Western Großband 1/2023 (eBook)
400 Seiten
Alfredbooks (Verlag)
978-3-7452-2802-1 (ISBN)
Tot oder lebendig
Es war schon dunkel. Harrison McQuinn zügelte vor dem Silver Moon Inn sein Pferd und saß ab. Lärm trieb ihm aus dem Saloon entgegen. Aus der Tür und den beiden Frontfenstern fiel Licht auf den Gehsteig und ein Stück in die Main Street. Harrison McQuinn stellte seinen Braunen in die Reihe der anderen Pferde am Haltebalken und knotete die Leine fest. Dann schob er sich den breitrandigen Hut in den Nacken, rückte seinen Revolvergurt zurecht und stieg die drei Stufen zum Vorbau hinauf. Mit beiden Händen drückte er die Batwings auseinander. Schlechte Luft voll Tabakqualm und Schweißgeruch schlug ihm entgegen. Er betrat den Inn. Hinter ihm schwangen die Türflügel knarrend aus.
Im Saloon war der Teufel los. Es war Wochenende, genau gesagt Samstagabend. Die Mannschaft der Brazos-River-Ranch bevölkerte den Inn. Aber auch einige Small Rancher vom California Creek hatten sich eingefunden. Einige der Kerle waren schon angetrunken. Sie grölten und johlten und brüllten voller Ungeduld nach Bier oder Brandy. Die drei Bedienungen hatten alle Hände voll zu tun. Zwei Keeper und der Salooner selbst standen hinter dem Schanktisch, um einen schnellen Service zu bieten.
Harrison McQuinn wurde erkannt. Einige der Small Rancher begrüßten ihn lauthals. Die Männer von der Brazos-River-Ranch allerdings beachteten ihn nicht. Sie waren mit den Animiermädchen oder ihren Karten beschäftigt.
Harrison steuerte einen der Tische an. Er hob die rechte Hand zum Gruß. „Hallo, Ben, habt ihr noch einen Platz frei für mich?“
Ben Walker wies einladend auf einen unbesetzten Stuhl. „Setz dich nieder, McQuinn. Schön, dass du dich wieder mal blicken lässt in der Stadt. Dachte schon ...“
Er brach ab, als jemand wild schrie: „Sieh an, der Kuhbauer, dessen Rinder immer auf meine Weide laufen und meinen Kühen das Gras wegfressen. Heh, McQuinn, wann willst du endlich einen Zaun ziehen? Heute habe ich wieder ein Rudel Rinder mit deinem Brandzeichen zurücktreiben müssen. Zur Hölle mit dir, McQuinn! Ich dulde diesen Zustand nicht länger!“
Die Geräusche versickerten. Harrison, der gerade im Begriff gewesen war, sich zu setzen, richtete sich wieder auf. Sein Blick suchte den Sprecher und heftete sich schließlich auf ihn. Harrison rief mit spröder Stimme: "Warum ziehst du keinen Zaun, Bancroft. Ich war vor dir da. Meine Rinder fragen nicht nach Weidegrenzen. Du willst nicht, dass sie auf dein Stück Land rennen. Also hindere sie daran und baue einen Zaun.“
„ Sei vorsichtig, McQuinn“, warnte Walker. Er sprach es zwischen den Zähnen. „Bancroft ist schon ziemlich angetrunken und in diesem Zustand unberechenbar. Außerdem hält er sich stark an Dexter, und der zählt gewiss nicht zu den Freunden der Small Rancher und Siedler.“
Ein großgewachsener Mann mit roten Haaren, der neben Bob Bancroft am Tresen stand, flüsterte ihm etwas ins Ohr. Bancroft nickte, dann heftete er seine vom übermäßigen Alkoholgenuss geröteten Augen wieder auf Harrison. Seine Lippen sprangen auseinander, er rief: „Du stinkst mir, McQuinn. Es sind deine Rinder, die auf mein Land rennen. Also liegt es auch an dir, sie davon abzuhalten. Aber das habe ich dir schon zigmal gepredigt. Ich glaube, es ist an der Zeit, es dir mit den Fäusten in dein Spatzenhirn hineinzuhämmern.“
Bancroft setzte sich in Bewegung. Der Mann, der lässig neben ihm am Tresen lehnte und in der Linken sein Whiskyglas drehte, grinste herablassend, vielleicht sogar zufrieden.
Stuhlbeine scharrten über die rauen Dielen, Männer erhoben sich und bildeten eine Gasse. Harrison atmete tief ein und blickte Bob Bancroft entgegen. Von seinem gestrafften Gesicht war nicht abzulesen, was hinter seiner Stirn vorging. Aber in seinen Mundwinkeln hatten sich zwei tiefe Kerben gebildet. Zeichen dafür, dass ihm diese Entwicklung nicht gefiel. Als Bancroft zwei Schritte vor ihm anhielt, sagte er grollend: „Ich bin nach Stamford gekommen, um mich zu amüsieren, Bancroft und will mich nicht mit dir raufen. Außerdem bist du betrunken. Du weißt wahrscheinlich gar nicht, was du anzettelst. Merkst du denn nicht, dass du dich vor den Karren der Brazos River Ranch spannen lässt, wenn du ...“
„ Darum geht es nicht, McQuinn!“, fauchte Bancroft ungeduldig und stur. „Es geht um die Verletzung meiner Weidegrenze. Es ist ein Zustand, den ich nicht leide, und da du nicht bereit bist, für Abhilfe zu sorgen, werde ich dir jetzt die Birne weichklopfen. Was von dir übrig bleibt, werde ich auf die Straße werfen.“
Bancroft riss sich die Jacke herunter und warf sie einem der in der Nähe Stehenden zu. Er begann, sich die Hemdsärmel hochzukrempeln.
