Die Guten und die Toten (eBook)
255 Seiten
Suhrkamp (Verlag)
978-3-518-77587-5 (ISBN)
Ein Ritt durch die düstere Berliner Schattenwelt: realistisch und absurd, vielschichtig, rührend und rasend spannend
Saad und seine kleine Tochter Leila leben unterm Radar in Berlin. Saad verdient sein Geld als Wächter in einem Charlottenburger Parkhaus, aus gutem Grund in der Nachtschicht.
In diesem Parkhaus steht auch der Luxusschlitten des Staatssekretärs Brasch, der mit dem Waffenhändler Müller und undurchsichtigen Saudis fiese Geschäfte macht. Als Brasch betrunken und zugekokst einen Verkehrsunfall baut und man zu seiner Überraschung eine Leiche in seinem Kofferraum findet, ist das ein Fall für die junge Kriminalkommissarin Nihal Khigarian.
Die hatte Saad schon ein paar Tage vorher zufällig kennengelernt, als sie ihm und Leila bei einer Schlägerei mit wüsten Pöblern geholfen hat. Leila ist sofort zu Nihal hingezogen, und auch Nihal und Saad ahnen, dass da mehr sein wird als eine flüchtige Bekanntschaft. Dabei muss Saad doch unbedingt unsichtbar bleiben, denn er weiß, dass gnadenlose Typen aus seinem früheren Leben hinter ihm her sind.
Und tatsächlich haben es die beiden bald mit Killern zu tun, mit Waffendealern, aufgebrachten Saudis, Drogenmafiosi, ein paar Toten - und noch ein paar mehr ... und einem epischen Showdown in der Hasch-Plantage auf dem Dach des Parkhauses, an dessen Ende es heißt: »Macht ihr so was öfter?«
Kim Koplin lebt und arbeitet in Berlin, Frankreich und Italien und heißt nicht wirklich Kim Koplin, hat aber schon mehrere erfolgreiche Bücher geschrieben.
SAAD
Saad wacht auf, als sich die Kolonne wieder in Bewegung setzt. Ein Blick auf sein Smartphone sagt ihm, dass sie sich anderthalb Stunden nicht vom Fleck bewegt haben und er anderthalb Stunden geschlafen hat. Dabei schläft er sonst nachts nicht. Das kommt, wenn der Adrenalinspiegel fällt, dazu die Vibration des Motors, die Wärme.
Leila hat sich ebenso wenig bewegt wie der Bus, die dunklen Locken über dem Gesicht, den Kopf auf Saads Oberschenkel. Sofort ist der Wunsch zurück, sie könnten für immer in diesem Moment weiterleben, eingeschlossen. Doch die Kolonne rollt wieder. Neunzig Minuten Auszeit, mehr gibt es nicht.
Im Bus ist Ruhe eingekehrt, die meisten versuchen zu schlafen, so viel sie können, bevor sie in Hamburg aussteigen und wieder funktionieren müssen. Vereinzelt leuchten Handydisplays, es gibt WLAN. Saad zieht sein Smartphone heraus und lässt sich auf Google-Maps Hamburg zeigen. Für die ersten Tage werden sie ein Hotel brauchen, am besten eins, das wenig kostet und Barzahlung akzeptiert, ohne dass er schräg angeguckt wird.
Bis sie am Busbahnhof eintreffen, ist es heller Tag. Um 6:05 Uhr hätten sie ankommen sollen, jetzt ist es kurz vor acht. Leila holt die Dose mit den Haarspangen aus ihrem Rucksack und klemmt sie sich ins Haar, alle dreiundzwanzig, in festgelegter Reihenfolge. Ihr Morgenritual. Geht zur Not auch ohne Spiegel.
– Was machen wir jetzt?
– Wir gehen ins Hotel, bringen unser Zeug aufs Zimmer und gehen frühstücken.
– Ins Hotel?
– Ich dachte, vielleicht bleiben wir über Nacht.
Sie stehen neben dem Bus und frösteln. Die Mitreisenden ziehen Taschen und Koffer heraus, Saad den Buggy und das Skateboard.
– War ich schon mal in einem Hotel?
– Nein, ist das erste Mal.
– Und wo gehen wir frühstücken?
– Weiß nicht. Vielleicht im Hotel, die haben da Frühstücksbuffet.
– Was ist ein Buffet?
– Ein Buffet ist, wenn ganz viel Essen da steht, und jeder nimmt sich, so viel er will.
– Auch Joghurt?
– Bestimmt.
– Und Himbeeren?
– Himbeeren weiß ich jetzt nicht, aber Himbeermarmelade sicher.
Er faltet den Buggy auseinander und schiebt ihn Leila hin. In dem Moment fällt ihr etwas ein, etwas Großes.
– Schokocroissants?
– So viel du willst.
Statt sich in den Buggy zu setzen, dem sie sich sowieso längst entwachsen fühlt, lässt Leila ihren Rucksack hineinfallen.
– Skateboard, sagt sie nur.
Google gibt den Fußweg zum Hotel mit neun Minuten an. Sie gehen entlang des Bahnhofs, keine Wolke am Himmel, lange Schatten auf dem Asphalt. Schon jetzt spürt man, dass es später warm werden wird. Menschen in T-Shirts werden in der Sonne sitzen, die Augen geschlossen, dem Licht zugewandt wie Pflanzen.
