Gestrandet -  Yela Brodesser

Gestrandet (eBook)

Eine Fluchtgeschichte
eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
Buchschmiede von Dataform Media GmbH (Verlag)
978-3-99139-706-9 (ISBN)
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Fode sitzt im Senegal fest, nachdem er wegen politischer Verfolgung aus seinem Heimatland Guinea flüchten musste. Seine Freundin Hannah versucht in Wien alle Hebel in Bewegung zu setzen, um ihm eine Einreise nach Österreich zu ermöglichen. Doch die bürokratischen Hindernisse sind unüberwindbar, und Fode sieht sich gezwungen, die Flucht über Mali, Niger, Libyen und die Mittelmeerroute nach Sizilien anzutreten. Wird er brutale Schlepper, die endlose Wüste und das furchterregende Meer überleben? Gleichzeitig begibt sich Michael nach Guinea um Aminata bei der Trennung von ihrem gewalttätigen Ehemann Madu zur Seite zu stehen. Madu nimmt die Einmischung eines anderen Mannes gar nicht gut auf, und greift zu immer hinterhältigeren Mitteln, um das zu bekommen, was er am meisten liebt: Geld.

Nach ihrem Studium der Soziologie und Publizistik in Wien verschlug es sie nach Westafrika, um die Djembemusik zu erlernen. Es folgten mehrere intensive Studienreisen nach Guinea und Mali, wo sie Unterricht bei bekannten Trommelmeistern und Tänzerinnen nahm. Seit 2003 leitet sie gemeinsam mit ihrem Mann Daniel Giordani das 'Rhytmotop-Institut für Rhythmuserfahrung' im österreichischen Waldviertel. Sie leitet Workshops und Fortbildungsseminare zum Thema Trommeln und Rhythmus und spielt in verschiedenen Musikformationen. 2018 erschien ihr erster Roman 'Rote Erde' in der Edition Mokka. 'Gestrandet' ist der Fortsetzungsroman dazu.

1

Fode stand am Hafen von Dakar und starrte nachdenklich aufs Meer. Er sah die kleinen Pirogen mit ihren Fischernetzen, das glitzernde Wasser und den blauen Himmel, aber alles wirkte farblos und schal, und obwohl die Sonne mit voller Kraft herunterbrannte, fröstelte es ihn. In der Ferne konnte man unscharf die ehemalige Sklaveninsel Gorée erkennen, verhangen von Dunstschleiern, die vom Wasser aufstiegen. Er schob die Hände in seine Hosentaschen und kickte lustlos ein paar kleine Steine vor sich hin. Soeben hatte er eine Nachricht von seiner Freundin Hannah bekommen, in der sie schrieb, dass auch ihr letzter Versuch, ein Visum für Österreich für ihn zu beantragen, gescheitert war. Das war eine herbe Enttäuschung für sie beide, denn sie hatten sich große Hoffnungen gemacht, dass es diesmal endlich funktionieren würde. Sein Problem bestand darin, dass er keinen Pass hatte und es auch nicht wagte, auf die Botschaft zu gehen, um einen zu beantragen. Er war aus Guinea geflohen und wollte auf keinen Fall riskieren, wieder dorthin zurückgeschickt zu werden. Hannah hatte in Österreich alles erdenklich Mögliche versucht, um ihm zu helfen, aber es hatte einfach nicht geklappt.

