Nebelstunde (eBook)

Spiegel-Bestseller
Kriminalroman - Die SPIEGEL-Bestseller-Serie geht weiter!

(Autor)

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2024 | 1. Auflage
496 Seiten
Heyne (Verlag)
978-3-641-31101-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Nebelstunde -  Johanna Mo
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Eine Insel kann dir alles nehmen. Außer die Wahrheit
Der Prozess, auf den Hanna so lange warten musste, hat endlich begonnen. Bald wird sie nicht mehr die Tochter eines verurteilten Mörders sein. Denn die wahren Täter stehen nun dank ihr vor Gericht. Doch dann findet ihre Nachbarin Ingrid ihre Jugendliebe Vidar tot auf. Was zunächst nach einem Suizid aussieht, entpuppt sich schließlich als eiskalter Mord. Während Hanna und ihr Kollege Erik im Umfeld des Toten nach der entscheidenden Spur suchen, muss Hanna feststellen, dass ein Urteil noch lange keine Erlösung bedeutet. Und dass sie womöglich in noch viel größerer Gefahr schwebt als je zuvor ...

Die »Hanna Duncker«-Reihe:

Band 1: Nachttod

Band 2: Finsterhaus

Band 3: Dunkelwald

Band 4: Nebelstunde

Band 5: Dämmersee

Alle Bände können auch unabhängig voneinander gelesen werden

Johanna Mo wuchs in Kalmar, im Süden Schwedens, auf und lebt mit ihrer Familie in Stockholm. Neben dem Schreiben arbeitet sie seit zwanzig Jahren als Redakteurin, Übersetzerin und Literaturkritikerin. Als Teenager musste Johanna Mo erleben, was es heißt, jemanden zu kennen, der zum Mörder wurde. Diese Erfahrung hat sie nie wieder losgelassen und zu der SPIEGEL-Bestseller-Reihe um Polizistin Hanna Duncker inspiriert.

1


Ihre Hand suchte ihren Bauch. Das Kind darin lebte, aber obwohl Hanna Duncker den Herzschlag gehört hatte, fiel es ihr schwer, das wirklich zu glauben. Nichts wünschte sie sich mehr, als endlich die ersten Tritte zu spüren. Sie war in der achtzehnten Woche und hatte gelesen, dass sie jetzt bald mit den ersten Kindsbewegungen rechnen konnte. Nächste Woche stand endlich der erste große Ultraschall an. Vielleicht war sie danach beruhigt.

Beweg dich, ermunterte sie das Baby, aber es gehorchte nicht. Beweg dich, du musst machen, was deine Mama dir sagt. Nach wie vor rührte sich nichts.

Sie hob den Blick und schaute durch die Glaswand, die den Zuschauerbereich vom übrigen Gerichtssaal trennte. Auf der anderen Seite hatte der Gerichtsvorsitzende damit begonnen, die Anwesenheit zu prüfen. Plexiglasscheiben waren zwischen dem Vorsitzenden, dem Protokollanten und den drei Schöffen aufgestellt worden, von denen einer außerdem einen Mundschutz trug. Jeder Tisch war mit einer Flasche Handdesinfektionsmittel ausgestattet. Spätwinterlicht fiel durch die hoch eingebauten Fenster in den weiß gestrichenen Gerichtssaal. Das einzige dunkle Element waren die schwarzen Stühle.

Sie ließ die Fingerspitzen über die beiden Narben gleiten, wusste genau, wo sie sich unter der gepunkteten Bluse befanden. Der erste Stich hatte sie in die Seite getroffen und alle wichtigen Organe verfehlt, doch der zweite hatte ihren Darm perforiert. Die daraus resultierende Infektion hatten sie und ihr Kind beinahe das Leben gekostet. Zweimal war sie operiert worden, und das erste Antibiotikum schlug nicht an. Drei Wochen lang hatte sie im Krankenhaus bleiben müssen. Aber sie und das Kind hatten tatsächlich überlebt.

Hanna zwang sich, die Hand von ihrem Bauch zu nehmen, und sah sich im Zuschauerraum um. Wenn man bedachte, wie viel in letzter Zeit über Ester Jensens Tod berichtet worden war, hatten wesentlich weniger Menschen den Weg hierher gefunden, als sie angenommen hatte. Gerade mal zehn, aber vermutlich hielten sich viele aus Angst vor Ansteckung fern. Auch durften sie weder ihr Bruder Kristoffer noch ihre Freundin Rebecka begleiten, weil sie beide als Zeugen im Prozess aussagten.

Beruflich hatte sie zwangsläufig schon an vielen Verhandlungen teilgenommen, hatte also geglaubt, gut vorbereitet zu sein. Erst jetzt wurde ihr bewusst, wie wenig das zutraf. Ihr klebte die Zunge am Gaumen, und die Angst flatterte in ihrem Brustkorb wie ein eingesperrter Vogel. Sie wohnte hier einem neuen Prozess zum Mord an Ester Jensen bei. Einem Prozess, der hoffentlich ihren Vater rehabilitieren würde. Vom ersten Strafprozess hatte sie sich damals ferngehalten. Wie hätte Vater auf den neuen Prozess reagiert, wäre er noch am Leben?

