zu können, um dann feststellen zu müssen, dass sie es doch nicht konnten, und – bitte – in einer Hütte oder irgendwo anders unterkommen wollten. Und schließlich die Touristen, die wegen unserer unheimlichen Geschichte zu uns kamen, für die wir berühmt-berüchtigt waren. Dabei handelte es sich meistens um Gruppen von Freunden, die viele Fragen stellten und viel Bier in der Gaststätte am Ende der Straße tranken und spätabends lachend ins Hotel stolperten und sich aneinanderklammerten, als wären sie gerade auf der Flucht vor irgendetwas. Man hatte den Eindruck, als seien sie überrascht vom realen Ort Cutter’s Pass, der eher für Outdoorläden und Craft Beer, überteuerte Bauernmärkte und gehobene Unterkünfte stand als für das Klischee der Appalachenregion, das sich in ihren Köpfen festgesetzt hatte.
Anhand des Verhaltens und seiner...
Erscheint lt. Verlag | 1.12.2023 |
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Übersetzer | Melike Karamustafa |
Sprache | deutsch |
Original-Titel | The Last to Vanish |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | 2023 • 2024 • Appalachen • AppalachianTrail • Berge • Bestsellerautorin • Booktok • Chevy Stevens • Claire Douglas • Der Pass • eBooks • Freida McFadden • Gefahr • Julie Clark • Lucy Foley • Mystery • Natur • Neuerscheinung • New York Times Bestseller • North Carolina • Perfect Secret • PlotTwist • Psychospannung • Psychothriller • Reese Witherspoon • ruth ware • Schnee • smalltown mystery • Suspense • Thriller • Thriller Neuerscheinung 2023 • Tick Tack • TikTok • true crime tourismus • unbekannte gefahr • Vermisstenfälle • Wald • Wandern • Yrsa Sigurdardóttir |
ISBN-10 | 3-641-30846-1 / 3641308461 |
ISBN-13 | 978-3-641-30846-9 / 9783641308469 |
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