Das Haus der Wiederkehr (eBook)
496 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-51081-4 (ISBN)
Ein kleines Küstenstädtchen in den 1950er Jahren, zwei Schwestern, eine tragische Liebe, die bis in die Gegenwart wirkt. Lottie und Celia sind in dem Küstenstädtchen Merham wie Schwestern aufgewachsen. Während Celia gegen die Enge der Kleinstadt aufbegehrt, liebt Lottie den idyllischen Ort und vor allem das Meer. Besonders fasziniert sie ein prächtiges Art-déco-Haus direkt am Strand, in dem eine bunte Gruppe von Künstlern lebt. Gemeinsam tauchen die beiden ein in eine aufregende, unkonventionelle Welt. Bis Celia eines Tages ihren Verlobten Guy mit nach Hause bringt - und vom ersten Augenblick an weiß Lottie, dass er ihre große Liebe ist ... Ein halbes Jahrhundert später erwacht das Haus am Strand wieder zum Leben - und mit ihm seine Geheimnisse. Den damaligen und heutigen Bewohnern stellt sich die Frage: Kann man die Vergangenheit je hinter sich lassen? Überarbeitet und neu übersetzt von Karolina Fell, der Übersetzerin von «Ein ganzes halbes Jahr».
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Jojo Moyes, geboren 1969, hat Journalistik studiert und für die Sunday Morning Post in Hongkong und den Independent in London gearbeitet. Ihr Roman «Ein ganzes halbes Jahr» war ein internationaler Bestseller und eroberte weltweit die Herzen von 15 Millionen Leser:innen. Zahlreiche weitere Nr. 1-Romane folgten. Jojo Moyes hat drei erwachsene Kinder und lebt in London.
Karolina Fell hat schon viele große Autorinnen und Autoren ins Deutsche übertragen, u.a. Jojo Moyes, Bernard Cornwell und Kristin Hannah.
Teil eins
Kapitel Eins
Freddie hatte sich mal wieder übergeben. Dieses Mal hatte er offenbar Gras gegessen. Es bildete eine schaumige, hellgrüne Pfütze neben der Kommode.
«Wie oft muss ich es dir noch sagen, du Blödi?», kreischte Celia, die gerade mit ihren Sandalen hineingetreten war. «Du bist kein Pferd.»
«Und auch keine Kuh», fügte Sylvia hilfreich vom Küchentisch aus hinzu, wo sie mühevoll Bilder von Haushaltsgeräten in ein Sammelalbum klebte.
«Du solltest Brot essen, kein Gras. Kuchen. Normale Sachen.» Celia zog den Schuh vom Fuß und hielt ihn zwischen Daumen und Zeigefinger über die Spüle. «Igitt. Du bist ekelhaft. Warum machst du das ständig? Mummy, rede mit ihm. Er soll es wenigstens wegputzen.»
«Wisch es auf, Frederick, Schatz.» Mrs. Holden saß am Kamin und suchte in der Zeitung nach dem nächsten Sendetermin von Dixon of Dock Green. Seit dem Rücktritt von Churchill hatte sie darin einen gewissen Ersatz gefunden. Und seit dieser jüngsten Angelegenheit mit ihrem Mann. Sowohl sie als auch Mrs. Antrobus, erzählte sie Lottie, hatten bisher alle Folgen der Polizeiserie gesehen und fanden sie einfach wunderbar. Andererseits waren sie und Mrs. Antrobus die Einzigen in der Woodbridge Avenue, die einen Fernseher besaßen, und erklärten ihren Nachbarn mit Vorliebe, wie großartig alle Sendungen waren.
«Mach das weg, Freddie. Igitt. Warum muss ich einen Bruder haben, der Tierfutter isst?»
Freddie saß auf dem Boden und schob einen blauen Spielzeuglaster auf dem Teppich hin und her. «Es ist kein Tierfutter», murmelte er selbstzufrieden. «Gott hat gesagt, wir sollen es essen.»
«Mummy, er missbraucht den Namen des Herrn. Du solltest dich nicht auf Gott berufen», sagte Sylvia entschieden zu ihrem Bruder, während sie einen Mixer auf eine violette Seite klebte. «Sonst schleudert er einen Blitz auf dich.»
«Ich bin sicher, dass Gott nicht wirklich Gras gesagt hat, Freddie, Schatz», sagte Mrs. Holden abgelenkt. «Celia, Liebling, könntest du mir meine Brille holen, bevor du gehst? Ich bin sicher, dass sie die Schrift in der Zeitung verkleinert haben.»
