Der weisse Löwe von Thabur -  Damaris Kofmehl

Der weisse Löwe von Thabur (eBook)

Die Löwenblut-Saga
eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
512 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7562-6431-5 (ISBN)
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Leandro ist auf Löwenjagd. Plötzlich stürzt er durch einen unsichtbaren Durchgang in eine andere Welt: Thabur. Er erfährt, dass er Teil einer uralten Prophezeiung ist. Gemeinsam mit einem geheimnisvollen weißen Löwen soll er das Volk aus der Knechtschaft des Tyrannen Rhakan befreien. Das kämpferische Waldmädchen Tajana, der unmusikalische Barde Björg und der einbeinige Schmied Jahron werden seine Gefährten. Doch Rhakans beste Krieger sind ihnen auf den Fersen. Gelingt es dem Tyrannen, den weißen Löwen zu töten, ist das Schicksal Thaburs besiegelt. Gejagt von Schattenkriegern und finsteren Kreaturen suchen Leandro und seine Freunde verzweifelt nach Verbündeten, um Rhakan vom Thron zu stürzen. Die Schlacht um Thabur hat begonnen...

Damaris Kofmehl ist Bestseller-Autorin und erzählt wahre Begebenheiten als True-Life-Thriller, Fantasy und Biografien. Ihre Buchrecherchen führten sie unter anderem nach Brasilien, Pakistan, Guatemala, Chile, Peru, Australien und in die USA. Sie lebte lange unter Straßenkindern in Brasilien und heute wieder in ihrem Heimatland, der Schweiz.

DER ANGRIFF


Tajana wirbelte herum und warf das Messer. Es zischte durch das Baumhaus und blieb surrend in der dicht geflochtenen Schilfverkleidung neben dem Fenster stecken. Mit zusammen gekniffenen Augen suchte die Zwölfjährige die dunkle Hütte ab. Sie hätte schwören können, dass da jemand gewesen war. Sie hatte seinen düsteren Blick ganz deutlich im Nacken gespürt und ihr schauderte beim Gedanken, was das für sie und ihr ganzes Dorf bedeuten könnte. Zu schrecklich waren die Geschichten, die Überlebende ihnen von den Schattenkriegern Rhakans berichtet hatten. Aber da war niemand beim Fenster. Offenbar hatte ihr das tagelange Eingesperrtsein doch stärker zugesetzt als erwartet. Oder es war die Wirkung des öligen Pflanzensaftes, den sie zur Betäubung der bevorstehenden Schmerzen getrunken hatte. Denn heute Nacht würde sie in den Stand einer Erwachsenen erhoben. Jedes zwölfjährige Kind vom Volk der Maripós durchlief dieses Ritual. Dabei wurde ihm mit einem glühenden Eisen das Zeichen des Schmetterlings auf die rechte Schulter gebrannt. Tajana hatte keine Angst davor. Mit Schmerzen kannte sie sich aus, vor allem mit denen, die in ihrem Innern schwelten.

Sie ging zum Fenster, zog das Messer aus dem Schilf und warf einen prüfenden Blick auf den Wald hinab. Die jahrtausendealten Erlen mit ihren dicken Stämmen und dem knorrigen Geäst sahen aus wie schwarze Riesen aus einer anderen Welt. Alle Baumhäuser, bis dicht hinauf zu den Baumkronen, waren mit Laternen erleuchtet. Die geschlängelten Brücken, Wendeltreppen und hängenden Gärten zwischen den mehrstöckigen Schilfhütten waren geschmückt mit Girlanden aus Blumen und bunten Federn. In einigen mächtigen Bäumen wanden sich die Treppen sogar innerhalb des Stammes in die Höhe. Die nächtlichen Geräusche des Waldes vermischten sich mit den Klängen von Trommeln, Flöten, dem leisen Wiehern von Pferden und Kinderlachen. Die letzten Vorbereitungen für die große Zeremonie waren in vollem Gange. Die Frauen eilten mit Körben voller Baumfrüchte, Nüsse, gerösteter Wurzeln und Brot über die hängenden Pfade, die Männer brieten Fische und Hirschkeulen über den Feuern auf dem Waldboden. Junge Männer übten ihre erdverbundenen Tanzschritte, zupften sich die Lederkostüme zurecht und bemalten sich gegenseitig eine Hälfte des Gesichts und die Oberarme mit roter Farbe. Einige Knaben hockten im Schneidersitz auf dem Boden und trommelten auf Riesenkalebassen herum. Kuruani, der Dorfälteste, sein Kopf in einem Bärenschädel mit scharfem Gebiss steckend, schürte das Ritualfeuer auf dem Dorfplatz. Ein paar Kinder rannten zwischen den Bäumen hin und her und übten sich im Bogenschießen.

