Mauerträume (eBook)

Eine Liebe, die keine Grenzen kennt | Roman | Eine zeitgeschichtliche Reise nach Ost-Berlin - für Leserinnen und Leser von Ulrike Schweikerts »Tränenpalast« und Farina Edens »Geteiltes Land«

(Autor)

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2023 | 1. Auflage
320 Seiten
Harpercollins (Verlag)
978-3-7499-0637-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Mauerträume -  Kati Stephan
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Ihre Träume lassen sich nicht einmal von einer Mauer stoppen

Sommer 1975 in Ost-Berlin. Anni und ihre Familie leben in der DDR. Als Anni ihre Tante Gundula wie so oft zum Grenzübergang Tränenpalast begleitet, verliert sie ihr geliebtes Notizbuch. Der Finder des Büchleins ist Emil, ein junger Mann aus dem Westen, der ab und an beruflich nach Ost-Berlin reist. Um ihr Notizbuch wiederzubekommen, lässt Anni sich auf eine Verabredung mit ihm ein. Dabei hat sie sich geschworen, nie so eine zu werden, die sich einem Westdeutschen an den Hals wirft.

Annis Schwester Paula, deren größter Wunsch das Abitur ist, beginnt derweil für ihren Lehrer zu schwärmen. Als sie von der Stasi ein unmoralisches Angebot bekommt, gerät sie in eine Zwickmühle. Nachdem Tante Gundula schwer erkrankt und die Gefühle für Emil trotz ihres Vorsatzes immer stärker werden, wächst in Anni der Wunsch auf ein Leben im Westen. Doch wie kann sie die Mauer überwinden? Und ist sie überhaupt bereit dazu, ihre Familie und vor allem ihre Schwester zurückzulassen?


Ein packendes Buch über ein Leben im Osten und dem Wunsch nach einem im Westen



Kati Stephan hat sich schon immer für die Geschichte der ehemaligen DDR interessiert, auch wenn sie sich selbst nur noch vage an den Fall der Berliner Mauer erinnern kann. Sie studierte Germanistik, Politik und Geschichte, arbeitete in der Fernsehbranche und war als Lektorin in einem Hörbuchverlag tätig. Heute widmet sie sich als freiberufliche Autorin unter anderem dem Schreiben zeitgeschichtlicher Romane. Mit 'Mauerträume' kehrt Kati Stephan literarisch in ihre Heimatstadt zurück: Ost-Berlin.

Anni – Juni 1975


Ein Blick auf die Uhr verriet Anni, dass ihre Tante Gundula sich verspätete. Mal wieder. Sie liebte es, andere auf sich warten zu lassen. Das wusste Anni. Was sie jedoch nicht wusste, war, warum sie das tat. War es der von ihrem ehemaligen Staatskundelehrer viel beschrieenen westdeutschen Arroganz zuzuschreiben? Oder lag es einfach nur daran, dass sie bereits steinalt war, wie Annis sechs Jahre jüngere Schwester Paula es einmal ausgedrückt hatte, und sich deshalb um Pünktlichkeit nicht mehr scherte?

Jedenfalls war es bereits kurz vor halb fünf, und von ihrer Tante war weit und breit immer noch nichts zu sehen, obwohl sie sich für vier Uhr angekündigt hatte.

Ungeduldig wippte Anni von einem Fuß auf den anderen, während sie den Ausgang des Bahnhofs Friedrichstraße nicht aus den Augen ließ. Hin und wieder öffnete sich die schwere Schwingtür, sodass sie die kleinen Kabinen erspähen konnte, in denen die Pässe der Ankommenden kontrolliert wurden. Dahinter ging es zu den Gleisen, die sich aus Westen kommend durch die Stadt bis hierher schlängelten.

Es war nicht so, dass Anni irgendetwas vorhatte. Ihre Schicht im Rübezahl war längst zu Ende. Nur selten ging sie danach noch aus. Ihre alten Schulfreundinnen waren verheiratet und beschäftigt damit, Arbeit, Haushalt und Kinder unter einen Hut zu bringen. Für einen Schwedeneisbecher, eine Berliner Weiße oder gar einen Ausflug in ein Berliner Tanzlokal hatten sie da nur wenig Zeit. Außerdem hatte Gundulas Verspätung auch etwas für sich. Je später ihre Tante kam, desto kürzer würde ihr Besuch ausfallen.

Jeden Dienstag beantragte ihre Tante ein Tagesvisum, fuhr mit der S-Bahn von Charlottenburg zum Grenzübergang Friedrichstraße, bezahlte den Eintritt – so wurde der Zwangsumtausch von zehn DM inoffiziell genannt – und ließ sich einen weiteren Stempel in ihren bundesdeutschen Ausweis geben, um ihre Verwandtschaft im Osten der Stadt zu besuchen. Niemand schien diese Besuche recht zu mögen, nicht einmal Tante Gundula. Und doch gehörten sie zum Alltag der Familie Behrendt wie das rote Halstuch zum Thälmannpionier.