Lottie stand geduldig an der Tür. Es war ein ziemlich anstrengender Nachmittag gewesen, und sie wollte unbedingt nach draußen. Mrs. Holden hatte darauf bestanden, dass sie und Celia bei der Zubereitung von Baisers für den Verkauf in der Kirchengemeinde halfen, und Celia war es gelungen, sich nach zehn Minuten mit angeblichen Kopfschmerzen aus der Affäre zu ziehen. Also hatte sich Lottie anhören müssen, wie sich Mrs. Holden wortreich mit Eischnee und Zucker abquälte, und so getan, als würde sie ihre vor Aufregung flatternden Hände nicht bemerken. Und jetzt, wo die grauenhaften Dinger gebacken und zwischen Schichten aus Pergamentpapier in Dosen verpackt waren, hatten sich, Überraschung, Celias Kopfschmerzen wie durch ein Wunder verflüchtigt. Celia gab Lottie das Zeichen zum Aufbruch. Sie zog ihre Strickjacke an und strich sich vor dem Spiegel die Haare glatt.
«Also, Mädchen, wohin geht ihr?»
«Ins Café.»
«In den Park.»
Celia und Lottie hatten gleichzeitig geantwortet und starrten sich erschrocken an.
«Wir gehen zuerst in den Park», sagte Celia entschlossen, «und dann trinken wir einen Kaffee.»
«Sie gehen mit Jungs knutschen», sagte Sylvia, immer noch über ihr Sammelalbum gebeugt.
«Bääh. Iiih. Würg. Küssen», rief Freddie.
«Aber trinkt nicht zu viel Kaffee. Ihr wisst, dass ihr sonst zu nichts mehr zu gebrauchen seid. Lottie, Liebes, sorg dafür, dass Celia höchstens zwei Tassen trinkt. Und seid um halb sieben zurück.»
«In der Sonntagsschule hieß es: Gott sagt, die Erde wird uns mit allem versorgen», sagte Freddie aufblickend.
«Jetzt hast du ja gesehen, wie schlecht es dir geworden ist, als du das gegessen hast», sagte Celia. «Ich fasse es nicht, dass du ihn nicht zwingst, es wegzuwischen, Mummy. Er kommt einfach mit allem durch.»
Mrs. Holden nahm ihre Brille entgegen und schob sie langsam auf die Nase. Sie wirkte wie jemand, dem es gerade so gelingt, sich bei rauer See über Wasser zu halten. «Freddie, geh und bitte Virginia, einen Lappen herzubringen, ja? Sei ein guter Junge. Und Celia, Liebes, sei nicht gemein. Lottie, zieh deine Bluse gerade. Und, Mädchen, ihr geht nicht los und gafft die Neuankömmlinge an, ja? Sie sollen die Einwohner von Merham nicht für Trampel halten, die dastehen und sie mit offenem Mund anglotzen.»
Darauf entstand eine kurze Stille, in der Lottie sah, wie Celias Ohren leicht rosa anliefen. Ihre eigenen Ohren waren nicht einmal warm. Sie hatte ihre Leugnungsfähigkeiten über viele Jahre und auch gegen strengere Befragungen perfektioniert. «Wir kommen direkt vom Café wieder nach Hause, Mrs. Holden», sagte Lottie mit fester Stimme. Was natürlich alles Mögliche bedeuten konnte.
Es war der Tag des Gästewechsels – von denjenigen, die mit den Samstagszügen von Liverpool Street ankamen, und denjenigen, die sich widerstrebend auf den Rückweg in die Stadt machten.
Die Ankunft der neuen Gäste wurde von den Einheimischen kaum zur Kenntnis genommen. Mit Ausnahme von Celia Holden und Lottie Swift. Sie saßen auf der Bank im Stadtpark mit Blick auf den vier Kilometer langen Strand von Merham und beobachteten gebannt den Umzugslaster, dessen dunkelgrüne Kühlerhaube in der Nachmittagssonne glänzte.