Isak hatte angeboten, sie zu begleiten, doch Hanna hatte abgelehnt. Was sie jetzt bereute. Die Kinder in der Schule brauchten ihn, aber Hanna eben auch. Wie viel es ihr bedeutet hätte, ihn bei sich zu haben, einfach die Hand nach ihm ausstrecken zu können. Sie selbst hatte sich eine Woche freigenommen, damit sie die Gerichtsverhandlung verfolgen konnte.

Ihr Blick wanderte zu Henning Larsson, der den Prozess für die Lokalzeitung Barometern begleitete. Er war der einzige Anwesende, mit dem sie so etwas wie Freundschaft verband. Vielleicht spürte er ihren Blick, denn er schaute zu ihr und grüßte sie mit einem Nicken. Schräg vor Hanna saß ihre Kollegin Carina Hansson, die stark abgenommen hatte. Vermutlich eher aus Stress als wegen sportlicher Betätigung. Carina war die Cousine von Ester Jensens Tochter Maria, und die beiden standen einander sehr nah. Als Hanna bei der Polizei in Kalmar anfing, hatte Carina keinen Hehl aus ihrer Ablehnung gemacht. Für sie war Hanna die Tochter des Mörders gewesen, doch nun würde vielleicht ein anderer schuldig gesprochen werden. Ester Jensens Ex-Mann Sven-Otto – einer der Angeklagten – war Carinas Onkel.

Gibt Carina mir daran jetzt die Schuld? Hanna vertrieb den Gedanken. Allerdings wäre es ohne Hanna sicher nicht zu diesem Prozess gekommen. Schließlich hatte sie angefangen, in der Vergangenheit zu graben, um zutage zu fördern, wie Ester Jensen eigentlich gestorben war. Trotz allem kamen sie und Carina jetzt besser miteinander aus, obwohl sie noch immer nicht sonderlich viel miteinander sprachen.

Der Gerichtsvorsitzende übergab das Wort an den Staatsanwalt, dem Hanna sich nun ebenfalls zuwandte.

»Zur Einleitung will ich den Tathergang so beschreiben, wie wir von der Staatsanwaltschaft ihn rekonstruiert haben: Am Abend des 4. Juni 2003 brachen Axel Sandsten, Kristoffer Baxter – der damals noch den Nachnamen Duncker trug – und Robin Svensson gegen neunzehn Uhr bei Ester Jensen in Åby ein. Axel Sandsten verletzte Ester Jensen körperlich so schwer, dass sie starb. Ich fordere deshalb, dass er wegen Mordes zu einer Gefängnisstrafe von mindestens zwölf Jahren verurteilt wird.«

Der Staatsanwalt trug einen dunkelgrauen Anzug und eine ordentliche Kurzhaarfrisur. Er konnte nicht älter als dreißig sein, und Hanna hoffte, dass er so kompetent war, wie er klang. Neben dem Staatsanwalt saßen Maria Jensen und ihre Anwältin. Maria trug schwarz und hielt den Blick auf ihre Hände gerichtet. Sie hätte genauso gut bei einer Beerdigung sein können. Vielleicht fühlte es sich für sie ja so an. Ihre Mutter war ermordet worden, und höchstwahrscheinlich steckte ihr Vater dahinter.

Hanna schaute zu den Angeklagten. Sie saßen mit den Rücken zu den Zuschauern. Axel Sandsten war sehr aufrecht, sein Kopf fast reglos, als hätte er nicht den geringsten Grund, sich zu schämen. Der Mistkerl glaubte sicher, er würde ungeschoren davonkommen. Sven-Otto krümmte sich, seine Hände waren permanent in Bewegung.

»Des Weiteren geht die Staatsanwaltschaft davon aus, dass Sven-Otto Jensen den ebenfalls angeklagten Axel Sandsten für den Mord an seiner Ex-Frau bezahlt hat. Dies ist Anstiftung zum Mord, und dafür fordere ich eine lebenslange Haftstrafe.«

Als der Staatsanwalt verstummt war, wandte sich der Gerichtsvorsitzende an die Strafverteidiger. Hanna wusste schon, was Axel Sandstens Anwältin sagen würde, noch ehe sie den Mund aufgetan hatte. Und das, obwohl sie die Frau mit dem feinen Kostüm und dem strammen Dutt nur von hinten sah.

»Mein Mandant bestreitet, dass er überhaupt vor Ort war, somit trägt er keinerlei Verantwortung für das Geschehene.«

Auch Sven-Otto Jensen wies die Tat von sich. Sein Anwalt war etwa fünfzig Jahre alt und trug einen dunklen Nadelstreifenanzug, der ungefähr so locker saß, wie er sich gab. Die Staatsanwaltschaft hatte keine Anklage gegen Kristoffer erhoben, obwohl er darum gebeten und gebettelt hatte. Doch das einzige Vergehen, das man ihm vorwerfen konnte, war, einen Verbrecher zu schützen, und eine solche Tat verjährte nach zwei Jahren.

