Ein Mädchen mit Prokura (eBook)

rororo Entdeckungen
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2023 | 1. Auflage
256 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-01795-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Ein Mädchen mit Prokura -  Christa Anita Brück
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Ein Klassiker der 1930er-Jahre-Literatur, neu entdeckt: das Schicksal einer klugen und ehrgeizigen Frau als Bankangestellte in der Weltwirtschafskrise Berlin, 1931. Thea Iken ist Prokuristin im Bankhaus Brüggemann Sohn. Sie ist unbedingt loyal, arbeitet viel und genießt das Vertrauen des Bankdirektors, dem sie freundschaftlich verbunden ist - für seinen jugendlichen Sohn ist sie eine Art Ersatzmutter. Den übrigen Angestellten ist sie ein Dorn im Auge oder bestenfalls ein Rätsel, denn sie gibt wenig von sich preis. Die aufkommende Bankenkrise versetzt Thea und ihre Kollegen wie den Rest der Welt in Aufruhr. Existenzen sind bedroht oder werden zerstört, die Welt wirkt ungewiss und bedrohlich. Als es in der Bank zu einem Mord kommt, gerät Thea gar in Verdacht. Sie wird verhaftet. Klar ist, sie hat etwas zu verbergen - doch ist es wirklich ihre Schuld?

Christa Anita Brück wurde 1899 in Liegnitz geboren. Nach dem Lyzeum und kaufmännischer Ausbildung arbeitete sie in Berlin als Stenotypistin und Sekretärin. Neben journalistischen Texten verfasste sie vier Romane, die sich mit der Situation weiblicher Angestellter in der Weimarer Republik beschäftigen. Ihr Debüt, «Schicksale hinter Schreibmaschinen» fand viel positive Beachtung und wurde mehrfach übersetzt. Brücks zweiter Roman, «Ein Mädchen mit Prokura» wurde 1934 verfilmt. Sie starb 1958. 

Christa Anita Brück wurde 1899 in Liegnitz geboren. Nach dem Lyzeum und kaufmännischer Ausbildung arbeitete sie in Berlin als Stenotypistin und Sekretärin. Neben journalistischen Texten verfasste sie vier Romane, die sich mit der Situation weiblicher Angestellter in der Weimarer Republik beschäftigen. Ihr Debüt, «Schicksale hinter Schreibmaschinen» fand viel positive Beachtung und wurde mehrfach übersetzt. Brücks zweiter Roman, «Ein Mädchen mit Prokura» wurde 1934 verfilmt. Sie starb 1958.  Magda Birkmann ist seit ihrer Jugend begeisterte Schatzsucherin in Bibliotheken, Antiquariaten und auf Bücherflohmärkten, seit 2018 teilt sie diese Begeisterung für Literatur als Buchhändlerin in der Berliner Buchhandlung Ocelot und als freiberufliche Literaturvermittlerin auch regelmäßig mit der Öffentlichkeit. 2021 war sie für den Börsenblatt Young Excellence Award nominiert. Nicole Seifert ist gelernte Verlagsbuchhändlerin und promovierte Literaturwissenschaftlerin. Sie lebt in Hamburg und arbeitet frei als Autorin, Übersetzerin und Literaturkritikerin. Ihr Literaturblog nachtundtag.blog wurde 2019 vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels als bester Buchblog ausgezeichnet. Zuletzt erschien bei Kiepenheuer & Witsch ihr Buch FRAUEN LITERATUR, Abgewertet, vergessen, wiederentdeckt. Magda Birkmann ist seit ihrer Jugend begeisterte Schatzsucherin in Bibliotheken, Antiquariaten und auf Bücherflohmärkten, seit 2018 teilt sie diese Begeisterung für Literatur als Buchhändlerin in der Berliner Buchhandlung Ocelot und als freiberufliche Literaturvermittlerin auch regelmäßig mit der Öffentlichkeit. 2021 war sie für den Börsenblatt Young Excellence Award nominiert.

Spelzig, der aufgeregt und spindelbeinig neben seinem Anwalt hertippelt, findet kein Ende mit Instruktionen.