Da endlich trat sie aus dem Gebäude heraus. Tante Gundula war eher von kleiner Statur, und doch sah Anni sie sofort. Mit festen Schritten kam sie auf ihre Nichte zugelaufen. Die Pfennigabsätze klackerten auf dem Bürgersteig. Sie trug einen mintgrünen Trenchcoat, den Gürtel fest um ihre schmale Taille geknotet. Darunter lugte ein halblanger Tellerrock hervor, dessen sonnengelber Stoff seidig glänzte. Stets war ihre Tante für diesen Teil der Stadt viel zu auffällig gekleidet. Offensichtlich genoss sie es, der Pfau unter den Graugänsen zu sein.

Ganz unwillkürlich zuppelte Anni an ihrem dunkelgrünen Parka herum. Den hatte sie schon damals getragen, als sie ihren ersten Kuss bekommen hatte. Martin hieß der Junge. Er hatte ihr im letzten Schuljahr auf der Maiparade hinter einer Tribüne einen ziemlich feuchten Schmatzer aufgedrückt. Die Jacke wurde ihr ständiger Begleiter, Martin hatte sie danach nie wieder gesehen.

Aber auch sonst machte Anni sich nicht sonderlich viel aus ihrem Äußeren. Die braunen, schulterlangen Haare trug sie meist zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Ihre Röcke, Blusen und Bundhosen wählte sie eher nach Bequemlichkeit aus als nach Optik. Doch ohnehin war es in der DDR ein schwieriges Unterfangen, aus der Masse herauszustechen, wenn man seine Kleidung nicht selbst nähte.

In der Hand trug Gundula einen schlichten braunen Koffer, dessen Leder etwas verschlissen war. Das Gepäckstück passte so gar nicht zu ihrem sonstigen Kleidungsstil. Bei ihren Besuchen hatte sie ihn aber immer bei sich. Anni wusste genau, was darin war.

Als Gundula ihr zur Begrüßung einen Kuss auf die Wange drückte, konnte Anni den Zigarettenrauch riechen, der ihre Tante umgab. Es war kein unangenehmer Geruch, eher kräftig, würzig und irgendwie mondän. So musste es im Westen überall riechen, jedenfalls nach Annis Vorstellung. Bevor sich ihre Tante wieder entfernte, atmete sie den Duft noch einmal kurz ein.

»Wie war die Fahrt?«, fragte Anni dann, ohne darauf hinzuweisen, dass sie bereits eine halbe Stunde auf sie gewartet hatte.

»Lang!«, antwortete Gundula und ging nicht weiter darauf ein. Anni kannte Westberlin nur aus dem Erdkundeatlas. Dort war der für sie unbekannte Teil der Stadt nur als grauer Fleck abgebildet. Dieser erschien auf der Karte jedoch nicht sonderlich groß. So lange konnte sie also gar nicht unterwegs gewesen sein. Doch Anni schwieg lieber und setzte sich in Bewegung. Ihre Tante folgte ihr.

Nach einer kurzen Fahrt mit der Straßenbahn betraten Anni und Gundula wenig später die Wohnung. Paula fläzte in der Wohnstube in dem alten Ohrensessel, der am Fenster stand. Die Beine über die Armlehne baumelnd, vergrub sie ihr Gesicht hinter einem Buch. Als Tante Gundula hereintrat, sah sie kaum auf.

»Hat sich ja nichts verändert!«, murrte Gundula, während sie sich umsah.

»Du warst ja auch erst letzte Woche da«, antwortete Paula, ohne von ihrem Buch aufzublicken.

Da trat Annis Mutter Marlies mit einer Schale aufgeschlagener Sahne herein. »Was soll sich denn auch ändern?«, fragte sie, während sie ihre Schwägerin im Vorbeigehen kurz zur Begrüßung an sich drückte.

Tatsächlich sah die Stube noch genauso aus wie damals, als sie nach Paulas Geburt die Altbauwohnung mit drei Zimmern im Bezirk Friedrichshain zugeteilt bekommen hatten. An den raufasertapezierten Wänden hingen kleine Landschaftsaquarelle, die ihre Mutter aus ihrer alten Heimat Vorpommern mitgebracht hatte. Das Sofa mit dem groben, geblümten Stoff und den hölzernen Armlehnen stand unter dem großen Sprossenfenster, mit Aussicht auf den Volkspark. Ein bunter Flicken auf dem mittleren Sitzpolster erinnerte an einen der wenigen Momente der geschwisterlichen Einigkeit. Denn nur in zwei Dingen waren sich Anni und Paula ähnlich: in ihrer Vorliebe für alles, was aus Schokolade war, und ihrer grenzenlosen Neugier. Das Sitzpolster hatten sie versehentlich angezündet, als sie in die alte Pfeife ihres Vaters ein paar zuvor gepflückte Gänseblümchen gestopft hatten, um zu sehen, ob auch diese brannten.