Freudige Erregung lag in der Luft. Nichts deutete darauf hin, dass irgendetwas nicht in Ordnung war. Und dennoch wurde Tajana das Gefühl nicht los, dass sie in unmittelbarer Gefahr schwebten. Vielleicht war der Schatten beim Fenster nicht nur Einbildung gewesen. Vielleicht war ihr Dorf bereits umzingelt. Vielleicht lauerten die Schattenkrieger ihnen gerade in diesem Moment hinter den Bäumen auf.

Nein, dachte Tajana mit aller Überzeugungskraft, die sie aufbringen konnte. Es war der Pflanzensaft, der meinen Sinnen einen Streich gespielt hat. Ganz bestimmt.

»Es ist so weit, Tajana.«

Tajana drehte sich um. Ihre Mutter stand in einem eleganten Kleid aus Leder, Fell und Federn im Eingang und lächelte sie stolz an. Ihr langes schwarzes Haar hatte sie mit farbigen Bändern zu einem Zopf zusammengebunden. Um den Hals trug sie eine Kette mit einem Anhänger aus Metall. Es war ein Schmetterling, dessen Flügel in Flammen standen. Tajana war barfuß und trug ein weißes, schulterfreies Baumwollkleid und einen Blumenkranz im pechschwarzen offenen Haar, die traditionelle Kleidung der Initianten.

»Komm«, sagte die Mutter und streckte ihr die Hand entgegen.

Tajana ergriff ihre Hand. Ihr Schilfhaus befand sich weit oben, in schwindelerregender Höhe. Gemeinsam schritten Mutter und Tochter die Wendeltreppe, die sich um den wuchtigen Baum wand, hinab auf den Waldboden. Sie wurden bereits erwartet. Zwischen den vielen Menschen hielt Tajana Ausschau nach ihrer Großmutter und Naliya, ihrem zweijährigen Schwesterchen, konnte die beiden aber nirgendwo entdecken. Eine Schneise öffnete sich vor ihnen. Die Dorfbewohner traten zur Seite, breiteten einen Teppich aus großen Blättern vor Tajana aus und gaben den Weg zum Ritualfeuer frei. Tajanas Mutter ließ ihre Hand los. Ab jetzt musste die Zwölfjährige allein weitergehen. Sie reckte ihr Kinn und ging furchtlos auf das Feuer zu. Kuruani erwartete sie bereits. Die Maripós bildeten einen großen Kreis um das Feuer, und Tajana trat in die Mitte. Der Dorfälteste stieß einen lauten kehligen Schrei aus, den das ganze Volk erwiderte. Die Knaben begannen zu trommeln. Die jungen Männer formierten sich zum Tanz, hielten sich an den Schultern und stampften um das Feuer herum, während die Frauen sich im gleichen Rhythmus hin- und herwiegten und einen monotonen Gesang anstimmten. Zwei Männer bliesen die Kutua-Flöten, lange geschnitzte Hörner, die länger waren als sie selbst. Die dunklen Klänge hatten etwas Mystisches an sich. Der ganze Waldboden vibrierte von ihren Schwingungen.