„ Hör auf mit dem Unsinn, Bancroft!“, mischte sich Ben Walker ein. „Wenn wir Kleinrancher anfangen, uns gegenseitig zu zerfleischen, braucht Big John am Ende nur noch einzukassieren, worauf er schon lange scharf ist - nämlich unser Land. Hast du dich vielleicht mit ihm verbündet, nachdem du schon den ganzen Abend mit seinem Vormann an der Theke stehst?“
„ Du hältst dich raus, Walker!“, knurrte Bankroft, hob die Fäuste und winkelte die Arme an. „Das ist eine Sache zwischen mir und McQuinn. Du kannst dich wieder bei mir melden, wenn ich mit McQuinn fertig bin. Jetzt aber solltest du zur Seite treten.“
Er schien richtig begierig darauf zu sein, Harrison zurechtzustutzen. Seine geröteten, wässrigen Augen funkelten kriegerisch. Trotzig hatte er das Kinn vorgeschoben. Wilde Entschlossenheit ging von ihm aus wie etwas Animalisches.
Im Schankraum war es jetzt still. Voll gespannter Erwartung ruhten die Blicke der Gäste auf den beiden Männern, insbesondere auf Harrison. Dieser sagte abgehackt: „Warum ziehen wir nicht gemeinsam einen Zaun, Bancroft? Das wäre doch eine Lösung, nicht wahr? Fangen wir übermorgen gleich an, indem wir Draht bestellen. Was hältst du davon?“
„ Nichts!“, grollte Bancroft und machte einen Schritt auf Harrison zu. „Ich habe mir vorgenommen, dich zu verprügeln, und das mache ich jetzt. Pass auf, McQuinn!“
Mit dem letzten Wort stieß er sich ab. Harrison wurde von dem Angriff überrascht. Er stürzte rücklings auf den Tisch, an dem noch Walker und zwei andere Kleinrancher saßen. Gläser fielen zu Boden und zerbrachen. Wie Stahlklammern umschlangen Bancrofts Arme Harrisons Oberkörper, pressten ihm die Arme dagegen und ließen keine Bewegung zu. Es war, als wollte Bancroft ihn zerquetschen.
Und tatsächlich spürte Harrison, wie ihm langsam aber sicher die Luft aus dem Körper gepresst wurde. Bancrofts Whiskyatem streifte sein Gesicht. Nur zwei Handbreit war das hässliche, breitflächige Gesicht vor seinem Blick. Bancrofts Züge waren verzerrt von der Anstrengung, in seinen Augen glühte der Vernichtungswille. Harrison sah es, und es traf ihn wie ein eisiger Guss ...
*
Ben Walker sprang auf, als er seine Lähmung überwand. Seine rechte Hand wühlte sich in Bancrofts Haare. Unerbittlich zerrte Walker an den Haaren den Kopf des Schlägers in den Nacken. Bancroft brüllte wie am Spieß. Seine Umklammerung lockerte sich. Er stand jetzt, griff mit beiden Händen über seinen Kopf hinweg und packte Walkers Handgelenk. Der Schmerz von seiner Kopfhaut ließ seine Augen tränen.
„ Du Narr! Du gottverdammter Narr!“, presste Walker zwischen den Zähnen hervor und ließ nicht locker. „Du machst dich zum Werkzeug Big Johns und seiner Kettenhunde. Die Pest an deinen Hals, Bancroft!“
Indessen tauchte Harrison zur Seite weg und atmete tief durch. Seine Lungen füllten sich mit lebenserhaltendem Sauerstoff, er spürte, wie sich sein Körper mit neuen Energien auflud. Und erspürte noch mehr: Da war der lodernde Zorn auf Bob Bancroft, der in seinen Eingeweiden wühlte und der ihn in heißen, giftigen Wogen durchrann. Sein Organ grollte heiser: „Lass ihn los, Ben. Er will den Kampf, also soll er ihn haben. Lass ihn los.“
„ Das würde ich dir auch raten, Walker!“, tönte es vom Schanktisch her. Es war der große, rothaarige Bursche, der es mit stahlharter Stimme rief. „Es ist Bancrofts und McQuinns Sache, und du solltest dich heraushalten. Oder muss ich es dir auf die raue Tour klarmachen lassen?“
Einige Männer in Cowboykleidung an den Tischen hatten sich erhoben. Aus der Reihe der Gäste an der Theke traten ebenfalls Männer, die den Sattel der Brazos...
Erscheint lt. Verlag | 14.3.2023 |
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Verlagsort | Lengerich |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
ISBN-10 | 3-7452-2802-2 / 3745228022 |
ISBN-13 | 978-3-7452-2802-1 / 9783745228021 |
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