Auf der anderen Seite der Stube stand die große Vitrine, die das gute Kaffeeservice beherbergte. Annis Eltern hatten es zur Hochzeit geschenkt bekommen. Doch nicht einmal zu Weihnachten oder zur Jugendweihe der Töchter wurde es herausgeholt, damit auch ja nichts davon zerbrach.

»Außerdem mag ich unser kleines Zuhause«, fuhr ihre Mutter fort. »So viele Erinnerungen hängen an den Möbeln. Die Mädchen sind hier groß geworden …«

»… und werden euch hier noch auf der Pelle hängen, wenn sie so alt und grau sind wie ich«, unterbrach Gundula.

Ihre Mutter stellte die Sahne auf dem Tisch in der Nische ab, die an die Stube grenzte. »Spätestens wenn sie heiratet, wird Anni wohl eine Wohnung bekommen.«

»Dann muss ich mir ja noch ewig und drei Tage ein Zimmer mit ihr teilen«, meinte Paula und seufzte. »Sie hat ja noch nicht mal einen Freund!«

»Du kannst doch nach der Schule heiraten und ausziehen«, schlug Anni vor, die ihrer Tante den Koffer abgenommen hatte und ihn neben der Vitrine abstellte.

»Ich heirate nicht!«

Anni grinste. »Dann ist unser Schicksal wohl besiegelt.«

Paula streckte ihr die Zunge heraus.

»Bisher fühlen wir uns hier wohl. Wir alle. Nicht wahr, Anni?«, beschwichtigte Marlies und warf ihrer ältesten Tochter einen auffordernden Blick zu.

»Äh … ja, klar!« Was sollte sie auch anderes antworten, mit der mütterlichen Pistole auf der Brust. Tatsächlich hätte Anni nichts dagegen, endlich auf eigenen Beinen zu stehen. Sie war auch schon bei der Wohnungsgenossenschaft gewesen, dort hatte man sie jedoch nur vertröstet. Noch immer war Wohnraum Mangelware. Genauso wie Orangen, Bananen und Elektronikgeräte.

Geschickt wechselte ihre Mutter das Thema. »Darf ich dir den Mantel abnehmen?«, fragte sie ihre Schwägerin. Gundula nickte und zog den Mantel aus. Marlies ging zu ihr hinüber und nahm ihr das Kleidungsstück ab. Fast unbemerkt strich sie kurz über den feinen Stoff, bevor sie im Flur verschwand, um den Mantel in die Garderobe zu hängen.

Ihre Tante setzte sich an den Tisch, der an die Stube grenzte und in dessen Mitte ein üppiger Blumenstrauß stand. Ihre Mutter liebte frische Blumen. Wann immer ihr danach war, ließ sie sich einen Strauß beim Floristen binden.

Der Tisch war bereits eingedeckt, für vier Personen. Gundula blickte auf. »Und Georg?«, fragte sie mit hochgezogener Augenbraue.

Marlies, die die Stube wieder betreten hatte, unterdrückte einen leisen Seufzer. Sie setzte sich zu Gundula an den Tisch, rückte die Servietten auf den Tellern noch einmal zurecht. »Hat noch etwas länger in der Werkstatt zu tun. Aber ich soll dich schön gr…«

»Ja, ja!«, unterbrach Gundula. »Du brauchst nicht für ihn zu lügen. Das hat er nicht verdient, der feige Hund!«

Ihre Mutter verstummte sofort, während sich Anni und Paula, die sich mittlerweile ebenso zum Esstisch bequemt hatten, einen Blick zuwarfen.

Schon solange Anni zurückdenken konnte, drückte sich ihr Vater um die Besuche seiner Schwester. Wenn sie sich ankündigte, blieb er oft länger in der kleinen Schusterei, die seit zwei Generationen in Familienbesitz war, oder er machte einen Abstecher in seine Lieblingskneipe.

Warum er seiner eigenen Schwester so vehement aus dem Weg ging, wusste Anni nicht. Doch Gundula ließ es sich nicht nehmen, sich jedes Mal aufs Neue nach...

Erscheint lt. Verlag 27.12.2023
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Historische Romane
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 20 Liebe • DDR • DDR-Saga • Deutsche Mauer • Familie • Familienzusammenhalt • Frauenunterhaltung • Geteiltes Berlin • Mauerbau • Mauerfall • Ost-Berlin • Ost- und Westdeutschland • Ost-West • Schicksalhafte Begegnung • Tränenpalast • Träume • Vergangenheit
ISBN-10 3-7499-0637-8 / 3749906378
ISBN-13 978-3-7499-0637-6 / 9783749906376
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