Hanna schloss bekümmert die Augen. Ihr Leben hatte sich an jenem Tag verändert, an dem ihr Vater von der Polizei abgeholt worden war. Kristoffer hatte nicht nur Axel Sandstens Tat verschwiegen, sondern außerdem ihren Vater an den Tatort gerufen und dazu gebracht, die Schuld auf sich zu nehmen, indem er behauptete, er selbst sei der Täter. Ihr Vater Lars hatte das Haus in Brand gesetzt, in dem die bereits tote Ester Jensen lag, und dann gestanden, sie ermordet zu haben. Dafür hatte er fast zehn Jahre im Gefängnis gesessen. Nach seiner Entlassung hatte er sich zu Tode gesoffen.

Und wenn Axel Sandsten nun nicht verurteilt wurde? Wie würde es dann mit ihr und Kristoffer weitergehen? Hanna war davon überzeugt, dass nur eine Verurteilung ihrer Beziehung ein neues Fundament geben konnte. Wenn möglich stand Kristoffer wegen der Verhandlung sogar noch mehr unter Stress als sie. Er war am Samstag in Schweden gelandet, und sie hatten ihn im Gästezimmer von Isaks Haus in Södra Näsby untergebracht. Sie nannte es noch immer Isaks Haus, obwohl sie nun schon drei Monate zusammen dort lebten. Erst morgen würde Kristoffer in den Zeugenstand gerufen.

Ein Urteil würde hoffentlich all den Drohungen und Angriffen ein Ende setzen. Der blonde Mann, der Hanna kurz vor Weihnachten niedergestochen hatte, war im darauffolgenden blutigen Chaos entkommen. Sie wusste nicht mal, wer er war, aber sie zweifelte keine Sekunde daran, dass Axel Sandsten ihn geschickt hatte.

Der Staatsanwalt richtete seinen Schlips und begann damit, den Tathergang zu schildern. An dieser Stelle legte er auch die Ergebnisse der kriminaltechnischen Untersuchung vor, doch da seit der Tat bereits viele Jahre verstrichen waren, war ihr Umfang eher gering. Überwiegend handelte es sich um Erkenntnisse der Ursprungsermittlungen, um die Untersuchung des abgebrannten Hauses und das Obduktionsprotokoll von Ester Jensens verkohltem Leichnam. Aber es gab auch neue: DNA-Spuren aus dem Haus waren Axel Sandsten zugeordnet worden, außerdem hatte Sven-Otto Jensen eine Woche nach dem Mord über fünfzigtausend Kronen auf ein Konto überwiesen, das Axel Sandsten gehörte. Ein entsprechender Kontoauszug war bei der Durchsuchung von Axels Haus gefunden worden. Wieso hatte er ihn wohl aufbewahrt? Vielleicht damit er etwas gegen Sven-Otto in der Hand hatte? Mehrere Jahre später waren weitere Überweisungen getätigt worden.

Weder Axel Sandstens noch Sven-Otto Jensens Verteidigung hatten viel hinzuzufügen. Hanna wand sich, während sie ihren Ausführungen lauschte. Laut ihrer Aussage handelte es sich bei diesem Prozess um nichts als eine Farce, angeleiert vom eigentlichen Täter, der die Nerven verloren hatte. Offenbar hatten sie sich abgesprochen, Kristoffer die Schuld in die Schuhe zu schieben. Die DNA-Spuren wurden abgetan, angeblich hatte...

Erscheint lt. Verlag 14.2.2024
Reihe/Serie Die Hanna Duncker-Serie
Die Hanna Duncker-Serie
Übersetzer Ulrike Brauns
Sprache deutsch
Original-Titel Darrgräset
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 2024 • Broadchurch • Camilla Läckberg • Charlie Lager • Demenz • Der Kommissar und das Meer • Dunkelwald • eBooks • Erik Lindgren • Ermittlerduo • Ermittlerkrimi • finsterhaus • Fuchsmädchen • Gotland • Hanna Duncker • Inselkrimi • Kalmar • kalt und still • Krimi • krimi 2024 • Kriminalromane • Krimis • Kristina Ohlsson • Lina Bengtsdotter • Löwenzahnkind • Maria Grund • Mattias Edvardsson • Nachttod • Neuerscheinung • Neuerscheinungen 2024 • Öland • Rotwild • Schweden • Schwedenkrimis Neuerscheinungen 2023 • Skandinavischer Krimi • Sturmrot • Tove Alsterdal • Urlaubslektüre • Viveca Sten • Zittergras
ISBN-10 3-641-31101-2 / 3641311012
ISBN-13 978-3-641-31101-8 / 9783641311018
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