Aktion Phoenix (eBook)
512 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-01533-3 (ISBN)
Hinter Christian Herzog steckt der Autor Ralf H. Dorweiler. Er studierte Theater-, Film- und Fernsehwissenschaft in Köln, war als Schauspieler, sowie im Management internationaler Konzerne tätig und als Redakteur einer großen deutschen Tageszeitung. Daneben schrieb er zunächst Krimis beim Emons-Verlag, später historische Romane bei Lübbe. Mittlerweile lebt er mit seiner Frau in Bad Pyrmont und konzentriert sich ganz auf seine Tätigkeit als Autor.
Hinter Christian Herzog steckt der Autor Ralf H. Dorweiler. Er studierte Theater-, Film- und Fernsehwissenschaft in Köln, war als Schauspieler, sowie im Management internationaler Konzerne tätig und als Redakteur einer großen deutschen Tageszeitung. Daneben schrieb er zunächst Krimis beim Emons-Verlag, später historische Romane bei Lübbe. Mittlerweile lebt er mit seiner Frau in Bad Pyrmont und konzentriert sich ganz auf seine Tätigkeit als Autor.
Stürmer
Berlin, Freitag, 17. April 1936
«Lassen Sie uns bitte hier raus, Reuseneck!», sagte Hermann zu seinem Fahrer.
«Gerne, Herr Schmidt.»
Der kleine, rundliche Chauffeur trug eine Nickelbrille. Seine Fahreruniform war tadellos gebügelt und sein zurückgekämmtes Haar mit Pomade fixiert.
«Ich warte dann am Bahnhof Charlottenburg auf Sie», sagte er.
Hermann wusste, dass er die Zeit bis zu ihrer Ankunft nutzen würde, um jedes Insekt von der Windschutzscheibe und der Stoßstange des Mercedes-Benz 170 zu kratzen und die Kühlerhaube zu polieren. Im Ministerium kursierte die Legende, dass Reuseneck sogar mitten in der Nacht aufstand, um nach dem Wagen zu sehen.
Reuseneck hielt an einem freien Platz vor dem Gloria-Palast. Hermanns Assistent, Emil Penske, stieg eilig aus, um seinem Vorgesetzten und den sie begleitenden Presseleuten die Tür aufzuhalten.
«Und wo sind wir hier genau?», fragte der Reporter mit hessischem Einschlag. Den Namen des Mannes mit Glatze und altmodischem Backenbart konnte Hermann sich einfach nicht merken, obwohl er schon einmal nachgefragt hatte. Etwas Französisches. Er schrieb für die Frankfurter Zeitung, ein liberales Blatt, das sich schon mehrfach über Vorgaben des Propagandaministeriums hinweggesetzt und deswegen einige scharfe Rügen der Kollegen der Abteilung Presse abbekommen hatte. Da hieß es, vorsichtig zu sein.
Der Reporter stieg schnaufend aus dem Wagen. Der zu ihm gehörende Fotograf, ein sportlicher Mann mit einer NSDAP-Mitgliedsnadel am Revers, folgte ihm. Er hieß Dremberg, das immerhin hatte Hermann sich gemerkt.
«Der Kurfürstendamm», präsentierte Hermann mit Stolz in der Stimme, als sie zu dritt auf dem breiten Trottoir standen. Eine Vorstellung im Gloria-Palast war wohl gerade zu Ende, denn viele Leute, meist jüngere, strömten schwatzend aus dem Gebäude. Andere standen vor den meterhohen, gemalten Plakaten und überlegten, welchen Film sie sich heute Abend ansehen sollten. Der Raub der Sabinerinnen wurde schon seit mehreren Wochen gegeben und zog immer noch Publikum an. Heißes Blut, der neue Film mit Ufa-Sternchen Marika Rökk, war gerade angelaufen. Minister Goebbels hatte von dem Film und seiner Hauptdarstellerin nach einer persönlichen Vorpremiere in höchsten Tönen geschwärmt.
Auch sonst war gerade einiges los auf dem Ku’damm. Die zahlreichen Cafés hatten bei dem erstaunlich schönen Frühlingswetter die Tische nach draußen gestellt. Daran saßen verliebte Paare, plappernde Freundinnen oder Herren mit Zigarren und genossen die Sonne. Zwischen den Sitzplätzen und der Fahrbahn flanierten Damen mit modischen Hüten und wurden von einfach gekleideten Kerlen überholt, denen es pressierte, zurück zur Arbeit zu kommen. Mütter zogen ihre Kinder hinter sich her, und Geschäftsleute gingen in Gespräche vertieft an ihnen vorbei. Zwischen den Autos und Lastern nahmen mutige Fußgänger mit Papiertaschen voller Einkäufe eine Abkürzung auf die andere Straßenseite.