Nachdem der Tanz zu Ende war und die Instrumente verstummten, kniete sich Tajana vor Kuruani auf den Boden. Unverständliche Worte raunend, tauchte er zwei seiner Finger in eine mit Blut gefüllte Schale und zeichnete einen Schmetterling auf Tajanas Stirn. Dann griff er nach dem Brandeisen, das bereits im Feuer lag und dessen Spitze vor Hitze weiß glühte. Tajana schloss die Augen und atmete tief ein. Jetzt war es so weit. Es wurde von den Initianten erwartet, dass sie weder schrien noch weinten, wenn ihnen das Feuermal in die Schulter gebrannt wurde. Dadurch bewiesen sie, dass sie keine Kinder mehr waren und die innere Stärke besaßen, die Schwelle zum Erwachsenenleben zu überschreiten. Eine angespannte Stille herrschte, als der Dorfälteste Tajana das glühende Eisen auf die nackte Haut presste. Es zischte und roch nach verbranntem Fleisch. Der Schmerz war so entsetzlich, dass Tajana fürchtete, in Ohnmacht zu fallen. Am liebsten hätte sie laut geschrien, doch sie biss tapfer die Zähne aufeinander und gab keinen Laut von sich. Kuruani legte das Brandeisen weg, nahm Tajanas Hand und zog sie in die Höhe. Feierlich und laut verkündete er:

»Tajana, kunan qamkuna sayaq runa!«, woraufhin das ganze Volk in Jubel ausbrach. Tajana lächelte glücklich. Jetzt war sie offiziell eine Erwachsene. Von allen Seiten wurde sie beglückwünscht und mit Blumenkränzen behängt. Die Tänzer stampften erneut ums Feuer, die Trommler trommelten, die Flötenspieler bliesen in die Hörner und die Frauen klatschten und sangen. Eine ältere gebückte Frau kam nach vorne, an der Hand ein kleines Mädchen, das einen Blumenkranz in seinen speckigen Fingerchen hielt.

»Großmutter«, sagte Tajana und küsste die Frau auf die Stirn.

»Ich bin so stolz auf dich, Tajana«, sagte die alte Frau und betrachtete das Brandmal auf Tajanas Schulter. »Du bist sehr tapfer gewesen.«

»Ich hab’s versucht«, sagte Tajana und beugte sich hinunter zu dem kleinen Mädchen. Es hatte große smaragdgrüne Augen wie sie selbst, mit dem beneidenswerten Unterschied, dass sich darin noch eine kindliche Unschuld widerspiegelte, etwas, was Tajana längst abhandengekommen war. Naliya hängte ihrer großen Schwester den Blumenkranz um den Hals. Tajana bedankte sich bei ihr und fragte sie dann:

»Und wo bleibt mein Schmetterlingslied?«

Sofort streckte Naliya ihr den kleinen Finger entgegen. Sie verhakten ihre kleinen Finger und bewegten ihre Hände, als wären sie Flügel eines Schmetterlings. Gemeinsam begannen sie zu singen. Naliya war noch nicht in der Lage, alle Worte korrekt auszusprechen, aber die Melodie des Kinderliedes kannte sie in- und auswendig.

»Tanz, Schmetterling, tanz! Tanz mit den Sternen, dem Mond und der Nacht. Tanz, wenn die Sonne am Morgen erwacht. Tanz, wenn das Feuer den Himmel entfacht. Tanz, Schmetterling, tanz!«

Zum Schluss strahlte Naliya vor Freude. Tajana stupste mit dem Finger ihre Nasenspitze an, woraufhin die Kleine die Schultern hochzog, als würde es sie kitzeln. Nun trat Tajanas Mutter vor sie hin. Mütterlicher Stolz und Tränen der Rührung glänzten in ihren Augen.

»Ich hab ein Geschenk für dich«, sagte sie. Sie nahm die Halskette von ihrem Hals und hängte sie ihrer Tochter um. »Mein Vater hat sie mir am Tag meiner Initiation geschenkt. Jetzt sollst du sie haben.«

»Danke, Mutter«, murmelte Tajana verlegen und strich mit den Fingern über den metallischen Anhänger mit den brennenden Schmetterlingsflügeln. Dann umarmten sie einander.

»Du bist das Beste, was mir je passiert ist«, flüsterte die Mutter ihr sanft ins Ohr. »Ich liebe dich.«

»Ich liebe dich auch, Mutter.«

Gerade als sich Tajana von der Umarmung...

Erscheint lt. Verlag 6.1.2023
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Fantasy / Science Fiction Fantasy
ISBN-10 3-7562-6431-9 / 3756264319
ISBN-13 978-3-7562-6431-5 / 9783756264315
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