You, with a View (eBook)
380 Seiten
HarperCollins eBook (Verlag)
978-3-7499-0615-4 (ISBN)
TikTok trifft auf Polaroidkamera - ein Roadtrip der besonderen Art auf den Spuren der Verganenheit
Arbeitslos und noch immer bei den Eltern lebend versucht Noelle, den Verlust ihrer geliebten Großmutter zu überwinden. Dabei stößt sie auf ein uraltes Foto von ihrer Grams und einem attraktiven Mann, inklusive Liebesbrief. Von der Neugierde gepackt, startet Noelle einen Aufruf auf TikTok, um den Fremden ausfindig zu machen. Doch als sich sein Enkel darauf bei ihr meldet, schlägt Noelles Herz schneller - und zwar nicht auf die gute Art und Weise: Es ist Theo Spencer, ihr ehemaliger Klassenkamerad und ewige Nemesis. Heute ist er erfolgreich, gutaussehend und hat zu allem Überfluss auch noch ein Lächeln, das Noelle um den Verstand bringt. Wider Willen starten sie gemeinsam mit Theos Großvater den wohl verrücktesten Roadtrip aller Zeiten. Aber hat Theo sich wirklich geändert?
Jessica Joyce schreibt herzerwärmende Liebesromane mit frechen Wortgefechten und leidenschaftlichen Momenten. Sie arbeitet als Produktentwicklerin in der Kosmetikbranche und lebt mit ihrem Mann und ihrem Sohn in der Bay Area.
1. KAPITEL
Als ich aufwache, habe ich zwei Millionen Views.
Zuerst weiß ich gar nichts davon. Ohne die Augen zu öffnen, taste ich mit einer Hand durch den Hindernisparcours aus Tassen, Essensverpackungen und Lippenpflegestiften auf dem Nachttisch nach meinem Smartphone. Ich will nur wissen, wie spät es ist.
Vielleicht aber auch lieber nicht. Das Sonnenlicht dringt schon durch meine zugekniffenen Augenlider, und demnach wird es unangenehm spät sein.
Meine Finger kriegen das Ladekabel zu fassen, und ich ziehe das Handy zu mir, quer übers Nachttischchen, wobei die Pflegestifte durch die Gegend gekegelt werden.
Egal. Die Zukunfts-Noelle kann sich mit dem Chaos befassen.
Endlich erwische ich die Beute und schalte das Display hell. Anstelle der Zeit jedoch erfasst mein verschwommener Blick die Lawine von TikTok-Benachrichtigungen. Ich blinzle, aber die astronomische Zahl bleibt, blinkt, wobei sie um fünf, um siebzehn, um zweiundvierzig anwächst.
»Was, zum Teufel …«, krächze ich.
Dann fällt es mir wieder ein: mein Video.
So verschlafen, wie ich bin, rutscht mir das Telefon aus der Hand und landet auf meinem Gesicht, sodass ich vor Schmerz laut aufschreie.
Im selben Moment fliegt die Tür auf, und die Gestalt meiner Mom wird durch den Tränenschleier hindurch sichtbar. »Noelle, was ist denn?«
Befände ich mich in einer Sitcom, dann wäre dies der Moment, in dem die Szene erstarrt: Fokus auf mir, achtundzwanzig Jahre alt, wie ich mich in dem Bett meiner Kindheit wälze, geblendet durch einen verrückten iPhone-Unfall, nachdem ich auf einer Social-Media-App für Teenager viral gegangen bin.
Das Einzige, was mich davon abhält, innerlich sterben zu wollen, ist, dass so viele Leute dieses Video gesehen haben. Mein Herz setzt einen Schlag aus. Vielleicht sogar die richtige Person.
Ich richte mich auf, presse die Finger an den Knochen am Auge, wo der Schmerz sitzt, und fische nach meinem Handy. Von der Tür aus beobachtet Mom mich verwirrt. Sie trägt ihr Peloton-Fitnessbike-Outfit anstelle des Power Suits. Es muss wohl Samstag sein.
»Alles okay mit dir?« Ihre braunen Augen – so braun wie meine – konzentrieren sich auf das Fahrrad in der Zimmerecke. An der Wand fordert ein Neonschild: »BE AWESOME« – sei großartig.
Sie brennt darauf, es einzuschalten, das weiß ich genau. Ich wünschte, ich könnte es abreißen. Nichts ist schlimmer, als jeden Morgen von aggressivem Optimismus begrüßt zu werden, wenn man erwachsen ist und wieder bei den Eltern einziehen musste, nachdem man einen Job verloren hat, den man nicht mal mochte.