Holsten hört nur mit halbem Ohr auf das Geschwätz. Er hat einen heißen Tag vor sich: um zehn Moabit, elf Uhr dreißig Landgericht III, zwölf Uhr Charlottenburg.

Morgen beginnt die Hauptverhandlung im Sensationsprozess Ina von Stuck. Ein Unfug, dass er überhaupt mitzockelt mit diesem alten Trottel, denn das ganze Schwelverfahren ist natürlich eine verrückte Idee.

«Also verstehen Sie», hüstelt Spelzig und ist asthmatisch vom schnellen Gehen und vom vielen Reden, «die Frau müssen wir gewinnen. Die Iken müssen wir gewinnen. Haben wir die Iken, so haben wir auch Brüggemann. Brüggemann allein beißt nicht an.»

«Da nehmen wir doch richtiger eine Tafel Schokolade mit statt der Sachverständigengutachten», sagt Holsten bissig. «Wieso ist denn dieser Brüggemann so ein Weiberknecht? Ich denke, er ist ein tüchtiger Bankier?»

«Ist er auch, ist er auch. Aber kein Schwung dahinter, überhaupt kein Schwung dahinter. Wissen Sie, ein Mensch mit einem inwendigen Knacks! Besinnen Sie sich noch auf die Geschichte mit seiner Frau?»

«Keine Ahnung.»

«Natürlich nicht … ist ja auch … warten Sie mal … der Junge wird annähernd zwanzig sein … der war gerade geboren. Brüggemann war leidenschaftlicher Jäger damals, hatte eine Jagd irgendwo bei Brandenburg. Damit die junge Frau sich erholt, gehen sie auf ein paar Wochen in das Jagdhaus. Wie das nun eigentlich gekommen ist und wobei das überhaupt passierte, darauf besinne ich mich nicht mehr. Jedenfalls hat Brüggemann irgendein Malheur mit dem Gewehr und trifft die junge Frau.»

«Tot?»

«Drei Tage hat sie noch gelebt. Sie haben sie auch noch operiert. War aber nichts mehr zu machen.»

«Und was hat das mit der Iken zu tun?»

«Gar nichts natürlich … ganz und gar nichts … Die Iken hat es damals überhaupt noch nicht gegeben … das heißt, geboren wird sie schon gewesen sein, da sie immerhin Ende zwanzig sein kann, aber sie kam viel später an die Bank. Ich glaube, sie hat Brüggemann wieder auf die Beine geholfen. Man hat ein bisschen gemunkelt die erste Zeit. Schließlich wird ja immer gemunkelt um eine so auffallend gut aussehende Frau. Sie werden sie ja nachher sehen. Ganz ungewöhnlich. Wirklich, Holsten, diese Frau …»

Spelzig schnellt sich einen Kuss auf die Fingerspitzen.

«Meine letzte Liebe … meine letzte große Liebe … ganz von fern, versteht sich … einen Augenblick mal!»

Er macht halt vor den steinernen Stufen, die zu der Bank hinanführen.

«Habe ich auch meine Pläne? Sekunde, Sekunde!» Er klopft gegen seine sämtlichen Taschen. Es ist nichts weiter als ein Vorwand, unauffällig wieder zu Atem zu kommen.

Einen Portier hat das Bankhaus Brüggemann Sohn nicht. Die Schwingtür schlägt sausend hinter den beiden Herren zu. Spelzig reißt sich mächtig zusammen. Er tut fürchterlich aufgekratzt. Der Gamsbart auf seinem Hütchen steht keck in die Höhe. Inwendig ist ihm einfach bange, schauderhaft bange sogar. Die feierliche Verhaltenheit des Raumes ist daran schuld, die kühle Atmosphäre der Bank. Wenn Brüggemann ihm das Geld nicht gibt? Wenn es wieder mal Essig ist, auch mit diesem Projekt?

Er nimmt einen gewaltigen Stimmanlauf und kräht: «Morgen, meine Herren, Morgen, Morgen allerseits.»