Links unterhalb von ihnen erstreckten sich die Wellenbrecher wie dunkle Zinken eines Kamms, während sich die Flut über den feuchten Strand zurückzog, auf dem winzige Gestalten dem heftigen, für die Jahreszeit untypischen Wind die Stirn boten. Die Ankunft Adeline Armands, so befanden die beiden später, war ein Ereignis, das dem Einzug der Königin von Saba gleichkam. Beziehungsweise, es wäre ihm gleichgekommen, wenn sich die Königin von Saba dazu einen der wuseligen Samstage in Merham ausgesucht hätte, an denen der Bettenwechsel stattfand. Und das bedeutete, dass all jene Leute – die Mrs. Colquhouns, die Alderman Elliotts, die Vermieterinnen an der Promenade, die normalerweise sofort ihr Urteil über extravagante Neuankömmlinge abgegeben hätten, wenn diese mit ganzen Lastwagenladungen voll Gepäck und riesigen Gemälden ankamen, die keine Familienmitglieder oder Jagdszenen zeigten, sondern große Farbkleckse ohne erkennbare Ordnung, unmäßig vielen Büchern und eindeutig ausländischen Gegenständen –, dass also all jene Leute nicht an ihren Vorgartentüren standen, um die Prozession in dem seit Langem leer stehenden Art-déco-Haus am Meer verschwinden zu sehen. Stattdessen standen sie bei Price’s Butcher in der Marchant Street Schlange oder eilten zum Treffen der Guesthouse Association.
«Mrs. Hodges sagt, sie ist irgendwie mit einer Königsfamilie verwandt. Mit der ungarischen oder so.»
«Blödsinn.»
Celia sah ihre Freundin an und riss die Augen auf. «Doch. Mrs. Hodges hat mit Mrs. Ansty gesprochen, und die kennt den Anwalt oder wer auch immer für das Haus zuständig war, und sie ist so was wie eine ungarische Prinzessin.»
«Armand ist kein ungarischer Name.» Lottie schob eine Haarsträhne weg, die ihr der Wind ins Gesicht geblasen hatte.
«Ach ja? Und woher willst du das wissen?»
«Das ist doch einfach Quatsch. Warum sollte eine ungarische Prinzessin hierherkommen? Sie würde ganz klar nach London gehen. Oder nach Windsor Castle. Nicht in ein verschlafenes kleines Nest wie Merham.»
«In deinen Teil von London würde sie jedenfalls nicht gehen.» Celias Ton hatte einen verächtlichen Beiklang.
«Nein», räumte Lottie ein. «Nicht in meinen Teil von London.» So interessante Leute kamen nicht aus Lotties Gegend, einer östlichen Vorstadt mit Fabriken, die auf der einen Seite an die Gaswerke und auf der anderen an Marschland grenzte. Als sie zu Beginn des Krieges zum ersten Mal nach Merham evakuiert worden war, hatte sie ihre Ungläubigkeit verbergen müssen, als sie mitfühlende Bewohner fragten, ob sie ihr Zuhause vermissen würde. Ebenso perplex hatte sie reagiert, als man sie das Gleiche in Bezug auf ihre Familie fragte. Danach hatten die Leute gewöhnlich aufgehört, sich danach zu erkundigen.
Lottie war zwei Jahre vor Kriegsende nach Hause zurückgekehrt. Doch dann, nach einem langen Briefwechsel zwischen Lottie und Celia, hatte Mrs. Holden oft gesagt, dass es nicht nur schön für Celia wäre, eine Freundin in ihrem Alter zu haben, sondern dass man auch etwas für die Gemeinschaft tun müsse. Und so war Lottie erneut nach Merham eingeladen worden, zunächst für die Ferien, und schließlich bot man ihr an, für immer zu bleiben. Inzwischen wurde Lottie einfach als Teil der Familie Holden akzeptiert; nicht als Verwandte und nicht gerade als gesellschaftlich gleichgestellt, aber als jemand, dessen Anwesenheit im Städtchen nicht mehr kommentiert wurde. Davon abgesehen war man in Merham an Leute gewöhnt, die kamen und nicht mehr gingen. Das Meer konnte diese Wirkung auf Menschen haben.
«Sollen wir etwas mitnehmen? Blumen? Damit wir einen Vorwand haben, hinzugehen?» Lottie spürte, dass Celia ihre vorherige Bemerkung leidtat.
«Ich habe kein Geld.»
«Keine gekauften. Du weißt, wo wir welche pflücken können. Das machst du schließlich oft genug...
Erscheint lt. Verlag | 1.3.2024 |
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Übersetzer | Karolina Fell |
Verlagsort | Hamburg |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Schlagworte | Bestseller • bücher für frauen • Ein ganzes halbes Jahr • Freundinnen • Geschenk für Frauen • Jojo Moyes Neuerscheinung 2024 • Mein Leben in Deinem • Muttertagsgeschenk • Neuerscheinung • Ostergeschenk • Romane für Frauen • Schwestern • Urlaubslektüre |
ISBN-10 | 3-644-51081-4 / 3644510814 |
ISBN-13 | 978-3-644-51081-4 / 9783644510814 |
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