»Ja, Mom, mir geht’s super.« Ich seufze auf, denn der Kopfschmerz entfaltet sich. »Mir ist nur das Telefon ins Gesicht gefallen.«
»Tut mir leid, Sweetie. Hey, wenn du sowieso auf bist, fahre ich schnell eine Runde.«
All das sagt sie in einem Atemzug, und gleichzeitig ist sie schon beim Fahrrad, hält aber immerhin ihre extralauten Spezialschuhe in der Hand. Ich könnte an all meinen Körpergliedern nicht abzählen, wie oft sie mich in den letzten vier Monaten mit dem Klackern dieser Schuhe auf den Hartholzdielen geweckt hat. Aber klar kann man es ihr nicht verübeln, dass sie mein ehemaliges Kinderzimmer in einen Schrein für ihr Zweitausend-Dollar-Fahrrad verwandelt hat. Keiner hätte je in Betracht gezogen, dass ich irgendwann wieder hier wohnen würde.
»Mach nur.« Ich vergrabe mich aufs Neue unter der Decke und rufe mit Herzklopfen meinen TikTok-Account auf.
Genau dort, unter dem letzten Video von vor einer guten Woche, steht die Anzahl der Aufrufe: 2,3 Millionen. Es gibt über vierhunderttausend Likes und tausendsechshundert Kommentare.
Heilige Scheiße!
Was, zur Hölle, ist bitte passiert? Als ich gestern Abend um neun eingeschlafen bin, hielten sich meine mickrigen achtzig Likes dort noch hartnäckig neben der – ziemlich niederschmetternden – Anzahl von null Kommentaren.
Meine Erwartungen waren nicht sehr hoch gewesen, aber ich hätte sie noch niedriger ansetzen sollen. Den Account hatte ich letzten September spontan aus Langeweile eröffnet und Fotografien, die ich geschossen habe, gepostet, nachdem mir aufgefallen war, wie andere Fotoaccounts durch die Decke gingen. Um meinen schien sich niemand zu scheren.
Aber Hoffnung wächst aus einem kleinen Keim, stimmt’s? Zumindest hat meine Oma, meine Gram, mir das immer gesagt und dabei gezwinkert.
All ihre guten Ratschläge hüte ich und trage sie immer bei mir, damit ich sie zur Hand habe, wenn sie nötig werden. Das kam vor ihrem Tod oft vor, und jetzt, da sie nicht mehr hier ist, praktisch durchgehend. Sie war ein Fixpunkt in meinem Leben, von Anfang an habe ich mich an sie gewandt, wenn irgendwas passierte, egal ob gut oder schlecht. Vielleicht ist es komisch, seine Großmutter als beste Freundin zu bezeichnen, aber genau das war Gram für mich, von dem Zeitpunkt an, als ich verstand, was eine beste Freundin ausmacht.
Nach ihrem Tod brauchte ich zwei Monate, um mir wieder Fotos von ihr ansehen zu können, ohne direkt loszuheulen. Ich habe eine AB-Aufzeichnung von ihr, auf der sie »Happy Birthday« singt, doch nicht mal jetzt, sechs Monate später, kann ich sie mir anhören.
Aber dieses Video – dasjenige, das gerade millionenweise Aufrufe bekommt – ist ebenso sehr ein Liebesbrief an sie, wie es eine Frage ans Universum ist. Oder eher eine Bitte.
Wenn du herausfindest, dass deine Großmutter mit zwanzig einen heimlichen Lover hatte, dann willst du mehr wissen. Und wenn sie nun mal nicht da ist, um den Orkan an Fragen zu beantworten, die in der Sekunde aufgewirbelt wurden, als du diese Fotos aus einem vergilbten Umschlag gezogen hast? Tja, dann musst du wohl zu anderen Mitteln greifen.
Den Umschlag entdeckte ich in einer Schachtel, die in einer verstaubten Ecke in der Garage stand, und mein Dad war die erste Anlaufstelle. Ich fragte ihn eher nebenbei, ob er irgendwas über die romantische Vergangenheit seiner Mom wüsste, denn ich musste vorsichtig vorgehen. Falls er nichts über diese Beziehung wüsste, könnte es ihn beunruhigen. Seine Trauer war noch genauso frisch wie meine.
»Für sie hat es immer nur Pop gegeben und für ihn nur Mom. Sie hat immer gesagt, dass er ihre größte Liebe war«, erklärte er mir.
Auf die Beziehung seiner Eltern zueinander war er seit Ewigkeiten stolz. Aufgrund ihrer Liebesgeschichte hatte er seine eigenen Erwartungen so himmelhoch geschraubt, dass er ein hoffnungsloser Romantiker wurde. Diese Erwartungen sind sogar noch weiter durchgesickert. Es gab diesen langjährigen Witz in unserer Familie: Wenn’s nicht wie bei Gram und Grandpa Joe ist, wollen wir’s nicht.