«Das ist also der berühmte Ku’damm!», rief der Reporter begeistert. «Ja, wo sind sie denn?»
«Wer?», fragte Penske verwundert.
«Na, die Kühe?»
Hermann fiel angestrengt in das kehlige Lachen des Journalisten ein und sagte dann gleich wieder ernst und zum eigentlichen Zweck ihres Ausflugs kommend: «In die Bäume wollen wir Lautsprecher hängen, um die Ergebnisse der Wettkämpfe direkt hierher übertragen zu können.»
Der Journalist kramte seinen Block hervor und kritzelte im Gehen ein paar Notizen hinein.
«Und was ist damit?», fragte er mit einem Wink auf einen Stürmer-Kasten, an dem sie vorbeikamen. «Ich habe gehört, das Blatt soll ebenfalls für die Zeit der Olympischen Spiele verbannt werden.»
Eine Handvoll Leute stand vor dem Glaskasten und regte sich über den aktuellen Aufmacher der Zeitung auf. Ein jüdischer Geschäftsmann hatte sich demnach mit Betrügereien am Volk bereichert und dabei noch einem jungen deutschen Mädchen Gewalt angetan. Eine übertriebene Zeichnung eines alten, hakennasigen Mannes mit gehässigem Grinsen zierte das Titelblatt.
Hermann bezweifelte, dass sich alle Stürmer-Geschichten wirklich so zugetragen hatten wie geschildert. Er hatte im Laufe seines Lebens einige Juden kennengelernt, die fraglos als ehrenwert zu bezeichnen waren. Seine in Amerika lebende Schwester war sogar glücklich mit einem verheiratet. Ihr David war ein wirklich guter Mann. Der Stürmer allerdings präsentierte nur negative Nachrichten. Das Blatt arbeitete bewusst mit Übertreibungen in die eine Richtung und Auslassungen in die andere und zielte darauf ab, Angst und Hass zu schüren. Hermann mochte diese Form des Vorgehens nicht. Nach seinem Verständnis sollte Propaganda im besten Fall durch das Erzeugen positiver Gefühle wirken. Aber das würde er diesem Zeitungsmenschen nicht auf die Nase binden.
Dass man es Hermann aufgebrummt hatte, den Journalisten durch Berlin zu führen und ins Stadion zu bringen, lag zum einen daran, dass er als Referatsgebietsleiter Fremdenverkehr Hauptstadt und Mitglied des Propagandaausschusses einen thematisch weiten Überblick über die Planung rund um die olympischen Spielstätten in Berlin besaß. Im Ministerium bildete er eine Schnittstelle zwischen mehreren Abteilungen und arbeitete eng mit dem Innenministerium und dem deutschen Organisationskomitee zusammen. Dazu kam, dass Hermann auch bei schwierigen Gesprächspartnern stets die richtigen Worte zu finden wusste. Die Frage nach den Stürmer-Kästen überraschte ihn zwar, da dieser Teil der Planung noch nicht veröffentlicht worden war, aber er machte gute Miene zum bösen Spiel.
«Es gibt tatsächlich Überlegungen, die Stürmer-Kästen in Berlin zeitweise abzumontieren», antwortete er so beiläufig wie möglich.
«Warum wollen Sie die Kästen entfernen?», bohrte der Hesse weiter.
«Wie ich es Ihnen schon im Ministerium erklärte, wollen wir, dass sich das Deutsche Reich – und im Besonderen Berlin – der Welt in einem positiven Licht präsentiert», antwortete Hermann. Seine Ahnung, welche Frage nun folgen würde, wurde nicht enttäuscht.
«Der Umkehrschluss wäre also, dass der Stürmer Berlin in ein schlechtes Licht rückt?»
Langsam ärgerte Hermann sich über den Pressemann.
«Der Stürmer hat seine Berechtigung als Medium, seinen Lesern seine Themen nahezubringen. Genauso wie Ihre Zeitung», sagte er betont ruhig. «Aber das Ministerium hat beschlossen, dass wir die Einheit des deutschen Volkes und nicht die Konflikte in den Mittelpunkt unserer Funktion als Gastgeber der Spiele stellen wollen. Darum soll innerdeutsche Politik im Sinne des olympischen Gedankens im Umfeld der Wettkämpfe keine Rolle spielen.»