Und von allen Seiten hagelt es Zurufe wie: «Guten Morgen, Herr Konsul», «Grüß Gott, Herr Konsul!», «Ergebenster Diener, Herr Konsul». Auch eine Frauenstimme ist dazwischen mit einem Kichern und unterdrückten Prusten hinterdrein.

Holsten klemmt sein Einglas ins Auge.

Sollte das etwa …?! Ach du lieber Gott! Solche Mädchen sitzen zu Dutzenden in den Berliner Büros, bisschen zurechtgemacht, bisschen auf Blond gefärbt, nette Beine, soviel er sehen kann, und weiter nichts.

«Ist sie nicht! … Ist sie nicht! …», beschwichtigt Spelzig und winkt nach allen Seiten wie ein Fürst, der unter seine Landeskinder tritt.

Auf allen Gesichtern wird gegrinst und eine Portion Ehrerbietung zu viel verschwendet. Spelzig nimmt das für Ernst. Er fühlt sich geschmeichelt, gehoben.

Sein lederner Hosenboden sieht spaßig unter der kurzen Joppe vor. Er liebt es, in einer schneidigen Mischung von Jagd- und Reiterdress in Berlin einherzustolzieren: eine pietätvolle Erinnerung an eine glorreiche Zeit, in der die Spelzigs ein Rittergut in Pommern besessen haben wollen.

«Der Chef zu sprechen? Wo ist der Chef?»

Im Hintergrund des Kassenschalters setzt sich etwas in Bewegung. Butterbrotpapier knistert. Eine Thermosflasche wird irgendwo unterwärts verstaut. Ein Gesicht, das dahinten geschienen hat, rund und gelb wie eine Mondscheibe, kommt langsam näher. Man kaut angestrengt und missvergnügt, hat den Mund gehörig voll und murrt: «Ist noch nicht da. Kommt aber bald.»

Es klingt nicht freundlich, ist auch keineswegs freundlich gemeint. Stohp, der Kassierer, kennt diesen Spelzig. Auf Stohps Gesicht wird nicht gegrinst und verhohnepipelt. Es nimmt keine Notiz von der Lederhose und ihren wunderlichen Grimassen. Es ist ganz und gar verrottet in Argwohn und böser Verdrossenheit.

«Wir sind bestellt», sagt Spelzig. «Halb zehn. Um halb zehn sollten wir antreten. Bitte», er zieht seine Uhr und lässt sie flach auf der Hand liegen. «Punkt halb zehn.»

Stohp macht eine Miene, die sich ganz gewiss nicht gehört für einen Angestellten der Kundschaft gegenüber. In ihm brennt der stumpfe Wunsch, diesen Spelzig zu verscheuchen.

Dessen Name ist schon einmal in einer Pleiteaffäre unrühmlich genannt. Das ist so einer, der Banken zu Sturz bringt mit seinen wilden Projekten, seinen kostspieligen Fantastereien.

«Sehen Sie», kräht Spelzig, dem bange ist um seine Beredsamkeit und der sie gleich hier, gleich an diesem schwierigen Objekt erproben will, «dieses Schwelverfahren, dessentwegen ich mit Herrn Brüggemann sprechen muss, wird die ganze Weltwirtschaft auf den Kopf stellen. Die Nebenprodukte der Kohle kosten dann nur noch die Hälfte. Die Hälfte, Mann! Was rede ich? Fünfunddreißig bis vierzig Prozent. Überlegen Sie sich mal, was das heißt auf gut Deutsch! Das gibt einen Umsturz, einen Tumult, einen Eklat an allen Börsen der Welt.»

Er breitet steifes Papier vor sich aus, auf dem Unverständliches gezeichnet steht. «Hier!» Er fördert Akten aus seiner schäbigen Mappe zutage. «Hier … Professor Devall. Werden Sie kennen, den Namen, der Erste in unserm Fach, eine Kapazität, auf den die ganze Welt hört. Und hier, hier … Gutachten von Dr. Prinn. Das ist der Öl-Prinn, wissen Sie? Der Mann von der Standard Oil Company.»