Jedenfalls war alles ziemlich trostlos, um es auf den Punkt zu bringen. Er hing nun seit fast einem halben Jahr in dieser verdammten, heruntergekommenen Stadt herum und hatte nichts anderes zu tun, als zu warten. Er wartete auf ein Mail oder einen Anruf von Hannah, er wartete auf ein Visum für Europa, er wartete auf Geld von seiner Mutter, er wartete darauf, dass sein Leben endlich weiterging. Hier hatte er keine Freunde, keine Familie, keine Arbeit, kein Geld. Einfach nichts, das ihm Kraft gab oder Freude bereitete. Er teilte sich ein Mini-Appartement mit acht anderen Guineanern, die alle in einer ähnlichen Situation waren wie er selbst. Jeder von ihnen hatte Guinea aus dem einen oder anderen Grund verlassen müssen und war nun auf der Suche nach einem besseren Leben. Die meisten von ihnen wollten weiter nach Europa, aber keiner von ihnen hatte genug Geld, um sich die teure Reise leisten zu können. So versuchten sie, sich mit Gelegenheitsjobs durchzuschlagen. Auch Fode hatte nun begonnen, in einem Laden auszuhelfen, da er es bis jetzt nicht geschafft hatte, in der Musikszene Fuß zu fassen. Ein Grund dafür war, dass er seine Trommel in Conakry zurückgelassen hatte. Er dachte, dass er sowieso nicht lange in Dakar bleiben, sondern bald wieder nach Guinea zurückkehren oder weiter nach Europa reisen würde. Nun war er zwar ein ausgezeichneter Djembespieler, aber hatte kein Instrument, um darauf zu spielen. Hin und wieder konnte er sich von einem Bekannten eine Djembe ausleihen, aber meistens brauchte der sie selbst. Außerdem war es ihm noch nicht gelungen, Mitglied einer fixen Trommelgruppe zu werden und er musste immer wieder von neuem darum betteln, bei einem Fest mitspielen zu dürfen. Es herrschte eine strikte Hierarchie in der Stadt, es gab einige fixe Ensembles, die den Großteil der Auftritte an sich rissen. Für einzelne, unorganisierte Spieler wie Fode war es sehr schwierig in diese Szene einzusteigen. Und die Senegalesen spielten eben auch lieber mit anderen Senegalesen zusammen als mit Guineanern. Zudem wurde meistens Sabar-Musik gespielt, ein Musikstil, bei dem die länglichen Sabartrommeln mit einem Stick und einer Hand geschlagen wurden. Fode beherrschte diese Art des Trommelns nicht so gut, und sie gefiel ihm auch nicht besonders. Er war und blieb ein Djembefola.

Fode, c‘est toi? Qu’est-ce que tu fais ici? Fode, bist du das? Was machst du hier?“, hörte er plötzlich eine bekannte Stimme hinter seinem Rücken. Er drehte sich um und erkannte seinen alten Freund Diblou aus Conakry, der ungläubig lachend vor ihm stand.

Eh allah! Diblou, mon ami, mais c’est pas possible! Diblou, mein Freund, aber das gibt‘s ja nicht!“, rief er überrascht und umarmte den anderen erfreut. Sie klopften sich gegenseitig auf die Schultern. „Was hat dich denn nach Dakar verschlagen?“

Sein Freund, der eben noch über das ganze Gesicht gestrahlt hatte, blickte ihn plötzlich ernst an. „Ach, Fode, in letzter Zeit ist es in Conakry einfach nicht mehr, wie es einmal war. Das Militär drangsaliert die Leute, alles wird teurer, und wir haben noch immer keinen neuen Präsidenten …“

Fode nickte. Er war von seiner Mutter über die neuesten politischen Entwicklungen in Guinea auf dem Laufenden gehalten worden. Der alte Präsident war zwar des Landes verwiesen worden, aber die Situation im Land war immer noch unklar und neue Wahlen standen bevor.

„Mit der Arbeit wird es auch immer schwieriger“, fuhr Diblou fort. „Ich habe vor ein paar Wochen meinen Job verloren und kann meine Familie nicht mehr versorgen. Die Kinder haben Hunger und meine Frau ist völlig frustriert. Es ist wirklich schlimm. Jetzt hat Djenabu mir vorgeschlagen, ob ich nicht mein Glück versuchen und nach Europa gehen will. Et voilà, hier bin ich!“ Er grinste. „Machen wir nicht immer das, was unsere Frauen uns sagen?“

Fode lachte auch. „Ja, so sieht es aus, Diblou. Auch ich warte hier darauf, dass meine Freundin mich nach Europa holt. Aber das klappt leider nicht …“

Diblou schaute ihn neugierig an. „Ah, du willst also auch nach Europa?“

„Ja, aber das ist nicht so einfach, wie ich geglaubt habe. Hannah hat wirklich alles versucht in Österreich, um ein Visum für mich zu bekommen, aber es hat nicht funktioniert …“ Fode senkte den Kopf und blickte zu Boden.

Sein Freund klopfte ihm kameradschaftlich auf den Rücken.