Während der Journalist sich Notizen in den Block kritzelte, knipste sein Fotograf die Gruppe vor dem Stürmer-Kasten.
«So, jetzt sollten wir aber weitergehen. Die Stürmer-Kästen werden in Ihrem Bericht sowieso keine Rolle spielen.»
Hermann sah dem Journalisten an, dass er sich diese Vorgabe nicht ohne Weiteres gefallen lassen würde.
«Ich kann mir vorstellen, dass das unsere Leser aber durchaus interessieren wird», sagte er.
Hermann lächelte ihn liebenswürdig an, als verteile er Zuckerstangen an Kinder. Er sagte: «Und ich kann mir vorstellen, dass die Frankfurter Zeitung und ihr Verleger es sich nicht schon wieder mit dem Reichspropagandaministerium verderben möchten.»
Der Journalist schluckte trocken. Er dachte einen Moment nach, dann sagte er: «Herr Schmidt, ich möchte Sie etwas fragen.»
«Nur zu.»
«Sind Sie nicht auch der Überzeugung, dass eine freie, unabhängige Presse ein wichtiges Gut für eine Gesellschaft ist? Insbesondere in den modernen Zeiten, in denen wir leben?»
Hermann wies mit der Hand nach rechts. Sie bogen ab in die Knesebeckstraße.
«Die deutsche Presse ist frei», sagte er schließlich bestimmt und fügte an: «Aber diese Freiheit darf niemals über die Verantwortung gestellt werden, im Interesse des deutschen Volkes zu handeln.»
Der Journalist blickte Hermann lauernd von der Seite an. «Und was im Interesse des Volkes ist, das entscheiden Sie?»
Hermann blieb wie angewurzelt stehen.
«Dafür haben wir unseren verehrten Führer, der die Geschicke unserer Nation wie ein Vater steuert und lenkt», stellte er kühl fest. «Ich hoffe, Ihre Bemerkungen zielen nicht in die Richtung, seine Führung infrage zu stellen?»
«Selbstverständlich nicht!», wiegelte der Reporter entschieden ab und wedelte abwehrend mit der freien Hand. «Nichts läge mir ferner.»
«Dann verstehen wir uns ja», sagte Hermann.
Sie gingen unter der Bahnbrücke auf den Savignyplatz und überquerten die Kantstraße. Auf der nördlichen Seite der Grünfläche zeigte Hermann den Besuchern die Skulpturen, bevor sie die Häuserschlucht der nördlichen Knesebeckstraße betraten.
«Hier sehen Sie ein gutes Beispiel für die Anstrengungen, zu den Spielen ein schöneres Berlin zu präsentieren», erklärte Hermann und zog die graue Weste zurecht, die zu seinem Anzug gehörte. Er zeigte auf eines der Gebäude. In den Türsturz des Mehrfamilienhauses war das Baujahr 1903 eingemeißelt. «Nach 33 Jahren war der Putz gesprungen und die Farbe kaum noch zu erkennen. Nach den Malerarbeiten sieht es jetzt aus wie neu.»
Der Journalist nahm den Themenwechsel dankbar an.
«Ja, das macht einiges her», sagte er. «Sie können aber doch nicht alle Häuser renovieren?»
«Natürlich sind wir auf...
Erscheint lt. Verlag | 14.11.2023 |
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Verlagsort | Hamburg |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Historische Romane |
Schlagworte | 30er Jahre • Antisemitismus • Attentat • Berlin • Deutscher Kriminalroman • deutscher Spannungsroman • Drittes Reich • Frank GOLDAMMER • Hindenburg • historienromane • Historische Kriminalromane • Historische Krimis • Historische Romane • Historische Romane Deutschland • historische Romane Neuerscheinungen 2023 • Historischer Roman • Historische Spannung • Krimineuerscheinungen 2023 • Olympiade 1936 • Olympische Spiele 1936 • Putsch • Robert Harris • spannende Bücher • Spannung • Spannungsliteratur • Verschwörung • Volker Kutscher • Zeppelin |
ISBN-10 | 3-644-01533-3 / 3644015333 |
ISBN-13 | 978-3-644-01533-3 / 9783644015333 |
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