Stohp blinzelt mit den gelben Augen. Er trieft vor Argwohn. Ihm läuft eine Welle der Übelkeit über die kranke Leber. «Umsturz, Eklat, Tumult an der Börse.» Das fehlte noch gerade. Das brauchten wir obendrein.

Er räuspert sich umständlich, einmal, zweimal.

«Und warum, wenn die Sache so sicher ist, geben die Engländer nicht auch das Geld?»

«Das Geld? Sind Sie ein Deutscher, Mann? Das Geld auch noch? Schlimm genug, dass es Engländer sind, die mir ein Werk zur Verfügung stellen, in dem ich meinen Brikomoss-Ofen ausprobieren kann. Aber die Finanzierung? Nee, mein Lieber, das ist Ehrensäbel für Deutschland, verstehen Sie, Ehrensäbel! Und ich bezweifle keine Sekunde, dass ein Bankier von der Elastizität Ihres Herrn Brüggemann …»

Autsch! Das Wort Elastizität wirkt wie der Bohrer des Zahnarztes, wenn er auf den Nerv kommt.

Holsten unterdessen sieht sich mit Kennermiene das Personal an. Spaßige Leute, die sich dieser Herr Brüggemann da zusammengesucht hat. Er muss selbst schon sehr viel können, wenn er seinen Laden in Schwung halten will, zusammen mit diesem Wunderwesen von Sekretärin oder Prokuristin, das sich ja nun eigentlich mal sehen lassen könnte.

Er sieht belustigt dem weizenblonden jungen Burschen unter der Glasplakette «Buchhaltung» zu, der dabei ist, mit einem riesengroßen Taschenmesser seinen Bleistift zu spitzen, andächtig und voller Hingabe. Die Holzspäne fliegen ihm nur so um die Ohren. Der Bleistift wird kürzer und kürzer. Scheint etwas los zu sein mit dem Bleistift. Der Junge, mit todernstem, liebevoll versunkenem Antlitz spitzt und spitzt. Gott sei Dank, dass der Bleistift in fünf Minuten unweigerlich zu Ende ist.

Well, das ist ein braver und gründlicher Bursche. Möglich, dass solche braven und gründlichen Burschen das Bankgeschäft schmeißen. Den Tresorschlüssel jedenfalls kann man ihm ohne Bedenken um den Hals hängen.

Vorsichtiger in dieser Hinsicht müsste man schon mit dem Don Rodrigo dort hinten am Devisenschalter sein. Donnerwetter! Eine beachtliche Type. Hat der Kerl einen Blick! Ich für mein Teil würde mir vorsorglicherweise ein paar Fingerabdrücke von ihm sichern.

Veidt, der bleich und finster den gestrigen Abschluss überrechnet, fühlt den fremden Blick und sieht auf. Die Blicke der beiden Männer kreuzen sich.

In diesem Augenblick geht hinter Veidt die Tür auf, und Thea Iken tritt heraus. Sie ist geradewegs in Holstens geschärften Blick, seinen unverhohlenen Argwohn geraten.

Und sonderbar: Sooft Holsten sich später dieses Moments erinnert, immer erfüllt die Erinnerung ihn mit Missbehagen, immer wieder kommen ihm Zweifel an Theas Lauterkeit.

Es hat da blitzschnell eine Verschiebung stattgefunden in der Sekunde, da ihr markantes, bleiches, leidenschaftliches Gesicht Veidts Gesicht verblassen ließ. Für den Bruchteil einer Sekunde...

Erscheint lt. Verlag 12.9.2023
Reihe/Serie rororo Entdeckungen
Nachwort Magda Birkmann
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Klassiker / Moderne Klassiker
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Bankenkrise • bücher literatur • Deutsche Literatur • Diskriminierung • Dreißiger Jahre • Emanzipation • Frauen in der Arbeitswelt • Frauen in der Literatur • Frauenromane • Hans Fallada • Historische Bücher • Mordfall • weibliche Angestellte • Weimarer Republik • Weltwirtschaftskrise 1929 • Wiederentdeckte Literatur
ISBN-10 3-644-01795-6 / 3644017956
ISBN-13 978-3-644-01795-5 / 9783644017955
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