„Ach, das wird schon, mon ami, das wird schon! Lass den Kopf nicht hängen, es gibt immer einen Ausweg. Komm, wir gehen was trinken und plaudern ein bisschen. Ich lad dich ein!“, sagte er, nahm Fode am Arm und zog ihn Richtung Hafenkneipe.

***

Hannah starrte verzweifelt auf ihren Posteingang. Schon wieder keine Nachricht von Fode. Seit einer Woche hatte sie nun schon nichts mehr von ihm gehört, seit sie ihm die schlechte Nachricht übermittelt hatte, dass auch diesmal der Visumsantrag für ihn abgelehnt worden war. Seit sie aus Guinea zurück war, hatte sie den Großteil ihrer Freizeit damit verbracht, sich darum zu kümmern, dass Fode nach Österreich kommen konnte. Sie hatte verschiedenste Behörden aufgesucht, um ein Visum für ihren Freund zu beantragen. Sie hatte unzählige Telefonate geführt und jede Menge Briefe und E-Mails geschrieben. An das Innenministerium, die Einwanderungsbehörde, die Botschaft, die Magistratsabteilung 35, und wie diese Ämter sonst noch hießen. Sie hatte auch einige NGOs aufgesucht, um sich beraten zu lassen, war bei der Caritas und den Helping Hands gewesen, hatte mit Ute Bock geredet und Kontakt mit dem Afro-Asiatischen Institut aufgenommen. Und was war dabei herausgekommen? Nichts. Nur Absagen, ausweichende, unklare Antworten und jede Menge Ausflüchte hatte sie zu hören bekommen. Es war wirklich zum Verzweifeln! Dabei war sie so voll Energie und Tatendrang gewesen, als sie vor einem halben Jahr von Afrika zurückgekehrt war. Sie hatte so viel Hoffnung gehabt und ganz fest daran geglaubt, dass es eine Zukunft für Fode und sie gab. Eine Zukunft ohne Angst vor Verfolgung, eine gemeinsame Zukunft in Österreich, einem Land, das einem Flüchtling wie Fode doch sicherlich Asyl gewähren würde.

Ursprünglich war Hannah nach Guinea gereist, um Recherchen für ihre Diplomarbeit durchzuführen. Doch alles war anders gekommen als geplant. Sie hatte Fode kennengelernt, einen jungen Trommler und Musiker, und mit ihm gemeinsam war sie tief in die Musikszene Conakrys eingetaucht. Sie hatte selbst Trommelunterricht bei ihm genommen, sie hatten viele Feste und Konzerte besucht, und schließlich hatten sie sich ineinander verliebt. Aber dann war etwas Schreckliches passiert: eine friedliche Demonstration gegen den Präsidenten wurde vom Militär brutal niedergeschossen und mehr als hundertfünfzig Menschen wurden dabei getötet. Binnen Stunden herrschten plötzlich bürgerkriegsähnliche Zustände in der Stadt und Fode, der in die politischen Wirren verwickelt war, musste Hals über Kopf fliehen. Hannah wollte ihn nicht alleine gehen lassen und begleitete ihn kurz entschlossen auf seiner Flucht nach Baro, in das Dorf seines Onkels in Oberguinea. Dort war sie schwer krank geworden und von Fode und der Familie des Onkels gepflegt worden. Doch bald hatte die Polizei Fodes Versteck ausfindig gemacht und er wurde erneut gezwungen zu fliehen. Leider konnte er die schwer kranke Hannah diesmal nicht mitnehmen und hatte nicht einmal die Möglichkeit, ihr von seiner überstürzten Abreise zu erzählen. Das war ein sehr schlimmer Moment für Hannah gewesen. Sie hatte nicht verstanden, warum er sie alleine und krank im Dorf zurückgelassen hatte, und hatte stark an ihm und seiner Liebe gezweifelt. Schließlich war aber doch noch alles relativ gut ausgegangen, und sie war wohlbehalten nach Conakry zurückgekehrt. Dort hatte sie Fode noch einmal treffen können, sie hatten sich versöhnt, und er hatte ihr erklärt, warum...

Erscheint lt. Verlag 26.1.2023
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur
ISBN-10 3-99139-706-4 / 3991397064
ISBN-13 978-3-99139-706-9 / 9783991397069
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