Als ich daraufhin schwieg, kniff Dad die Augen zusammen, seine Neugier war geweckt, vielleicht auch ein Verdacht. »Wie kommst du denn auf diese Frage?«
»Ach, nur so«, antwortete ich, während das Bild von Gram mit einem anderen Mann ein Loch in meine Hosentasche zu brennen drohte.
Dad war also raus aus der Sache. Und wenn er raus war, war es auch der Rest der Familie. Sie würden es ihm sonst bei der nächsten Gelegenheit erzählen.
Ich hatte genügend Zeit auf TikTok verbracht, um zu wissen, dass es zu gleichen Teilen nutzlos und transformierend war – fade Tanznummern, gemischt mit Videos von Wiederbegegnungstreffen, die bewirkten, dass ich um zwei Uhr morgens in mein Kissen schluchzte. Wenn ich die Info, die ich gefunden hatte, posten und fesselnd genug gestalten würde, bestand die Chance, dass jemand es sah. Die Chance, dass jemand es wusste.
Vielleicht wusste jemand etwas über die Fotosammlung und den einen Brief, den Gram über sechzig Jahre versteckt hatte, oder jemand kannte den gut aussehenden Mann auf den Bildern mit den welligen Haaren und dem tiefen Grübchen – Paul, der Name stand auf der Rückseite, in einer gleichmäßigeren Version von Grams schnörkelfreudiger Handschrift, zusammen mit den Jahreszahlen 1956 und 1957.
Sie heiratete Grandpa Joe 1959 nach einer stürmischen Romanze. Ich kannte ihre Geschichte auswendig. Gram hatte es geliebt, mir davon zu erzählen. Wir spielten ständig dieses Spiel, das wir liebevoll »Erzähl mir ein Geheimnis« nannten. Ich erzählte ihr immer meine und sie mir ihre.
Dachte ich zumindest.
Bevor ich den Mut finde, die Kommentare zu checken und festzustellen, ob meine Antwort darunter ist, entscheide ich, mir das Video noch mal anzusehen.
Ich tippe aufs Display, und es startet mit dem Song von Lord Huron, den ich ausgewählt habe, damit es möglichst anrührend wirkt. Mein Text, den ich hinzugefügt habe, wird über jedem Foto eingeblendet, das ich im Rahmen hochhalte, wobei der angeschlagene mintfarbene Nagellack auf meinem Daumen einen starken Kontrast zu den Schwarz-Weiß-Drucken bildet.
Ich spüre einen Stich der Trauer, als ich Grams Gesicht ansehe, das im jugendlichen Alter so sehr meinem eigenen ähnelt. Ihre Gesichtszüge sind die gleichen, das wurde uns immer wieder gesagt. Zwillinge mit fünfzig Jahren Abstand voneinander. Seelenverwandte, geboren in verschiedenen Jahrzehnten.
Auf dem ersten Bild stehen Gram und Paul vor einem Haus, das ich nicht wiedererkenne. Der Text auf dem Display lautet:
Kürzlich starb meine Großmutter, und ich fand diese Bilder von ihr mit einem Mann, den ich nie kennengelernt habe.
Dann sieht man sie am Strand, und hier schaut sie mit einem...
Erscheint lt. Verlag | 27.12.2023 |
---|---|
Übersetzer | Martina Takacs |
Sprache | deutsch |
Original-Titel | You, With a View |
Themenwelt | Literatur ► Comic / Humor / Manga |
Literatur ► Romane / Erzählungen | |
Schlagworte | alte Liebesbriefe • Ängste • Ängste überwinden • bücher für frauen • enemies to lovers • Familie • Familiengeheimnis • Fotografie • Große Gefühle • Großeltern • Großmutter • Großvater • humorvoll • Internet • Job verloren • Konkurrenten • Mhairi McFarlane • Rivalen • Roadtrip • Roadtrip USA • Romance • romantischer Liebesroman • romcom • See • Selbstzweifel • Sommer • soulmates • Start-up • TikTok |
ISBN-10 | 3-7499-0615-7 / 3749906157 |
ISBN-13 | 978-3-7499-0615-4 / 9783749906154 |
Haben Sie eine Frage zum Produkt? |
Größe: 600 KB
Digital Rights Management: ohne DRM
Dieses eBook enthält kein DRM oder Kopierschutz. Eine Weitergabe an Dritte ist jedoch rechtlich nicht zulässig, weil Sie beim Kauf nur die Rechte an der persönlichen Nutzung erwerben.
Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belletristik und Sachbüchern. Der Fließtext wird dynamisch an die Display- und Schriftgröße angepasst. Auch für mobile Lesegeräte ist EPUB daher gut geeignet.
Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise
Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.
aus dem Bereich