Der Bahnhof spuckt ununterbrochen Menschen aus, viele haben es eilig. Leila kommt kaum vorwärts auf ihrem Skateboard, lässt sich aber nicht beirren. Es Saad zurückzugeben, käme einem Eingeständnis gleich, ist also keine Option. Niemand nimmt Notiz von ihnen, um sie herum ist alles in Bewegung, tausend Geräusche und Gerüche gleichzeitig. Sollte nicht schwer sein, hier einen Job zu finden. Einen, der Saad wieder unsichtbar macht. Hamburg. So gut wie jeder andere Ort, besser als die meisten vermutlich.
– Du lahme Ente!
Leila steht vor ihm, einen Fuß auf dem Skateboard, eine Hand in der Hüfte. Ihre Spangen reflektieren das Morgenlicht wie eine bunte Discokugel. Saad hat dieses Ziehen in der Brust, und wie sonst denkt er, dass es daher kommt, dass in diesem Moment ihre Mutter in ihr aufscheint und er die Schuld an ihrem Tod trägt, und zwar für alle Zeit, da ist nichts dran zu drehen, und dass das Einzige, was er tun kann, ist, damit zu leben.
– Was sind das für Vögel?
– Welche meinst du?
– Da, die dicken weißen, die so quieken.
In dem Moment wird Saad klar, warum er stehengeblieben ist.
– Möwen. Das sind Möwen.
Und dann ist alles wieder da. Das Licht, die Wärme, der heiße Beton, Mourads erstes Motorrad und er hinten drauf, bekifft, wie sie die Serpentine hinunterfahren, der Schwindel in den Kurven. Und Samara und er auf der Kellertreppe, zwischen Müll und einer halb verwesten Ratte, bei der schon die Rippen zu sehen sind, wie sie ihr Tanktop hochzieht und sagt: – Jetzt fass schon an, du Lusche.
– Komme, sagt Saad.
NIHAL
Die Griffe ihres Handmuskeltrainers geben jedes Mal ein leises Klicken von sich, wenn Nihal sie zusammenpresst. Klick, klick, klick, klick. Eine der Sachen, die sie gar nicht draufhat, ist Geduld. Warten. Sie kriegt schon Pickel, wenn sie anderen beim Warten zusehen muss, aber selber warten zu müssen ist die Pest. Betül, ihre Trainerin, sagt, das sei ihr größtes Problem. Dass sie jede Gegnerin gleich in der ersten Runde auf die Matte prügeln will. Dass Ungeduld einen manchmal eher vom Ziel weg- als zu ihm hinführt. Den Gegner lesen, so nennt Betül das. Wenn Nihal das noch lernt und ihre Wut beibehält, dann, meint sie, gibt es keine Boxerin mehr, die sie noch schlagen kann.
– Ich bin nicht wütend, meinte Nihal.
Und Betül nur: – Logisch nicht.
Sie wartet auf das Ergebnis der Fingerabdrucksuche in der Prüm-Datenbank. Da sind zwar nicht alle europäischen Länder zusammengeschlossen, aber immerhin dreizehn. Sie starrt auf den Screen, als könnte sie die Suche dadurch beschleunigen. Stefanie, ihre harmoniesüchtige Kollegin aus P-Berg, mit der sich Nihal das Büro teilt, ist zum Glück noch nicht da. Wahrscheinlich hat sich Darius an einem Croissantkrümel verschluckt, oder Marlene ist wieder mit einer Hautirritation aufgewacht oder einem Pickel am Arsch oder irgendetwas anderem Gravierendem, das einen sofortigen Arztbesuch erfordert. Klick, klick, klick.
Während Nihal wartet, läuft der Polizeiticker durch. Vergewaltigung in Charlottenburg, Messerstecherei in Rudow, Fahrerflucht, geklaute Autos, Einbrüche. Traumatisierte Kinder, zerstörte Seelen, alles wie immer.
Schüsse an der Bornholmer Brücke, liest sie. Etwa zu der Zeit, als Nihal letzte Nacht ihre Affekte mal wieder nicht unter Kontrolle hatte, hat ein Typ mit vorgehaltener Waffe die Tankstelle Ecke Jülicher überfallen. Dummerweise kam ausgerechnet in diesem Moment eine Streife vorgefahren. Drei Schüsse hat der Flüchtende abgegeben, eine Kugel steckte anschließend im Arm des Beamten. Dann ist er unter die Brücke, über die Gleise, und weg war er. Es gibt ein Foto von der Überwachungskamera der Tankstelle. Aber gerade als Nihal das anklicken will, ploppt oben rechts ein Fenster auf: Treffer.
Schäfer sagt quälend lange nichts, bei Nihal knistert es schon wieder unter den Fußsohlen.
– Saudi-Arabien, sagt er schließlich.
Als hätte Nihal sich das ausgedacht, um ihn zu ärgern. Sie drückt so lange mit dem Daumen an ihrer Schulter herum, bis sie den schmerzenden Punkt gefunden hat, der gestern wieder aufgegangen ist.
Das Ding ist: In Deutschland sind die Fingerabdrücke des Toten zwar nirgends registriert, in Belgien aber schon. Dort wurden sie vor gut einem Jahr in Verbindung mit einem Anschlag auf einen Staatsanwalt sichergestellt. Identität unbekannt. Der Staatsanwalt ermittelte zu diesem Zeitpunkt in einem...
Erscheint lt. Verlag | 3.4.2023 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
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ISBN-10 | 3-518-77587-1 / 3518775871 |
ISBN-13 | 978-3-518-77587-5 / 9783518775875 |
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